Katar – die nächste Niederlage der USA?

von Rüdiger Rauls

7/2017

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Die Arabische Koalition sollte der große Wurf der USA werden zur Eindämmung des iranischen Einflusses in der Region. Aber nach nur wenigen Wochen steht große Macher Trump vor den Scherben seiner Politik. Seine Nah-Ost-Reise war als der überwältigende Befreiungsschlag gegen die islamistischen Extremismus und den Erzrivalen Iran gefeiert worden. Mit Israel und den „gemäßigten“ arabischen Staaten sollte eine Front aufgebaut werden, die sich nicht nur gegen den Iran wandte sondern dahinter auch gegen Syrien und Russland. Es galt, den verlorengegangenen Einfluss der USA und der Westlichen Wertegemeinschaft (WWG) insgesamt aufzuhalten und eventuell sogar rückgängig zu machen.

Denn eines ist nicht zu übersehen: seit dem Eintritt Russlands in den Krieg in Syrien an der Seite Assads haben die beiden im Verbund mit dem Iran durch eine kluge und an ihren Möglichkeiten orientierte Politik die Kräfteverhältnisse im Land und in der Region entscheidend verändert. Während die USA und ihre Hilfstruppen gebunden waren im Kampf gegen den IS, drängten Assad und die Russen die vom Westen unterstützten Rebellen in den dichter besiedelten und wirtschaftlich wichtigen Gebieten Syriens um Aleppo und Damaskus immer mehr zurück. Es war auch eine strategisch kluge Herangehensweise, die Kurden im Norden unbehelligt zu lassen, teilweise sogar Absprachen mit ihnen zu treffen im Vorgehen gegen IS und andere Rebellen. Damit verminderte sich die Gefahr, dass auch diese sich gegen Assad wenden könnten, was für Assad eine tödliche Bedrohung hätte werden können. Aber auch die Kurden hatten keine Interesse an einem Krieg mit Assad, standen doch auch sie im Abwehrkampf gegen die Türkei und den IS. Gleichzeitig unterbanden sie im eigenen Interesse und zum Nutzen Assads die Versorgung des IS und anderer Rebellengruppen durch die Türkei. Mit dem Fall Kobanes und dem Vordringen kurdischer Kräfte bis zum Euphrat war der Nachschub an die Rebellen über die türkische Grenze hinweg erschwert worden. Das war nicht nur ein wichtiger Etappensieg für die syrische Regierung sondern ein erster Wendepunkt in der Entwicklung. Mit dem Erstarken der Kurden und der Schwächung des IS hatten die USA einen großen strategischen Fehler begangen, der Assad aus seiner Bedrängnis verhalf.

Aber die USA hatten diesen Fehler nicht ohne Not begangen, vielleicht aber aus einer gewissen Überheblichkeit und Selbstüberschätzung, als die einzig verbliebene Supermacht es auch mit zwei Gegnern aufnehmen zu können. Denn nachdem sich die USA unter Obama durch den Giftgaseinsatz, der Assad angelastet worden war, nicht zu einem militärischen Eingreifen zugunsten der Rebellen hatten provozieren lassen, schlossen sich viele dieser Rebellengruppen zum Islamischen Staat zusammen. Wie seinerzeit die afghanischen Mudschaheddin fühlten sie sich nicht zu unrecht von den USA und der WWG missbraucht und im Stich gelassen. Sie sollten für die Interessen der WWG kämpfen und sterben, aber erhielten nicht die Waffen und Ausrüstung, die sie dafür für notwendig hielten. Und sie bekamen nicht die Unterstützung durch westliche Bodentruppen, die sie immer angefordert hatten, um gegen die militärisch überlegenen Truppen Assads bestehen zu können.

Als Islamischer Staat hatten diese unter einem gemeinsamen Kommando vereinten Rebellengruppen eine wesentlich höhere Kampfkraft. Aber sie wandten sich nicht gegen die syrische Armee sondern drängten im Irak vorwärts und eroberten Mossul und andere irakische Städte ohne nennenswerten Widerstand vonseiten der Bevölkerung. „In Anbar im Westirak haben sich viele Stammesführer von Maliki [damaliger irakischer Staatschef, Anmerkung des Verfassers] abgewandt und dem aus der al-Kaida hervorgegangenen «Islamischen Staat im Irak und Syrien» (Isis), das Feld überlassen“ (Neue Züricher Zeitung vom 29.4.2014: Die Angst vor dem Tag danach).

