Einleitende Überlegungen
Wahlen
kann man unter folgenden Gesichtspunkten betrachten:
Sie führen letztlich ins Nichts, einmal gerät man an die Grenze,
Bewegung ist alles, der Kampf von unten ist das einzig
Entscheidende, vom Parlamentarismus wird man immer betrogen.
Daher lege ich kein Augenmerk darauf.
Kollateralnutzen von Wahlen
Diese unbezweifelbare Wahrheit muß man ein bißchen relativieren.
Wenn ich zwar mit vollem Recht eine Auffassung vertrete, mit der
ich Bewegung als prioritär setze, ist es dann denn nicht doch
auch legitim, den Wert von Kämpfen, die zusätzlich zum
Bewegungs-Kampf, verstärkend und sichernd ablaufen,
anzuerkennen, wenn sie sich als ein wesentlicher strategischer
Begleitfaktor der primären Basiskämpfe erweisen, der Kämpfe in
der unabhängigen, radikalen Publizistik, auf der Straße, in den
Fabriken?
Narzißtische Projektion
Und
wäre es denn nicht zu empfehlen, einmal von der eigenen
stagnierenden Situation abzusehen? Wäre es nicht ein Minimum an
ternura de los pueblos, sich einzufühlen, sich auf das
Konzept der Anderen einzustellen, die in einer gänzlich anderen
Situation entfalteter linker Kämpfe genaue Strategien entwickelt
haben für den Kampf auf verschiedensten Ebenen, in Parteien, in
Betriebsgewerkschaften, Branchengewerkschaften und
gewerkschaftlichen Konföderationen, bei den kommunalen und
Europawahlen? Müßte man Desinteresse an solcher konsequent
durchgeführten Politik/Strategie nicht als
borniert-nationalistisch/eurozentristisch bezeichnen?
Verkommt eine solche Geste des generellen Ablehnens und
Abwinkens prägnanter institutioneller Kämpfe nicht zu einem
blasierten kleinbürgerlichen Abstraktum, einer subkulturellen
Verweigerei praktischer Kämpfe?
Wahlen als Studienobjekt
Wahlen in Griechenland sind das für Willige zur Verfügung
stehende Kryptogramm der gesellschaftlichen antagonistischen
Prozesse, ein nicht ganz offen aufgeschlagenes Buch. Wahlen, an
denen die radikale Linke (Syriza, Antarsya, KKE)
teilnimmt, widerspiegeln die Bewegungen, sind (zum Teil) ein
Seismograph neuerer Entwicklungen, daher kann eine minutiöse
Analyse zu einem Kaleidoskop kleiner erstaunlicher Veränderungen
werden. So sind Wahlen auch für den parteiischen Wissenschaftler
nützlich.
Wahlen und Gewalt
Generell wäre zu Wahlen in Griechenland freilich zu sagen, daß
„freie Entscheidung“ an sich nicht existiert, ein solches Ding
an sich existiert nicht. Nicht etwa auf einem freien Forum wird
für das „Bessere“ oder das „Schlechtere“, mehr oder weniger
„Tüchtigere“ optiert, sondern mächtige fremdsteuernde Kräfte in
der Gesellschaft (in der Mafia, den Geheimdiensten, der Polizei,
im Militär, von den externen Faktoren wie EU und NATO ganz
abgesehen) bringen, ja zwingen erst die Resultate hervor, die
den Interessen der bürgerlichen Herrschaft adäquat sind. Für die
Bourgeoisie günstige Wahlresultate sind Ergebnisse von
Gewaltprozessen. Zum Gewaltcharakter des bürgerlichen Staates
gehört wesentlich die Desinformation.
Die Freunde der Pseudo-Wahlen
Eine nicht geringe Rolle spielt dabei die „Demagogie der
Stabilität“, so könnte man es zusammenfassend nennen, auf
die sich besonders Samaras beruft. Sie droht damit, daß,
käme es zu einer Schwächung oder Destabilisierung der
Regierungskoalition, dann würde das zu einer Chaotisierung der
innenpolitischen Situation führen. Was heißt dies aber? Die
Massenverelendung, das reelle Chaos, das alles soll im Interesse
des Kapitals fortgeschrieben werden, ordnende widerständige
antikapitalistische Kräfte wären dieser Ansicht nach das
eigentliche Chaos. Das ist psychologische Kriegsführung, mit ihr
wird die „freie Entscheidung“ verzerrt und verkrüppelt, an die
Interessen der Memorandenregierung angebunden, widerständige Wut
wird in klassenindifferente Wut umgeleitet und schließlich in
faschistische.
