SCHLUSSWORT aus
Prinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung
von "Gruppe internationaler Kommunisten" (1930)

07-2013

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Die Marxschen „Randglossen".

Es ist an der Zeit, daß das revolutionäre Proletariat sich bestimmte Vorstellungen macht von der Gesellschaftsordnung, die es an die Stelle des Kapitalismus setzen will. Es geht nicht mehr an, diese Aufgabe mit der Bemerkung beiseitezuschieben, daß die siegende Arbeiterklasse ungeahnte Kräfte entwickeln wird; wenn sie nur erst die Fessel abgeschüttelt hat. Das ist einmal ein sehr unsicherer Wechsel auf die Zukunft und schlägt obendrein völlig daneben. Das Gegenteil ist Wahr. Die kapitalistische Wirtschaft geht mit Riesenschritten den Weg der Konzentration, wie jeder Tag aufs neue lehrt, und wer nicht blind ist, muß erkennen, daß sie früher oder später im Staat ihre Dachgesellschaft finden wird. Das ist also der Weg der Machfkonzentration des Kapitals und zugleich das Bündnis aller herrschenden Schichten — mit Einschluß der Führerschicht in den alten Arbeiterorganisationen — gegen das Proletariat. In diese Entwicklung mündet die auf breitester Grundlage geführte Propaganda der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften für Wirtschaftsdemokratie, oder besser gesagt, Einflußnahme der Führung der alten Organisation — auf dem Umweg über den Staat — auf die Wirtschaft. Die alte Arbeiterbewegung entrollt ihr wirtschaftliches Programm — ihre Planwirtschaft —, ihr Sozialismus bekommt Form und Gestalt; aber es ist deutlich, daß es nur eine Fortentwicklung der Beherrschung der Lohnarbeit ist. Und nun kann man auch mit Sicherheit sagen, daß der sogenannte russische Staatskommunismus nur eine radikalere Durchführung dieser neuen Herrschaftsform ist. Wir revolutionären Proletarier haben also keine Wahl. Den breiten Arbeitermassen wird im Augenblick schon für ihre Aktionen und Kämpfe ein Weg gewiesen, der angeblich zum Sozialismus oder Kommunismus, zu ihrer Befreiung führen soll. Und dieselben Arbeitermassen sind es, die wir gewinnen müssen, denen wir ihr eigenes Ziel zeigen müssen, denn ohne sie gibt es keine Revolution und keinen Kommunismus. Das können wir nur, wenn wir selber klare und konkrete Vorstellungen haben von der Produktionsordnung und Gliederung in kommunistischer Gesellschaft.

Aber noch mehr. Selbst bürgerliche Wissenschaftler erkennen das Herannahen der Katastrophe, und sie bereiten jetzt schon den Weg für die Verständigung des Kapitals mit dem Gedanken der Gemeinwirtschaft vor. Sie erkennen, daß die Tage der privaten Bewirtschaftung gezählt sind, und es geht nun darum, die Ausbeutung bei der Gemeinbevvirtschaftung aufrecht zu erhalten. Kennzeichnend dafür ist die Schrift eines bürgerlichen Oekonomen — E. Horn, „Die ökonomischen Grenzen der Gemeinwirtschaft" — worin gesagt wird, daß die Aufhebung des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln nicht zusammenfallen braucht mit der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise. Darum wehrt er sich schließlich auch nicht gegen die Aufhebung des Privatbesitzes, aber der „Warenaustausch", die kapitalistische Produktionsweise mit ihrem Markt und der Mehrwertformung soll auf alle Fälle beibehalten werden. Für ihn lautet die Frage nicht, ob, sondern wie der Privatbesitz an Produktionsmitteln aufgehoben wird.

Ein bürgerlicher Oekonom, wie E. Hörn, muß natürlich die Unmöglichkeit des Kommunismus nachweisen. Daß er es tut an Hand der Böhni-Bawerk'schen Grenznutzentheorie, erspart uns ein Eingehen darauf. Bucharin hat das in der Widerlegung dieser Theorie seinem Buch: „Die politische Oekonomie des Rentners" unserer Ansteht nach endgültig besorgt. Aber wie er die offizielle Theorie der kommunistischen Wirtschaftsweise kritisiert, das ist allerdings bemerkenswert. Er nennt sie eine Wirtschaftsordnung mit negativen Vorzeichen, weil wohl gesagt wird, wie es nicht ist, aber in keinem Falle nach welchen Kategorien diese Wirtschaft geordnet ist. Die Merkmale der kommunistischen Wirtschaft seien, daß es keinen Markt, keine Preise und kein Geld gäbe. Also alles negativ.

Der allgemeine Produzent - Distribuent wird diesen negativen Raum ausfüllen, antwortet Neurath; Hilferding weist diese Aufgabe den Staatskommissaren mit ihrer Produktions- und Verbrauchsstatistik zu, oder man vertröstet sich sogar mit dem Hinweis auf die schöpferische Kraft des siegreichen Proletariats, die derartige Probleme spielend lösen wird . . . Hier ist sicher das Wort am Platze „Wo die Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein."

Auf den ersten Blick mag es befremden; daß die sogenannten marxistischen Oekonomen sich so \yenig mit den Kategorien der kommunistischen Wirtschaftsweise beschäftigt haben, trotzdem doch Marx seine diesbezüglichen Auffassungen ziemlich vollständig, sei es auch in sehr gedrängter Form, in den „Randglossen" niedergelegt hat. Aber doch nur auf den ersten Blick. Die „Jünger" von Marx konnten mit seiner grandiosen Vision nichts anfangen, weil sie glaubten entdeckt zu haben, daß die Grundbedingungen für Leitung und Verwaltung der Wirtschaft sich so ganz anders entwickelten, als Marx dachte. Die „Assoziation freier und gleicher Produzenten" verwandelte sich unter ihren Händen in „Verstaatlichung"; schien doch der Konzentrationsprozeß von Kapital und Wirtschaft dem mit absoluter Sicherheit in die Hände zu arbeiten. Aber die Revolutionsjahre von 1917—23 haben die Formen aufgezeigt, worin das Proletariat sich der Produktionsmittel bemächtigt und die russische Revolution bewies, daß entweder sie, die Räte, das Feld behaupten, oder aber die zentrale Wirtschaftsorganisation des Staates. Darum erweisen sich auch die von Marx aufgestellten Richtlinien für die kommunistische Wirtschaft wieder als richtig, lieber die „Randglossen" folgendes: Im Jahre 1875 sollte der „Allgemeine deutsche Arbeiterverein" (Lassalle) mit der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" vereinigt werden, wozu ein Entwurf zum Einigungsprogramm von Gotha aufgestellt wurde. An diesem Entwurf haben sowohl Marx als Engels eine vernichtende Kritik geübt. Marx schrieb seine Kritik im Brief an Brake und er nannte dieses Manuskript „Kritische Randglossen zum Koalrtionsprogramm". Erst seit 1891 wurden sie in breiteren Kreisen bekannt, und zwar, als Engels sie abdrucken ließ in der „Neuen Zeit" (Band IX, S. 561—-575). Jahrelang hörte man nichts mehr davon, bis 1920, 1922 und jetzt 1928 neue Ausgaben stattfanden. (Alle diesbezüglichen Daten sind entnommen aus: „Programmkritiken".)

