Tausendfach liegen Erfahrungsberichte von Menschen aus den
Jobcentern vor, die in den Jahren seit Bestehen der Jobcenter,
im Januar 2005, gesammelt wurden.
Viele Menschen sind irritiert, wenn sie im
Jobcenter das Gefühl haben wie der letzte Dreck behandelt zu
werden.
Viele Menschen berichten von schlaflosen Nächten vor einem
Termin bei der FallmanagerIn. Vor allem junge Leute haben sich
vom Jobcenter gänzlich verabschiedet, schlagen sich mit
Gelegenheitsjobs durch und übernachten bei Freunden, den völlig
überforderten Eltern oder landen auf der Straße. Laufend werden
Menschen produziert, die nach Sanktionen auf Null völlig aus dem
System sozialversicherungspflichtiger Arbeit und einer
Krankenversicherung herausfallen. Die überwiegende Mehrheit der
einmal Sanktionierten oder Schikanierten schlägt sich als
GeringverdienerIn durch und verzichtet dabei auf ergänzende,
aufstockende Hartz IV Leistungen. Insbesondere Ältere, die nach
langjährigem Berufsleben erstmalig in einem Jobcenter landen,
sind ob des rauhen, herabwürdigenden Umgangstons völlig
entsetzt.
Einkommenserhebungen kommen zu dem Schluss,
dass auf jede aufstockende Bedarfsgemeinschaft eine weitere
kommt, die trotz eines rechtlichen Anspruchs auf Hartz IV
Leistungen diese nicht in Anspruch nimmt. Eine Folge des
herabwürdigenden Umgangs im Amt und dem schlechten Ruf, der den
Jobcentern vorausgeht.
Warum ?
Die meisten der
Betroffenen vermuten in den Attacken auf sich zunächst
„bösartige“ MitarbeiterInnen und im zweiten Schritt machen sie
eigene Defizite für die schlechte Behandlung im Amt als Ursache
aus. Beide Ursachengründe entpuppen sich als unbegründet. Die
Verhängung von Sanktionen ist nicht im persönlichen Empfinden
einer SachbearbeiterIn begründet, sonder beruht auf gesetzlichen
Vorgaben. MitarbeiterInnen die nicht Sanktioniert haben, sind
dafür schon abgemahnt worden. Und weil Sanktionierung,
ungerechtfertigte Kürzung, Falschauskünfte mit Nachteilen für
die AntragstellerInnen an der Tagesordnung sind, kann dies auch
nicht an der schiefen Nase oder dem Dreitagebart liegen, sondern
ist Teil des Systems, des täglichen Handelns der
JobcentermitarbeiterInnen. Sie setzen Tag für Tag Anweisungen
und Zielvorgaben von oben um.
Drei bis viermal pro Jahr werden
die MitarbeiterInnen der Jobcenter in der fachgerechten
Durchführung von Sanktionen geschult
Hartz IV,
einer der zentralen Bausteine zur Förderung des Niedriglohns
Der Niedriglohnsektor war politisch gewollt:
Ex Bundeskanzler Schröder hat diesen Sinn von Hartz IV im Januar
2005 auf dem Gipfel der Staatsmänner und Konzernlenker in Davos
erklärt. „ Wir haben den besten Niedriglohnsektor aufgebaut, den
es in Europa gibt…“ Bei Strafe der Sanktion, auch bis auf Null,
muss auch für 4,50 Euro pro Stunde gearbeitet werden. Schröder
hatte Recht und die Unternehmen haben gewonnen, die BRD ist
führend im Niedriglohnsektor und hat sich dadurch zum
Exportgiganten gemausert. Niedriglohn für jede vierte
Beschäftigte ist eine zentrale Voraussetzung der
Exportüberschüsse der deutschen Industrie.
Die „Hartz-Gesetze“ sind Teil der
berüchtigten „Agenda 2010“. Diese Gesetze sollten das Ziel
verfolgen, den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen
und Erwerbslose in niedrig bezahlte Arbeit zu bringen. Hartz IV
ist jedoch nichts anderes als die frühere und heutige
Sozialhilfe. Gleichzeitig wurde die ehemalige Arbeitslosenhilfe
abgeschafft. Ca. 1,5 Millionen Menschen verloren hierdurch
Einkommen. Der Staat konnte erheblich sparen.
