trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

Spezialgericht - Massenarmut - ethnische Teilung
Eindrücke aus Kosova

von Max Brym

07/2015

trend
onlinezeitung

29. Juni 2015

Vergangene Woche war ich in Kosova und es war wieder einmal sehr lehrreich. An der Massenarmut , der fortgesetzten Privatisierung hat sich nichts geändert. Vor dem Parlament Kosovas gibt es seit einem Jahr und einem Monat, ein Zelt von ehemaligen Arbeitern einer Stahlröhrenfabrik aus Ferizaj . Die Arbeiter kämpfen für die ihnen zustehende Abfindung. Nach dem Gesetz stehen entlassenen Arbeitern 20 % vom Verkaufserlös privatisierter Betriebe zu. Das Geld wird ihnen allerdings verweigert und seit mehr als einem Jahr gibt es für die Arbeiter nur Versprechungen. Generell ist festzustellen, dass bei jeder Privatisierung im Schnitt 50 % der Arbeitsplätze wegfallen. Für die übrig gebliebenen Arbeiter existieren Arbeiterrechte nur auf dem Papier. Es fehlen weiterhin soziale Leistungen, es gibt keine öffentliche Krankenversicherung oder gar Arbeitslosengeld.

In Kosova regiert Armut, Perspektivlosigkeit und Verzweiflung. Für die massiv vorhandenen internationalen Institutionen ist jedoch die Lage in Ordnung, denn Sie gehen von dem Paradigma der Stabilität aus. Gleichzeitig arbeiten Sie mit der Regierung Kosovas als verlängerten Arm im EU Protektorat Kosova zusammen. Am vergangenen Freitag erhielten die „Internationalen“ und die mit ihnen verbundenen Kollaborateure allerdings einen Schlag mitten ins Gesicht.

Die EU will ein „Spezialgericht“ explizit für Kosova in Holland, mit einer Filiale in Prishtina installieren. Dieses Gericht soll außerhalb der Institutionen des Landes agieren. Der Unmut bei vielen Abgeordneten war groß. Vor dem Parlament demonstrierten ehemalige Angehörige der UCK gegen das Gesetzesvorhaben. Die meisten einfachen Kämpfer der UCK leben heute in Armut oder extremer Armut. Nach dem willen der Regierung Mustafa- Thaci, soll sich nun ein Spezialgericht außerhalb der Verfassung mit Ihnen befassen. Der ganze Vorgang belegt den Status Kosovas. Es gibt kein internationales Spezialgericht gegen die Verbrechen, welche von Serbien in Bosnien und Kosova ausgingen. Es gibt kein Spezialgericht in Kroatien. Nur in Kosovo soll es ein solches Gericht außerhalb der Institutionen des Landes geben. Der Widerstand dagegen ist enorm.

Am vergangenen Freitag fand nun eine außerordentliche Parlamentssitzung zu diesem Thema statt. Die Regierung warb massiv für eine Verfassungsänderung. Die Tribüne im Parlament -auf der ich mich befand- war voll mit internationalen Beobachtern. In der Cafeteria des Parlaments ereignete sich ein ernster Zwischenfall. Der holländische Botschafter Boch attackierte zwei weibliche Abgeordnete der „Bewegung für Selbstbestimmung“ ( VV). Er warf ihnen vor sich völlig falsch zu verhalten, weil sie dem Gesetz nicht zustimmen. Die beiden Abgeordneten Albulena Haxhiu und Puhie Demaku widersprachen dem Herrn Botschafter entschieden. Nach der Parlamentssitzung welche das Gesetzesvorhaben ablehnte forderte der Botschafter Hollands den Rücktritt der Abgeordneten Haxhiu. Vor der Abstimmung forderte der Abgeordnete der PDK, Nait Hasani, „eine geheime Abstimmung“ damit die Abgeordneten nicht unter Druck gesetzt werden können. Dieses Ansinnen fand keine Mehrheit. Ergo es wurde offen abgestimmt und die Namen der Abgeordneten aus den Reihen der PDK , welche dem Gesetzesvorhaben ihre Zustimmung verweigerten standen am nächsten Tag in allen Zeitungen.

Jetzt wird Druck auf die Abweichler ausgeübt. Zeitungen in Kosova berichten, dass besonders auch die deutsche Bundesregierung „enttäuscht sei“. Jetzt will Hashim Thaci , in Übereinstimmung mit bestimmten internationalen Faktoren, dennoch eine Art von Spezialgericht hinbekommen. Das ist allerdings ein Spiel mit dem Feuer. Der ganze Vorgang belegt, dass es in Kosova zwar ein Parlament gibt, indem abgestimmt werden darf, aber internationale Institutionen und Staaten, die Abstimmungsergebnisse zu ignorieren gedenken.

Die Ablehnung des Spezialgerichts ist in der Tat verständlich. Normale Menschen auf der Straße sagen einem: „Warum gibt es kein Spezialgericht für die serbischen Verbrechen in Kosova und Bosnien.“ In der Tat, diese Leute haben recht. Bestimmte schlecht informierte Kreise in Deutschland werden mit Sicherheit die Behauptung aufstellen, dass doch Verbrechen in Kosova bestraft werden müssen. Damit haben Sie selbstverständlich recht. Sie sollten sich nur die Frage stellen warum ethnisch spezifiziert nur Kosova-Albaner beschafft werden sollen. Dieser Vorgang rehabilitiert die serbischen Tschetniks und ihre Verbrechen. Zudem ist der Vorgang, um die Abstimmung ein Beispiel dafür wie sich bestimmte mächtige europäische Staaten, Demokratie in Europa vorstellen. Letztendlich soll alles durch die großen Mächte in Europa bestimmt werden. Das ist keine Demokratie sondern ein Diktat der führenden europäischen Mächte. Die Menschen in Kosova verlangen Demokratie und Selbstbestimmung. Sie haben auch Interesse an normalen Gerichten, welche im Land agieren. Einzelne Verbrecher wie der ehemalige Bürgermeister von Skenderaj, Sami Lushtaku, wurde kürzlich wegen Mord zu zwölf Jahren Gefängnis in Kosova, durch ein kosovarisches Gericht verurteilt. Ein „Internationales Sondergericht“ hat nur die Funktion neuerlich ein koloniales Instrument in Kosova zu schaffen. Das Verhalten des holländischen Botschafters im Parlament war absolut inakzeptabel. In jedem souveränen Staat würde er sofort zur Persona „Non Grata“ erklärt werden.