Diese Randglossen hatten wir erst nach Abschluß unserer Studie zur Hand. Sie deckten sich so vollkommen mit der hier gegebenen Darstellung, daß unsere Arbeit gewissermaßen nur als die zeitgemäße Ausarbeitung der Marx'schen Auffassung erscheint. Wir wollen diese Uebereinstimmung zeigen, da, wo Marx gegen die Auffassung des Einigungsprogramms polemisiert, daß jeder Arbeiter den „unverkürzten Arbeitsertrag" erhalten werde:

„Nehmen wir zunächst das Wort „Arbeitsertrag" im Sinne des Produkts der Arbeit, so ist der genossenschaftliche Arbeitsertrag das gesellschaftliche Gesamtprodukt.

Davon ist nun abzuziehen:

Erstens: Deckung zum Ersatz der verbrauchten Produktionsmittel.
Zweitens: Zusätzlicher Teil für Ausdehnung der Produktion.
Drittens: Reserve- oder Assekuranzfonds gegen Mißfälle, Störungen durch Naturereignisse usw.

Diese Abzüge vom „unverkürzten Arbeitsertrag" sind eine ökonomische Notwendigkeit, und ihre Größe ist zu bestimmen nach vorhandenen Mitteln und Kräften, zum Teil durch Wahrscheinlichkeitsrechnung; aber sie sind in keiner Weise aus der Gerechtigkeit kalkulierbar.

Bleibt der andere Teil des Gesamtprodukts, bestimmt als Konsumtionsmittel zu dienen.

Bevor es zur individuellen Teilung kommt, geht hiervon wieder ab:

Erstens: Die allgemeinen, nicht zur Produktion gehörigen Verwaltungskosten.
Dieser Teil wird von vornherein aufs bedeutendste beschränkt im Vergleich zur jetzigen Gesellschaft und vermindert sich im selben Maße, als die neue Gesellschaft sich entwickelt.

Zweitens: Was zur gemeinschaftlichen Befriedigung von Bedürfnissen bestimmt ist, wie Schulen, Gesundheitsvorrichtungen usw.
Dieser Teil wächst von vornherein bedeutend im Vergleich zur jetzigen Gesellschaft und nimmt im selben Maße zu, wie die neue Gesellschaft sich entwickelt.

Drittens: Fonds für Arbeitsunfähige usw., kurz für das, was heute zu der söge nannten offiziellen Armenpflege gehört.

Erst jetzt kommen wir zu der „Verteilung", die das Programm unter Lassall'schem Einfluß, bornierterweise allein ins Auge faßt, nämlich an den Teil der Konsumtionsmittel, der unter die individuellen Produzenten der Genossenschaft verteilt wird.

Der „unverkürzte Arbeitsertrag" hat sich unter der Hand bereits in den „verkürzten" verwandelt, obgleich, was den Produzenten in seiner Eigenschaft als Privatindividuum entgeht, ihm direkt oder indirekt in seiner Eigenschaft als Gesellschaftsglied zugute kommen." (Karl Marx, Randglossen.)

Was wir bei keinem der offiziellen, marxistischen Oekonomen finden, das springt bei der Marx'schen Darstellung direkt in die Augen. Er sieht die Wirtschaft auch im Kommunismus als einen geschlossenen Prozeß, in dem ein gesetzmäßiger Kreislauf stattfindet. Die ökonomische Notwendigkeit der Wiederherstellung und Ausdehnung der verbrauchten Produktionsmittel ist die Grundlage, von wo aus die Verteilung des Gesamtprodukts angefaßt wird. Und Marx kann nie auf den Gedanken verfallen sein, diese Wiederherstellung durch Staatskomrnissäre, also persönlich anordnen zu lassen. Es ist ein sachlicher Vorgang und das Maß dafür muß selbstverständlich aus der Produktion selbst hervorgehen. Dann, daß die allgemeinen Unkosten, die gemeinschaftlich befriedigten Bedürfnisse und die Fürsorge für Arbeitsunfähige den sogenannten „vollen Arbeitsertrag" vermindern - man merkt bei Marx nichts davon, daß Statistiken hierfür nöti^ seien, sondern es ist pin Ahvno- vom individuell zu verzehrenden Produkt. Erinnert man sich nun dessen, daß er als Maßstab für diese Verteilung die individuell geleistete Arbeitszeit vorschlägt, dann ist das Bild vollständig. Wir glauben darum mit Recht sagen zu können, daß unsere Darlegungen nur die folgerichtige Anwendung der Marx'schen Gedankengänge sind.

Von der Geld- zur Arbeitszeitrechnung.

Bei mündlichen Auseinandersetzungen über die Grundprinzipien der kommunistischen Produktion und Distribution wurden bei der Kritik in der Hauptsache zwei Argumente ins Feld geführt. Das erste bezieht sich auf Arbeitszeitrechnung. Das zweite Argument war, daß die in dieser Studie skizzierte Grundlage der Gesellschaft utopisch sei. Wir wollen zeigen, daß beide Argumente schon durch die Geschichte widerlegt sind.