Das Informationsverbot der Oligarchen und die Klassenpresse
Weiters: die Übermacht der Unternehmer- und EU-freundlichen, zum
Teil von mafiosen Oligarchen gesteuerten Medien. Die
oligarchengesteuerten Medien haben wesentlich dazu beigetragen,
daß die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt (ERT) vor einem
Jahr von Samaras blitzartig und überfallsartig abgedreht wurde.
Sie wollten erstens die Konkurrenz ausschalten
(klassische Mafia-Politik!), und zusätzlich konnte sich der
Staat mit Hilfe dieses Polit-Kartells des immer kritischer
gewordenen öffentlichen Fernsehens entledigen - eine
exemplarische Konvergenz der Interessen. Nun ja, was Staat ist,
das agiert im Auftrag des Kapitals und zerschlägt Öffentlichkeit
…. „Meinung“ wird also auch durch Kommunikationsverbot
hergestellt (3).
Das im vergangenen Jahr kurzfristig neuinstallierte
Regime-Fernsehen (es nannte sich demagogisch Dimósia
Tileórasi, „Öffentliches Fernsehen“) hat, zusammen mit den
privaten Fernsehkanälen und den rechten Tageszeitungen, ein
enormes Übergewicht, sodaß wir hier von einem künstlich und
teilweise mit Gewalt hergestellten Meinungsmonopol,
Meinungskartell sprechen können – auch wenn Griechenland mehr
linke Tageszeitungen hat (dies ist die andere, hoffnungsvolle
Seite!) als die meisten anderen europäischen Länder (1)
Die Übermacht der Geldpresse generiert den reaktionären
Meinungsblock. Daß radikale Wahlergebnisse auf allen Ebenen sich
trotz alledem dagegen behaupten, und wie und warum sie sich
dagegen behaupten, das ist wohl eine Analyse wert. Wie entsteht
autonomes Denken und autonome Meinungsbildung im Lande des
Meinungsterrors?
Ein perpetuierliches Strickmuster
Dazu kommt der alte – und gar nicht abgehalfterte
-Antikommunismus. Antikommunistische Hetze findet in
unerschiedlicher Intensität, ganz offen oder verdeckt, an
verschiedensten Orten statt, wobei bei den konservativen
Regierungsblättern, aber auch in den Äußerungen des
Regierungschefs und seines Sprechers Kedikoglou, wie auch
in den Attacken des soizialdemokratischen stellvertretenden
Ministerpräsidenten Venizelos Syriza im Zielpunkt steht.
Je mehr aber Syriza sich bemüht, sich diplomatisch den großen
Interessensgruppen anzupassen, desto mehr wird die Partei (oder
Tsipras selbst) als Gottseibeiuns aufgebaut – die
Strategie ähnelt derjenigen, mit der vor der faschistischen
Diktatur 1967 bis 1974 der damals junge Andreas Papandreou
sowohl von der griechischen Rechten als auch von den USA als
wahrer Teufel und extreme Gefährdung des Systems hingestellt
wurde. Schließlich wurde er in seinem Haus überfallen, er floh
aufs Dach, sein kleiner Sohn wurde erpreßt und bedroht, mit der
Methode kam der Vater in die Gewalt der Faschisten.
Wir werden uns auf die konzertierte Hetze vorbereiten müssen,
die einsetzen wird, sobald Tsipras an die Regierung kommt.
Die Hetze der offen faschistischen Organe der XA richtet sich
seit langem unverhohlen und mit brutalen Drohungen auch gegen
die radikale Linke wie EEK, Antarsya und linke AufdeckerInnen
wie Katerina Thoidou.
Damit wird die orientierungslose Wut eines großen Teils des
betrogenen und pauperisierten Bevölkerung gesammelt und auf
Ausländer, Linke, Homosexuelle etc. umgeleitet. Auch hier eine
Verzerrung der demokratischen Kommunikationswege, denn der Plebs
wird ihre Selbsbetimmung genommen, es ist eine organisierte
Erstickung des überlegenden Denkens, der raison - und in
solch einer Situation soll so etwas wie eine freie
Entscheidungsfindung stattfinden? Daher das beängstigende
Resultat der zwei faschistischen Parteien (s. u.)
