Über die Logik des Gerüchts, die deutschen Antideutschen und den „jüdischen Antisemiten“

von Gerhard Hanloser

07-2014

trend
onlinezeitung

„Kann es jüdischen Antisemitismus, antisemitische oder antijüdische Juden geben? Es gibt antideutsche Deutsche, mich zum Beispiel, warum also nicht jüdische Antisemiten?“, verkündet Hermann L. Gremliza auf einer Ende Februar in Hamburg veranstalteten Tagung zum Nahostkonflikt, deren Abschlussdiskussion die April- und Maiausgaben der KONKRET dokumentieren. Kurz davor fielen die Namen Uri Averny und Moshe Zuckermann, beide bekannte Kritiker der israelischen Regierungspraxis und der hegemonialen Gesellschaftszustände dort. Dass Gremliza andere vermeintliche „jüdische Antisemiten“ als die Genannten vor Augen hat, kann ausgeschlossen werden, nicht zuletzt durch Reaktionen der anderen anwesenden Diskussionsteilnehmer.

So weist der anwesende Mitdiskutant Micha Brumlik höflich darauf hin, das es sich um „zum Teil schlicht und ergreifend innerjüdische Auseinandersetzungen“ handeln würde, eine „paternalistische Argumentation“ guter Deutscher, die schon immer wissen wollten, was für die Juden am besten ist, würde sich folglich verbieten. Und die ehemalige linke Grüne Jutta Schwerin bemerkte, „wenn Menschen wie Zuckermann und Averny als Antisemiten bezeichnet werden, ist das ein unglaublich inflationärer Umgang mit diesem Begriff“, um etwas paternalistisch gestimmt nachzuschieben, „dieser Mann“ – gemeint ist Zuckermann – sei halt „nicht integriert“ und könne nicht wissen, auf welchen Boden seine Kritik falle. Und auch der unbetrübte Micha Brumlik, gibt Gremliza keine schallende Ohrfeige für sein Zuckermann besudelndes Gerücht, sondern einen guten Tipp: „Man kann das in der Diskussion auch ein bisschen niedriger hängen und meinetwegen sagen: Zuckermann mit seinem Immer-sich-auf-Adorno-Berufen gefährdet den Staat Israel.“ Immerhin ist der KONKRET-Herausgeber ob dieser vorsichtigen Korrekturen bemüht, Verständnis zu erheischen: „Moshe Zuckermann hat in einer antisemitischen Berliner Tageszeitung ‚enthüllt’, ich hätte ihm gestanden, dass ich mich nicht für Israel interessiere.“ - Eine unverfrorene Ungeheuerlichkeit eben, die nur aus antisemitischem Ressentiment dem Quasi-Juden Gremliza durch den natürlich in Antisemitenblättern schreibenden Zuckermann wiederfahren konnte. Allein: Zuckermann gab dem antisemitismuskritischen Radio Dreyeckland und dem Autoren dieser Zeilen ein Interview, das als Beleg für seinen angeblichen jüdischen Antisemitismus herhalten muss und es ist hier nachzuhören: http://audioarchiv.blogsport.de/2010/12/28/zuckermann-antisemitismusvorwurf/

Über Hermann L. Gremliza findet sich in der Berliner Tageszeitung jungen Welt, in der Zuckermann gelegentlich schreibt, allerdings nichts Nachteiliges aus der Feder des Tel Avivers. Nun verdient die junge Welt sicherlich einiges an Kritik für ihre außenpolitische wie auch ihre DDR-unkritische Haltung. Wenn aber die junge Welt eine „antisemitische Tageszeitung“ darstellt, muss es um den politischen Antisemitismus in Deutschland schlecht bestellt sein, und das wäre gut, weil beruhigend. Denn kein Leser der jungen Welt hat bislang jüdische Friedhöfe geschändet oder sich anderer antisemitischer Straftaten schuldig gemacht. Kein Wunder, ist doch die junge Welt immerhin auch dafür bekannt, in orthodox-marxistischer Weise über den historischen Faschismus und die ihn begleitenden Ideologien zu berichten.

