G20 – das war’s!
Presseerklärung des Bündnisses „Welcome to Hell“
Samstag 8.7.2017
Ziel des Protestes gegen den G20 war
es, seine planmäßige Durchführung zu be- oder sogar
zu verhindern, ihn empfindlich in seinem Ablauf zu
stören oder wenigstens die Glitzershow mit ihren
scheinheiligen „Familienfotos“ zu beschmutzen und
den Teilnehmer*innen die ideologi-sche Soße eines
politisch substanziellen Kaffeeklatschs zu
versalzen. Diese Ziel haben wir er-reicht.
Der Kapitalismus ist ein
gesellschaftliches Herrschafts- und
Gewaltverhältnis, das eine Schneise der Verwüstung
hinter sich herzieht: ökologisch, ökonomisch,
gesellschaftlich. Eine Schneise der Verwüstung, die
Menschen, besonders, aber nicht nur jenseits der
Metropolen, allerorten die Lebensgrundlage
entzieht. Der ausgerufene Siegeszug des
Kapitalismus ist für viele Menschen nicht weniger
als die Hölle auf Erden. Wenn wir unser Bündnis
„Welcome to Hell“ genannt haben, dann meinten wir
genau das: Den Herrschenden ihr G20-Treffen in
Hamburg ansatzweise zu der Hölle zu machen, die sie
zu verantworten haben und für die sie stehen.
Unser Rückblick auf den Freitag und
Samstag steht noch unter dem ermutigenden Eindruck,
nach der brutalen Zerschlagung unserer
Demonstration am Donnerstag ein hohes Maß an
spektrenübergreifender Solidarität erfahren zu
haben. Es hat sich am Freitag gezeigt, wie wichtig
und wirkungsvoll es war, zu einem entscheidenden
Zeitpunkt – unmittelbar vor Beginn des Gipfels –
alle Spaltungsversuche von außen entschieden zurück
zu weisen und auch die differierenden
Einschätzungen über Formen und Inhalte des
Protestes soweit zurückzustellen, dass die Tage
gestern und heute insgesamt zu einem Erfolg werden
konnten. Es hat sich gezeigt, wie vielfältige und
unterschiedliche Formen des Widerstands sich zu
einer erfolgreichen Gesamtdynamik entwickeln
können.
Aus unserer Sicht haben wir das von
allen Spektren und Organisationen gemeinsam
formulierte Ziel erreicht: Der Gipfel konnte am
Freitag nicht ungestört und reibungslos ablaufen.
Schon gar nicht, ohne dass die massive und
vielschichtige Kritik daran und ihr praktischer
Ausdruck in Aktionen auf der Straße die
Berichterstattung über das Gipfelgeschehen nicht
zeitweise sogar überlagert hätte. Die politische
und polizeiliche Strategie, den Protest auf ein
zahnloses, harmloses, als Demonstration der
Meinungsvielfalt und -freiheit zu vereinnahmendes
Maß zurück zu stutzen, ist ins Leere gelaufen.
Wir verstehen uns und unseren
Protest als Teil eines vielfältigen Spektrums von
linken Gruppen, Positionen, Organisationsansätzen
und politischen Ausdrucksformen. Innerhalb dieses
Spektrums stehen wir dafür, dass wir uns nicht auf
den viel zitierten „friedlichen“ Protest reduzieren
lassen wollen. Zielgerichtete Militanz ist für uns
eine Option und ein Mittel, um über eine rein
symbolische Protestform hinauszukommen und direkt
und wirksam in Ereignisse, Prozesse und
Entwicklungen verändernd einzugreifen.
Zielgerichtet heißt zum einen, dass sie einen Zweck
verfolgt, der mit den gewählten militanten Mitteln
auch erreichbar ist. Zum anderen, dass Folgen und
Risiken einschätz- und verantwortbar sind. Ein
kleiner gemeinsamer Nenner ist in unserer Szene in
der Regel auch immer wieder dort gefunden worden,
wo es darum ging, die körperliche Unversehrtheit
Dritter zu achten.