Gerade deswegen ist eine filigrane Analyse der
Wahlresultate, der Wählerströme als bloße Funktionen und
Derivate der Verzerrung und Fremdsteuerung, auf der anderen
Seite als Reflexe sich davon radikal freihaltender und
emanzipierender Prozesse eine interessante Aufgabe und kann von
einem – an sich gesunden – Antielektoralismus nicht ad acta
gelegt werden.
Ein paar Zahlen?
Syriza erreichte bei den Europawahlen 26,58 % gegenüber
Nea Dimokratía (ND) mit 22,71 %, überholt letztere
also um beinahe 4 Prozentpunkte!
Die Goldene Morgendämmerung (XA) kam auf 9,40%!. Laós,
eine ebenfalls nationalsozialistisch geprägte Partei, kam
auf 2,70 %.
Eine Neugründung, man kann auch sagen: ein europäisch
unterstützter Wurmfortsatz des Pasok-Bereichs, der noch
dazu phantasieloserweise denselben Namen trägt wie eine frühere
– von weitem – vergleichbare sozialdemokratische Konstruktion
aus Italien, ist „der Olivenbaum“ (Eliá), der es auf
8.02% brachte.
Die KKE kam auf 6.09 %; die rechten Unabhängigen Griechen
(Anexártitoi Ellines, AE, mit ihnen hatte der
Taktiker Tsipras schon vor einem Jahr geflirtet) erreichten 3,46
% und die Demokratische Linke (Dimar) verfehlte (1,20 %)
den Eintritt, der mit einer 3%-Hürde versiegelt war.
Was sagen Zahlen?
Der Erfolg von Syriza sieht ein wenig anders aus, wenn man in
betracht zieht, daß die Partei bei diesen Wahlen im Vergleich
mit den Parlamentswahlen 2012 150.000 Stimmen verloren hat (-
0,33 %), was ihr der Regierungschef auch genüßlich vorwarf. Er
sollte aber vor seiner eigenen Türe kehren, denn ND hat selbst
seit 2012 an die 7% ihrer Schäfchen verloren, genau: 6.93 %.
Die beiden nationalsozialistischen Parteien legten zu: XA um
2,47 %, Laós um 1,60 %.Der Gesamtverlust der Regierungsparteien
(ND und Pasok) beläuft sich gar auf 11%: die Pasok – deren
ruhmreicher Führer Andreas Papandréou hatte 1977 die Wahl
noch mit einer klaren und eindeutigen Anti-NATO- und
Anti-EEG-Politik bestritten, so wandeln sich Sozialdemokraten! –
hat ihr gemessen Anteil daran.
Allerdings - würde man die Ergebnisse der Europawahlen auf
hypothetische Parlamentswahlen umlegen, und dies Argument bringt
Tsipras, Rhetor der er ist, anschaulich auf die Bühne, dann
hätte heute Syriza 130 von insgesamt 300 Sitzen, 50 werden ja
dem Stimmenstärksten automatisch hinzugezählt, und die ND käme
auf ganze 69.
Das bringt wiederum Kedikoglou in Rage: Dies sei eine
Verdrehung und Umlenkung, die Leute seien aufgerufen gewesen,
für das Europäische Parlament abzustimmen und nicht für die
Führung des Landes. Gegen Tsipras hechelt er: „Sein Verlangen
nach einem „Sturz“ (der Regierung) bekam nicht einmal die
Stimmen, die seine Partei bei den Wahlen von 2012 erreicht
hatte. Deswegen ist seine Frustration so groß, weil seine Partei
überhaupt nichts von dem lukrieren konnte, was die anderen
Parteien verloren haben.“ Und er erklärt die Verluste der
Regierungskoalition mit „den schwierigen Bedingungen, unter
denen sie antreten mußte“. Das leuchtet ein.
Im Vorfeld hatte Tsipras, in lockerer Analogie etwa zu dem
Wasserreferendum von Saloniki, das autonom und gegen den
Widerstand der Gesamtgemeinde, „auf zapatistische Weise“,
durchgeführt wurde und siegreich war, ein landesweites
Referendum zur Nationalen Strategie gefordert, worauf Venizelos
in extrem grober Weise reagierte und den Vorschlag als
„Erpressung“ bezeichnete.
Tsipras, nicht faul, äußerte seinerseits Folgendes: „Das ist
keine Regierung. Das ist ein Erpresserstaat, eine Dampfwalze.
