Wahlkreis von
Ex-Finanzminister Jérôme Cahuzac: 46 % für den FN
Mit erheblicher Spannung blickte ganz Frankreich an den
vergangenen beiden Sonntagen, 16. und 23. Juni 2013, auf
den Wahlkreis von Villeneuve-sur-Lot im Südwesten des
Landes. Dort fand eine Nachwahl (französisch „Teilwahl“,
élection partielle) für einen einzelnen
freigewordenen Parlamentssitz in der Pariser
Nationalversammlung statt. Ihn hatte im April dieses
Jahres der (rechts)sozialdemokratische Ex-Finanzminister
Jérôme Cahuzac räumen müssen, - nachdem sein
Eingeständnis, entgegen zuvor Monate lang verbreiteten
Lügen doch ein illegales Konto in der Schweiz besessen
zu haben, zu seinem Rücktritt geführt hatte.
Entsprechend aufgeheizt war das politische Klima vor
Ort. Die Sozialdemokratie rauschte, wie von vielen
erwartet, schon durch den ersten Wahlgang durch und
erhielt nicht genügend Stimmen, um in die Stichwahl
einziehen zu können. (Dazu sind 12,5 % der Stimmen der
eingeschriebenen Wähler/innen erforderlich. Mit 23 % der
abgegebenen Stimmen, doch bei einer Stimmenthaltung von
gut 54 %, fiel der sozialdemokratische Kandidat Bernard
Barral deswegen durch.)
Die
Stichwahl trugen deswegen der Kandidat der
konservativ-wirtschaftsliberalen UMP, Jean-Louis Costes,
und der erst knapp 24jährige Kandidat des rechtsextremen
FN – Etienne Bousquet-Cassagne – unter sich aus. Nicht
wenige Beobachter/innen gingen davon aus, dass sogar der
junge rechtsextreme Kandidat hohe Siegeschancen habe.
Zwar rief die sozialdemokratische Parteiführung zur
Stimmabgabe für die UMP auf, doch zeichnete sich ab,
dass es auf Seiten von keiner der etablierten Parteien
stärkere Ambitionen für eine gemeinsame Frontbildung
gegen die extreme Rechte gebe. Im Endeffekt scheiterte
der FN-Bewerber, doch erzielte er mit 46,24 % ein
stattliches Achtungsergebnis und erhöhte sein Ergebnis
aus der ersten Runde (26,04 %) beträchtlich. Viele
bürgerliche Medien zitierten deswegen am Montag früh
seinen Ausspruch: „Eine Wahlniederlage, doch ein
ideologisch-moralischer Sieg.“ Der Front National
verfehlt dabei seinen dritten Abgeordnetensitz im
Pariser Parlament nur knapp. /
BS, Paris
„Märtyrer“ der Bewegung
gegen die Homoehe
Die
fanatisierten Gegner/innen der Homosexuellenehe in
Frankreich haben einen „Märtyrer“ für ihre Sache
gefunden: Der 23jährige Student Nicolas Bernard-Busse
(in den folgenden Zeilen: NBB) wurde vergangene Woche zu
zwei Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt und im
Anschluss an die Verhandlung inhaftiert worden. NBB war
vor Gericht geladen worden, weil er zum zweiten Mal in
Folge an einer ungenehmigten, illegalen Demonstration
teilgenommen und – infolge seiner polizeilichen
Ingewahrsamnahme zweck Personalienfeststellung – eine
Fantasieidentität angegeben hatte. Ferner hatte er die
Mitwirkung an einer Speichelprobe zwecks (gegenwärtiger
oder künftiger) Identitätsfeststellung verweigert.
Daraufhin hatten die Pariser Richter die zweimonatige
Freiheitsstrafe über ihn verhängt.
Dass überhaupt aufgrund
solcher Delikte „wider die öffentliche Ordnung“
Haftstrafen verhängt werden können (und nicht nur
Geldstrafen), liegt an der „Sicherheits“gesetzgebung,
die durch die regierende Rechte unter Nicolas Sarkozy
v.a. in den Jahren 2007-2012 eingeführt wurde. Doch
dieselbe Rechte spielt jetzt, auf heuchlerische aber
öffentlichkeitswirksame Weise, die Empörten. Der auf dem
rechten Flügel der UMP angesiedelte Abgeordnete Hervé
Mariton will NBB in der laufenden Woche, zusammen mit
weiteren Mandatsträgern, in der Haftanstalt besuchen.
Unterdessen fanden am Abend des Samstag, 22. Juni in
Paris (einige Hundert Teilnehmer/innen) und in Lyon mit
1.500 Personen kurzfristig anberaumte Demonstrationen
für die Freilassung von NBB statt. /
BS, Paris
Le
Pen: Nicht länger immun?
Am 02.
Juli 13 wird das Europäische Parlament über eine
Aufhebung der parlamentarischen Immunität von FN-Chefin
Marine Le Pen abstimmen. Der Rechtsausschuss des EP
empfahl vergangene Woche mehrheitlich die Annahme eines
solchen Votums. Beantragt hatte einen solchen Beschluss
im Dezember 2012 die französische Justiz: Aktuell läuft
gegen Marine Le Pen ein Strafverfahren, das zwei
antirassistische Organisationen wegen Aussprüchen in
Lyon vom 10. Dezember 2010 gegen sie anstrengten. Damals
hatte sie angebliche Straßengebete von Moslems in
Frankreich explizit mit der Besatzung durch
NS-Deutschland verglichen. /
BS, Paris
Editorische Hinweise
Wir erhielten die Texte
vom Autor für diese Ausgabe.
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