Mali
Friedensabkommen mit Tuareg-Rebellion wurde abgeschlossen

von Bernard Schmid

07/2015

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Stand: 1. Juli 2015

Der letzte Anlauf war der richtige. Am Samstag, den 20. Juni 15 setzte die hauptsächlich von Angehörigen der Tuareg-Bevölkerung getragene Rebellion im Norden von Mali, zusammengeschlossen in der „Koordination der Bewegungen von Azawad“ (CMA), ihre Unterschrift unter das seit Monaten verhandelte Friedensabkommen. In ihrem Namen unterzeichnete Sidi Ibrahim Ould Sidati die Vereinbarung, die den Abspaltungstendenzen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Norden des Sahelzonenstaats ein Ende setzen soll. Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta „IBK“ seinerseits erklärte am Rande der Unterschriftenzeremonie, er sei an diesem Tage „trunken vor Glück“, vgl. http://malijet.com/ . (Und hier die Rede, welche er aus diesem Anlass hielt: http://malijet.com/a_la_une_du_mali/)

Die Vereinbarung gewährt dem Norden keine Unabhängigkeit und auch keine „Autonomie“, wie sie von den Mitgliedsorganisationen der CMA immer wieder gefordert wurde, öffnet aber einer allgemeinen Dezentralisierung mit mehr Vollmachten für alle Regionen Tür und Tor. Im Vorfeld waren alle strafrechtlichen Ermittlungen gegen Anführer der Rebellion, bis auf einen Sonderfall: Iyad Ag Ghali, eingestellt worden (vgl. http://malijet.com/actualte_dans_les_regions_du_mali sowie http://malijet.com).

Die frühere Kolonialmacht Frankreich ihrerseits drängt sich nach vorne, um sich nun als Schutz- und Garantiemacht für die Umsetzung des Abkommens aufzuspielen (vgl. http://malijet.com/ oder http://malijet.com/a_la_une_du_mali/ und http://malijet.com/actualte , was nicht Allen in Mali gut gefällt (vgl. http://malijet.com ). Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian hielt sich in den Tagen nach Unterzeichnung des Abkommens in Malis Hauptstadt Bamako auf.

Vorgeschichte

Zwei vorangegangene Versuche der Anbahnung eines solchen Abkommens waren auf halbem Wege stecken geblieben: Vom 1. September 2014 bis zum 1. März dieses Jahres war in der Hauptstadt des nördlichen Nachbarlands, Algier, zäh über ein Friedensabkommen verhandelt worden. Doch im Laufe des März 2015 lehnte die CMA dann eine Unterschrift unter die Vereinbarung ab. Nach einigen Wochen erteilte die CMA, die unter mächtigem politischem Druck auch von internationaler Seite stand, dann doch noch ihre Zustimmung zu dem geplanten Abkommen. Doch erschienen ihre Vertreter nicht zu der feierlichen Zeremonie der Unterzeichnung, die am 15. Mai 15 in der malischen Hauptstadt Bamako stattfand und an der Regierungsvertreter teilnahmen. Das Abkommen war also nur ein halb geschlossenes: Theoretisch hatten die Tuareg-Rebellen ihre Zustimmung erteilt, es aber nicht praktisch in eine Unterschrift umgesetzt. // Vgl. bspw. http://www.rfi.//

Nun also fand abermals eine feierliche Veranstaltung im Kongresspalast, im Zentrum von Bamako, statt. Es war durchaus keine Geheimsitzung: Transparente verkündeten die Zeremonie weithin sichtbar, und 160 offizielle Vertreter der bisherigen Streitparteien repräsentierten den malischen Zentralstaat und die Rebellenverbände und die „Vermittler“ im Auftrag der UN (Algerien, Mauretanien und andere Nachbarstaaten, die Afrikanische Union...). Die Europäische Union ihrerseits beglückwünschte die früheren Bürgerkriegsparteien zu dem Abkommen und versprach, 615 Millionen Euro für dessen Umsetzung auszuschütten. Davon wären, wenn das Versprechen denn eingehalten wird – die Erfüllung der Zusagen, die parallel zur französischen Militärintervention von Anfang 2013 auf einer „Geberkonferenz“ in Brüssel gemacht wurden, ließ damals erheblich auf sich warten, und versprochene Spenden wurden in rückzahlbare Kredite umgewandelt -, 230 Millionen Euro Budgethilfe für den malischen Staat. Zwanzig Millionen würden für eine bessere Schulausbildung vor allem in den Krisenprovinzen im Norden aufgewendet und weitere zwanzig Millionen für den Versuch, Arbeitsplätze für die jüngere Generation zu schaffen. Dies soll dazu beitragen, junge Leute davon abzuhalten, sich jetzigen oder künftigen bewaffneten Rebellenverbänden anzuschließen.

