Erste Immigranten-Gewerkschaft im Maghreb
vorgestellt beim Treffen des Afrikanischen Sozialforums zur Vorbereitung des Weltsozialforums 2013 im tunesischen Monastir.


Bernard Schmid interviewte Abdellah ALLALI (ODT)

07-2012

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 Abdellah ALLALI ist Vorstandsmitglied des marokkanischen Gewerkschaftsbunds ODT. Die ODT (Organisation démocratique du travail) ist einer von mehreren Richtungs-Gewerkschaftsdachverbänden in Marokko. Als erste Gewerkschaftsvereinigung in einem arabischsprachigen Land und/oder in Afrika hat die ODT am 1. Juli dieses Jahres eine eigene Gewerkschaft für Arbeitsmigranten gegründet und aufgenommen.

Frage: Zusammen mit einem Vorstandskollegen Ihrer Gewerkschaft, Mohamed ENNAHILI, stellten Sie hier auf dem Vorbereitungstreffen für das Weltsozialforum in Tunesien die erste Gewerkschaft für Immigranten im Maghreb vor. Wann und wo ist diese entstanden?

Antwort Abdellah ALLALI: Die offizielle Gründung des Collectif syndical des travailleurs immigrés au Maroc (CSTIM) fand am 1. Juli dieses Jahres in der marokkanischen Hauptstadt Rabat statt. Rund 200 eingewanderte Arbeiter unterschiedlicher Nationalitäten nahmen daran teil, ebenso Vertreterinnen und Vertreter von NGOs sowie von Botschaften afrikanischer und europäischer Länder in Marokko. Der Gründungskongress wählte ein Büro aus 19 Personen, das durch den kongolesischen Staatsbürger Marcel Amiyeto geleitet wird. Parallel dazu bildeten wir eine Arbeitskommission von Mitgliedern und Aktivisten unseres Gewerkschaftsbunds, die die Aktivitäten der Immigrantengewerkschaft begleiten und unterstützen wird.

Frage: Wie aber kam es dazu?

Antw.: Voraus ging eine Entscheidung des letzten Gewerkschaftskongresses der ODT, der vom 30. März bis 1. April stattgefunden hat. Damals beschlossen wir, zunächst eine sichtbare Beteiligung von Arbeitsmigranten bei den 1. Mai-Demonstrationen zu organisieren. An diesem Tag demonstrierten im laufenden Jahr erstmals marokkanische und eingewanderte Arbeiter gemeinsam. Und am 10. Juni fand der „Marsch des Zorns“ – masira al-ghadab – statt. Ihn organisierten wir zusammen mit allen sozialen Gruppen, die in der marokkanischen Gesellschaft an den Rand gedrängt werden. Dort liefen eingewanderte Arbeiter ebenso mit wie prekär Beschäftigte, die weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen oder ohne Kranken- und Rentenversicherung arbeiten müssen.

Frage: Aber wie kam es zu dem Beschluss Ihres Gewerkschaftstages? Welche Fragen, welche Prozesse haben dorthin geführt?

Antw.: Diskussionen darüber hat es bereits seit dem Jahr 2006 gegeben. Wir erhielten in den letzten Jahren viele Dossiers von eingewanderten Arbeitern, die sich „ohne Papiere“ – also „illegal“ – in Marokko aufhalten und dort arbeiten, und die bei Arbeitsunfällen verletzt worden sind. Bei einem Dossier ging es um einen Mauretanier, der infolge eines Arbeitsunfalls vier Finger verloren hatte. Wir bemühten uns nach Kräften, die Rechte dieser Lohnabhängigen trotz ihres „illegalen“ Status zu verteidigen.

Gleichzeitig wurden unsere Bemühungen und Überlegungen stark durch die „Vereinigung maghrebinischer Arbeiter in Frankreich“ (ATMF) beeinflusst. Unsere Landsleute in Frankreich kämpfen dort unter den Bedingungen ihrer Situation als Einwanderer. Wir lernten von ihnen, dass man in der Migration spezifischen Problemen und Diskriminierungen ausgesetzt ist, und einen eigenen Kampf dagegen führen muss. Im Austausch mit der ATMF trieben wir unsere eigenen Überlegungen über den Kampf zusammen mit den Einwanderern in Marokko voran. Es gab auch Treffen mit dem GADEM, das ist die „Antirassistische Gruppe für die Verteidigung und Begleitung von Ausländern und Migranten“ mit Sitz in Rabat. Diese kämpft gegen die Repression, denen Migranten in Marokko von staatlicher Seite ausgesetzt sind, und gegen Diskriminierungen.

Frage: Und heute streben Sie nach Zusammenarbeit mit anderen Kräften, etwa in Tunesien?

Antw.: Ja, und in der ganzen Region. Am 06. und 07. Oktober dieses Jahres wird das „Sozialforum der Migranten“ im marokkanischen Oujda stattfinden, zu dem wir Menschen in Nordafrika und darüber hinaus herzlich einladen.

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