Lässt
sich durch Humor Antisemitismus bekämpfen? Ja,
meint jedenfalls der Schauspieler und Filmemacher
Yvan Attal, indem er mehrere Stereotype auf die
Schippe nimmt, die dem antisemitischen Ressentiment
einige seiner Argumentationsgrundlage liefern.
Der im Januar 1965 in Tel Aviv
geborene Sohn algerisch-jüdischer Eltern wuchs in der
Pariser Vorstadt Créteil auf. Er ist auch bekannt als
Lebensgefährte von Charlotte Gainsbourg – mit ihr
spielte er 1991 zusammen in einem Film, Aux
yeux du monde, und er lässt sie auch in
seinem neuen Film zum Thema Antisemitismus auftreten
– sowie als französische Stimme von Tom Cruise in
mehreren Verfilmungen.
Sein neuestes Werk also heißt
Ils sont partout., dauert eine Stunde
und 51 Minuten und kam in diesem Juni in die
französischen Kinos. Ils sont partout,
das bedeutet wörtlich: „Sie sind überall“. Genauso
lautet die geraffte Zusammenfassung eines auf der
Vorstellung jüdischer Allmacht basierenden
Ressentiments – aus genau diesem Grund wurde eine
auflagenstarke, nazifreundliche Zeitung im Frankreich
der 1930er und 1940er Jahre sarkastisch Je suis
partout benannt.
Yvan Attal spielt in seinem Film
sich selbst und heißt
dort: Yvan. Zu Anfang sitzt er auf der Couch eines
Psychotherapeuten, der durch einen echten Psychiater
gespielt wird, in Gestalt von Tobie Nathan – er war
vor zwanzig Jahren zeitweilig wegen seiner Thesen zur
„Ethnopsychiatrie“ für Minderheiten und zur
Frauenbeschneidung in afrikanischen Communities
umstritten.
Der Patient leidet unter der
Wahrnehmung, dass es einen Anstieg des Antisemitismus
gebe. Er zitiert den Mordfall des jungen Juden Ilan
Halimi, der vor nunmehr zehn Jahren in einer Pariser
Vorstadt gefangen gehalten, misshandelt und getötet
wurde, weil eine kriminelle Bande die fixe Idee
hatte, wonach „Juden eben Geld haben“, sowie die
beiden Terroristen Mohamed Merah und Amedy Coulibaly.
Beide Jihadisten töteten, Anfang 2012 und Anfang
2015, neben anderen Opfern jüdische Kinder
beziehungsweise jüdische (oder für jüdisch gehaltene)
Supermarktkunden. Doch seine Umgebung, fährt Yvan
fort, nehme seine Wahrnehmung als Verfolgungswahn
wahr. Deswegen wolle er sich behandeln lassen. Aus
diesem Grund stürzt Yvan – hier der fiktive – sich
auch in ein Filmprojekt.
In diesem Zusammenhang hat er
immer wieder Träume, die er seinem Psychiater
schildert. Deren verfilmte Szenen unterbrechen
jeweils die Handlung, die sich rund um die Couch
abspielen, und machen die einzelnen Stränge von
Ils sont partout aus. Jede für sich könnte
aber auch einen eigenen, viertel- oder halbstündigen
Film handeln. In der Mehrzahl der Fälle würde es sich
dann jeweils um eine Komödie handeln.
Jeder dieser Stränge behandeln
eines der Argumente oder Pseudoargumente, in die
antisemitische Ressentiments gekleidet werden. Es
beginnt mit dem Thema der verschleierten Identität,
hinter der sich Juden versteckten. Der erste Film im
Film behandelt so das Schicksal des rechtsextremen
Politikers Boris Vankelen. Es ähnelt dem, das einem
Abgeordneten der ungarischen antisemitischen
Jobbik-Partei tatsächlich widerfuhr, dem eigenes
Tages bekannt wurde, dass er jüdische Vorfahren
hatte.