Die Abschaffung des Geldes und seine Ersetzung durch die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit (Arbeitsgeld) ist eine revolutionäre Handlung und kann sich bei genügender Macht der Arbeiterklasse schon nach ein paar Monaten proletarischer Gewalt vollziehen. Es ist eine Frage der Macht, welche nur durch das ganze Proletariat getragen werden kann.

Eine Parteidiktatur ist dazu absolut nicht imstande. Eine Parteidiktatur ist nur das Produkt staatskommunistischer Bestrebungen.

Die proletarische Diktatur braucht in ihrer ersten Existenzperiode ungeheuer viel Geld, das sie sich wahrscheinlich auf dieselbe Weise verschaffen muß, wie die kapitalistischen Staaten in Mitteleuropa in der Nachkriegszeit durch die Banknotenpresse. Die Folge davon ist eine starke Inflation des Geldes, ein Emporklettern der Preise aller Produkte. Es handelt sich nicht darum, ob eine solche bewußte Inflation erwünscht ist; wenn es zu vermeiden wäre, würde sicher die proletarische Gewalt dem vorbeugen. Die Erscheinung der Geldentwertung tritt eben mit jeder umwälzend-revolutionären Bewegung in den Vordergrund. Wie die Revolution nun auch verläuft, ob sie zum Staatskommunismus führt oder zur Assoziation freier und gleicher Produzenten, ob es einer Partei gelingt, die Diktatur an sich zu reißen, oder daß die proletarische Klasse als solche durch ihre Räte sie ausübt, auf jeden Fall tritt die Inflation ein.

Schließlich kommt aber eine gewisse Stabilisierung in die gesellschaftlichen Verhältnisse, und damit kann dann auch zur Stabilisierung der Währung geschritten werden. Die alte Recheneinheit ist dann vernichtet, eine neue tritt dann an ihre Stelle. So in Rußland, wo der Tschernowetz als neue Recheneinheit eingeführt wurde, so Oesterreich, das seinen Schilling erhielt, so Belgien mit seiner Belga, so Deutschland mit seiner Goldmark. Frankreich und Italien taten dasselbe, nur blieb der alte Name erhalten.

Vor allem hat das deutsche Volk Anschauungsunterricht gehabt in bezug auf die Einführung einer neuen Recheneinheit. Hier wurde einfach festgesetzt, daß von einem gewissen Datum ab eine Billion Majrk alter Währung gleichgestellt sei mit einer Goldmark. Das Wirtschaftsleben paßte sich glänzend dem neuen Zustand an, fast ohne Störungen ging man zu der neuen Recheneinheit über.

Ein Nörgler, der darauf achtet, daß etliche kleine Besitzende enteignet wurden.

Bei der Einführung der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitsstunde als Recheneinheit geschieht dasselbe. Sobald die Produktion einigermaßen regelmäßig verläuft, wird die „Stabilisierung" verkündet, d. h. von einem gewissen Datum an wird alles Geld für wertlos erklärt, und nur Arbeitsgeld gibt Anrecht auf gesellschaftliches Produkt.- Dieses Arbeitsgeld kann nur von den Genossenschaften realisiert werden.

Die plötzliche Abschaffung des Geldes bedingt, daß auch plötzlich an allen Produkten die Reproduktionszeit ausgedrückt sein muß. Selbstverständlich ist das nicht so ohne weiteres möglich, und es bleibt dann auch vorläufig eine rohe Abschätzung, welche in einem Fall zu hoch, im ändern zu niedrig sein wird. Ist aber die Arbeitszeitrechnung allgemein durchgeführt, dann treten die wirklichen Reproduktionszeiten bald zutage.

Ebenso, wie dann die Produzenten selbst die Produktion leiten und verwalten, so müssen sie auch die Umrechnung aus der Geldrechnung in die Arbeitszeitrechnung vollziehen. Das einzige, das sie dazu benötigen, ist die aus den Kriegsjahren so bekannte „Indexziffer" oder die „Schlüsselzahlen".

Eine Methode, um dies grobzu bestimmen, ist, die gesellschaftlich durchschnittliche Reproduktionszeit zu berechnen für Industrien, welche ein Massenprodukt herstellen oder für sogenannte Schlüsselindustrien wie Kohle, Eisen oder Kali. Aus den Betriebsbüchern ist zu sehen, wieviel Tonnen Produkt in einer bestimmten Zeit produziert wurden, wieviel der eigentliche Selbstkostenpreis war. Daraus ist dann, läßt man Kapitalzins usw. wegfallen, festzustellen, wieviel Arbeitsstunden dabei verbraucht werden. Aus diesen Daten läßt sich der Geldwert berechnen für eine Eisenstunde, Kohlenstunde oder Kalistunde, wonach man den Durchschnitt von all diesen Industrien als vorläufigen allgemeinen Durchschnitt annehmen kann. De mit soll nicht gesagt sein, daß die Schlüsselzahl so gefunden werden muß, sondern daß es möglich ist, hier führen eben viele Wege zürn Ziel. Wie schon bemerkt, die Geschichte hat die Möglichkeit einer so plötzlichen Abänderung der Recheneinheit bewiesen. „Die größte und schwierigste finanzielle Operation je irgendwo versucht" („The New Statesman" über die Einführung der Goldmark) verläuft in einem hochindustriellen Lande ohne ernste Störungen.

Stellt sich so heraus, daß dieser Durchschnitt auf 0,80 Mark = 1 Arbeitsstunde liegt, dann kann jeder Betrieb eine vorläufige Produktionszeit für sein Produkt berechnen. In allen Betrieben macht man also eine Inventur nach der gebräuchlichen Methode, ausgedrückt in Mark. Dann schätzt man den Verschleiß an Werkzeugen und Maschinen, was übrigens in allen Betrieben bekannt ist und rechnet alles nach dem Index um. Die Rechnung eines Schuhbetriebes würde also lauten können:

Verbrauchte Maschinen usw. = Mark 1000 = 1250 Arbstd.

Leder usw. = Mark 49 000 = 61 250 Arbstd.

Arbeitsstunden = 62 500

Gesaamt = 125 000 = 40 000 p. Sch.

Durchschnittliche Produktionszeit 125000 : 40000 =- 3,125 p. Paar.

Vermeintliche Utopie.