Wir müssen sie stoppen. Das ist eine Sache des Überlebens.
Griechenland ist ihnen aus den Händen geglitten und sie haben
immer noch die Kühnheit, zu behaupten, sie hätten eine
ernsthafte Aufgabe und sie seien hier, um Griechenland zu
retten.“ Das Resultat der Wahl hätte eine scharfe Diskrepanz
zwischen dem Parlament und dem Wahlvolk an den Tag gelegt. Und
er warnte den Ministerpräsidenten vor weiteren Lohn- und
Pensionskürzungen, vor der Privatisierung der Wasserwirtschaft,
vor dem Verkauf öffentlichen Eigentums „und besonders unserer
Strände und unserer wunderschönen Natur, die unser Erbe bleiben
muß und die Eigentum des Volkes bleiben soll. … Schließlich
warnen wir den Ministerpräsidenten, wenn er sich einbildet, er
könne nun den Gouverneur der Bank Griechenlands oder den neuen
Kommissar unseres Landes für die Europäische Kommission
bestimmen, ohne den Konsens der größten Partei des Landes, ohne
einen breiteren politischen Konsens. Er hat keinen Auftrag ,
solche Entscheidungen für die kommenden Jahre zu treffen, mit
den Stimmen, die er heute bekommen hat, jetzt, wo er in der
Minderheit ist.“
Politische Projekte von Syriza
Zu den zentralen und konkreten Wahlforderungen von Syriza
gehörten folgende:
Wiederaufstockung des Mindestlohns für alle
auf 751 Euro, Schutz des Erstwohnsitzes vor den
Gläubigerforderungen, Reduktion der Heizkosten, Anpassung der
Pensionen an den Lebensbedarf, in allererster Linie der
niedrigsten Pensionen, kostenlose öffentliche
Gesundheitseinrichtungen, ein kostenloses Bildungssystem, eine
öffentliche Sozialversicherung. Steuererleichterung für kleine
und mittlere Einkommen, Programme zur Unterstützung der Bauern,
Hilfe für verschuldete Einzelpersonen. Schließlich forderte er
eine Entschädigung für die Zwangsanleihe unter dem Naziregime
und Reparationszahlungen für den Krieg.
Ebenso wie solche Forderungen das institutionalisierte
Konzentrat von Kämpfen in den Betrieben, in der Öffentlichkeit,
auf der Straße und an der Basis sind, ebenso ist die Institution
ein Behälter, ein Raum, in dem unter besonderen Bedingungen
solche Forderungen unterstützt und weitergetrieben werden
können.
Eines der großen Machtinstrumente wird mit dem Untersten
befaßt: Syriza, von der 6 Abgeordnete ins Europaparlament
entsendet wurden, hat zwei ganz besondere ausgewählt: Manolis
Glezos, den Antifaschisten der ersten Stunde, und
Konstantina Kouneva, Historikerin aus Bulgarien, die
hier, gewerkschaftlich aktiv, von einer mafiosen Bande an den
Augen und in der Luftröhre verletzt wurde – an einem Auge ist
sie blind. Sie ist ein „Symbol“ des Widerstands geworden, Symbol
auch dafür, daß Gewerkschaft, gewerkschaftlicher Kampf in
Griechenland etwas völlig Anderes bedeutet als in manchen
verfaulenden Metropolenländern.
Soweit die Europawahlen. Ein bißchen anders gelagert sind die
Kommunal- und Regionalwahlen. Aber zuvor wollen wir noch ein
wenig die Situation, die Umstände beleuchten, unter denen die
Wählerei sich abzuspielen hatte, dazu einige konkrete Beispiele.
Terror, Begleitmusik der bürgerlichen
Wahlen
Kurz vor der Wahl schossen zwei Typen von einem Motorrad (dem
Lieblingsfahrzeug der griechischen Nazis) aus mit einer
Kalaschnikow zwei Mal auf Büros der PASOK. Die
Griechenland-Zeitung berichtet: „Experten der Polizei
sprachen von einem Vorfall mit „hohem Risiko“ und begründen dies
damit, daß sich in der Nähe des Gebäudes Polizisten befanden.
