Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
"
Sozialgipfel" bei François Holland
Totalpleite… nach schwerem Vorab-Zugeständnis an die Kapitalverbände

07-2014

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Die vergangene Woche war in sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht durch die so genannte „Sozialkonferenz“ bei François Hollande am Montag und Dienstag (07. und 08. Juli) respektive ihr grandioses Scheitern geprägt. Diese „Sozialkonferenz“ war die dritte ihrer Art seit dem Amtsantritt Präsident Hollandes im Mai 2012, und sollte einmal mehr einen sozialpartnerschaftlichen „Kompromiss“ einfädeln. Es handelt sich um ein tripartistisches Gipfeltreffen zwischen Regierung, Kapitalverbänden (drei) und Gewerkschaftszusammenschlüssen (sieben oder acht).

Vier Gewerkschaftsverbände boykottieren bzw. ziehen aus

Insgesamt vier Gewerkschaftsverbände boykottierten die Veranstaltung. Die Union syndicale Solidaires (Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften vom Typ SUD) hatte bereits am 03. Juli ihr Nichterscheinen angekündigt. Die CGT, der stärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, hatte ihre Präsenz unter Vorbehalt gestellt. Am Montagmittag, kurz nach Eröffnung der Konferenz, kündigte sie dann ihre Abwesenheit für den folgenden Tag – den zweiten Konferenztag – an. Dicht gefolgt vom Dachverband FO (Force Ouvrière, drittstärkster Dachverband, politisch ziemlich schillernd, zwischen Verbalradikalismus und rechter Gewerkschaftspolitik oszillierend).

Am Dienstag erklärte dann die FSU (Fédération syndicale unitaire), Zusammenschluss der wichtigsten Bildungsgewerkschaften in Frankreich, ihren Auszug. Ihre Spitze war zunächst erschienen, schlug dann aber am Dienstag Vormittag die Tür hinter sich zu. Ihre Generalsekretärin Bernadette Groison erklärte, die Methode der Regierung für einen „sozialen Dialog“ sei untragbar; vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com

Nichtsdestotrotz erklärte der rechtssozialdemokratische Arbeits- und Sozialminister François Rebsamen im Nachhinein unverdrossen, die Konferenz sei „ein echter Erfolg“; vgl. http://www.economiematin.fr/

Oh je, CFDT

Unter den beteiligten Verbänden, die auch nach dem Auszug der Mehrzahl der übrigen Gewerkschaftsorganisationen brav weiterhin an der Konferenz teilnahmen, war - wie könnte es anders sein? - die CFDT. Sogar sie kritisierte allerdings (verbal relativ scharf) den Rückzieher der Regierung beim „Erschwerniskonto“, als definitiv schlechtes Signal für den „sozialen Dialog“.

Der Generalsekretär dieses (rechts)sozialdemokratisch geführten, zweitstärksten Gewerkschaftsdachverbands in Frankreich, Laurent Berger, erklärte dann zwar im Verlauf der Konferenz sein „Bedauern“ über die Abwesenheit der anderen Gewerkschaften, vgl. http://www.lepoint.fr

Doch kurz darauf schwang er sich dann zum leidenden Helden auf und erklärte: „Unterdessen habe ich gearbeitet“, während die übrigen Gewerkschaften – folgt man seiner Logik – also einen faulen Lenz geschoben hätten. Aber vor allem glaubte er sich dazu autorisiert, die anderen Verbände, insbesondere die CGT und FO, in die Nähe der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen rücken zu dürfen… - vgl. http://www.lefigaro.fr/f  In der besonderen Logik der CFDT passt dies durchaus in ihr Weltbild, nach dem Motto: „Alles Populischten“… Doch der letzte, unverschämte Ausspruch des rechten Bürokraten Laurent Berger – CFDT-Chef seit November 2012, nachdem er 1996 im Zuge der Säuberungen linker Gewerkschafter/innen (nach dem Herbststreik von 1995) bei der CFDT zum Hauptamtlichen wurde – dürfte die Beziehungen zwischen den Verbänden nicht unbedingt positiv beeinflussen…

Kapitalverbände bauen Druck im Vorfeld auf

Der Versuch, einen Pseudokonsens und faulen Kompromiss einzufädeln, litt daher zum Abschluss der Konferenz unter einem erheblichen Glaubwürdigkeitsproblem. Aber bereits im Vorfeld hatte es eine Boykottdrohung gegeben, und zwar zunächst von den Arbeitgeberverbänden und besonders vom stärksten Kapitalverband Medef. Er drohte eine gute Woche vor Eröffnung des Gipfels seinerseits mit seiner Abwesenheit, wenn die Regierung nicht aufhöre, den armen Arbeitgebern – so seine Darstellung – ständig neue soziale Lasten aufzuerlegen (schluchz!). 