Das zweite Argument unserer Kritiker war das der „Utopie". Auch dieses ist unrichtig, denn es werden in der ganzen Untersuchung keine Konstruktionen für die Zukunft gemacht. Wir untersuchen nur die Grundkategorien des kommunistischen Wirtschaftslebens. Das Einzige, was wir zeigen wollen, ist, daß die proletarische Revolution die Kraft finden muß, die gesellschafl-lic h durchschnittliche Reproduktionszeit durchzuführen; kann sie das nicht, dann ist der Gang zum Staatskommunismus unvermeidlich. Dieser Staatskom-munismus wird sich dann wahrscheinlich nicht direkt offen ankündigen, weil er viel zu kompromittiert ist, sondern sich entwickeln aus einer Art Gildensozialismus, den der Engländer Cole in seiner Schrift „Selfgoverment in Idustrie" (auch in deutscher Uebersetzung erschienen als „Selbstverwaltung in der Industrie") darstellt und der von Leichter in exakter Form wiedergegeben wurde. Es ist alles verschleierter Staatskommunismus, als letzter Versuch der bürgerlichen Welt, dem Kommunismus, zu entgehen, um die Festlegung eines exakten Verhältnisses des Produzenten zum gesellschaftlichen Produkt zu verhindern.

Umgekehrt ist fast alles, was uns bis jetzt über kommunistische Produktion und Distribution angeboten wurde und den Anspruch erhebt, auf Realitäten aufzubauen, die reinste Utopie. Man macht Proojekte, wie die verschiedenen Industrien zu organisieren seien, wie durch bestimmte Kommissionen und Räte der Gegensatz Produzent-Konsument aufgehoben werden soll, durch welche Organe die Macht des Staates gebändigt werden soll usw. Gerät so ein Autor bei seinen phantastischen Purzelbäumen in die Klemme, entsteht bei seinen theoretischen Betrachtungen eine Schwierigkeit in bezug auf das Zusammenarbeiten der verschiedenen Industrien . . . die Lösung ist bald da. Es wird eine neue Kommission oder ein besonderer Rat „ins Leben gerufen". Dies trifft vor allem bei dem Gildensozialismus von Cole zu, dessen Ableger der sogenannte deutsche Gewerkschaftssozialismus ist.

Der organisatorische Aufbau des Produktions- und Distributionsapparates ist funktioneil verbunden mit den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, wonach er sich bewegt. Alle Betrachtungen über diesen Aufbau sind darum utopisches Zeug, solange nicht die ökonomischen Kategorien dargestellt sind, welche zu diesem Aufbau gehören. Es ist Utopie und lenkt die Aufmerksamkeit von den wirklichen Grundproblemen ab.

In unseren Betrachtungen haben wir uns nicht auf dieses Gebiet begeben. Sobald der organisatorische Aufbau des Wirtschaftslebens berührt wurde, haben wir nur auf die Betriebsorganisationen und Genossenschaften hingewiesen. Wir waren dazu berechtigt, weil die G eschichte diese Formen schon angegeben hat, womit sie also nicht das Produkt einer fruchtbaren Phantasie sind. Die Organisation der Bauern haben wir mit der größten Zurückhaltung behandelt, gerade weil Westeuropa auf diesem Gebiete ganz wenig Erfahrung hat. Wie die Bauern sich organisieren, muß abgewartet werden. Darum wurde für den Bauernbetrieb nur gezeigt, wie der Kapitalismus auch hier die Bedingungen zur Berechnung der gesellschaftlich durchschnittlichen Reproduktionszeit entwickelt hat, während wir gleich einige Konsequenzen diesbezüglich untersuchten.

Wie die Betriebsorganisationen sich verbinden, welche Organe sie ins Leben rufen zum „glatten Verlauf" der Produktion und Verteilung, wie alle diese Organe gewählt werden müssen, wie die Genossenschaften gruppiert werden, das sind alles Probleme, die von den besonderen Verhältnissen im Zusammenhang mit der Grundlage von Produktion und Verteilung bestimmt werden. Gerade dies, das funktionellc Arbeiten des Produktionsapparates, wird im Gildensozialismus von Cole genau ausgearbeitet, ohne die wirklichen Probleme der ökonomischen Gesetzmäßigkeit zu berühren, und eben dadurch ist es vollkommen wertloses Zeug. Wir weisen daher den Vorwurf der Utopie entschieden zurück, weil sich die Abhandlung nur auf dein Terrain der Durchführung der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitsstunde und Reproduktionszeit bewegt.

Nennt man das Vertrauen in die Kraft des Proletariats, den Kommunismus durchzusetzen, Utopie, dann ist das eine subjektive Utopie, die das Proletariat durch intensive Propaganda beseitigen muss..

Das einzige Gebiet, wo der Schein der Utopie gegen uns wäre, ist das der gesellschaftlichen Buchhaltung und der Kontrolle des Wirtschaftslebens. Aber auch nur der Schein. Man könnte denken, daß z. B. Leichter mehr Raum für die Entwicklungsmöglichkeiten gelassen hätte, weil er die Frage, inwieweit die Verrechnung zwischen den Betrieben individuell in Arbeitsgeld oder durch einfache Ueberbuchung an einer Zentralstelle stattfindet, offen läßt, während wir diese zentrale Ueberbuchung unbedingt verlangen. Das Wesentliche ist aber, daß wir auf die große Bedeutung der allgemeinen gesellschaftlichen Buchhaltung als Waffe der ökonomischen Diktatur der Arbeiterklasse hinweisen, während zugleich damit die gesellschaftliche Kontrolle des Wirtschaftslebens ihre Lösung findet. Der organisatorische Aufbau dieser Buchhaltung, ihre besondere Bindung mit der Gesellschaft, blieben selbstverständlich außer Betrachtung.

Es ist natürlich möglich, daß die proletarische Revolution noch nicht genügend Kraft aufbringt, diese entscheidende Waffe der Diktatur zu gebrauchen. Aber schließlich muß es doch dazu kommen, und zwar abgesehen von der Diktatur, weil die kommunistische Wirtschaft selbst die exakte Berechnung des Quantums Produkt, das die Konsumenten ohne Bezahlung erhalten, verlangt. Mit anderen Worten: die Daten für die Berechnung des Ausbezahlungsfaktors müssen festgestellt werden; kommt es nicht dazu oder ungenügend, dann ist die Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Reproduktionszeit nicht durchzuführen, womit der Kommunismus in sich zusammenfällt. Es gibt dann keinen anderen Ausweg als den der Preispolitik, und wir sind wieder bei der Beherrschung der Massen angelangt, in den Staatskommunismus hineingesegelt. So ist es nicht unsere Phantasie, welche die allgemein gesellschaftliche Buchhaltung für wünschenswert hält, sondern die ökonomische Gesetzmäßigkeit, die diese Forderung unbedingt stellt.

