Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Jena
Bericht von der Hausbesetzung am 1. Juli 2014

von "Thüringenpunk"

07-2014

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Am 1. Juli war es in Jena wieder soweit. Einige Menschen haben sich zusammengefunden um ein seit fünf Jahren leerstehendes Gebäude in der Innenstadt zu besetzen. Die Aktion, sowie ihre nach außen transportierten Standpunkte, wurden von einer Masse an Leuten vor dem Haus solidarisch unterstützt. Thüringenpunk war vor Ort und im folgenden Bericht sollen die Geschehnisse rund um die Hausbesetzung dargestellt werden. Vorweg sei gesagt, dass es kein ausführlicher Bericht über alles sein kann, was an dem 1. & 2. Juli geschehen ist, sondern lediglich wiedergeben kann, welche Eindrücke vor Ort aufgegriffen werden konnten.

 

Am Nachmittag, des 1. Juli gegen 16:00 Uhr wurde bekannt gegeben, dass in der Carl-​Zeiss-​Straße 11 in Jena ein Haus besetzt wurde. Wie auch schon vergangenes Jahr am 6. Dezember wurde auf dem Blog wolja.​noblogs.​orgein Text veröffentlicht, der aufzeigen soll, warum es zu dieser Aktion kam.


Zum einen stellte die Erklärung der BesetzerInnen fest, dass es im kapitalistischen System einen Frieden gäbe, welcher durch Diskrimienierung, Ausbeutung und Unterdrückung getragen werde. Eben diese Verhältnisse seien der Grund weshalb Menschen in Abhänigkeiten kommen, also aufgrund der Tatsache, für ein warmes Dach über dem Kopf einer Lohnarbeit nachgehen zu müssen. Die Alternativen dazu wären höchstens Obdachlosigkeit oder sich vom Arbeitsamt drangsalieren zu lassen und gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden. Weiterhin wird ausgeführt, dass es aus diesem Grund auch als normal erscheint, dass Wohnraum als „Privateigentum“ angesehen wird. Trotz des Bedürfnisses nach Wohnraum, welches in Jena schon seit langem stark ausgeprägt ist, werden Häuser leerstehend gelassen und verfallen über die Jahre hinweg. Ebenfalls stellen die Besetzer_innen fest; „Obwohl“? – Vielleicht ist genau diese Raumknappheit und die Verdrängung von Menschen nicht nur Folge, sondern zugleich die notwendige Voraussetzung für Kommerzialisierung und Privatisierung. Dieses (leerstehende) Haus ist für uns deshalb gleichsam Gewalt gegen Menschen, Symbol und manifester Gegenstand der Eigentumslogik. Zugleich ist es Bestätigung dafür, dass die Bedürfnisse der Menschen, gemessen an der Erfüllung der Sachnotwendigkeiten der kapitalistischen Verhältnisse, einen Dreck wert sind.“


Für eine Hausbesetzung habe man sich entschieden, da man diese Eigentumsverhältnisse infrage stellen und eine Grenzüberschreitung wagen wollte, damit diese Grenzen sichtbar werden und ihre Ausgrenzungsmechanismen als notwendigen Teil dieser Gesellschaft aufgezeigt werden können. Für die BesetzerInnen ein Weg, wie die Kritik zur Praxis werden kann.


Kurz nachdem die Hausbesetzung bekannt wurde, versammelten sich rund 60-70 Menschen direkt vor dem Haus und organisierten eine Solidaritätskundgebung. Mit Transparenten aus dem Haus machten die Besetzer_innen deutlich, was da vor sich ging.


Nach kurzer Zeit trafen einige Streifenpolizisten in der Carl-​Zeiss-​Straße ein, welche einen überforderten Eindruck machten und nicht so recht wussten, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Die Menge an solidarischen Menschen stieg zeitweise auf bis zu 200 Personen an. Leider wuchs mit der Zeit auch die Anzahl der Polizisten, die damit begannen die Zugänge zur Carl-​Zeiss-​Straße für den Verkehr zu sperren. Die Stimmung auf der Kundgebung war ruhig und entspannt, jedoch war lange Zeit unklar, ob die Polizei noch am selben Tag räumen würde.


Gegen 21:00 Uhr wurde bekannt, dass die Besitzer des seit 5 Jahren leerstehenden Gebäudes bis 9:00 Uhr des folgenden Tages eine Duldung der Besetzung zuließen. Vor dem Haus wurden Sofas, Stühle und Tische bereitgestellt und es gab einen Workshop zum Recht auf Stadt, sowie eine Lesung aus dem Buch zum ehemalig besetzten Topf&Söhne Gelände in Erfurt.


Am nächsten Morgen zog die Polizei immer mehr Kräfte heran, unter anderem die Thüringer BFE (Beweissicherungs-​ und Festnahme-​Einheit), welche sich im Laufe des Tages noch durch die Durchsetzung der Räumung unter massiver Gewalt hervor tat. Nach dem Auslaufen der Duldung um 9:00 Uhr wurde die Lage angespannter. Im Gegensatz zur Räumung des besetzten Hauses am 6. Dezember 2013 versammelten sich immer mehr Menschen vor dem Haus auf der Kundgebung, sodass es nicht so einfach sein würde, die Kundgebung nieder zu prügeln und das Haus zu räumen.


