trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

"Prishtina muss allen gehören"
Interview mit Liburn Aliu

07/2015

trend
onlinezeitung

25. Juni 2015

Am vergangenen Dienstag führte ich ein Interview mit dem „Direktor für Stadtentwicklung“ (Urbanistik) in der Stadt Prishtina. Liburn Aliu gehört der „ Bewegung für Selbstbestimmung“ VV an und war einige Jahre ein sehr bekannter Parlamentsabgeordneter von VV. Liburn Aliu ist gelernter Architekt und kümmert sich seit VV die Bürgermeisterwahl in Prishtina gewonnen hat vor 2 Jahren, um die Stadtentwicklung.

Max Brym: Herr Aliu wie viel Einwohner hat Prishtina offiziell und wie viel Menschen leben tatsächlich in der Stadt?

Liburn Aliu : „Registriert sind in Prishtina 180.000 Einwohner. Wir müssen aber von der doppelten Zahl von Bewohnern ausgehen. Die Einwohnerzahl ist nach dem Krieg sehr angewachsen. Gleichzeitig sind Leute in Prishtina registriert, wie die Bürgermeisterin von Gjakova. Hier muss einiges getan werden.“

Max Brym:  Was sind die drängendsten Probleme der Stadtentwicklung und die Schwerpunkte ihrer Arbeit ?

Liburn Aliu: Erstens Die Stadt hat sich unter der alten Stadtregierung wild und im wesentlichen zugunsten von privaten Firmen und bestimmter Clans entwickelt. Mit dieser Politik muss entschieden gebrochen werden. Es wurde viel öffentlicher Grund an Privatleute faktisch verschenkt. Die Preise für öffentliche Grundstücke waren ein schlechter Witz. Mit dieser Politik ist jetzt Schluss. Kein öffentlicher Grund wird mehr an Spekulanten verschenkt. Jedes Bauvorhaben muss genehmigt werden. Es geht nicht, dass ohne Genehmigung ein Bau neben dem anderen hoch gezogen wurde. Oft haben Leute eine Wohnung erworben, um dann im dunklen zu sitzen, denn fünf Meter daneben hat ein Bauträger ein Hochhaus hochgezogen. Oft wurden dabei mehr Stockwerke hochgezogen als offiziell genehmigt waren. Oftmals wurden auch Sicherheitsstandards beim Bau der Häuser ignoriert.

Max Brym: Was soll sich grundsätzlich ändern wie sieht es mit sozialem Wohnungsbau aus.

Liburn Aliu: Wir kommen jetzt zum zweiten wichtigen Punkt. Bezahlbarer Wohnraum muss wieder durch die öffentliche Hand im Zentrum Prishtinas entstehen. Wir hatten die Tendenz die ärmeren Leute an den Stadtrand zu drängen. Damit ist jetzt Schluss. Prishtina muss allen gehören und finanzierbar sein. Die öffentlichen Interessen müssen im Vordergrund der Stadtentwicklung stehen nicht der private Profit. Es muss öffentlicher Grund für sozialen Wohnungsbau ausgewiesen werden. Wir benötigen breitere Straßen, Fußgängerwege und Wege für Radfahrer. Für letztere ist bis dato die Fahrt durch Prishtina ein lebensgefährliches Abenteuer. In den Stadtvierteln müssen die Menschen Platz haben. Wir planen neue Grünflächen in Prishtina. Zudem erreichbare Kindergärten und Schulen. Außerdem muss in jedem Stadtteil ein medizinisch technisches Zentrum entstehen. In den Stadtvierteln muss es öffentliche Plätze geben, an denen sich die Leute treffen können. Nicht nur Straßen die eng sind mit wildem Autoverkehr.

Max Brym:  Der Verkehr in Prishtina ist wirklich eine Katastrophe. Wie soll das geändert werden ?

Liburn Aliu : Dort wo es möglich ist werden die Straßen verbreitert. Elementar setzen wir aber auf die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs. Wir setzen auf günstige öffentliche Verkehrsmittel. Diese müssen pünktlich und behindertengerecht verkehren und zugänglich sein. Wir benötigen andere Busse, anstelle der Schrottbusse welche beispielsweise in Deutschland ausgemustert wurden und jetzt in Prishtina fahren. Also moderne Verkehrsmittel öffentlicher Verkehr statt wilder privater Automobil-jagten im Zentrum der Stadt. Der Masse der Autos müssen an den Stadtrand. Im Zentrum muss der öffentliche Verkehr dominieren.

Max Brym: „Sorry Herr Aliu für mich wirkt Prishtina ziemlich wild zusammengeschustert und nicht besonders schön. Wie soll sich das ändern ?

Liburn Aliu: Prishtina wird von seinen Bewohnern geliebt. Wir müssen die Geschichte der Straßen und Plätze wieder ästhetisch und architektonisch betonen. Unsere Straßen haben wieder Namen, die Wasserversorgung wurde verbessert. Die alte Stadtregierung setzte was die Wasserversorgung betrifft nur auf die privilegierten Objekte in der Innenstadt. Gleichzeitig entstand der „Mutter Theresa Platz“ vor dem Parlament als Renommierobjekt. Ich denke dieser Platz muss seinen Charakter grundsätzlich ändern. Bis dato flanieren dort privilegierte Beamte, reiche Leute und Touristen, dazu jede Menge Bettler. Dieser Platz muss von der Bevölkerung allerdings für Kundgebungen und Proteste gegen die Regierung genützt werden. Der Mutter Theresa Platz muss von der Zivilgesellschaft für massive Proteste erobert werden. In den Stadtvierteln benötigen die Menschen öffentliche Plätze um sich zu erholen und um zu reden. Sie sehen wir arbeiten und planen für die öffentlichen Interessen.


Max Brym: Herr Aliu wir danken Ihnen für das Gespräch.