Jene hatten allderdings vom Anschlag nichts bemerkt.“
Härter ging es im Athener Stadteil Kifisiá zu. Da griffen
20 Faschisten der XA vor einem in einer Schule untergebrachten
Wahllokal vier Wahlbeobachter an, als diese eben das Gebäude
verließen. Die 4 waren Mitglieder der Antarsya. Des geschah,
laut Antarsya, vor den Augen der Polizei, die nicht
einschritt. Die Polizei kam erst nach einer ganzen Weile.
Diejenigen Polizisten, die sich im Gebäude befanden, sahen
untätig zu, berichtet auch die Ergatikí Allilengí
(Arbeitersolidarität) der Sozialistischen Arbeiterpartei.
Antarsya bemerkt dazu, daß hier offenbar die Sturmtruppen wieder
aufgerüstet werden. In der bürgerlichen Presse war in der
Vorwahlzeit immer häufiger eine scheinbare „Rekonversion“ und
Entmilitarisierung der XA, Neuintegration in die
institutionellen Regeln des Parlamentarismus propagiert worden.
Der Vorfall zeigt, daß davon nicht die Rede sein kann. Wahlen
sind für die Nazis offensichtlich nichts als Dreck, der
niedergeknüppelt gehört. Das erfuhren die Wahlbeobachter der
radikalen Linken am eigenen Leib.
Mit der vorgeblichen „Zivilisierung“ der Nazipartei und deren
Selbstdarstellung als regelkonforme Parlamentspartei ging Hand
in Hand der Spruch des Aeropag („Areios Págos“, der
Oberste Gerichtshof in Athen), mit dem die Nazis definitiv zu
den Wahlen zugelassen wurden – obwohl die Hälfte ihrer
Führung zu dem Zeitpunkt im Knast saß. Die Begründung des
Aeropags: Es wären noch keine Urteile ergangen. Man muß sich
aber fragen: Was sind das für Wahlen, an denen Nazis
gleichberechtigt teilnehmen können?
Am 27. Mai fand in Kifisiá eine Protestkundgebung gegen diesen
Naziüberfall statt, an der Antarsya, die
antifaschistische und antirassistische Frontorganisation
KEERFA, die antikapitalistische Gruppierung „Außerhalb
der Stadtmauern“, VertreterInnen einer Lehrergewerkschaft,
der Kampfausschuß von Kifisiá und ein Pädagogenverein
teilnahmen. In Kifisiá hat sich übrigens bereits ein
XA-Bezirksrat festgesetzt. „Wir werden nicht auf einen zweiten
Pavlos Físsas warten, wir werden sie stoppen, bevor es zu spät
ist. Die organisierte Arbeiter- und Volksbewegung wird der
Grabstein der EU- und IWF-Regierungen und des nazistischen
Gebildes Goldene Morgendämmerung sein.“ heißt es zu diesem Anlaß
in einer Aussendung der Antarsya.
Auch auf Chalkidiki, wo man scheinbar fern vom Schuß ist,
wurde ein Wahlkandidat der Antarsya, als gerade der erste
Wahltermin stattfand, Opfer eines gefährlichen Angriffs. Drei
Nazis bedrohten ihn und seine Familie. „Hier kommandieren wir!“
brüllten sie ihn an und schlugen auf ihn ein. Er erfuhr aber in
der kleinen Stadt, in der er lebt, sofort, ungeteilte
Solidarität von politisch bewußten Menschen von verschiedenster
politischer Ausrichtung.
„Wir
werden uns ihren Schlagstöcken und Messern ausgesetzt sehen, mit
ihren faschistischen Methoden konfrontiert sehen, mit ihrer
Nazi-Mentalität. Jeden Tag, jeden Augenblick, bei jeder
Mobilisierung.“ Daher der Kampf auf vielen Ebenen.
Über das Engagement der kleineren radikalen Gruppen kommen wir
zum Thema Kommunal- und Regionalwahlen.
Das sind die „Blutwahlen“ der Ukraine, vorderhand en
miniature. Krieg ist die Fortsetzung von Wahlen mit anderen
Mitteln; linke Wahloptionen sind eine Auxiliarfunktion des
Klassenkampfes.
Kommunal- und Regionalwahlen
Katerina Thoidou
Sie haben einen völlig verschiedenen Charakter. Es treten
Einzelpersonen, häufig Wahllisten und auch Parteien auf.
Einzellandidaten werden zumeist von mehreren Kräften
unterstützt, ebenso sind die Wahllisten kombinierte Resultate
von mehreren Parteien/0rganisationen.