Die Höhe der Zahlbeträge im Hartz IV System
von durchschnittlich 770 Euro für eine Alleinstehende liegt bei
40 bis 45 Prozent des Durchschnittseinkommens und damit weit
unter der offiziellen Armutsgrenze von 940 Euro für eine
Einzelperson. Grundgedanke ist: Je niedriger die
Lohnersatzleistungen, desto größer wird der Druck auf die Löhne.
Kern der Hartz IV Gesetzgebung ist
jedoch die Abschaffung der früheren Zumutbarkeitskriterien für
die Annahme von Arbeit. In § 10 des SGB II ist definiert, dass
jedem Erwerbsfähigen nahezu jegliche Arbeit zuzumuten ist.
Damit ist jeglicher Berufsschutz entfallen, d.h. auch ein
Universitätsabschluss schützt nicht vor einem Job als Packer im
Hafen.
Außerdem ist die Lohnhöhe kein Grund einen
Job abzulehnen. Wer nicht für 6 Euro Brutto in der Stunde jobben
gehen will, wird mit einer Sanktion bestraft. Bei mehreren
Sanktionen ist letztlich auch die Wohnung weg, weil auch die
Kosten der Unterkunft gestrichen werden können.
In der Praxis bedeutet dies: Wer
vom Jobcenter zu einem Vorstellungsgespräch geschickt wird, kann
den dort angebotenen Job nicht mit der Begründung des zu
geringen Lohns ablehnen.
Während in einigen sogenannten
Schwellenländern Sonderwirtschaftszonen, ohne Gewerkschaften und
Steuern eingerichtet wurden, um profitgierige Unternehmen
anzulocken, erfolgt dieser Vorgang in Deutschland landesweit mit
einem riesigen Angebot an NiedriglöhnerInnen.
Dieser gesetzlich geschaffene
Zwang schlägt sich in den Statistiken nieder. Von 2004 bis 2012
stieg der Anteil der NiedriglöhnerInnen in Deutschland von 15
auf 24 Prozent aller Arbeitsverhältnisse, gleichzeitig sank das
Einkommen der Menschen im Niedriglohnbereich um 17 Prozent ab.
Maßnahmen und „Ein-Euro-Jobs“ !
Welchen Sinn haben sie ?
Arbeit soll sich lohnen, so hören
wir es ständig. Und jeder von uns kann ja feststellen: In
Deutschland gibt es viel Reichtum, Luxusautos und Villen,
gigantische Gewinne der DAX Konzerne auf der einen und
Minilöhne, von denen Mensch nicht existieren kann, auf der
anderen Seite.
Also ist es doch geradezu unvernünftig sich
im Wechselschichtbetrieb auch die Nächte für 8,50 Euro um die
Ohren zu schlagen, sich dabei auch noch die Gesundheit zu
ruinieren, um dann mit dem Geld nicht auszukommen und den Rest
für die Existenz der Familie beim Jobcenter zu erbetteln.
Um Menschen zu veranlassen, solche
„unvernünftigen“ Jobs zu machen, bedarf es zweierlei: Erstens
ständigen Sanktionsdruck und zweitens die „Umerziehung durch
Gewöhnung“. Um solche beschissenen Arbeitsverhältnisse letztlich
gut zu finden oder zumindest alternativlos zu akzeptieren,
wurden „Umerziehungsmaßnahmen“ eingeführt. Denn wenn der
erwerbslose Mensch doch mal in der Fabrik gebraucht wird, muss
er schon vorher darauf trainiert sein, geringen Lohn toll zu
finden und am besten ja nicht an Gewerkschaft, Betriebsrat oder
Arbeitsrechte denken oder gar einzufordern. Kommt die neue
LohnarbeiterIn gar mit Lohnansprüchen oder sonstigen Flausen
durchs Werkstor, könnte es im Betrieb Probleme geben.