Fassen wir unsere Betrachtungen kurz zusammen, dann gibt es folgendes Bild:

Grundlage dieser Untersuchungen ist das empirisch Gegebene, daß bei Uebernahme der Macht die Produktionsmittel in den Händen der Betrkbsorganisationen sind. Die Stärke der kommunistischen Gesinnung, welche wieder mit der klaren Einsicht, was mit den Produktionsmitteln anzufangen ist, zusammenhängt, wird bestimmen, ob sie sie auch behaupten werden. Setzen sie sich nicht durch, dann geht es zum Staatskommunismus, welcher seine hoffnungslosen Versuche zur planmäßigen Produktion nur auf dem Rücken der Arbeiter ausprobieren kann. Eine zweite Revolution, welche die Produktionsmittel tatsächlich in die Hände der Produzenten bringt, ist dann notwendig. Behaupten sich aber die Betriebsorganisationen, dann können sie die Wirtschaft nicht anders ordnen, als auf der Grundlage der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit, unter Abschaffung des Geldes. Möglich ist ja auch, daß so kräftige syndikalistische Tendenzen vorhanden sind, daß die Arbeiter versuchen wollen, die Betriebe in eigene Verwaltung zu nehmen, unter Beibehaltung des Geldes. Das Resultat ist dann nichts anderes, als eine Art Gildensozialismus, der wieder zum Staatskomimunismus (= Kapitalismus) führt. Der Schwerpunkt einer proletarischen Revolution liegt darin, ein exaktes Verhältnis des Produzenten zum Produkt herzustellen, und das ist nur bei allseitiger Durchführung der Arbeitszeitrechnung möglich. Es ist die höchste Forderung, welche das Proletariat stellen kann . . ., aber zugleich auch die niedrigste und zweifellos eine Machtfrage. Eine Machtfrage, welche das Proletariat allein durchzukämpfen hat, weil es in keinem Fall auf die Hilfe sozialistischer oder kommunistischer Intellektueller rechnen kann.

Das Behaupten der Betriebsorganisationen bezieht sich also auf selbständige Verwaltung und Leitung, weil das die einzige Grundlage ist, worauf sich die Arbeitszeitrechnung durchführen läßt. Ein wahrer Strom von Literatur aus Amerika, England und Deutschland bringt den Beweis, wie die Berechnung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit vom Kapitalismus vorbereitet wird. Im Kommunismus geht die Berechnung von (P + R) + A ebensogut weiter, als jetzt, nur mit anderer Recheneinheit; in dieser Beziehung trägt die alte kapitalistische Gesellschaft die neue kommunistische in ihrem Schoß. Die Verrechnung zwischen den Betrieben, um die Reproduktion jedes einzelnen Betriebes sicherzustellen, geht durch Ueberbuchung auf das Giro . . . wie jetzt. Auch hier gebärt der Kapitalismus die neue Ordnung. Die Zusammenfassung der Betriebe ist ein Prozeß, der sich auch heute vollzieht. Wohl ist es wahrscheinlich, daß die künftige Gruppierung eine andere sein wird, weil sie sich nach anderen Gesichtspunkten richtet. Die Betriebe, die wir als AGA-Typ bezeichneten, die sogenannten „öffentlichen" Beiriebe, sind auch heute vorhanden, aber als Instrumente des Klassenstaates fungierend. Sie werden vom Staate losgelöst und nach kommunistischen Gesichtspunkten der Gesellschaft eingereiht. Auch hier ist ein Weiterbauen des schon Vorhandenen. Der Staat verliert damit seinen heuchlerischen Charakter von jetzt, er steht als reiner Machtapparat der Diktatur des Proletariats da. Er wird den Widerstand der Bourgeoisie brechen . . . aber hat in der Verwaltung der Wirtschaft nichts zu suchen. Wodurch zugleich die Vorbedingung dafür, daß der Staat „absterben" kann, gegeben ist.

Die Trennung der öffentlichen Betriebe vom Staat, ihre Einfügung in das Wirtschaftsganze, erfordert die Feststellung desjenigen Teils des gesellschaftlichen Produkts, welcher noch individuel verteilt werden muß, wofür wir den Faktor individueller Konsum (FIK) fanden.

Auch für die Verteilung sind die Organe der Zukunft im Kapitalismus schon angedeutet. Inwieweit die heutigen Konsumgenossenschaften brauchbar sein werden, ist eine andere Frage, weil doch die Verteilung nach anderen Gesichtspunkten organisiert wird. Soviel aber ist sicher, daß sehr viel Erfahrung in den heutigen Genossenschaften gesammelt ist.

Stellen wir den Staatskommunismus dem gegenüber, dann muß zunächst bemerkt werden, daß hier das Geld nicht verschwinden kann (s. Kautsky), weil nur die „reifen" Betriebe „nationalisiert" werden, arbeitet ein großer Teil der Produktion noch mit privatem Kapital, womit eine andere Recheneinheit als das Geld ausgeschlossen ist. Der Warenmarkt bleibt, und auch die Arbeitskraft als Ware, die ihren Preis auf dem Markt verwesentlichen muß, d. h., daß allen schönen Reden zum Trotz in der Wirklichkeit die Lohnarbeit nicht aufgehoben werden kann. Der Werdegang der „Nationalisierung", der dann das Wachstum zum Kommunismus sein soll, eröffnet trostlose Perspektiven. Die Gestaltung der werdenden kommunistischen Gemeinschaft wird den Produzenten entrissen und in die Hände der Staatsbürokratie gelegt, die gar bald die Wirtschaft zur Erstarrung bringen wird. Von ihren zentralen Büros aus bestimmt sie, was produziert, wie lange und zu welchem Lohn gearbeitet werden soll.

