Ein Gruß aus
der Zukunft
Mitteilung des ..ums
Ganze!-Bündnis zum Verlauf der G20-Proteste in
Hamburg
11.7.2917
Es ist ja nicht
so, dass sie es nicht versucht hätten. Wie kaum
zuvor haben „Sicherheitsbehörden“ und etablierte
Politik zum G20-Gipfel aufgeboten, was dem
bürgerlich-demokratischen Staat so an repressiven
und ideologischen Apparaten zur Verfügung steht, um
Proteste klein und die Lage unter Kontrolle zu
halten. Erst mediale Einschüchterung, Camp- ,
Einreise- und Übernachtungsverbote, Aufhebung der
Versammlungsfreiheit und Polizeiputsch gegen die
Justiz, Militarisierung der Polizei, Spaltung des
Protestes durch die Grünen, die während des Gipfels
eine Kundgebung organisierten, die sich
ausdrücklich nicht gegen diesen richtete und zum
„Haltung zeigen“ für „unsere Lebensart“ aufrief.
Dann während des Gipfels fast 20.000 Polizisten mit
dem Berufssadisten Dudde als Einsatzleiter,
dutzende Wasserwerfer, Räumpanzer, Pferde- und
Hundestaffeln, Massenverhaftungen,
Hubschrauberflatrate und Sondereinsatzkommandos mit
scharfen Waffen, die in einer Brutalität gegen
linke Camper*Innen, autonome Demonstrant*Innen,
Viertelbewohner*Innen, Journalist*Innen und
Sitzstreiks von Geflüchteten vorgingen, dass es
schon dutzende Schwerverletzte gab, bevor der
Gipfel überhaupt begonnen hatte – und ein Wunder
ist, dass niemand ums Leben kam. Mit anderen
Worten: Der Polizeieinsatz zum G20-Gipfel war
tatsächlich ein „Schaufenster moderner
Polizeiarbeit“ (Andy Grothe, SPD), das uns einen
direkten Blick auf die autoritäre Wende des
Neoliberalismus im Herz des europäischen
Kapitalismus eröffnet hat. Allein: Es hat alles
nichts genützt.
Wo der
Innenminister angekündigt hatte, man werde jede
Militanz „im Keim ersticken“ knallte es stundenlang
– und dass mit einer Beteiligung und Freude, wie es
sie lange nicht mehr gab. Wo er ankündigte, dass
man keine „verbotenen Symbole“ dulden werde um
seinem Geschäftspartner in der Flüchtlingsabwehr,
dem lupenreinen Demokraten Erdogan, zu gefallen,
wurde eine riesige PKK-Fahne auf der Großdemo
stundenlang quer durch die Hamburger Innenstadt
getragen. Wo die herrschenden Charaktermasken mit
Nachdruck dazu aufrief, dass man sich bitte nicht
mit den Linksradikalen gemein machen solle, kamen
„trotz und wegen“ der Randale am Freitag über
80.000 Menschen auf die gemeinsame Abschlussdemo am
Samstag. Während dessen waren auf der
Regierungsdemo weniger als 5000 Menschen. Und
während der Betrieb des wichtigsten deutschen
Hafens zu „jeder Zeit gewährleistet“ sein sollte,
braucht die Betreibergesellschaft nun fast drei
Tage um den „blockadebedingten Rückstau“
aufzulösen. Diese Aufzählung könnte man fortsetzen,
was bleibt ist: Die Strategie des rechten
SPD-Senates, den Protest durch teilweise
Integration zu spalten und den radikalen Rest mit
Kriminalisierung klein zu halten, ist gescheitert.
Die Eskalationsspirale, an der die Polizeiführung
in einem selbst erklärten Ausnahmezustand so munter
tagelang gedreht hat, ist ihr mit Karacho um die
Ohren geflogen. Daran zeigt sich auch der Erfolg
vergangener Bewegungen in Hamburg, der sich in
einer Stimmung ausdrückte, die den beliebten Slogan
„ganz Hamburg hasst die Polizei“ häufig erstaunlich
wenig aufgesetzt wirken ließ. Durch die
Vielfältigkeit von Aktionsformen und Spektren ist
es zumindest kurzzeitig gelungen, gegen den
inszenierten Showdown zwischen autoritärem
Neoliberalismus und nationalistischem Rollback
endlich wieder die dritte Option eines
grenzübergreifenden Widerspruchs auf die
Tagesordnung der Weltöffentlichkeit zu setzen. Das
ist mehr als ein taktischer Sieg, denn damit wurde
zugleich die heuchlerische Inszenierung des
Exportweltmeisters Deutschland als „Hort von
Vernunft und Demokratie“ durchkreuzt.