In den Trainingsmaßnahmen,
Bewerbungstrainings, Praktika, Probearbeiten, „Ein-Euro-Jobs“
und wie sie alle je nach Konjunktur heißen, findet dieses
Training statt: Arbeit ohne Lohn, Keine Lohnfortzahlung bei
Krankheit und Urlaub. Jederzeit durch Abberufung „kündbar“, mal
sinnentleerte stumpfsinnige Tätigkeiten, mal Stress ohne Ende.
Die uns immer vorgehaltenen Vorteile dieser
Maßnahmen sind alle Schall und Rauch. Weder gibt es aus
Maßnahmen heraus höhere Vermittlungschancen in normale Jobs,
noch findet dort eine reale Qualifizierung im Sinne von
Berufsabschlüssen oder technischen Kenntnissen statt. Dies ist
durch Untersuchungen belegt. Der Sinn dieser Maßnahmen, die ja
auch einiges Geld kosten, erschließt sich einzig aus den
Erziehungszielen: Anerkennung von Niedriglohn und
Unterwürfigkeit.
Warum sind die MitarbeiterInnen der
Jobcenter so ätzend, misstrauisch und behandeln uns wie
potentielle Betrügende ?
Wie bereits oben beschrieben, tragen die
Hartz Gesetze dazu bei, uns in Armut zu halten und uns mit
Umerziehung und Sanktionsdruck in beschissenen Niedriglohnjobs
zu drücken. Und wer eine Sanktion bekommt, wem durch
Nichtzahlung des Jobcenter der Strom abgestellt wurde, wer in
seiner schimmeligen Wohnung bleiben muss, weil das Jobcenter die
neue teurere Wohnung nicht akzeptiert, dem wird Gewalt angetan.
Diese Gewalt mag sich von Prügeln oder Einsperren unterscheiden,
es bleibt jedoch Gewalt, weil Menschen damit Lebensgrundlagen
entzogen oder beschnitten werden.
Wenn, wie unlängst in Südafrika,
die Polizei 52 streikende Arbeiter erschossen hat, die für
höhere Löhne kämpften, wenn in Kolumbien Gewerkschafter in
bestreikten Betrieben für immer verschwinden, wenn die Polizei
in der Türkei besetzte Betriebe räumt, ist sofort sichtbar: Hier
handelt der Staat im Interesse der Unternehmer, da er Gewalt
gegen die ArbeiterInnen und ihre Organisationen anwendet und
damit den Unternehmen bei der Durchsetzung ihrer Ziele
unterstützt.
Dieser Job, die Durchsetzung der Interessen
der Unternehmen in Deutschland wird unter anderem von den
Jobcentern durchgeführt. Nur stellen sie sich dabei schlauer an.
Der Staat handelt schon lange bevor es Konflikte gibt.
Weil aber Gewalt gegen Erwerbslose
hierzulande hauptsächlich in Form von jährlich mehr als einer
Millionen Sanktionen stattfindet, bleibt es dennoch Gewalt.
Nicht umsonst sind die Jobcenter die einzigen staatlichen
Einrichtungen, die sich von Sicherheitsleuten bewachen lassen
müssen. Dies ist notwendig um die Abschreckung zu erhöhen und
eventuell aufmüpfige Menschen sofort rausschmeißen und
Hausverbote durchsetzen zu können. Widerstand soll sofort mit
Gewalt gebrochen werden.
Wenn also JobcentermitarbeiterInnen
Sanktionen verhängen, Menschen in Maßnahmen und „Ein-Euro-Jobs“
zwingen, dann machen sie nur ihren Job. Machen sie diesen
Job nicht richtig, im Sinne der Vorgaben von Oben, verhängen sie
keine Sanktionen, „vergessen“ sie die Kürzungen, laufen sie
Gefahr selbst gemaßregelt oder abgemahnt zu werden und letztlich
ihren Job zu verlieren.
Menschenwürde im Jobcenter ?
