Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Gentrifizierung als Begriff

Eine Stellungnahme aus der Mailingliste "wemgehoertkreuzberg"

von Ulli Zedler

07/2016

trend
onlinezeitung

Redaktionelle Vorbemerkung: In der Mailingliste wurde ein Gentrifizierung feiernder Kommentar von Götz Aly in der Berliner Zeitung von Ulli Zedler zum Anlass genommen, den Gentrifizierungsbegriff mit Bezug auf Häußermann/Siebel dagegenzustellen.

Hallo Freunde,

Es ist leider, und das ist erforscht, bei der Gentrifizierung so, dass die ersten, die in die potenzielle Gentrifizierungsgegend ziehen bzw. vorstoßen, die sind, die dann als erstes wieder verdrängt werden.

Gentrifizierungsgefährdet sind innenstadtnahe, dicht bebaute aber zerfallende Stadtgebiete mit altem Baubestand und oftmals einer Mischung als altem Wohnbaubestand und altem kleinteiligem Gewerbe. Ist diese Substanz genügend stark verrottet, ziehen immer mehr Menschen dort weg, z.B in das Neubau-EfH oder die Neubauwohnung am Stadtrand oder auch in bereits gentrifiziertere Gegenden. Gewerbetreibende ziehen weg z.B. in neue gut erschlossene Gewerbegebiete, oder geben schlicht auf (Alter, Umsatzrückgang).

Dadurch sinkt die Kaufkraft, denn lediglich die A-Gruppen (Ausländer, Ausgegrenzte, Arme, Alte, Asoziale) bleiben, erstens weil die Mieten niedrig sind, und zweitens weil sie sich nicht besseres leisten können.

Die B-Gruppen (Besserverdienende, Beamte, Bürger, Bonzen) hingegen verschwinden, zunehmend. Sie nervt Dreck, Gestank, Müllhaufen, Scheißhaufen, kaputte Dächer und Regenrinnen, nicht mehr investitionsbereite Hausbesitzer die nur noch „auscashen“, also nur das Allernotwendigste machen und die Miete einkassieren, deshalb ziehen sie weg.

Es stoßen Studenten nach in die leerstehende und billig anzumietende Wohnsubstanz, und Künstler. Kreative, Innovative und Freaks mieten die Gewerbeeinheiten für kleines Geld an, denn die Vermieter sind froh, überhaupt noch irgendwelche Mieter für diese nicht mehr „marktgängige“ Substanz zu finden.

Und nun nimmt die verhängnisvolle Entwicklung ihren Lauf, zunächst punktuell, unbemerkt langsam, dann mit zunehmendem Schwung und höherer Wucht.

Die so genannten „Pioniere“, also Studenten, Künstler. Kreative, Innovative und Freaks, begleitet von z.B. Gewerbetreibenden, die Studentencafes usw. für das zuziehende Studentenklientel schaffen, generieren im morbiden Charme des weiter vor sich hingammelnden Stadtteils eine bunte, kreative Vielfalt. Die ersten Investoren beginnen, dem Braten zu riechen, sie kaufen sukzessive zunächst einzelne, sehr verrottete, aber z.B. durch Stuckelemente oder bevorzugte Lage sich auszeichnende Bauten, oder Baulücken auf, und beginnen, zu investieren. Die Stuckaltbauten werden erhaltend saniert, die Baulücken mit Baugruppenprojekten oder Zwischennutzungen wie z.B. Wohn/Arbeitscontainern für Künstler oder einem Club vom Typ „Wilde Renate“ ausgestattet. Dadurch gewinnt das Gebiet weiter an Attraktivität, es wird „in“. Nun beginnen die Grundstückpreise langsam Fahrt aufzunehmen, der spekulative Teil mit häufigeren Eigentümerwechseln und Projektentwicklungen startet.

Und jetzt ratet mal, was mit den „Pionieren" geschieht? Richtig. Die zunehmende Attraktivität des Gebiets, die sie selbst mit oft viel Eigeninitiative aber wenig Geld geschaffen haben, führt genau dazu, dass sie Kündigungen oder Änderungskündigungen bekommen und entweder mehr löhnen oder raus müssen.

Spulen wir mal 10 Jahre weiter vor, dann ist dort neben sehr chicken in-Läden und Wohnquartieren a la Belle-Kolle, also ab 3.000 €/qm aufwärts, Mieten ab 11 Euro nettokalt aufwärts, das Gebiet komplett durchverändert. Einer nach dem anderen Pionier fliegt raus, es sei denn er kann sich anpassen, also zieht gentrifizierungstechnisch sprich finanziell mit der Entwicklung mit. Das schaffen allerdings die Wenigsten.

Ungewollt sind die Pioniere also Opfer des eigenen Erfolgs geworden, und nch schlimmer, sie haben ihn in ihrer bunten Vielfalt überhaupt erst möglich gemacht.

Dieses Strickmuster ist systematisch wir finden es also in unterschiedlicher Intensität in allen Gentrifizierungsgebieten.

Ist so. Würde mir auch wünschen dass es anders wäre, ist es aber nicht.


Beste Grüße!
Ulli Zedler
(Dipl. Ing, Stadt- und Regionalforscher)

 

 

Zusendung per Email am 11. Juli 2017