In diesem System muß auch die Demokratie ihre Rolle spielen. Allein gewählte Körperschaften und Räte verbürgen, daß die Interessen der Massen respektiert werden. Diese Demokratie wird aber Stück für Stück durchbrochen, weil in Wirklichkeit so eine zentrale Leitung nicht möglich ist. Letztere löst sich in die Herrschaft vieler einzelner Diktatoren auf, der Gang des ökonomischen Lebens wird durch die persönliche Herrschaft der Demokratie bestimmt. Auch hier wird die Demokratie zum Deckmantel der tatsächlichen Beherrschung der Millionen, ebenso wie im Kapitalismus. Im günstigsten Fall erhalten die Arbeiter das so hoch gerühmte „Mitbestimmungsrecht", welches wieder eine Verschleierung der realen Machtverhältnisse darstellt.

Die Zurückweisung zentraler Produktionsverwaltung und -führung besagt aber noch nicht, daß wir damit auf ausschließlich föderalistischem Boden stehen. Wo Leitung und Verwaltung der Wirtschaft bei den Massen selbst beruht, bei den Bctriebsurganisationen und Genossenschaften, sind ohne Zweifel kräftige syndikalistische Tendenzen vorhanden; aber betrachtet von der Seite der allgemein gesellschaftlichen Buchhaltung, ist das ökonomische Leben ein u n -durchbrochenes Ganze, und haben wir einen Mittelpunkt Von dem aus die Wirtschaft zwar nieht ver\\ aliel und geleite!, aru1:' sieher wohl übersehen werden kann. Die Tatsache, daß alle Umformungen der menschlichen Energien im Wirtschaftspnozess in einem Organismus zur  Registrierung kommt, ist die höchste Zusammenfassung des ökonomischen Lebens. Ob man es föderalistisch oder zentralistisch nennen will, hängt davon ab, von welcher Seite man diesselbe Erscheinung sieht. Es ist sowohl das eine als auch das andere, wodurch diese Begriffe für das Produktionssystem als Ganzes ihren Sinn verloren haben. Der Gegensatz Föderalismus — Zentralismus ist in seiner höheren Einheit aufgehoben, der Produktionsorganismus ist zur organischen Einheit geworden.

Editorische Hinweise

Der Text ist das Schlusskapitel (S. 133  bis 144 ) der 1930 veröffentlichten Kollektivarbeit der Gruppe Internationale Kommunisten (Holland): Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung. Auf Deutsch wurde die Schrift 1930 von der "Allgemeinen Arbeiter Union" herausgegeben. In der Einleitung und der Inhaltsübersicht heißt es:

Statt des Vorwortes

Nachstehendes Werk, eine gemeinsame Arbeit der „Gruppe Internationaler Kommunisten", zeigt in seiner Zusammenstellung eine so starke Einheitlichkeit, daß man hier direkt von einem, wirklich positiven Kollektivwerk sprechen kann. Diese Arbeitsgrundlage der Schrift, die praktisch beweist, welches Ergebnis die gemeinsame Arbeit zielbewußter Kräfte haben kann, macht sie. gerade deshalb so wertvoll.

Die „Gruppe  internationaler Kommunisten" stellt, in der Nachkriegsgeschichte der Arbeiterbewegung, mit ihrem Werk erstmalig praktische Aufbaumöglichkeiten der Produktion und Verteilung im Sinne der Bedarfswirtschaftsordnung zur Debatte. Sie zieht alle gesammelten Erfahrungen der bisherigen Versuche der Arbeiterklasse und ihrer Wortführer zusammen, um so praktisch die Zusammenbruchserscheinungen derselben untersuchen zu können, und gleichzeitig an Hand der bisherigen Ergebnisse notwendige neue Wege aufzuzeigen. Sie behandelt nicht nur die Umstellungs- und Aufbaunotwendigkeiten der industriellen Faktoren, sondern zeigt ebenfalls (die notwendige Verbindung zur Landwirtschaft auf. Die Verfasser geben damit einen klaren Einblick in die inneren Zusammenhänge Und den gesetzmäßigen Verlauf des gesamten Wirtschaftskörpers.

Die einfache Sprache, die jedem verständlichen Gedankengänge, ermöglichen es, daß jeder Arbeiter, der nachfolgende Seiten liest, auch den Inhalt verstehen wird. Die starke Sachlichkeit der Schrift bietet sämtlichen Richtungen der Arbeiterklasse eine breite Diskussionsmöglichkeit.

Da auch wir innerhalb unserer Reihen die aufgezeigten Möglichkeiten erst gründlichst diskutieren müssen, behalten wir uns unsere Stellungnahme zu nachstehendem Inhalt für später vor.

Eins wollen wir aber dieser Schrift mit auf den Weg geben: Seinen Erfolg wird das Werk: „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung" dann verbürgen, wenn es die Arbeiterklasse bewußt durcharbeitet und die gesammelten Erkenntnisse in ihrem Kampf um ihre Existenz praktisch in Anwendung bringt. Der Kampf ist schwer, doch das Ziel ist es wert!

Berlin 1930.

Allgemeine Arbeiter-Union (Revolutionäre Betriebsorganisation Deutschland).

Inhaltsübersicht

I. VOM STAATSKOMMUNISMUS ZURÜCK ZUR ASSOZIATION VON FREIEN UND GLEICHEN PRODUZENTEN. S. 11

Der Staatskornmunismus als neue Form der Beherrschung. Der Produktionsapparat erhebt sich über die Produzenten. Nationalisation und Vergesellschaftung. Bei Marx ist die Gesellschaft hur als Ganzes reif für die kommunistische Produktion, wodurch die Leitung und Verwaltung der Assoziation der freien und gleichen Produzenten zufällt. Die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit, so wie sie im „Kapital" und „Anti-Dühring" angedeutet wird. Das Rätesystem bringt die Assoziation wieder in den Gesichtskreis.