In Reaktion darauf verkündete Premierminister Manuel Valls am 1. Juli, also sechs Tage vor Eröffnung der Konferenz, ein wichtiges Zugeständnis an die „Arbeitgeber“seite. Diese beklagte sich über die Einführung des  so genannten Compte-pénibilité oder „Erschwerniskontos“. Bei Letzterem handelt es sich um einen Mechanismus, der es abhängig Beschäftigten ermöglichen soll, aufgrund erschwerter Arbeitsbedingungen (körperlich harte, psychisch belastender, aufzehrende Tätigkeiten, Gefahr von Haltungsschäden…) über zusätzliche „Rentenpunkte“ bei der Altersversicherung zu verfügen. Die Anrechnung solcher zusätzlicher Punkte soll es Lohnabhängigen ermöglichen, einzelne fehlende Beitragsjahre zur Rentenversicherung ausgleichen zu können, um etwas früher aufs Altenteil gehen zu dürfen.  

Im Herbst 2010, als eine lang anhaltende (mit ersten Demonstrationen am 24. Mai jenes Jahres begonnene) Protestbewegung sich gegen die damalige „Rentenreform“ Nicolas Sarkozys richtete, war es dieses Zugeständnis der Regierung, das zum Einbruch der Streikfront führte. Am 25. Oktober 2010 brach zunächst die CFDT und kurz darauf die CGT den Arbeitskampf in den französischen Raffinerien ab – kurz, bevor eine Benzinknappheit in den Tankstellen einzutreten drohte -, nachdem die damalige Rechtsregierung die Einführung eines solchen Ausgleichsmechanismus angekündigt hatte. Über die einzelnen Modalitäten, also die genauen Anrechnungs-Möglichkeiten, sollte daraufhin in den Branchen verhandelt werden. Mittlerweile hat die sozialdemokratische Regierung sowohl die regressive Renten„reform“ Sarkozys, welche im November 2010 vom Parlament beschlossen worden war (und welcher 2013 unter François Hollande eine neue regressive Stufe hinzugefügt wurde), als auch den Ausgleichsmechanismus bestätigt. Besonders die Bauindustrie sperrte sich allerdings dagegen bzw. spielte bislang auf Zeit.  

Doch nunmehr wurde durch Premierminister Valls die Einführung des „Erschwerniskontos“, das bis zum 31. Dezember dieses Jahres hätte geschaffen werden sollen, auf Anfang 2016 verschoben; vgl. http://www.lemonde.fr

Hierin liegt der Hauptgrund dafür, dass mehrere einflussreiche Gewerkschaftsverbände ihre Teilnahme an der „Sozialkonferenz“ entweder von vornherein absagten, oder aber unterwegs annullierten. Sie warfen dem rechtssozialdemokratischen Regierungschef eine (weitere) Kapitulation vor dem Ultimatum der Kapitalistenverbände vor; vgl. u.a. http://www.francetvinfo.fr]

Unterdessen erklärte etwa Jean-François Roubaud, Chef des Verbands „mittelständischer Arbeitgeber“ CGPME, die Zugeständnisse der Regierung gingen „in die richtige Richtung“; vgl.  http://www.lefigaro.fr
                                                                        Aus seiner Sicht sicherlich…

Drohende „Vereinfachung“ des Arbeitsrechts plus partielles Aussetzen des Gesetzes zur Personalvertretung

Zu den Themen, über welche auf der „Sozialkonferenz“ diskutiert werden sollte (bzw. unter den noch verbleibenden Teilnehmern auch diskutiert wurde), gehören die angekündigte bzw. angedachte „Vereinfachung des Arbeitsrechts“, welch Letzteres angeblich – aufgrund seiner Komplexität und aufgrund der Existenz von zwingenden Vorschriften – ein „Einstellungshemmnis“ und „Hindernis für die Schaffung von Arbeitsplätzen“ darstelle. Vgl. orange.fr/ – Ein uralter Dauerbrenner, bei dem es natürlich nicht wirklich um „Einfachheit versus Komplexität“ geht, sondern viel eher um die Frage des Niveaus verbindlich garantierter Rechte für die Lohnabhängigen.

