Neues aus dem prosituationistischen Milieu
Rezension der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Die Axt“

von  Mirocan Önal

07-2013

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Kürzlich ist eine neue Zeitschrift erschienen, die „der deutschen Langeweile“ den Kampf angesagt hat. „Die Axt“, so heißt das Heft, steht offenbar in den Tradition der Situationistischen Internationale, wie auch der autonomen Fanzine-Kultur der 80er Jahre. Das „Organ der sozialen Zersetzung“ wird von einem „Büro für mentale Randale“ herausgegeben und möchte seine Leserinnen und Leser mit bissigen Parolen und Texten zum Hass gegen die kapitalistischen Verhältnisse im Allgemeinen und die Polizei im Besonderen anstacheln. Auf positive Vorschläge wird dabei bewusst verzichtet; die „Axt“ beschränkt sich vielmehr auf ein „Programm der Abschaffungen“.

All das ist sympathisch. Aber ist es, wenn man im Ernst einer herrschaftsfreien Gesellschaft näher kommen will, auch strategisch sinnvoll? An sich ist das Heft unbedeutend, aber da es mir Ausdruck einer allgemeineren Tendenz innerhalb des linksradikalen Milieus zu sein scheint, möchte ich es zum Anlass einer grundsätzlicheren Überlegung nehmen.

Es hat ja in den letzten Jahren an Massenmobilisierungen und Aufständen nicht gemangelt. Griechenland, London, die spanischen Indignados, Occupy, der „arabische Frühling“, die Türkei, jetzt Brasilien. Man kommt kaum noch mit, wenn man da auf dem Laufenden bleiben will. Wenn die genannten Bewegungen auch nicht ohne Illusionen waren, so ließen sie doch ein gehöriges Maß an Wut auf das Bestehende erkennen. Angesichts brennender Bullenautos von Rio de Janeiro bis Bahrein lässt sich getrost behaupten, dass die beliebte Demo-Parole „Die ganze Welt – hasst die Polizei!“ keine Übertreibung oder Wunschvorstellung, sondern eine sachliche Beschreibung der Realität ist.

Und dennoch ist man bisher in keinem Land der tatsächlichen Abschaffung dessen, worauf man wütend ist, auch nur einen Schritt näher gekommen. Das liegt meines Erachtens weniger an der staatlichen Repression, als vielmehr daran, dass die überwiegende Mehrheit der Protestierenden selbst nicht weiß, was sie an die Stelle der bestehenden Misere setzen will. Jedenfalls ist das, was wir als die Auflösung des Rätsels der Geschichte ansehen – das hierarchiefreie Zusammenleben der Menschen ohne Chefs und Bürokraten und die dafür notwendige gemeinschaftliche Aneignung und bewusste Umgestaltung der Produktion – als Idee in den Köpfen der Aufständischen nicht präsent. Diese Idee zirkulieren zu lassen – und zwar als konkrete Vorstellung, nicht als bloßes Schlagwort – und nach Möglichkeit ein paar erste Schritte zur Realisierung dieser Idee vorzuschlagen; das müsste im gegenwärtigen Augenblick die vornehmste Aufgabe aller Anarchistinnen und Kommunisten sein.

Damit wären wir wieder bei der „Axt“. Was sie predigt – Hass auf die Verhältnisse – ist in der Welt bereits zur Genüge vorhanden. Woran es mangelt – eine konkrete Zielvorstellung der sozialen Revolution – dazu trägt sie wenig bei. Wozu ist das Heft also nütze? Wenn man will, kann man die Zeitschrift mit dem Hinweis auf die Zurückgebliebenheit der deutschen Verhältnisse rechtfertigen: Bekanntlich hält sich hierzulande der Schein des sozialen Friedens recht hartnäckig und so wäre man schon froh, wenn hier und da eine Fensterscheibe zu Bruch gehen und unser Land damit immerhin auf das Niveau z.B. Schwedens gehoben würde, wo es kürzlich auch zu kleineren Vorstadtkrawallen kam. Es ist also angesichts der Umstände nicht schlecht, könnte man argumentieren, wenn die „Axt“ oder ähnliche Pamphlete die Gemüter etwas erhitzen.

Letztendlich überzeugt mich das aber nicht. Anstatt sich der Förderung der „sozialen Zersetzung“ zu widmen – diese findet so oder so statt, dafür sorgt der Kapitalismus von selbst – sollten die hiesigen radikalen Minderheiten die ihnen gegönnte Atempause lieber nutzen, um sich Gedanken über die „soziale Neuzusammensetzung“ zu machen, welche nach dem – oder besser parallel zum – Zerfall der bestehenden Bindungen die notwendige Aufgabe der Menschheit sein wird.

 

„Die Axt“ ist unter
http://mentalerandale.wordpress.com
erhältlich.


Editorische Hinweise
Wir erhielten die Rezension vom Autor für diese Ausgabe.