Warum der Islamische Staat keine faschistische Bewegung ist.

von Attila Steinberger

07/2015

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Parallel zu den jüngsten Ereignissen im Nahen Osten erfolgt wieder die Gleichsetzung von Faschismus/Nationalsozialismus mit Salafismus oder Islamismus oder gar Islam. Hierbei beschränkt man sich auf einige Gemeinsamkeiten, vernachlässigt dabei aber andere oder ignoriert sie völlig. Auf naheliegende Vergleiche, z.B. zur religiösen Rechten, politreligiösen Sekten, dem amerikanischen Bible Belt oder einem reformierten Konservatismus in Gestalt von Kristina Schröder oder Ursula von der Leyen, stößt man leider nicht. Grundsätzlich werden nur oberflächliche Gemeinsamkeiten aufgegriffen wie die Unterdrückung der Frau, totale Unterwerfung des Individuums unter einer Ideologie, Antisemitismus oder Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen. Diese Elemente finden sich für sich alleine genommen oder auch in Kombinationen auch in anderen autoritären Herrschaftsformen wieder. Ebenfalls sind Gewalttaten kein ausreichender Bezugspunkt für eine Identität mit dem Faschismus.

Ein wesentlicher Differenzpunkt zum Faschismus liegt im offenen Umriss der eigenen Gruppe. Zwar lehnt der IS alle anderen nichtmoslemischen Religionen ab, genau wie auch alle säkularen und innerislamischen Ausrichtungen. Ihnen droht sogar die ewige Verdammnis. Jedoch können sie jederzeit zum Islam konvertieren und sich dem islamischen Staat unterwerfen. Selbst anerkannte Minderheitsreligionen dürfen als Menschen zweiter Klasse im Islamischen Staat leben. Die Grundlage dieser Diskriminierung ist aber nicht, dass Menschen gewisse „eingeborene“ Rassen- oder Kulturmerkmale hätten und sich deswegen in gewisse Rassen und Kulturen einteilen ließen. Im Gegenteil lehnt der IS jede Rassentheorie ab und verabscheut Nationalismus als unislamisch. Er wirbt für sich selbst, dass „der weiße Mann und der schwarze Mann“, Menschen aus allen Ländern gekommen sind um sich ihm anzuschließen. Prinzipiell steht der IS also allen Menschen offen, sie müssen (1) nur zum Islam konvertieren und (2) sich dem IS anschließen. Die Rassentheorien des Faschismus gingen dagegen davon aus, dass die Menschheit in unterschiedlichen Rassen unterteilt wäre, eine wäre davon die Herrenrasse und die anderen die Sklavenrassen bzw. die Untermenschen. Diese Rassen würden sich einem ewigen Kampf liefern. Deshalb dürfte man Rassen nicht mischen, weil sich so die Herrenrassen verunreinigen und bastardisieren würde. Falls das doch stattfinden würde, würde es unweigerlich zum Untergang der Herrenrasse führen, ein Topos der sowohl in der Eugenik wie der völkischen Bewegung grundlegendes Werkzeuge der Ideologie gewesen ist. Dadurch wird nicht nur jeder Mensch auf eine Rasse festgelegt, sondern es wird pseudo-naturwissenschaftlich ein Kampf zwischen den Rassen attestiert, wofür Charles Darwins Name missbraucht wird. Dieser Kampf ist nicht nur Überlebenskampf im sog. „Rassenkrieg“, sondern auch ein Kampf um die landwirtschaftliche Versorgung und die Ressourcen, die im Boden liegen. Bereits vor Beginn des 3. Reichs gab es einen etablierten Diskurs um das „Volk ohne Raum“ (Hans Grimm) und die Notwendigkeit den „Lebensraum im Osten“ zu erobern und dabei die ansässige Bevölkerung zu vertreiben, zu diskriminieren und/oder massenhaft zu ermorden. Der italienische Faschismus träumte dagegen das imperiale Erbe des Imperium Romanum anzutreten, im Mittelmeer das Mare Nostrum zu verwirklichen und einige afrikanische Kolonien zu erobern.

Dieser Programmpunkt ist, bei aller Grausamkeit des IS, der zweite wesentliche Unterschied zwischen ihnen und dem Faschismus. Der IS hat keine Agenda, die dem europäischen Imperialismus gleicht. Ihre Eroberungen dienen nicht dem Zweck partikulare Interessen zu erfüllen, riesige Reichtümer zu horten, landwirtschaftliche Flächen in einem „Lebensraum“ zu erlangen. Auch mit Strömungen wie dem Panislamismus oder Panarabismus, die Raum nur als Kulturraum gedacht hatten und ihn arrondieren wollten, hat der IS nichts zu tun. Er hat sich völlig vom Raum und vom Regionalismus gelöst und tritt universell auf. Räumlich betrachtet, formuliert er eine globale Ideologie, die alle Personen unabhängig von Religion und Kultur anspricht. Diese werden alle eingeladen in das Territorium zu reisen, zum Islam zu konvertieren oder von ihm unterworfen zu werden. In diesem globalen Herrschaftsbereich wird aber keine Person rechtlich ungleicher gestellt, weder zivil- noch strafrechtlich, zu anderen Personen. Gleichwohl werden anerkannte religiöse Minderheiten marginalisiert im Sinne ihrer Religionsausübung. Der Expansionismus des IS dient also nur der Expansion ihrer universellen Ideologie. Abgesehen von der ideologischen Ebene, wird natürlich rein faktisch Wasser gepredigt und Wein gesoffen bzw. als Kalif sucht man Nachtklubs auf, leistet sich eine schicke Rolexarmbanduhr und vergewaltigt Frauen.