In die Bezirks- oder Gemeindeparlamente werden in vielen Fällen
radikale Linke gewählt, so in dem zu Athen gehörenden Níkaia
(Nikea) , wo Pavlos Physsas ermordet wurde und wo sich eine
wichtige politische und militärische Kommandozentrale der XA
befand, die von dem örtlichen Polizeirevier unterstützt wurde.
Dort ist die antifaschistische Aufdeckerin Katerina Thoidou,
der von der XA der Prozeß gemacht wurde, ins lokale Parlament
eingezogen, sondern um ein institutionelles Standbein zu
bereits bestehenden Kämpfen zu haben, in disem Fall speziell für
den antirassistischen Kampf (2).
Durch die Wahl Katerina Thoidous kann die örtliche pakistanische
Gemeinde noch stärker unterstützt werden. Die organisierten
Pakistanis stellen eine wichtige politische Kraft in
Griechenland dar und mobilisieren zusammen mit den
antifaschistischen Kräften der Linken wie der KEERFA und der
Antarsya. Dies ist unter anderem einer der Gründe, warum sie zu
so vielen Malen zum Zielpunkt von mörderischen Angriffen der XA
werden.
Für die Pakistanische Gemeinde von Níkaia war die Wahl von
Katerina Thoidou ein Freudenfest. „Die MigrantInnen feiern
jetzt!“ lautet der Titel einer Grußadresse der Pakistanischen
Gemeinde von Níkaia in der Arbeitersolidarität. „Jetzt wo die
Katerina im Gemeinderat ist, fühlen wir uns viel stärker. Jeder
Pakistani, der in Nikaia wohnt, freut sich so sehr, wir können
gar nicht sagen, wie sehr“, so zwei Sprecher der Pakistanischen
Gemeinde. Kommunalwahlen sind Ergänzungen der Kämpfe auf der
gesellschaftlichen Ebene
Regional- und Komunalwahlen. Es fanden zwei Runden statt, am 18.
Mai und am 25. Mai. Bei der zweite Runde gewannen zahlreiche
Bürgermeister der Linken. Der Terminus „aristerá“ (die
Linke) wird im Griechischen von radikal linken Organisationen
nicht, wie etwa im Französischen la gauche, für die
etablierte Linke verwendet, auch nicht für das, was man
hierzulande die „undogmatische Linke“ nennt, sondern für die
radikale Linke, die hypothetische Gesamt-Linke, die Antarsya,
Syriza, KEE und die radikalen linken Gruppen außerhalb dieser
Lager umfaßt. Unter diesen Gebrauch des Wortes „Linke“ fällt
also nicht Pasok, Dimar oder dergleichen. Dahingegen ist
aristerá für viele Anarchisten ein Schimpfwort.
Weitere linke Wahlsiege
Aus vielen Beispielen einige signifikante. Bei den
Regionalwahlen der einwohnerreichsten Region Griechenlands, der
Region Attika, siegte die Syriza-Kandidatin Rena Dourou
mit 50,89 % knapp vor Yannis Sgourós, einem Mann der
Pasok, der aber auch von ND unterstützt wurde. Die Wahl hat ein
großes politisches Gewicht.
Schlecht ging es in Athen bei den Bürgermeisterwahlen aus:
Kamínis, der Zerstörer der Zeltstadt am Sýntagmaplatz, blieb
an seiner Stelle, er siegte gegen seinen Herausforderer
Gavriil Sakellaridis von Syriza mit einem knappen Vorsprung
von 51,42 %. Die multiple Unterstützerei zeigt sich deutlich an
dem Beispiel Kaminis: Für ihn optierten: das Kunstgebilde Eliá,
die abgehalfterte Dimar, eine neue Erfindung namens „Brücken“
und eine Grünpartei. Sakellaridis stützte sich nur auf die
Syriza.
In 12 Gemeinden der Region Attika und in 13 des restlichen
Griechenland kamen linke Bürgermeister an die Spitze der
Gemeindeverwaltung, gerade auch in sehr „sensiblen“ wie
Keratsini-Drapetsona und Pérama.
In Nea Manolada, der Stadt, in der auf Erntearbeiter
geschossen wurde, wurde ein Immigrant Bürgermeister!
Die KKE bzw. von der KKE unterstützte Listen brachten es an
mehreren Orten zu einem Bürgermeister, so in Patras, wo
die KKE-Liste mit 62,4 % den Sieg davontrug. In Ikaría,
einer traditionell kommunistischen Insel, bekam der KKE-Kandidat
50,8 %, in zwei Bezirken (Teilgemeinden) von Athen gab es
außergewöhnlich hohe Resultate für die KKE: in Petroupolis 53 %,
in Chaidari 68,5 %.