Und die Jihadisten?

Die CMA vertritt dabei nicht alle Waffen tragenden Gruppierungen, die derzeit im Norden Malis tätig sind, insbesondere nicht einen Großteil der Jihadisten. Ihre wichtigsten Mitgliedsorganisationen sind die auf ethnischer Basis zusammengesetzte Tuareg-Vereinigung „Bewegung für die nationale Befreiung von Azawad“ – der MNLA – einerseits, der „Hohe Rat für die Einheit von Azawad“ (HCUA) andererseits. Der HCUA entstand als eine Art legaler Arm der vormaligen bewaffneten Islamistenbewegung Ansar Dine (Parteigänger der Religion), die vor allem malische Staatsangehörige organisierte. Ein Teil von Ansar Dine ist allerdings nach wie vor militärisch aktiv, und griff etwa am 27. Juni 15 die malische Staat Nara an (auf halber Höhe des Staatsgebiets in Nord-Süd-Richtung, in der Nähe der mauretanischen Grenze gelegen; vgl. http://malijet.com/  oder http://www.rfi.fr/

Die beiden anderen djihadistischen Verbände, die bei Ausbruch der akuten Staatskrise im ersten Halbjahr 2012 das dortige Machtvakuum – zusammen mit den Tuareg-Rebellen des MNLA, bevor im Juni jenes Jahres ihr taktisches Bündnis zerbrach und die MNLA-Führung Hals über Kopf nach Burkina Faso floh – auffüllten, verhandelten hingegen in Algier nicht mit. Es handelte sich um die eher aus ausländischen Jihadisten bestehenden Organisationen Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb (AQMI) und „Bewegung für die Einheit und den Jihad in Westafrika“ (MUJAO). AQMI besteht vorwiegend aus algerischen Staatsangehörigen. Der salafistisch ausgerichtete MUJOA rekrutierte auch Staatsbürger aus den westafrikanischen Nachbarländern Malis, fusionierte jedoch inzwischen mit der algerischen Jihadistengruppe der „Unterzeichner mit dem Blut“. Und war, um gemeinsam die Gruppierung Al-Mourabitoun – „Die Almoraviden“, benannt nach einer mittelalterlichen Dynastie – zu bilden.

Eine der Absichten, die mit der Unterzeichnung des Abkommens verbunden sind, besteht darin, die nach wie vor in weiten Teilen Nordmalis präsenten Jihadistengruppen sowie die lose mit ihnen zusammenarbeiten Schmuggler- und kriminellen Strukturen zu isolieren. Dies wurde aus Sicht der Nachbarländer, die angesichts der in den letzten Monaten zu verzeichnenden Zunahme jihadistischer Aktivitäten nervös zu werden begannen, höchste Zeit.

Am 10. Juni 15 fand erstmals eine jihadistische Attacke im äußersten Süden Malis statt – während solche Vorkommnisse bislang auf das geographische Zentrum des Landes und den Norden beschränkt blieben -, als ein Armeeposten in Misséni überfallen wurde. Bei dem Angriff in der Nähe der Grenze zum südlichen Nachbarland Côte d’Ivoire wurde ein Offizier getötet, zwei weitere Personen wurden verletzt. Die malische Staatsmacht verdächtigt die salafistische Sekte mit dem Namen „Dawa“ – dieser Begriff bezeichnet im Arabischen den Aufruf zum Gebet – und sucht in der Provinzhauptstadt Sikasso sowie in Bamako aktiv nach Anführern der Gruppierung. // Vgl. http://malijet.com/ // Unterdessen attackierten Djihadisten am Sonntag, den 28. Juni erneut eine Stadt im äußersten Süden Malis und in der Nähe der ivorischen Grenze, es handelt sich um die Stadt Fakola. Vgl. dazu http://malijet.com und http://www.lefigaro.fr Zu dieser Attacke von Fakola hat sich inzwischen die Bewegung Ansar ed-Dine, vgl. oben, bekannt; vgl. http://malijet.com

Loyalisten

Ein Hindernis für den Abschluss der Vereinbarung vom 20. Juni 15 in Bamako war zuletzt die Präsenz von teilweise unkontrollierten Milizen, die sich auch auf Pro-Regierungs-Seite – oder jedenfalls unter Anhängern einer Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit Malis – gebildet hatten. Dieser Wildwuchs an Milizen, nun auch auf dieser Seite, entwickelte sich immer mehr zum ernsthaften Problem, auch wenn einige politische Kräfte in Mali ihnen beste „patriotische Absichten“ unterstellen.