Konkret wird ferner durch die Regierung ins Auge gefasst, das Gesetz über die gewählten Personalvertretungen – also gewählte betriebliche Vertrauensleute (délégués du personnel) sowie über die comités d’entreprise // CE (ungefähre, sehr ungefähre Entsprechung zu den deutschen Betriebsräten, jedoch mit weitgehend unterschiedlichen Funktionen) - für die Dauer von drei Jahren auszusetzen. Und zwar in dem Punkt, der die Messung der Personalstärke des jeweiligen Betriebs respektive Unternehmens betrifft. Bislang muss das Unternehmen Vertrauensleute wählen lassen, wenn mindestens elf abhängig Beschäftigten zusammenkommen; und ein CE, wenn mindestens fünfzig Lohnabhängige beisammen sind (oder aber wenn ein Tarifvertrag diese Schwelle absenkt). Dies wird nun als Einstellungshemmnis dargestellt, weil viele kleine und mittlere Betriebe bewusst bei 48 oder 49 Beschäftigten stehen blieben – es gibt tatsächlich wesentlich mehr Unternehmen mit 49, als mit 51 Beschäftigten -, so dass man bei ihnen Ausnahmen in der Berechnung zulassen müsse. Nunmehr plant Arbeits- und Sozialminister François Rebsamen, für eine dreijährige Dauer die Neuberechnung auszusetzen, falls zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden, d.h. durch Ausklammern der Neueingestellten die betreffenden Unternehmen künstlich unterhalb der Schwelle zu halten.

Darüber soll nun innerhalb der kommenden Monate zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden verhandelt werden (über die Modalitäten im Einzelnen), bevor das Regierungslager zum Thema gesetzgeberisch tätig werden will – allein oder aber mit einer Vereinbarung im Rücken, je nachdem. FO-Generalsekretär Jean-Claude Mailly begründete seinen Weigerung sowie den Auszug aus der „Sozialpartnerkonferenz“ damit, man werde doch nicht „mit einer Waffe an der Schläfe verhandeln“.

Staatspräsident François Hollande erklärte zudem auf der „Sozialkonferenz“, er wolle, dass die Arbeitslosigkeit zum vordringlichen nationalen Thema und „Dialoggegenstand“ erhoben werden solle. Wie er ihr beizukommen versucht, ist allerdings ebenfalls bekannt: durch ständig neue und immer größere Zugeständnisse an die Kapitalverbände, die den Hals längst gar nicht mehr voll genug bekommen können; zuzüglich staatlicher Förderung für die Schaffung von Ausbildungsplätze und für die Beibehaltung von „Senioren“ auf Arbeitsplätzen in den Unternehmen (für welche die Unternehmen weniger oder gar keine Sozialbeiträge mehr abdrücken sollen). 

Unterdessen erklärte Hollande in einer Stellungnahme zum Ablauf/Ausgang des Sozialgipfels, es sei nicht hinnehmbar, dass die Gewerkschaften eine „ständige gegenseitige Übersteigerung“ in ihren Positionen betrieben; vgl. http://www.lemonde.fr
                                                                     Gut gebrüllt, Oberflasche!

Umstrittenes Abkommen zur Arbeitslosenkasse
Antrag der CGT auf Einstweilige Verfügung abgelehnt, aber Hauptverhandlung zugelassen

Unterdessen wurde für den Freitag vergangener Woche (11. Juli 14) eine wichtige Entscheidung erwartet. Denn die CGT hatte vor einem Pariser Gericht das neue Regelwerk, das die Rechte der Arbeitslosen für den Zeitraum 2014-2016 neu bestimmt, attackiert.  

Es handelt sich um das Abkommen vom 22. März d.J., das nach einigem Zögern durch die Regierung im Juni dieses Jahres bekräftigt worden ist und zum 1. Juli 2014 in Kraft getreten ist. Die Arbeitslosenkasse wird in Frankreich paritätisch verwaltet, d.h. durch eine gleich starke Anzahl von „Arbeitgeber“- und Gewerkschaftsverbänden in ihrem Aufsichtsrat (de facto durch eine Koalition aus der CFDT und dem Kapitalverband MEDEF), aber unter staatlicher Oberaufsicht. Die staatliche Exekutive, vertreten durch den amtierenden Arbeits- und Sozialminister der jeweiligen Regierung, muss deshalb eine Vereinbarung der so genannten Sozialpartner gegenzeichnen, damit diese rechtskräftig werden kann. 

Das diesjährige Abkommen, das für die kommenden beiden Jahre gilt, schränkt besonders die Ansprüche auf Unterstützung – während der beschäftigungslosen Zeit – für Leiharbeiter/innen drastisch ein. Aber auch die Leistungsansprüche für die diskontinuierlich beschäftigten Kulturschaffenden (intermittents du spectacle), die in Frankreich seit Jahrzehnten einen sozialrechtlichen Sonderstatus besitzen, in ihrer auftragslosen Zeit werden erheblich eingeschränkt. Dagegen richtet sich aktuell ein Streikbewegung im Kulturleben, auf dem internationalen Theaterfestival von Avignon wurden etwa an diesem Wochenende mehrere Aufführungen streikbedingt annulliert.  