Die Vielfalt der
Aktionsform hat sich dabei praktisch ergänzt, auch
wenn das einige lieber nicht so laut sagen wollen.
Denn ohne militante Aktionen an anderer Stelle, die
viel Polizei gebunden haben, wären wohl weder die
Blockadefinger noch die Hafenblockade so relativ
erfolgreich gewesen. Inhaltlich haben die
verschiedenen Aktionen, wie die Blockaden der
Gipfelteilnehmer, der Bildungsstreik und die
Blockade im Hafen zudem tatsächlich das Bild eines
#HamburgCityStrike ergeben, dem es um mehr als nur
das Rütteln am Zaun der Mächtigen ging: Nämlich um
die Kritik kapitalistischer Herrschaft als Ganzer.
Für unseren Teil können wir sagen, dass die
Logistik einer Gesellschaft in der Menschen
ertrinken müssen, während Waren frei fließen
dürfen, nicht nur blockiert gehört, sondern
erfreulicherweise auch blockiert werden kann. Wie
eine antikapitalistische Praxis aussehen kann, die
an diese Erfahrung anknüpft und die Logistik des
Kapitals mehr als nur symbolisch unterbricht,
darüber wird nun in der nächsten Zeit zu reden
sein. Nicht vergessen dürfen wir auch all jene
Freund*Innen, die nun immer noch im Gefängnis
sitzen bzw. im Krankenhaus liegen: Unsere
Solidarität ist euch sicher.
Natürlich: Auch
dieses Mal waren hier und da Spinner am Start, die
an Stelle einer Kritik des Kapitalismus lieber
reaktionäre Feindbilder und antisemitische
Verschwörungstheorien verbreiten, aber sie haben –
auch wegen der Präsenz der radikalen Linken – die
Proteste nicht geprägt. Im Gegenteil: Wenn es darum
geht den nationalistischen Kitt, der diese
Gesellschaft wie kaum ein anderer immer noch
zusammenhält, auf breiter Front antikapitalistisch
zu zersetzen, dann war der kleine Hamburger
Aufstand ein Schritt nach vorne. Das gilt, obwohl
während der militanten Aktionen auch viel
Macker-Scheisse passiert ist; welchen Sinn es etwa
haben soll Kleinwagen anzuzünden und Unbeteiligte
zu gefährden erschließt sich uns nicht. Hier ist
Manöverkritik angesagt. Die bloße Eskalation des
sozialen Konfliktes taugt zudem nicht als Ziel
einer radikalen Linken, weil es am Ende auf die
immer gleiche Zuspitzungsphantasie hinausläuft, die
mit ein paar Gewaltbildchen schon ganz zufrieden
ist. Wer sich außer dem finalen Zusammenbruch und
der Brutalisierung des Konfliktes nichts mehr
vorstellen kann, der hat sich im selbsterklärten
Außen der Gesellschaft schon zu gut eingerichtet.
Am Ende des Tages ist jeder Riot nur so gut, wie
die gesellschaftliche Organisierung und deren
Verankerung im Alltag, die dahinter aufscheint.
Auch das hat Hamburg gezeigt. Aber: Dass der
soziale Konflikt, wenn er die Straße erreicht, eben
nicht nach dem Lehrbuch aus dem Politikunterricht
abläuft, das gilt umso mehr, wenn – wie im
Hamburger Schanzenviertel am Freitagabend geschehen
– aus politischer Militanz ein soziales Ereignis
wird. Das heißt: Wenn die Kids aus dem Viertel
gemeinsam mit Aktivist*Innen aus ganz Europa eben
jenen Bullen, die beide aufs übelste drangsalieren,
mal zeigen, dass das Blatt sich auch – zumindest
für ein paar Stunden – wenden kann, wenn der
hochgerüstete Sicherheitsstaat mal ein wenig die
Kontrolle verliert, dann ist das gut und nicht
schlecht. Hoffnung ist tatsächlich immer aus
Rebellion entstanden, aber für die gab es vorher
nie eine Genehmigung von Oben. Die Frage, wie man
„so etwas“ in Zukunft verhindern und den Protest
möglichst keimfrei gestalten kann, überlassen wir
daher gern den Bürokrat*innen des Bestehenden auf
beiden Seiten der Barrikade. Denn verwunderlich ist
weniger, dass es knallt, als dass es das gemessen
am herrschenden Wahnsinn viel zu selten tut. Und
trotz einiger idiotischer Manöver haben die
Aktionen in Hamburg unter dem Strich gezeigt, dass
es auch die richtigen treffen kann.