Mit dieser Ideologie ist der IS in der Globalisierung auch besser aufgestellt als andere konservative Strömungen oder der Faschismus, die noch auf ihre Grenzen beharren und exklusiven Charakter beanspruchen. Denn der IS bietet Werte, denen man beitreten kann, und nicht Identitäten, zu denen man entweder gehört oder von denen man ausgeschlossen ist. Die salafistische Identität ist also nicht vorgeben, sondern steht erst am Ende eines Prozesses von Bekenntnis und Abgrenzung.

Im Gegensatz zum Faschismus spielt das Kollektiv keine Rolle, sondern das Bekenntnis und das juristische Ordnungsprinzip der Gesellschaft. Die deutschen „Herrenmenschen” mussten ihrem Volk alles opfern, selbst ihre Kinder und ihr eigenes Leben, weil es ihr von der Vorsehung gesandten Führer so verlangt. Denn nur indem man alles opfert, kann man im Kampf gegen die „minderwertigen Rassen” des Ostens bestehen. Denn sollten diese obsiegen, wäre das der Untergang für die „Herrenrasse”. Der IS dagegen trägt die Aufgabe das universalistische Prinzip ihrer Islamversion zu verwirklichen, zudem über alle religiösen Schranken hinweg. Sie beanspruchen zwar keine Bevorzugung aufgrund religiöser Zugehörigkeit, jedoch wurden Angehörige anderer Religion oder innerhalb des Islams diskriminiert um keine anderen Prinzipien neben sich zu dulden und islamische Weltanschauungen auszuschalten, die ihnen direkt Konkurrenz machen.

Ein weiterer Unterschied ist ihr Verhältnis zu ihren moslemischen Zeitgenossen. Ein Faschist argumentiert stets über Rasse, Blut und neuerdings Kultur. Zwar wäre eine gewisse Degeneration durch Amerikanisierung, Verjudung und Kulturbolschewismus eingetreten, aber alleine durch die Reinigung des Blutes bzw. der Kultur und der Abtrennung der jeweiligen Rassen und Kulturen voneinander würde wieder der alte Zustand erreicht werden. Das Verhältnis zur „Rasse“, der man sich zugehörig fühlt, ist also durchweg positiv. Allerdings werden die Zeitumstände kritisiert, die man nur ändern müsse, damit alles wieder so werden würde wie zuvor. Die zeitliche Schiene ist also auf eine ominöse Goldene Zeit ausgerichtet und die Gegenwart als Degenerationsstufe, bevor man wieder zur Goldenen Zeit zurückkehrt. Die Salafisten von IS teilen zwar den Kulturpessimismus, aber diagnostizieren ihn völlig anders, da sie ihr Weltbild auf Bekenntnis und Werte ausrichten. Die Umma, die Gemeinschaft der gläubigen Moslems, ist für sie nur eine Gemeinschaft der Degenerierten. In der zeitlichen Abfolge gibt es bei ihnen die Verkündung des Islams durch Mohammed, ein bis zwei Generationen von rechtgeleiteten Moslems und schließlich eine selbstverschuldete Degeneration der Moslems bis heute. Der IS tritt nun an das Kalifat zu restaurieren um die Umma zu reislamisieren und ihre Ideologie für alle Menschen zu propagieren. Den positiven Bezug auf die Vergangenheit bilden Vorstellungen verschiedener fiktiver und realer Personen, wie Abraham und Mohammed. Diese Biographien werden darauf beschränkt, dass sie den Islam in der Version von IS propagiert und sich selbst gegen Widerstand durchgesetzt hätten. Diese historische Rolle reklamiert IS für sich (u.a. nennt sich Abu Bakr al Baghdadi auch nach Abraham um in Kalif Ibrahim). Ihr Anspruch ist also nicht eine alte Zeit wiederaufleben zu lassen, sondern eine neue Zeit zu schaffen.