II. DER FORTSCHRITT IM STELLEN DER PROBLEME, S. 26

Die Jünger von Marx erklären die Theorie der automatischen Entwicklung zum Kommunismus durch die Konzentration des Kapitals. (Hilferding.) Sie kommen dabei zu einem kommunistischen Betriebsleben, das sich allein durch Güterproduktion, eine Produktion ohne Recheneinheit, vollzieht. Weber und Mises zeigen die Unmöglichkeit einer solchen Produktion auf, wodurch eine große Verwirrung im marxistischen Lager entsteht. Ein Teil hält fest an der Güterproduktion. Neurath, Varga, Hilferding umgehen die Streitfrage. Kautsky, Leichter erkennen die Notwendigkeit einer Recheneinheit. Kautsky kehrt zum Kapitalismus zurück. Leichter verweist auf die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunde als Recheneinheit. Die russische Revolution zeigt, daß das zentrale Verfügungsrecht über den Produktionsapparat eine neue Form der Ausbeutung mit sich bringt, wodurch Marxismus und Anarcho-Syndikalismus zu einer reineren Problemstellung kommen. Was sich als freier Kommunismus anbot, erweist sich nun als Organisation der Produktion mit zentralem Verfügungsrecht. (Seb. Faure.)

III. DER REPRODUKTIONSPROZESS IM ALLGEMEINEN, S. 35

Unter dem Kapitalismus ist die Reproduktion eine individuelle Funktion, unter dem Kommunismus eine gesellschaftliche. Die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunde als Recheneinheit. Die moderne kapitalistische Betriebskalkulation zeigt die Möglichkeit, für jedes Produkt die gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit zu berechnen. Die Produktionsformel (P + R) + A ist zugleich die Reproduktionsformel. Leichter wendet den kapitalistischen Wertbegriff auf die Arbeitskraft an. Sie trägt bei ihm einen Preis (in Arbeitsstunden ausgedrückt), den er abhängig sehen -will von den Reproduktionskosten der Arbeitskraft.

IV. DIE GESELLSCHAFTLICH DURCHSCHNITTLICHE PRODUKTIONSZEIT ALS GRUNDLAGE DER PRODUKTION. S. 44

Kautsky kann die gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit nicht berechnen, weil er diese allein am Endprodukt durch eine ökonomische Zentrale feststellen lassen will. Deshalb weiß er auch keinen Rat mit dem Betriebsdurchschnitt. Die Lösung liegt in der Tatsache, daß jede Produktionsgruppe eine Einheit bildet, die nach der Formel (P + R) + A = gesellschaftlich durchschnittliche Produktionszeit arbeitet, wobei für für die besonderen Betriebe die Abweichung von diesem Durchschnitt festgestellt wird im Produktivitätsfaktor. Die Summe der Abweichungen ist jederzeit gleich Null.

V. DIE GESELLSCHAFTLICH DURCHSCHNITTLICHE PRODUKTIONSZEIT ALS GRUNDLAGE DER VERTEILUNG. S. 53

Leichter will trotz der Arbeitszeitrechnung eine antagonistische Verteilung des Produkts. Die Richtlinien für die Verteilung werden von Ernährungsphysiologen gegeben. Diese bestimmen das Existenzminimum, welches dann für ungelernte Arbeit gilt, während die höher qualifizierte Arbeit entsprechend besser bezahlt wird. Diese antagonistische Verteilung des Produkts bestimmt den organisatorischen Aufbau der Gesellschaft. Die Verantwortlichkeit ist stets nach oben und nicht nach unten gerichtet. Die Preise der Produkte fallen bei Leichter keinesfalls mit der Reproduktionszeit zusammen. Die zentrale Leitung der Gesamtproduktion führt eine Preispolitik, wodurch die wirkliche Reproduktionszeit der Produkte nicht mehr zum Ausdruck kommen kann. Die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunde kann dadurch keine Grundlage der Verteilung mehr sein. Im Varga'schen Staatskommunismus ist nicht das geringste Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Verteilung des Produkts zu sehen. Es ist alles persönliche Zuweisung. Die gutgemeinte proletarische Klassenpolitik bei der Verteilung des Produkts zeigt zugleich, wie innerlich faul das System ist. Es zeigt deutlich, daß sich der Produktionsapparat über die Produzenten erhebt.

VI. Die ALLGEMEIN GESELLSCHAFTLICHE ARBEIT. S. 62

Die allgemeinen Unkosten der Gesamtproduktion, die soziale Fürsorge usw., scheinen ein zentrales Verfügungsrecht über die Produktion nötig zu machen. Der Staat verschafft sich dann die Mittel für die allgemeinen Unkosten durch eine Preispolitik; anders ausgedrückt, durch den Ueberschuß aus den Betrieben oder auf dem Wege der indirekten Steuer. Leichter versucht das Problem exakt zu fassen, d. h. diese Unkosten in ein Verhältnis zu der direkt verbrauchten Arbeitskraft zu bringen. Schließlich löst er die Frage doch wieder durch die Preispolitik auf. Die Durchführung der Kategorie der gesellschaftlich durchschnittlichen Reproduktionszeit läßt keine Preispolitik zu. Die Verteilung des Produkts bestimmt, daß nicht das ganze Erzeugnis der angewandten Arbeitskraft von den Arbeitern im Betrieb genossen werden kann, sondern nur ein bestimmter Teil. Diesen Teil nennen wir den Ausbezahlungsfaktor. Der Faktor wird kleiner in demselben Maße, wie die Verteilung vergesellschaftet wird, um sich Null zu nähern. Betriebe, die ihr Produkt ohne ökonomisches Maß in die individuelle Konsumdon geben, aber zu gleicher Zeit noch Produkte abliefern, welche in die Produktion aufgenommen werden müssen, sind gemischte Betriebe. (Elektrizitätswerke.)

VII. DIE KOMMUNISTISCHE VERTEILUNG (DISTRIBUTION). S. 74

Der entscheidende Punkt ist die Durchführung des exakten Verhältnisses vom Produzenten zum Produkt. Die Konsumgenossenschaften als die Assoziation von freien und gleichen Konsumenten. Die Verteilung des Produkts erweist sich als eine öffentliche Funktion. Der Marktmechanismus als Gradmesser der Bedürfnisse. Die Genossenschaften als kollektiver Ausdruck der individuellen Forderungen und Wünsche. Die Verteilung unter den verschiedenen Verbrauchergruppen.