Mit Blick auf die Dynamik, die sich
gestern Abend im Schanzenviertel entwickelte, sind
wir noch nicht zu einer gemeinsamen abschließenden
Einschätzung gekommen. Ein paar Punkte wollen wir
dennoch bereits jetzt anmerken:
Es lässt uns – bei allen
Unterschieden in Nuancen der Wahrnehmung und
Bewertung – natürlich nicht unberührt, wenn am
gestrigen Abend in der Schanze eine Dynamik
entstand, die von dort anwesenden oder wohnenden
Menschen als Bedrohung wahrgenommen wurde und
offenbar auch bedrohliche Situationen produziert
hat. Der Gipfel ist nun vorbei und es ist Zeit
genug, eine genaue Rekonstruktion und Auswertung
aller Einzelaktionen auch des Freitagabends
vorzunehmen und das auch über unsere Szene hinaus
zu diskutieren.
Klar ist, dass wir diese Diskussion
nicht im Rahmen aufgeheizter medialer
Berichterstattung führen wollen und werden, und uns
auch nicht in Debatten darüber verstricken wollen,
wie „das Viertel“ die ganzen Ereignisse bewertet.
„Das“ Viertel gab es noch nie. Und so haben wir
auch gestern und heute Stimmen gehört, die genervt
oder wütend waren, oder alles und uns einfach nur
Scheiße fanden. Aber ebenso wurde auch reichlich
Sympathie und Solidarität zum Ausdruck gebracht.
Ein weiterer Punkt ist die
Polizeipropaganda. Dass die Polizei lügt wie
gedruckt, um die öffentliche Meinung und die
Geschehnisse in einer Weise zu beeinflussen, die
ihnen möglichst weite Handlungsspielräume und eine
Legitimation verschafft, ist in den Tagen des
Widerstands gegen den G20 mehrfach offenkundig
geworden. Dass sich dies nun noch verschärft in
einer Situation, in der der Druck auf Politik und
Polizei zunimmt und von Scholz über Grote und
Steffen bis hin zu Dudde, Ferk und Zill alle um
ihren Job fürchten müssen, ist klar.
Wenn die Polizei erst ihre
Zögerlichkeit und anschließend den Einsatz von
schwer bewaffneten Sondereinsatztruppen damit
erklärt, sie habe „Hinweise“ gehabt, dass auf den
Dächern Gehwegplatten gestapelt und massenhaft
Molotow-Cocktails vorbereitet worden seien, dann
darf dies ernsthaft bezweifelt werden. Bislang hat
die Polizei keine ihren Behauptungen entsprechende
Belege präsentiert. (Die werden sie aber bei
Nachfrage sicher irgendwo ausgraben können.)
Diese Taktik, Einsätze durch vorher
gestreute Gerüchte zu rechtfertigen, die sich dann
im Laufe der Medienberichterstattung zu
vermeintlichen Tatsachen verfestigen, hat sich
bereits während der „Welcome to Hell“-Demo gezeigt
und zuletzt bei der Razzia der B5, die wieder mit
„Hinweisen“ gerechtfertigt wurde, es würden dort
Brandsätze vorbereitet. Eine Behauptung, die sich
im Zuge der Durchsuchung in Luft auflöste.
Am Freitagabend war die Polizei
offenbar tatsächlich von der Vehemenz der
Auseinandersetzung überrascht und damit
überfordert. Es drängte sich aber auch der Gedanke
auf, dass die Gelegenheit für taktisches Agieren
mehr als dankbar aufgegriffen wurde. Im
martialischen Ausdruck des mit Maschinenpistolen
bewaffneten SEK im Wohnviertel und inmitten teils
angetrunkener Schaulustiger und in den verwendeten
Bürgerkriegsmetaphern sehen wir auch Kalkül. Es
könnte darum gehen, rückwirkend alle gelaufene
Härte und Brutalität zu rechtfertigen und sich
öffentlichkeitswirksam Rückendeckung zu holen für
das, was von Politik und Sicherheitsapparat
gegebenenfalls als repressive Antwort noch kommen
wird.
Es könnte auch darum gehen, einen
letzten präventiven Versuch der Spaltung der
Bündnisse zu unternehmen und die
spektrenübergreifenden Solidarität zu untergraben.
Nach der großen und ausdrucksstarken Demonstration
am heutigen Samstag, wagen wir jedoch weiterhin zu
bezweifeln, dass das funktionieren wird.
Das waren erfolgreiche Tage!
Liebe und Kraft für alle Verhafteten und
Verletzten!
Auf zur Anti-Knast-Demo „Nobody forgotten, nothing
forgiven!“ morgen um 12.00h!
G20 to Hell!
Quelle:
https://g20tohell.blackblogs.org/
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