Landraub vor der Haustür
Bergbau-Boom macht vor Schwedens Natur nicht Halt

Von Hans-Joachim Gruda

07-2013

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Wir regen uns auf über das Abholzen der Regenwälder in Südamerika. Aber gleichzeitig fällt praktisch vor  unserer Haustür eine wunderbare, einzigartige Natur mit Wäldern der Taiga, mit Tundren, Fjälls, Gletschern  und Flüssen im Norden Europas der Gier einer schon längst zum Untergang bestimmten  Wachstumsideologie zum Opfer. Die Bergbaubranche in Schweden boomt, jedoch zu Lasten einer nahezu unberührten Natur.

Schweden hat sich trotz Eisen-und Stahlkrise in den 1970er Jahren und aktueller Finanz-und  Wirtschaftskrise aus der Niedrigkonjunktur befreien können. 2010 wurden hier 16 Millionen Tonnen Eisenerz abgebaut -so viel wie nie zuvor. Die neuesten Genehmigungen zur Förderung von Eisenerz wurden in den Regionen Malmfälten in der Provinz Norrbotten, Skelleftefältet und der „Goldlinie”(1) in Västerbotten und Bergslagen erteilt. Das sind aber auch die dünn besiedelten nördlichen Gebiete mit sauberer Natur und das Siedlungsgebiet der samischen Urbevölkerung.

Anfang der 1990er Jahre verabschiedete Schweden neue Gesetze. Die staatliche Finanzierung des  Bergbaus hatte ein Ende und die Privatisierung der Montanindustrie zog ausländische Konzerne an. Gerade zu dieser Zeit begannen am Weltmarkt die Preise für Metalle und Mineralien zu steigen. Der schwedischen Bergbaubehörde „Bergstaten“ zufolge richteten sich 2010 die Anträge der Montanindustrie vor allem auf die Erkundung von Gold, Kupfer und Zink. Zudem gibt es ein steigendes Interesse an Seltenen Erden wie Yttrium, Europium, Neodym, Ytterbium und Erbium. Zurzeit sind 18 schwedische und internationale Firmen interessiert, in Nordschweden nach Uran zu suchen. Die letzten gültigen Genehmigungen zur Uranerkundung laufen 2015 aus. Diese können auf Antrag verlängert werden, falls die Erkundungen noch nicht abgeschlossen sind. Abbaugehmigungen können zudem beantragt werden, falls die Erkundung „ökonomisch erfolgversprechende” Ergebnisse gebracht haben.

Genehmigt wurden 2010 vier neue Abbaukonzessionen für

1. IGE Nordic AB für Nickel, Kobalt, Gold, Silber, Platin und Palladium; erwartete Fündigkeit 54,9 Millionen Tonnen
2. IGE Nordic AB für eine weitere Grube für Nickel, Kobalt, Gold, Silber, Platin und Palladium; erwartete Fündigkeit 192,9 Millionen Tonnen
3. Northland Resources AB für Eisen und Kupfer; erwartete Fündigkeit 114,2 Millionen Tonnen
4.  Svenska Vanadin AB für Eisen und Vanadium; erwartete Fündigkeit 13,3 Millionen Tonnen

Genehmigt wurden 2011 zwei neue Abbaukonzessionen für

1. Iron Ore AB für Eisen, die Seltenen Erden Lantan und Lantanide und Apatit; erwartete Fündigkeit 14,6 Millionen Tonnen
2. Nordic Iron Ore AB für Eisen, Kupfer, Gold und Molybden; erwartete Fündigkeit 28,5 Millionen Tonnen

Für die für das Unternehmen Northland Resources AB erteilte Abbaukonzession in Pajala laufen seit Anfang  2011 vorbereitende Arbeiten für eine Grube. In der Taiga nördlich des Polarkreises wurde die Landstraße mit Steuergeldern in Höhe von 1,3 Milliarden Schwedischen Kronen (umgerechnet rund 150 Millionen Euro) ausgebaut, damit tonnenschwere LKWs Eisen und Kupfer transportieren können. Arbeiterunterkünfte und ein Anreicherungswerk sind zusätzlich entstanden mitten in der Natur auf einer Fläche von 200 Fußballfeldern. Die Provinzialverwaltung Norbotten län hat die Bergbaugesellschaft nun angezeigt wegen des Verstoßes gegen die Artenschutzverordnung. 2013 soll die Grube in Betrieb gehen.

Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, droht indes in den Hohlräumen der Eisenerzgrube zu versinken.  Der Ort wird in die Tundra und in die Weidegebieten der Rentiere Schritt für Schritt verlegt und neu gebaut. Eine Bahnlinie wurde bereits verlegt. Eine „Alibibrücke“ wurde gebaut, damit die Rentiere in andere Gebiete ziehen können. Die Brücke ist für diesen Zweck jedoch viel zu schmal. Die Wahrheit ist aber, dass dies kein großzügiges Geschenk der Bergbaugesellschaft LKAB an die Samen ist. Vielmehr sollen Rentierherden den Erzbahnverkehr nicht behindern. Jokkmokk Iron Mines AB ist indes an der Gemeinde Jokkmokk und damit  auch an den Weidegebieten von drei samischen Rentier-Wirtschaftsgemeinschaften, den Samebyar Sirges, Jåkkåkaska und Tuorpon, interessiert. Es geht um vermutete enorme Vorkommen an Eisen, Titan, Kupfer, Molybden und Gold. Es ist zu erwarten, dass das Projekt als „riksintresse”, Staatsangelegenheit, klassifiziert wird. Das würde in der Praxis bedeuten, dass die ökonomischen Interessen über alles andere siegen würden. Selbst Nationalparks und die unberührte Wildnis des Weltnatur-und Kulturerbes Laponia in  Nordschweden wären dann mittelfristig nicht mehr vor dem Zugriff der nach Bodenschätzen gierenden Industrie sicher. Anfang Dezember 2012 erklärte die schwedische Regierung Funde im Gebiet Stekenjokk zum „Staatsinteresse”. Damit soll der Zugang zu Kupfer, Zink und Silber sichergestellt werden. 1988 wurde  das Bergwerk Stekenjokk aus betriebswirtschaftlichen Gründen stillgelegt. Nun soll sich der Abbau aufgrund der gestiegenen Weltmarktpreise zukünftig wieder lohnen. Experten erwarten jährliche Produktionen von 20.000 Tonnen Zink, 6.000 Tonnen Kupfer und 100 Kilogramm Gold.

Überall erhebt sich Widerstand gegen den Bergbau. So hat der Naturschutzverein „Naturskyddsföreningen“  ein Netzwerk gegen Uranbergbau gebildet. Naturskyddsföreningen initiiert und unterstützt die Gründung lokaler Widerstandsgruppen, die auch logistisch und finanziell von der Organisation unterstützt werden. Der Protest findet auf mehreren Ebenen statt: Es gibt einen gemeinsamen Netzauftritt, lokal organisierte Demonstrationen, offene Briefe an Unternehmen, Eingaben an Behörden sowie Klagen vor Gerichten.

Der "Landraub" in Form von Landvernichtung ist nicht nur auf die unmittelbaren Abbaustätten beschränkt. Er  setzt sich auch nach der Stilllegung des Bergbaubetriebes in Form von Vergiftung des Landes, des Wassers und der Pflanzen durch den von der Industrie zurückgelassenen Müll fort. Die empfindsame subarktische Fauna braucht viele Jahrzehnte, um sich von den Eingriffen zu erholen. Eine einzigartige Natur geht verloren, eine Natur, die nicht nur Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist, sondern auch eine Voraussetzung für die Kulturen der Menschen im hohen Norden.


 

Anmerkungen

1) Die „Goldlinie“ ist der Eigenname für eine geologische Formation, die sich von dem westlichen  Skandinavischen Gebirge, den Skanden, bis zum Botnischen Meerbusen erstreckt. Geologische Untersuchungen haben ergeben, dass es dort große Goldvorkommen gibt.
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Erstveröffentlicht wurde er in der Zeitschrift
der GfbV "Bedrohte Völker -pogrom", Nr 273.

Zum Autor
Hans-Joachim Gruda (Jahrgang 1948) ist seit frühester Jugend im Norden und seit nunmehr über dreißig
Jahren in der Region Sápmi unterwegs. Er hat in Deutschland zahlreiche Ausstellungen und
Veranstaltungen über die Kultur und die aktuelle Situation in Sápmi und der Samen organisiert, ist als
Berater für Firmen und Organisationen (u. a. GfbV) tätig und betreut im KULTURHUS BERLIN e. V. die
samische Kulturarbeit. Er lebt und arbeitet in jedem Jahr für einige Wochen bei schwedischen Samen
nördlich des Polarkreises, ansonsten in Berlin.

Weitere Infos gibt es auf seiner Website: http://www.homo-peregrinus.de