Die wichtigsten dieser Milizen waren in der „Plattform“ zusammengeschlossen, unter ihnen an führender Stelle die „Selbstverteidigungsgruppe von Imghad-Tuareg und Verbündeten“ (Gatia). Diese Gruppen hielten seit dem 27. April 15 die Stadt Ménaka im äußersten Osten Malis besetzt – eine symbolische Stadt, da sie im Januar 2012 als allererste durch die damals vorrückende Rebellion erobert worden war - und weigerten sich, abzuziehen. Vorzugsweise mit dem Argument, im Falle eines Einzugs der Tuareg-Rebellen vom MNLA um die Sicherheit „ihrer“ Zivilbevölkerung zu fürchten. Denn die Kombattanten des MNLA werden in naher Zukunft, in einem noch in Einzelgesprächen mit der Regierung näher zu klärenden Modus, in die Streitkräfte eingegliedert werden (aber auch mit eigenen Repräsentanten ins Regierungskabinett Einzug halten, vgl. bspw. http://malijet.com/).

Nachdem die malische Zentralregierung jedoch den Gruppen der „Plattform“ Sicherheitsgarantien, auch für die ihnen nahe stehende Bevölkerung, gegeben und – neben ihrem Schutz durch die UN-Truppe MINUSMA – auch eine Präsenz mit eigenen Truppen zugesichert hatte, konnte das „Problem Ménaka“ dann vorerst gelöst werden. Es hatte seit Wochen jeden Fortschritt in den Gesprächen zwischen Rebellen und Zentralregierung blockiert (vgl. etwa http://www.jeuneafrique.com/237395/politique/mali-les-groupes-pro-bamako-refusent-de-se-retirer-de-menaka/ ). Am Freitag, den 19. Juni 15 hatten die loyalistischen Milizen der „Plattform“ Ménaka nunmehr verlassen. Zuvor war eine so genannte „Sicherheitsvereinbarung“ (das ,Arrangement sécuritaire, vgl. bspw. http://malijet.com/und http://malijet.com/actualte_ ) bezüglich der Stadt getroffen worden. Mittlerweile kritisiert allerdings umgekehrt die CMA wiederum die Stationierung der malischen Armee in der Gegend, vgl. http://www.maliweb.net

Dissidenten

Nicht alle Schwierigkeiten sind nunmehr beseitigt. Neben möglicherweise zähen Gesprächen über die weiteren Einzelheiten, etwa die Entwaffnung von Teilen der MNLA-Verbänden und die Eingliederung der übrigen in die Armee betreffend, stellt sich auch die Frage des Umgangs mit Gegner des Abkommens. Ein Teil der Oppositionskräfte in Bamako spricht von Verrat und einem Ausverkauf des Landes. Umgekehrt sind dem Vernehmen nach nicht alle Anhänger oder Kombattanten des MNLA mit der Zustimmung zu dem Abkommen glücklich; ihre Europavertretung widersetzte sich etwa scharf der Unterschrift unter die Vereinbarung und prangerte ihrerseits den „Verrat“ an (vgl. http://maliactu.net).

Viele Kader des MNLA werden jedoch einerseits durch die Aussicht auf Armeeposten (und einige Ministersessel) ruhig gestellt. Andererseits werden ihre Reihen dadurch geschwächt, dass viele libysche Kämpfer, die seit 2011 zusammen mit den zeitweise in Libyen sich aufhaltenden malischen Tuareg – die nach dem Sturz Gaddafis zurückkehrten - in Nordmali eingedrungen waren, das Land nunmehr verlassen. Am vorigen Donnerstag, den 18. Juni 15 meldeten malische Medien ihre massive Rückkehr nach Libyen; vgl. http://www.maliweb.net

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. [aktualisierte Version, eingestellt am 3.7.15]