Die Boshaftigkeit Gremlizas vor Augen stellt sich die Frage, woher sein Drang kommt, das Gerücht vom angeblichen „jüdischen Antisemiten“ besonders über kritische Juden zu verbreiten. Könnte es sein, dass diese Juden stören, weil sie die aus verquerer Vergangenheitspolitik resultierende Identifikationswut von „guten Deutschen“, ergo: „Antideutschen“ mit dem israelischen Staat unterhöhlen?

Genau dies tat Zuckermann bereits in einem 2003 veröffentlichten Buch mit dem Titel Zweierlei Israel? Auskünfte eines marxistischen Juden an Thomas Ebermann, Hermann L.Gremliza und Volker Weiß, in der konkret texte-Reihe als Nr. 34 erschienen. Während Zuckermann in diesem Gesprächsband analysiert, wird auf der anderen Seite bloß munter assoziiert. Zuckermann spricht von der Instrumentalisierung des Holocaust in der israelischen Politik, seine deutschen Gesprächspartner kontern reflexhaft mit Walsers Rede von der Instrumentalisierung von Auschwitz. Zuckermann erwähnt die Vertreibung der Palästinenser, die drei Hamburger kontern mit vertriebenen Schlesiern, deren revisionistische Ansprüche es abzuwehren gelte. Während sich Zuckermann an einer objektiven Analyse der Situation in Israel versucht und beispielsweise zwischen der tatsächlich geringen militärischen Gefahr, die Israel im Golfkrieg 91 drohte und der (verständlichen) gefühlten Angst innerhalb der israelischen Gesellschaft unterscheidet, ergehen sich die drei Deutschen in Angst- und Schreckensszenarien jenseits jeder Analyse und jeglichem Wirklichkeitssinn. Öfters raunen sie zwischen Zuckermanns Versuche, die israelische Gesellschaft zu beschreiben, Horrorvisionen wie auswendig gelernte Selbstversicherungen über die deutsche Gesellschaft: Das antisemitische Ressentiment sei heute so verbreitet wie im Kaiserreich, trotz Auschwitz, trotz 68, trotz Vergangenheitsbewältigung. Zuckermann kann angesichts solcher Szenarien nur höflich nachfragen: „Ihr meint also, dass in Deutschland eine Konstellation fortbesteht, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus bestand?“ Trotz seiner Gesprächspartner gestaltete Zuckermann damals das Gespräch lehrreich, verpasste es aber die Schwierigkeiten des Gesprächs zu thematisieren, nämlich die offensichtliche Unfähigkeit seiner Gesprächspartner, auf seine Thesen und Beschreibungen einzugehen und ihre linksdeutschen Befindlichkeiten hinter sich zu lassen. Es ist Zuckermann hoch anzurechnen, dass er damals trotz der Fragen, die ein hochgradiges Desinteresse am Zustand der israelischen Gesellschaft transportieren und in deutsch-antideutscher Selbstfindung sich ergehen, im Stande war, die Komplexität des Nah-Ost-Konflikts und die innere widersprüchliche Verfasstheit Israels darzustellen. Dass sich angebliche Linke, für deren politische Positionsbestimmung in den letzten Jahren Israel eine dermaßen zentrale Rolle gespielt hat, für die reale Situation in diesem Land nicht die Bohne interessieren, macht dieses Buch deutlich, das die ganze Ideologielastigkeit des antideutschen Diskurses bloßlegt – und gerade deshalb heute noch mit Gewinn, aber auch mit Erschrecken zu lesen ist. Vor allem erkennt man, dass Zuckermann, der schließlich und im Gegensatz zu Brumlik und Gremliza in Tel Aviv lebt, ein vitales Interesse an dem humanen Weiterbestehen des Staates Israel hat, auf dass niemand, kein Jude und kein Palästinenser in Furcht und Entbehrung zu leben hat. Soviel zum angeblich den Staat Israel zersetzenden Impetus der Kritischen Theorie, über die sich Brumlik nochmals kundig machen sollte.