Unterzeichnet hatten das Abkommen mehrere „moderate“ respektive rechtere Gewerkschaften, unter ihnen die CFDT (rechtssozialdemokratisch geführter Dachverband) und FO (Force Ouvrière, welche eine Mischung aus Verbalradikalismus und Unterzeichnung schlechter bis sehr schlechter Kollektivverträge praktiziert). Hingegen opponierten die CGT, deren Branchenverband im Kultursektor die mit Abstand stärkste Gewerkschaftsorganisation der Branche darstellt, und die linke Basisgewerkschaft SUD heftig gegen das Abkommen.

In ihrer gerichtlichen Beschwerde berief sich die CGT darauf, dass die Verhandlungen unkorrekt und auf illegale Art und Weise geführt worden seien. 

In Frankreich existieren in fast allen Bereichen mehrere Richtungsgewerkschaften. Das französische Arbeitsrecht organisiert notwendig den „Gewerkschaftspluralismus“ (,pluralisme syndical’), als eine Art Vertretung der Lohnabhängigen in der „Einheit durch Vielfalt“. Dazu legt es Kriterien fest, mit denen bestimmt werden kann, unter welchen Bedingungen eine Gewerkschaft etwa tariffähig (,représentatif’) ist – ab 10 % Stimmenanteil im Unternehmen oder 8 % in einer Branche zum Beispiel, neben weiteren Bedingungen – und unter welchen Bedingungen ein Kollektivabkommen rechtskräftig wird. Dazu müssen die Unterzeichner (allein oder zu mehreren gemeinsam) mindestens einen Stimmenanteil von 30 % repräsentieren. Aber es legt, unter dieser Voraussetzung eines Nebeneinanders unterschiedlicher Richtungsgewerkschaften, auch Mindestbedingungen für einen halbwegs fairen Ablauf von Verhandlungen fest. Dazu musste das geschrieben Arbeitsrecht oft durch Richterrecht fortgebildet werden. Es schreibt etwa einen „loyalen“ Verlauf von Verhandlungen vor. Und insbesondere sind „Separatverhandlungen“ mit einzelnen Verbänden – bei denen einer der teilnehmenden Verbände nicht wissen kann, was zum selben Zeitpunkt einem anderen Akteur der Verhandlungen eventuell angeboten wird, so dass sie gegeneinander ausgespielt werden können – ausdrücklich verboten. 

Bei den Verhandlungen im März dieses Jahres, die am Hauptsitz des „Arbeitgeber“verbands MEDEF stattfanden, wurden jedoch eine Reihe von Einzelgesprächen auf dem Flur, auf den Gängen des MEDEF-Gebäudes statt. Nachweisbar ist offensichtlich, dass die konkreten Berechnungen und Zahlenmodelle, auf denen die Verhandlungen zum Teil beruhten, nicht allen teilnehmenden Verbänden gleichermaßen ausführlich unterbreitet wurden. Dies bedeutet, dass nicht alle teilnehmenden Gewerkschaften über dasselbe identische Zahlenmaterial verfügten. 

Die CGT berief sich auf dieses Argument, um das Pariser Zivilgericht zm 1. Juli anzurufen, und legte das Datum der Verhandlung fest. (Das Zivilprozessrecht überlässt dieses einseitige Recht einer Partei, die dabei jedoch das Risiko in Kauf nimmt, dass eventuelle Verfahrensfehler nicht behoben werden können – weil es keine vorherige richterliche Prüfung des Dossiers, keine richterliche Terminfestlegung usw. gibt – und also für ihre Beschwerde tödlich sein könnten.) 

Die Richter/innen entschieden in ihrem Beschluss, den sie am Freitag den 11. Juli herausgaben, dass die CGT in ihrem Recht war, eine solche Beschwerde abzugeben. Allerdings verweigerten sie die Annahme einer Einstweiligen Verfügung (,ordonnance de référés’), um die Vereinbarung zur Arbeitslosenversicherung vorläufig außer Kraft zu setzen: Angesichts der Komplexität der Materie überschritten sie als Richter/innen damit, so ihre eigene Darstellung, sonst ihre Kompetenzen im Rahmen eines Eilverfahrens. Tatsächlich dient die Eilprozedur, die auf den Erlass einer Einstweiligen Verfügung abzielt, nicht der Regelung einer komplexen Materie. 

Zugelassen wurde nun jedoch die Hauptverhandlung über die Beschwerde, über welche am 30. September 14 in Paris vor Gericht diskutiert werden wird. 

Vgl. u.a.: 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom  Autor für diese Ausgabe.