Die Ehefrau des Filmprotagonisten,
Eva, ist die Chefin einer fiktiven Partei: des
Mouvement national de France (MNF). Nahezu
alle Einzelheiten lassen diese als Wiedergängerin des
real existierenden Front National (FN) erscheinen –
welcher sich auch selbst als mouvement national
français bezeichnet, zudem heißt
eine Abspaltung von ihm MNR (für Mouvement
national républicain). Allerdings ist der
fiktive MNF auf eine Weise plakativ antisemitisch,
wie der echte FN es so niemals war, sondern stets nur
im Subtext und in Anspielungen seines früheren
Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen. Eva ist, wie dessen
Tochter Marine, die Erbin der innerparteilichen Macht
qua familiärer Abstammung. Doch ihr Mann, Boris,
erfährt bei der Beeerdigung seiner Großmutter
mütterlichseits plötzlich, dass diese Jüdin war. Nach
der Thora, schlussfolgert Vankelen, sei er deswegen
aufgrund mütterlicher Abstammungslinie ebenfalls
Juden. Im wirklichen Leben hat übrigens Marine Le
Pens Lebensgefährte, Louis Aliot, tatsächlich eine
jüdische Großmutter.
Das Ende vom Lied ist allerdings,
dass Boris Vankelen dieses Argument auch noch zum
eigenen Vorteil einsetzt. Seine Frau, die bis dahin
Spitzenkandidatin war, täuschte eine Krebserkrankung
vor und tritt ihm die Kandidatur ab. Die Partei
befindet sich bei 46 Prozent in den Umfragen und
steuert auf einen Wahlsieg zu. In einer Fernsehshow
wettert Vankelen zunächst über die jüdische Macht im
Finanz- und Bankensektor. Darauf konfrontiert ihn
die, anscheinend gut informierte, Moderatorin
unerwartet mit der Existenz seiner jüdischen
Vorfahrin. Doch Vankelen nutzt den Moment – nach
kurzem aber sichtlichem Zögern -, um zu erklären,
daran sehe man doch, dass seine Partei gar nicht
antisemitisch sein könne, wie man ihr vorwerfe.
In einem weiteren Strang geht es
um das unvermeidliche Paar „Die Juden und das
Geld“. Pascal Bensoussan, Sohn algerischer
Juden, lebt mit seinen alten Eltern in einer
heruntergekommenen banlieue und hat
keine Arbeit. Seine Ex-Frau Mathilde – welcher er
Unterhalt für die gemeinsame Tochter schuldet – und
seine Freunde werfen ihm immer wieder vor, er sei
„der einzige Jude, der kein Geld hat“, und
deswegen ein ganz besonderer Looser. Da er den Druck
nicht mehr erträgt, erklärt er seinem schockierten
Vater Maurice, er trete mit sofortiger Wirkung aus
dem Judentum aus. Gleichzeitig verdingt er sich als
Gehilfe bei seinem Freund und Nachbarn Eric, der sich
als Drogendealer betätigt.
Doch sein Vater Maurice, bis dahin
selbst arm wie eine Kirchenmaus, gewinnt unverhofft
500.000 Euro im Lotto. Er hilft finanziell zwar nicht
seinem enterbten Sohn, aber dessen Ex-Frau Mathilde.
Diese wird am Schluss allerdings von den
Dealerfreunden ihres Mannes, die das spitzbekommen
hatte, überfallen. Im realen Leben war das Thema
„arme Juden, die in Trabantenstädten leben“ übrigens
eines der Themen bei der Großdemonstration
nach der Ermordung von Ilan Halimi im Februar 2016.
Das nächste Thema lautet:
„Die halten alle zusammen.“ Entgegen gesetzt
wird ihm ein anderes Klischee, das der Haare
spaltenden und ewig streitenden Thora-Schüler. Zwei
vollbärtige orthodoxe Thora-Studierende streiten sich
intensiv über die Frage: „Kommen ein
russschwarzer und ein weiß
gebliebener Schornsteinfeger
aus dem Kamin. Welcher wäscht sich zuerst?“
Nun, der pechschwarze, weil er schmutziger ist? Oder
der andere, weil er den Schmutz am Erstgenannten
sieht, der rabenschwarz gewordene sich jedoch für
sauber hält, weil er den weiß
gebliebenen Kollegen vor Augen hat? Oder aber, könnte
man nicht denken, dass...? Das Problem hierbei dürfte
sein, dass hier ein Stereotyp demontiert werden soll,
jedoch ein anderes bestätigt wird.