Die Verantwortlichen des Uniklinikums, die über fünf Jahre den Leerstand in der Carl-​Zeiss-​Straße.​11 verwalten durften, traten im Laufe des Vormittags in Kontakt mit den HausbesetzerInnen. Zuerst telefonisch, danach tauchte die Verwaltungschefin Seidel-​Kwem mit zwei Vertretern ihrer Gefolgschaft vor dem Haus auf. Scheinbar hatten die Vertreter des Uniklinikums „Hausbesetzung“ bei Wikipedia eingegeben und verstanden, dass man als Hausbesetzer schlecht zu einem persönlichem Gespräch in das Büro der Verwaltungschefin kommen kann. Jedenfalls wurde ihnen der Zutritt zum Haus verwehrt und so kam es dazu, dass vor dem Haus mit den BesetzerInnen auf dem Balkon „verhandelt“ wurde. Die Vertretung des Uniklinikums betonte, dass sich das Haus nicht nutzen ließe, aber gleichzeitig wissen wollte, welche Projekte umgesetzt werden sollten, sollte die Hausbesetzung geduldet werden. Ein Widerspruch an sich. Die BesetzerInnen machten klar, dass sie nicht darum bitten, dieses Haus zu bekommen, sondern es sich einfach nehmen. Ebenfalls formulierten sie in diesem Gespräch nochmals ihre Kritik am Eigentum, was nur auf Verwirrung seitens der Uniklinikumsverwaltung traf.


Die Verhandlungen blieben ohne weitere Ergebnisse. Rund 5 Minuten später gab die Polizei bekannt, dass die Kundgebung vor dem Gebäude verschoben werde. Ebenfalls wurde eine Räumungsaufforderung an die BesetzerInnen über den „Kommunikationswagen“ der Polizei durchgesagt. Nachdem die Kundgebung gegen 10:30 Uhr schließlich nicht mehr vor dem Haus angemeldet war, sondern einige Meter weiter hinten bereits von der Polizei mit Hamburger Gittern abgesperrt wurde, sammelten sich trotz der Aufforderung der Polizei rund 50 Menschen vor dem Haus. An dieser Stelle gingen vielen die Bilder der letzten Räumung in Jena durch den Kopf, als die Polizei die Kundgebung vor dem Haus angriff und auf die dort anwesenden Menschen einschlug.


Nach weiteren Aufforderungen den Platz vor dem Haus zu räumen, gingen die Prügelbullen der Thüringer BFE zu Werke. In dieser Zeit versammelten sich jede Menge Menschen im gegenüberliegenden Universitätsgebäude um zu gaffen. Zwar gab es auch einigen Zuspruch von StudentInnen, aber ein Großteil machte den Eindruck, als wollten sie nur mal gucken was passiert – getreu dem Motto: „Lasst mich durch, ich bin Schaulustiger!“.


Die Polizei begann damit die Leute noch einmal aufzufordern zu gehen, die BesetzerInnen und die solidarischen Menschen vor dem Haus, machten deutlich, das Haus nicht freiwillig aufzugeben. Das führte zu gewaltsamen Übergriffen durch die Polizei. Leute wurden aus der Menschenmenge gezerrt, mit Faustschlägen sowie Knüppelschlägen übersät und weiterhin durch Pfefferspray verletzt. Einige Personen wurden von der Polizei am Boden fixiert. Mit sogenannten Schmerzgriffen und auf den Kopf gedrückten Knie, wurden so Personen am Boden festgehalten. Nach einiger Zeit sperrte die Polizei die gegenüberliegenden Eingänge zum Unigebäude ab und schickte potenzielle Zeugen, welche die Polizeigewalt sehen konnten weg. Man wolle nicht beobachtet werden, wenn man in die nächste Prügelrunde geht.


Im Universitätsgebäude ertönte plötzlich der Feueralarm. Das Universitätsgebäude musste daher evakuiert werden. Die Ein- und Ausgänge auf der Seite zur Carl-​Zeiss-​Straße wurden weiter von der Polizei abgesperrt und Menschen von der Flucht aus dem Gebäude abgehalten. Laut der dort anwesenden Polizisten sollten die Menschen einen anderen Ausgang nehmen, also zurück durch das potenziell brennende Gebäude gehen. Die Polizei führte die Räumung der Menschen vor dem Gebäude weiterhin durch und musste dabei von den eigenen Vorgesetzten zurückgehalten werden. Ein Vorteil war wohl die anwesende Presse, sodass die Polizei nicht unbeobachtet auf die anwesenden Personen einschlagen konnte. Nachdem die Menschen vor dem Haus entweder Platzverweise von der Polizei, oder zur Kundgebung einige Meter weiter geschleppt und dort hinein geschubst wurden, trennte die Polizei und die BesetzerInnen in der zweiten Etage nur noch verbarrikadierte Türen. Im Laufe des Nachmittags kam es zu weiteren Übergriffen der Polizei gegenüber Menschen im Universitätsgebäude.


Gegen 15:30 Uhr wurden die BesetzerInnen in Handschellen aus dem Haus geführt und die Besetzung für beendet erklärt.


Die Besetzung in Jena war innerhalb von rund 24 Stunden beendet wurden und liegt erst einige Tage zurück. Auf dem Infoblog wolja.​noblogs.​org werden wahrscheinlich in den kommenden Tagen noch einige Berichte den Weg an die Öffentlichkeit finden. Es bleibt zu hoffen, dass es den Betroffenen von Polizeigewalt wieder besser geht und die BesetzerInnen das Spektakel mit der Polizei gut überstanden haben. Wie bereits erwähnt, handelt es sich hier nur um einen groben Abriss der Ereignisse rund um die Besetzung aus einer subjektiven Perspektive. Die Aktion und der fortgesetzte Kampf um Häuser in Jena ist in die nächste Runde gegangen und es wird sich zeigen, welche Diskussionen aufgeworfen werden und wie es in den nächsten Wochen weiter gehen wird.


Zum Schluss sei noch auf ein Interview der Filmpiraten mit den Hausbesetzern und die Pressemitteilung der Roten Hilfe Jena verwiesen.

Quelle: linksunten.indymedia.org vom 8. Juli2014