Ganz abgesehen
davon, dass die Krokodilstränen jener Medien, die
sonst bei jeder Gelegenheit über eine angeblich
„asoziale Unterschicht“ herziehen und die nun ganz
betroffen darüber tun, dass auch das Fahrrad eines
Hartz-Empfängers oder das Auto einer Rentnerin in
Mitleidenschaft gezogen wurde, offensichtlich ein
schlechter Witz sind. Anstatt Kopfnoten für den
„richtigen Protest“ zu verteilen, sollte die
radikale Linke sich daher lieber Fragen, wenn sie
eigentlich erreichen will: Die braven Bürger*Innen
bzw. Hilfspolizisten, die es gar nicht abwarten
konnten im Blitzlichtgewitter am Sonntag die
Mühltonnen wieder aufzustellen, die während der
Randale umgeworfen wurden? Oder die Zehntausenden,
die auf ganz unterschiedliche Art und Weise
deutlich gemacht haben, dass sie nicht vor dem
Gewaltmonopolisten kuschen?
Auch dass einige
Spießer in linken Parteien und NGOs sich nun mit
Distanzierungen überschlagen sollte niemanden
verunsichern. Nicht zu verstehen, dass gerade
„Straftaten“ das Protestmittel der Machtlosen sein
können, genau dafür werden sie ja bezahlt. Wer von
denen, die dicke Gehälter kassieren um in Talkshows
zu sitzen, während sich andere ganz unentgeltlich
für die Sache verprügeln lassen, „Respekt“
erwartet, der kann lange warten. Auch wenn sie
immer davon reden, dass der „soziale Friede“ längst
aufgekündigt sei: Sie werden sich nur bewegen, wenn
wir so stark sind, dass wir sie dazu zwingen
können. Gleiches gilt für die geifernden Reaktionen
der Bundespolitiker*Innen, die doch nur zeigen, wie
sehr der Radau sie erschreckt hat, in dem sie nun
ernsthaft mit Relativierungen des
Nationalsozialismus und absurden
Terrorismusvorwürfen um sich werfen. Harmlos ist
das trotzdem nicht. Denn es zeigt den Rechtsruck
einer Gesellschaft an, die beim Anblick eines
brennenden Autos in kollektive Hysterie verfällt,
es aber ganz locker wegsteckt, tausende Menschen
direkt vor ihren Grenzen elendig verrecken zu
lassen. Mit diesem Empörungsdiskurs wird außerdem
eine innere Aufrüstung flankiert, die mit bewussten
Falschmeldungen der Polizei, Denunziationsaufrufen
in Boulevardmedien und der Hetze gegen linke
Zentren beginnt, aber da nicht enden wird.
Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und
Sonderkommissionen sind schon unterwegs und es wäre
wirklich eine Überraschung, wenn die schlechten
Verlierer bei Polizei und Geheimdienst nicht noch
vor der Bundestagswahl versuchen würden, sich mit
einer Welle von Verfahren und Hausdurchsuchungen
gegen Linke für ihre Niederlage zu revanchieren.
Aber der Weg in den Autoritarismus beginnt nicht
mit Randale, sie macht nur deutlich, wie weit sich
die bürgerliche Mitte schon von ihren eigenen
Regeln und Grundrechten entfernt hat. Ganz sicher
ist jedenfalls: Der Rechtsruck wird nicht durch
Anpassung an ihn zurückgeschlagen werden.
Lange Rede, kurzer
Sinn: Ob es richtig ist, die Friedhofsruhe im
Herzen des europäischen Krisenregimes zu
durchbrechen, war für uns schon vor dem Gipfel
keine Frage. Dass es möglich ist, haben die
G20-Proteste praktisch bewiesen. Klar ist nun zwar
auch: Die Zeiten werden härter, die Polarisierung
nimmt zu. Aber als Gesellschaftskritiker*Innen
wissen wir ja: The only way out is – through.
Quelle:
https://umsganze.org/gruss-aus-der-zukunft/ |