Beim Klischee „Sie haben
Jesus getötet!“ wird schließlich
ein Mossad-Agent, Norbert, mit einer neu erfundenen
Zeitmaschine in die Vergangenheit geschickt: Er soll
Jesus Christus dezent beseitigen, damit die
Bibelgeschichte ihre Grundlage verliert! Norbert
landet ein erstes Mal im Bethlehem von vor 2.000
Jahren, wird für einen Propheten gehalten und macht
sich diesen Status zunutze, um heftigst die Frauen
anzubaggern. Dabei gerät er aus Zufall an eine
gewisse Maria, deren Ehemann Joseph rasend
eifersüchtig wird. Seine Vorgesetzten holen den
Agenten in aller Eile zurück, akzeptieren jedoch nach
einigem Zögern, ihn erneut loszuschicken. Dieses Mal
endet Norbert, an Jesus Christus statt, am Kreuz. Die
Kleidung der Chronisten und der Stil erinnern in
diesem Kurzfilm im Film stark an „Das Leben des
Brian“.
In
einer weiteren Einstellung geht es schließlich
um den Vorwurf einer Instrumentalisierung des
Shoah-Gedenkens durch die Juden. Ein rotschöpfiger
Mann, der ein Appartement direkt über der
Shoah-Gedenkstätte im französischen Drancy bewohnt,
kommt auf die Idee, seinerseits Gedenkveranstaltungen
und Protestdemonstrationen zum Thema Benachteiligung
der Rothaarigen zu organisieren. Alsbald machen
diverseste Gruppen auf ihre jeweils erlittene
Benachteiligung aufmerksam: Blonde,
Alzheimer-Kranken.. Bei einer Gedenkveranstaltung für
das von Alzheimer-Kranken erlittene Unrecht versucht
man, einen alten Mann dazu zu bringen, sein
Gedächtnis zu trainieren und die Alzheimer-Folgen zu
überwinden. Er soll sich an seine Telefonnummer
erinnern, scheitert jedoch und nennt immer und immer
wieder eine falsche Zahlenfolge. Dann stellt sich
jedoch heraus, dass die Nummer, die er immer wieder
nennt, seine auf dem Unterarm eintätowierte KZ-Nummer
ist. Die Pointe in dieser Szene erinnert daran, dass
die Erinnerung an die Shoah eben doch stärker und
anderer Natur ist als all die anderen, negativen
Lebenserfahrungen.
Schließlich
endet der Film mit der Darstellung eines imaginären
Referendums. Weil es
Frankreich an Geld mangele, schlägt ein ebenso
imaginärer Präsident – dessen Züge im Film jedoch
stark an François Hollande erinnern – vor, das Land
kollektiv zum Judentum zu konvertieren, um die
Finanzlage aufzubessern, falls dieser Vorschlag in
einer Abstimmung angenommen werde. 68 Prozent stimmen
dafür.
Könnte Yvan Attals Film dazu
beitragen, antisemitische Klischees lächerlich zu
machen und ihnen dadurch teilweise den Boden zu
entziehen? Möglicherweise ja, meinen viele
Kinokritiker wie Nicolas Rieux beim Filmportal
Mondocine. In diesem Falle nein, kontert Samuel
Douhaire in der Kulturzeitschrift Télérama.
Auch er hält die Methode grundsätzlich für möglichen
Erfolg versprechend und erinnert an den Film
Les aventures de Rabbi Jacob, der bereits vor
vierzig Jahren antisemitische Vorstellungen durch den
Kakao gezogen habe. Doch, fährt er fort, Ils
sont partout sei nicht lustig genug. Allein
die Szenen um den rechtsextremen „Boris Vankelen“
hätten ihm ein Lächeln abgewinnen können.
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