VIII. PRODUKTION AUF ERWEITERTER STUFENLEITER ODER AKKUMULATION. S. 81

Die Akkumulation ist eine gesellschaftliche Funktion. Die Gemeinschaft stellt auf ihren ökonomischen Kongressen fest, um wieviel der Produktionsapparat als Ganzes ausgebreitet werden soll. Vor allem ist hierzu nötig zu wissen, wieviel Arbeitskraft durch die einfache Reproduktion aufgesogen wird. Der gesellschaftliche Akkumulationsfonds entsteht, indem die Akkumulation in den Faktor des individuellen Konsums aufgenommen wird. Die Entscheidung über die Anwendung bleibt in den Händen der Produzenten. Durch die besondere Akkumulation, wie Eisenbahnen, Kultivierung von Oedland usw. in den Etat für AGA. aufzunehmen, werden Störungen in der Produktion verhütet.

IX. DIE ALLGEMEIN GESELLSCHAFTLICHE BUCHHALTUNG ALS IDEELLE ZUSAMMENFASSUNG DES WIRTSCHAFTSPROZESSES. S. 92

Wenn Produktion, Reproduktion zu organischer Einheit geworden sind, sind Markt, Geld, Preis zerstört. Doch ist für planmäßige Produktion eine Recheneinheit notwendig; die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunde erscheint als natürliche Grundlage der Produktionsberechnung. Dadurch fließt der Strom der Produkte nach dem Maßstab der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit der besonderen Güter. Die allgemein gesellschaftliche Buchhaltung registriert diesen Strom, wodurch sie zugleich alle Unterlagen bekommt, um den Faktor individueller Konsum zu berechnen.

X. DIE ALLGEMEIN GESELLSCHAFTLICHE BUCHHALTUNG ALS KONTROLLE DES WIRTSCHAFTSPROZESSES, S. 97

Die persönliche Kontrolle im Staatskommunismus. Technische und Buchhaltungskontrolle. In einer Produktion, worin der Strom der Produkte nach der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit fließt, wird die Produktion durch die Reproduktion kontrolliert. Es ist keine persönliche, sondern eine sachliche Kontrolle. Die Feststellung der gesellschaftlich durchschnittlichen Produktionszeit. Die Kontrolle hierauf durch die Registration des Stroms der Produkte.

XI. DIE GESELLSCHAFTLICHE KONTROLLE DER AGA ODER ÖFFENTLICHEN BETRIEBE. S. 106

Die automatische Kontrolle ist nicht so vielseitig als bei den produktiven Betrieben. Sie verläuft nur in einer Richtung. Andere Kontrollmittel in vergleichender Untersuchung. Die Kontrolle auf die Verteilung und das Arbeitsgeld.

XII. DIE GESELLSCHAFTLICH NOTWENDIGE ARBEIT UND DIE GESELLSCHAFTLICH DURCHSCHNITTLICHE REPRODUKTIONSZEIT. S. 109

Man hat versucht in die Kategorie der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ein rechnerisches Element zu legen. Dieses zeigt sich praktisch unmöglich. Die Berechnung der gesellschaftlich durchschnittlichen Reproduktionszeit führt zu gleicher Zeit zu der Reproduktion der gesellschaftlich notwendigen Arbeit. So wie der Wert der Mittelpunkt der Warenproduktion ist, so ist die gesellschaftlich durchschnittliche Reproduktionszeit der Mittelpunkt der kommunistischen Oekonomie.

XIII. DIE ÖKONOMISCHE DIKTATUR DES PROLETARIATS UND DIE ALLGEMEIN GESELLSCHAFTLICHE BUCHHALTUNG. S. 113

Das Proletariat schreibt sehr undemokratisch die neuen Regeln der Produktion vor. Es übt eine ökonomische Diktatur aus. Die allgemein gesellschaftliche Buchhaltung zeigt sich als eine wesentliche Stütze bei der Organisation des Kleinbetriebs, welcher selbständig die Produktion leitet und verwaltet. Die Diktatur hebt sich selbst auf.

XIV. DIE AGRARFRAGE UND DIE BAUERN. S. 115

Die Entwicklung zu der Warenproduktion. In der geschlossenen Hauswirtschaft tritt der Bauer nicht in erster Linie als Warenproduzent auf, da er nur seinen Ueberschuß auf den Markt bringt. Das steigende Bedürfnis an Geld führt zur Steigerung der Produktivität. Ursachen der Irrungen der Oeku-nomen in der agrarischen Entwicklung. Durch die Warenproduktion verliert der Bauer seine Unabhängigkeit.

XV. DIE BAUERN UND DIE REVOLUTION. S. 120

Ein schwaches landwirtschaftliches Proletariat, übermässige Klassengegensätze. Die Abhängigkeit der Bauern und des Proletariats ist gleich groß.

XVI. DIE AGRARISCHE REVOLUTION IN RUSSLAND UND UNGARN. S. 122

Die Parole: „Das Land den Bauern" wußte so gewaltige Energien zu entfesseln, weil hier die Wünsche der Bauern, selbst als Warenproduzent aufzutreten, Befriedigung fanden. Die russische Bauernwirtschaft fängt jetzt mit der Entwicklung an, welche die westeuropäische schon durchgemacht hat. In Ungarn kam die Bauernrevolution nicht zur Entwicklung. Der Großgrundbesitz wurde unter zentrale Staatsverwaltung gestellt. Weder Rußland noch Ungarn können uns etwas über kommunistische Leitung und Verwaltung in der Agrarwirt-schaft lehren.

XVII. DAS LANDWIRTSCHAFTLICHE PROLETARIAT UND DIE KLEIN- UND MITTELBAUERN IN DER DEUTSCHEN REVOLUTION. S. 125 Die Klein- und Mittelbauern waren kein wesentlicher Faktor in der deutschen Revolution. Das Agrarproletariat der großen Güter zeigte keine Neigung, das Land aufzuteilen, Wie die Ideologie von der Technik bestimmt wird. Das Halbproletariat spielte eine stark stimulierende Rolle in der Revolution.

XVIII. DIE BAUERN UNTER DER PROLETARISCHEN DIKTATUR. S. 130

Die Bauern werden durch Propaganda und ökonomischen Zwang zur Selbstorganisation gebracht, um das Rätesysten auf dem Lande durchzuführen. Die Berechnung der Reproduktionszeit der Produkte.

XIX. SCHLUSSWORT. S. 133

 

Wir übernahmen die Texte aus einem 1970 erstellten Reprint. / OCR-Scan red. trend