Weitere wesentliche Unterschiede zwischen dem Salafismus von IS und dem historischen Faschismus sind die historischen Umstände und Entwicklungen. Der Faschismus blühte in einer Zeit auf als demokratische Vorstellungen keine Mehrheit fanden und selbst die bestehende Demokratie stark autoritär gewesen ist. Besonders in Deutschland und Spanien gab es eine Verquickung von faschistischen Tendenzen mit Monarchismus und Ständestaat. In Deutschland und Österreich war der verlorene 1. Weltkrieg bedeutsam. Beide Länder verloren viele Territorien und Militär. Politisch wurde Deutschland auf die Rolle einer Mittelmacht herabgestuft und musste massive Kriegsschulden abtragen. Österreich wurde zum Kleinstaat dezimiert. Mit dieser Rolle wollten sich die Faschisten nicht abfinden und wieder zu alter, imperialer Größe erstehen. Im Irak spielt dagegen das Erbe Saddam Husseins eine wichtige Rolle, aus dessen Militär sich die führenden Köpfe von ISIS rekrutiert haben und viel dafür spricht den Konflikt auch als Fortsetzung seiner sektiererischen Politik interpretieren zu können. Zudem war der Irak 8 Jahre lang durch die Koalition der Willigen besetzt, die keinerlei Plan für die Zukunft des Landes hatten, in denen sich aber mit Unterstützung dieser Koalition der Sektenkonflikt ungehemmt weiter fortsetzen konnte.

Zusammengefasst unterscheidet sich der IS vom Faschismus in

(1) der Offenheit seiner Strukturen gegenüber Konvertiten. Der IS steht potentiell allen Menschen offen und ist damit nicht exklusiv, sondern sogar inklusiv, soweit man der IS-Ideologie folgt. Eine vergleichbare Ideologie zur völkischen Bewegung (Germaneninstrumentalisierung für imperialistische Zwecke) gibt es nicht;

(2) den Zwecken der Expansion. Der IS stellt ideologisch einen universellen Anspruch ein konkretes Rechtssystem zu etablieren. Es ist nicht auf die eigene Religionsgruppe oder das eigene Gebiet beschränkt, sondern global ausgerichtet. Rein praktisch handelt es sich natürlich um eine der üblichen Raubökonomien wie sie der Nahe Osten nur zu gut kennt (Saddam Hussein, George Bush jr.). Sollte sich der IS, freilich rein hypothetisch betrachtet, als Staat länger halten und ggf. anerkannt werden, würde er sich zu einer der regionstypischen rentenkapitalistischen Staaten entwickeln und weitgehend von Erdölrenten, Drogenhandel, Prostitution und Schmuggel leben;

(3) der Mobilisierung der Massen. Es gibt keine Massenmobilisierung im Islamischen Staat oder seiner Franchise-Nehmer in Nahost, Afrika oder Afghanistan. Es gibt auch keine Massenorganisationen analog zur SA, HJ oder BdA. Wo in der Demokratie, im Rätekommunismus oder im Anarchismus der Volkswille sich in Repräsentation oder direkter Abstimmung formuliert, findet der „natürliche Volkswille“ im Faschismus seinen Ausdruck in der Position des Führers und der Massenorganisationen. Denn die „Rasseneigenschaften“ würden wie „natürlich“ auf diese beiden Organe zustreben. Daher ist es umso wichtiger diese Verbindung regelmäßig gebührend zu feiern. Alle anderen Organisationen, zumindest im politischen Feld, werden unterdrückt, um die Macht zu monopolisieren. Im IS ist dagegen die gegenteilige Richtung, Entpolitisierung, vorherrschend. Vorstellungen von einem Volkswillen, der Gesetze und Institutionen formuliert steht man sogar feindlich gegenüber. Anstelle des Willens des Volkes tritt der Wille Gottes – formuliert durch al Baghdadi;

(4) einem ausgeprägten Führerkult. Abu Bakr al Baghdadi wurde nicht von der Vorhersehung auserwählt wie der Führer, noch ist er eine Wiedergeburt von Heinrich II. Gleichwohl spielt er mit seinen Namen auf frühislamische und frühjüdische Personen an. So ist Abu Bakr der 1. Nachfolger Mohammeds gewesen. Mit der Übernahme des Namens, tritt Baghdadi also dessen Erbe an den Propheten als erster und unmittelbarster anzuknüpfen. Als Baghdadi sich das Amt des Kalifen anmaßte, legte er solche Bescheidenheit ab und nannte sich Ibrahim (=Abraham). Dieser wird gerade beim IS und auch anderen salafistischen Theoretikern als erster richtiger Moslem betrachtet, der in einer Welt des Unglaubens den Islam brachte. Hiermit reklamiert Baghdadi also den Anspruch ein Prophet zu sein und die allerreinste Lehre zu vertreten;

(5) im Verhältnis zum „Volk“. Da der IS bereits Kultur und Rasse als Leitlinien für Identität und Zugehörigkeit ablehnt, hält er von einem Bezug auf das Volk wenig. Auch in religiöser Hinsicht schätzt er seine Glaubensbrüder gering. Die Umma ist für ihn nicht ein positives Volkskonzept – das ohnehin nicht, da er „Volksidentitäten“ ablehnt-, sondern für eine „Gemeinschaft“ der degenerierten Moslems. Deshalb verwendet der IS, wie auch andere salafistische Theoretiker, so viel Energie darauf Regierungen in muslimischen Ländern und ihre zahlreichen Glaubensbrüder mangelnde Religiosität vorzuwerfen oder sie direkt zu Ungläubigen zu erklären.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.