Wer sich also hinstellt und im Hinblick auf
das Grundgesetz die Einhaltung der Menschenwürde von einem
Staatsorgan wie dem Jobcenter fordert, hat die Rolle und Aufgabe
der Jobcenter nicht verstanden. Im Jobcenter geht es nicht um
das Wohlergehen von Frau Schmidt und ihren Kindern, sondern
ausschließlich um die Bereitstellung der Arbeitskraft unter der
BG Nummer: 21402BG0012345 (Schmidt) für den Arbeitsmarkt.
Menschenwürde und Wohlfahrt vom Jobcenter
einzufordern ist genau so illusorisch wie die Einforderung von
Menschenrechten für Sklaven unter Beibehaltung der Sklaverei.
Sind JobcentermitarbeiterInnen
böse ?
Jeder Mensch
steht vor der Notwendigkeit sich mit seiner Tätigkeit zu
indentifizieren. Dies tun auch die MitarbeiterInnen der
Jobcenter. Wenn per Gesetz, behördlicher oder politischer
Vorgabe zu Sanktionen und Fallzahlvermeidung aufgerufen wird und
Betrugsvemutung unterstellt wird, wird auch die Mitarbeiterin
gezwungen sein, sich dieses Gedankengut zu eigen zu machen –
oder er/sie wird psychisch scheitern.
Genau so wenig
wie ein Pazifist zum Militär geht, oder ein Veganer im
Schlachthof arbeitet, wird ein liberaler Menschenfreund es im
Jobcenter aushalten. Folglich verbleiben in den Ämtern
diejenigen, die sich mit der Praxis der Ämter identifizieren
können. Und so gewinnt innerhalb der Jobcenter die Schikane- und
Sanktionswut Oberhand. Die wenigen Menschen, die in Jobcentern
gearbeitet und öffentlich Kritik geäußert haben, sind auch
umgehend entlassen bzw. beurlaubt worden. Sehr viele sind selbst
gegangen.
Wer im
Jobcenter arbeitet, fügt anderen Menschen Gewalt zu.
Jobcenterbeschäftigte sind folglich MittäterInnen bei der
Gewaltanwendung gegen Erwerbslose. Sie machen im Grunde den
gleichen Job wie PolizistInnen, die in der Türkei oder Südafrika
auf Streikende schießen.
Aus den Erfahrungen der „Bremer“
Joboffensive wissen wir; mehr und besser geschulte Fallmanager
führen nicht zu besserer Vermittlung, sondern zu mehr Sanktionen
und Schikanen.
Es ist daher nicht möglich, Gewalt,
Sanktionen und Schikanen in den Jobcentern als von der
Gesellschaft isoliertes Problem zu betrachten, dass in den
Jobcentern oder durch parlamentarischen Einfuss auf diese
geändert werden könnte. Solange die kapitalistische
Konkurrenzgesellschaft mittels Lohnsenkung und/oder Steigerung
der Arbeitshetze nach dem Höchstprofit strebt, wird es Druck auf
die geringst möglich zu entlohnende Arbeitskraft geben.
Wehre Dich redlich !
Auch wenn der/die Einzelne durch
noch so geschicktes Handeln, die Hartz IV Gesetzgebung nicht aus
der Welt schaffen kann, ist es ratsam sich immer dort zu wehren
wo es möglich ist.
Daher: Niemals allein zum Amt
Jedermensch kann zu jedem Gespräch
im Jobcenter einen Beistand mitnehmen. Dies schränkt die
Möglichkeiten der Schikanen in den Jobcentern ein und mittels
Zeugen kann Mensch besser Sanktionen usw. abwehren.
§ 13 SGB X Bevollmächtigte und
Beistände
(4) Ein
Beteiligter (Kunde des Jobcenters) kann zu Verhandlungen und
Besprechungen mit einem Beistand erscheinen. Das von dem
Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten
vorgebracht, soweit dieser nicht unverzüglich widerspricht.
Das Hartz IV
System als Ganzes muss weg, weil es uns Schaden zufügt, unsere
Armut verfestigt und unsere Ausbeutung für die Unternehmen
erleichtert.
Quelle:
Bremer Erwerbslosenverband - Lindenstraße 1b 28755 Bremen
bev-bremen.de --- bev-bremen@email.de
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