Aus dem „marxistischen Juden“, dessen Auskünfte man einstmals vorgeblich noch einholen wollte, ist also mittels Propaganda und Verbreitung von Gerüchten der „antisemitische Jude“ geworden. Die Logik, die dabei wirkt, lautet: Damit der deutsche Nachgeborene der Tätergeneration sich zum vermeintlich „Antideutschen“ stilisieren kann, muss der Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-überlebender, der marxistische Jude, der sich einfach nicht mit der Staatspraxis Israels vollends identisch machen will, zur persona non grata, also zum Antisemiten stilisiert werden. Dass Gremliza in einem konkreten Konflikt auf der Seite der Panzer, des Staates und des Stacheldrahts Partei ergreift, während Zuckermanns Empathie den Eigentumslosen und Schwachen gilt, darf dabei nicht weiter ins Gewicht fallen. Die schlichte Frage, welche Haltung eher „typisch deutsch“ ist – wenn man diese Zuschreibung überhaupt geltend machen will –, muss ebenfalls als nicht opportun gelten.

Denn schließlich habe sich in KONKRET niemals „das Schreiben ... von Wahrheitssuche in Propaganda verwandelt“, wie ein auf dem Podium recht opportunistisch gestimmter Thomas Ebermann in KONKRET 4/2014 zu Protokoll gibt. Dumm nur, dass er im selben Gespräch dem Hauptautoren der letzten KONKRET-Ausgaben zum Thema Israel-Palästina, Alex Feuerherdt „das Ende analytischer Kapazität“ bescheinigt und ihm, „das Ende der Anstrengung, die Welt zu interpretieren, sie wenigstens zu verstehen“ vorwirft – warum jener dies tue? „Aus propagandistischen Gründen“, so Ebermann. Nun war es in der Vergangenheit gerade dieser Alex Feuerherdt, der nicht müde wurde, im Zuge seiner Pro-Israel-Propaganda Moshe Zuckermann mit Hilfe einiger zusammengeschraubter Zitate zum objektiven Antisemiten zu konstruieren (KONKRET 3/11). Von Kategorien der Kritischen Theorie unbeleckt wurde stolz verkündet, wer den Begriff der „welthistorischen Katastrophe“ für Auschwitz wähle wie Zuckermann, würde „Auschwitz relativiert“.

Die Verbrechen des Moshe Zuckermann häufen sich also. Sie müssen sich häufen und werden sich anhäufen, denn Propaganda macht aus der Sprache ein Instrument, einen Hebel, eine Maschine, das könnte man bei Adorno und Horkheimer nachlesen, wer wüsste das instinktiv besser als der eher traditionalistische denn kritische Meister selbst:„’Wir dürfen’, beschwor Berti Vogts seine Kloppertruppe, ‚den Gegner nicht ins Spiel kommen lassen.’ So auch dürftige Polemiker – sie dürfen den Gegner nicht ausreden lassen. Die grellsten Zitate, die sie bringen, sind Erfindungen“, so Hermann Gremliza (KONKRET 7/05). Im Kontext dieses Zitates ging es allerdings um die Abwehr von Stimmen, die Gremlizas eigene antizionistische Vergangenheit skandalisieren wollten und dabei Kolumnen des KONKRET-Herausgebers aus den 80er Jahre ausgruben.

Tatsächlich finden sich in frühen 80er-Jahre-Ausgaben der KONKRET wiederholt Widerlegungen aller mittlerweile in KONKRET nachzulesender Gleichsetzung von Kritik an Israel, Antizionismus und Antisemitismus aus der Feder des Herausgebers. Damals polemisierte Gremliza höchstpersönlich noch gegen Henrik M. Broder und dessen Strategie, linke Israelkritiker als Antisemiten hinzustellen:

„Henryk Broder, Sohn von Nazis verfolgter und gequälter Eltern, durfte das tun, so falsch, borniert und absurd es ist. Denn das ist diese im Hause Springer erfundene These, Kritik am Zionismus, Ablehnung der israelischen Politik und Solidarität mit den Palästinensern seien die Fortsetzung der nationalsozialistischen Judenverfolgung mit anderen Mitteln, ganz gewiß. Was für Broder ein subjektiv notwendiger Akt der Befreiung sein mag, bedeutet denen, die es ihm drucken, eine Chance zu reaktionärer Propaganda. Sie wollen darüber hinwegtäuschen, daß sich die besten deutschen Freunde der israelischen Politik aus dem Lager der dumpfsten NS-Mitläufer rekrutieren.“ (KONKRET 1/1983)

Auf Broders Vorhaltung, vermeintlich linker Antisemitismus würde Gremliza nicht so sehr tangieren „wie die Entlassung eines kommunistischen Arbeiters durch die Bundespost“. Antworte der Hamburger Verleger: „Auch wenn's schmerzt, Henryk: Da hätte die Linke mal recht.“ Recht hätte sie mit ihrer Kritik Israels als „staatsförmige(s) Eingreifkommando der USA im Nahen Osten“, denn einen Staat, „der diese Rolle mit aller Gewalt spielt, kann Carstens (SA) verteidigen, nicht aber eine Linke, die sich ernst nimmt.“

Mit der internationalistischen und antiimperialistischen Linken teilte Gremliza damals offensichtlich die Erkenntnis, dass sich die faschistischen Antisemiten der Bundesrepublik in postfaschistische Philosemiten transformiert haben: „Das Purgamonium der deutschen Antisemiten ist der Staat Israel (‚Unsere Juden macht uns keiner nach...’)“, wie er etwas dunkel, aber dennoch prägnant in KONKRET 2/82 formulierte.

Doch KONKRET und Gremliza unterliegen wohl einem Lernprozess. Und war Gremliza im Juli 2005 noch felsenfest überzeugt, nie falsch gelegen zu haben, so erklärte der KONKRET-Herausgeber in der Septemberausgabe 2007 dann doch recht überraschend in Hinblick auf sein 82er-Statement, dass kein „Fehler der letzten Jahrzehnte“ an den heranreiche, „den KONKRET (und auch in diesem Fall leider ich) 1982 machte“. Tatsächlich? Die intellektuellen Gewaltphantasien wie die vom Frühantideutschen Wolfgang Pohrt herbeigesehnte A-Bombe auf Bagdad 1991, die Kriegsbefürwortung der KONKRET-Redaktion für den ersten imperialistischen Krieg nach dem Zerfall der Kalten-Kriegs-Ordnung, das vom ehemaligen Antideutschen und jetzigen Rechtsdreher Jürgen Elsässer noch „antideutsch“ inszenierte „Lob der Fremdherrschaft“ inklusive Hofieren des serbischen Nationalismus, die neokonservative Ideologie des nachholend entwickelnden Zurechtbombardierens des sich danach flott demokratisierenden Irak, das die KONKRET-Autoren Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken voller idealistischer Aufgeblasenheit orchestrierte, all das soll verblassen vor Gremlizas schändlichen Ausführungen aus den dunklen 80er Jahren?

Durch das Fegefeuer der Läuterung ist Gremliza offensichtlich erst nach dem Zerfall der Sowjetunion gegangen, der autoritäre Sozialist brauchte einen neuen Staat, an den sich die Hoffnungen des Intellektuellen heften können, nachdem ihm die Arbeiter dem neoliberalen Trend folgend auch nur noch als „Mob“ erscheinen. ‚Unsere Juden macht uns keiner nach’ – und wenn sie nicht auf uns hören wollen oder Unangenehmes über uns „enthüllen“, machen wir Antisemiten aus ihnen. Denn - Selbstkritik und Lernprozess hin oder her – wenn einer weiß, was Söhne von Nazis verfolgter und gequälter Eltern sagen und denken dürfen, dann ist er es, der antideutsche deutsche Kritiker.


Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Eine frühe Kritik des Autors an KONKRET und ihrer „antideutschen“ Politik findet sich hier: „Kapitulation, theoretisch und konkret“, http://jungle-world.com/artikel/1999/25/30425.html