Organisationsübergreifendes Wahlverhalten
Nachdem nun die jeweilige Basis aller dieser unterschiedlichen
politischen Kräfte an Kämpfen teilnimmt, die dasselbe Ziel
haben, die gemeinsame Kämpfe sind, kann es nicht wunder nehmen,
daß es auch elektorale Interaktionen, ja Oszillationen und somit
Synergien zwischen dem Wahlverhalten des einen Lagers und dem
des anderen gibt, den einen Wählern und den anderen Wählern, im
Widerspruch zum Organisationspatriotismus der jeweiligen Partei.
Die Arbeitersolidarität verweist in einem Aufsatz vom 28. Mai
auf Exit Polls der Firma Mega, denen zufolge 55 % der
KKE-Wähler Rena Dourou gewählt haben, 10 % von ihnen
Sgourós. Dieses Querstimmen, das in vielen Fällen vorkommt,
wäre einer weiteren detaillierten Analyse wert. Es ist ein
transversales Klassenverhalten, das sich am Klasseneinsatz der
KandidatInnen orientiert und ihn honoriert.
Die Arbeitersolidarität: „Es wird ersichtlich, daß diese
Wahlerfolge nicht bloß Einzelwege sei´s bloß der KKE sei´s bloß
der Syriza sind, sondern der Prozeß eines umfassenderen
Bevölkerungsteils, der seinen Ort in der Linken an sich sieht
und die beiden Parteien als affine politische Bereiche auffaßt.“
Daraus entspringt das Modell eines gemeinsamen
gesamtgesellschaftlichen Kampfes, sekundiert vom Zusammenrücken
des planenden, werbenden und unterstützenden Vorgehens
unterschiedlicher Organsationen der radikalen Linke in den
kleineren, übersichtlichen Institutionen - gegen einen
gemeinsamen Feind.
In den kleinen, übersichtlichen Institutionen und im
Europaparlament. Krieg den Palästen! In der maoistischen Zeitung
Dromo tis Aristerás („Der Weg der Linken“) schreibt
Konstantinou Kouneva:
„Wir
müssen ihre Probleme (die Probleme der
griechischen Bevölkerung, AuO) und ihre Kämpfe zu den Problemen
und Kämpfen ganz Europas machen. Es muß ein Europa sein, das
nicht aus schlechtbezahlten, unversicherten Arbeitern,
Arbeitslosen, toten oder gehetzten MigrantInnen besteht, …
Jugendlichen ohne Hoffnung und Zukunft.“
Das
aber will die Europäische Volkspartei, von der Samaras
geschützt wird, das aber wollen die Faschisten, das aber
wollen die europäischen Sozialdemokraten - die zur desaströsen
Funktion der Pasok nichts zu sagen haben, die dazu nur
schweigen.
Anmerkungen
(1)Insgesamt vier sind es: Riszospastis, Avgí, I Efimerída
ton Sintaktón und Eleftherotipía, daneben einige
liberale Tageszeitungen und auch solche, die an sich
regierungsnah sind, aber doch sehr ausführlich berichten, wie
etwa To Proto Thema. Sie sind regierungsnah, aber gute
Beobachter. Daneben gibt es eine große Anzahl von radikal linken
Wochen- oder Zweimonatszeitungen von durchgehend sprachlich und
gedanklich hohem Niveau, die Organisationen zugeordnet werden
können. Also Gegengewicht gibt es doch einiges!
(2) Ähnliches hat ja auch die Bewegung in Vicenza überlegt und
mit der Aufstellung einer Kandidatin für das Stadtparlament das
Richtige getan.
(3) So wurden der einzigen verbliebenen linken iranische
Exilorganisation von Radio Orange in Wien vor einiger Zeit
weitere Sendungen untersagt, mit dem Argument, man wolle von nun
an nur mehr kulturelle Beiträge. Solches Kommunikationsverbot
ereignet sich hierzulande innerhalb dessen, was sich
„Linke“ nennt. Radio Orange ist abhängig von Geldern der
sozialdemokratisch-grün geführten Gemeinde.
Editorische Hinweise
Den Text erhielten
wir von "Auge und Ohr" für diese Ausgabe.
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