Die irakische Armee floh trotz mehrfacher Überlegenheit. So waren „fast 50.000 irakische Soldaten aus Mossul geflüchtet, nachdem vielleicht 3000 IS-Kämpfer in Mossul eingerückt waren“ (Luxemburger Wort vom 10.7.2017: Entwurzelte Terrorbande). Die irakischen Soldaten waren nicht bereit, für eine Regierung in Bagdad zu sterben, die mehr der Ausdruck westlicher Interessen war als des Ergebnisses der Wahlen, die kurz zuvor stattgefunden hatten. „Kriegsgerät im Werte von vier Milliarden Dollar fiel dem IS damals in die Hände“ (ebenda), und dieser rückte gegen Bagdad vor, wo er dann mit Mühe gestoppt und im Verlauf der letzten drei Jahre immer weiter zurückgedrängt wurde. Damals war der IS als die größere Bedrohung angesehen worden als Assad, stand doch mit dem Irak ein Land auf der Kippe, das für den „Erfolg“ des westlichen Demokratisierungs- und Regime-Change-Konzepts stand. Mit einem erzwungenen Rückzug der USA aus dem Irak hätte der amerikanische Einfluss in der Region einen erheblichen Schaden erlitten. An einen Sturz Assads wäre unter diesen Umständen kaum noch zu denken gewesen.

Aber der Kampf der USA gegen den IS verschlechterte die Bedingungen für den Kampf gegen Assad, weil einerseits mit der Bildung des IS wesentliche Rebellengruppen sich dem Einfluss der WWG entzogen hatten und nicht mehr für deren Interessen zu kämpfen bereit waren. Andererseits war die amerikanische Öffentlichkeit nicht für ein Syrienabenteuer mit Bodentruppen zu gewinnen trotz der andauernden Gräuel-Propaganda über Assad durch Medien und Politik. Obendrein erhielt die WWG nicht die Unterstützung durch die Türkei, der man bedurft hätte. Diese war nicht zum Einsatz eigener Bodentruppen bereit, war aber auch gegen die Aufrüstung der Kurden durch den Westen. Die Spannungen zwischen den Nato-Partnern USA und Türkei wuchsen in dem Maße, wie der Westen die Unterstützung der Kurden ausweitete. Sie erreichten ihren Höhepunkt mit der militärischen Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden im Sommer 2016 im Zuge der Operation „Schutzschild Euphrat“.

Nicht ganz zu unrecht vermutete die Türkei westliche Kräfte als Unterstützer hinter dem Putsch von Teilen des türkischen Militärs gegen die rechtmäßige türkische Regierung (siehe dazu Türkei - Vorwärts in die Vergangenheit) im Sommer 2016. Kritik und Sanktionen des Westens gegenüber ihrem Bündnispartner Türkei sorgten für immer mehr Spannungen zwischen den Verbündeten. Gleichzeitig aber entkrampfte sich das Verhältnis zwischen der Türkei und ihren ehemaligen Gegnern Assad und Russland. Die Zusammenarbeit ging am Ende so weit, dass die Türkei mit Assad, Russland und dem Iran über eine neue Friedensordnung mit Teilen der Rebellen verhandelte und selbst auch als Garantiemacht des Waffenstillstands auftrat zusammen mit Assad, Russland und dem Iran. Der Westen hatte sich nicht an diesen Verhandlungen beteiligt, obwohl er dazu eingeladen worden war. Er verspielte damit die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Friedensprozess.

Diese Zusammenarbeit der Türkei mit Assad, Russland und dem Iran besiegelte das Schicksal der in Ost-Aleppo eingeschlossenen prowestlichen Rebellen. Ost-Aleppo fiel, und der Westen musste tatenlos zusehen, wohl aber mit Schaum vor dem Mund, wollte er nicht in eine militärische Konfrontation mit Russland geraten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den IS weiter zu bekämpfen und die Kurden aufzurüsten. Aber eine wirkliche ernstzunehmende Kraft waren die USA in Syrien nicht mehr bis zur Nah-Ost-Reise Trumps.

Bei seinem Treffen in Riad mit den „gemäßigten“ arabischen Staaten rief er auf zum Kampf gegen den Iran. Bei seinem Treffen mit Netanjahu holte er sich die Unterstützung Israels für diesen Kampf ein. Und wenige Wochen später schlug die Nachricht ein wie eine Bombe, dass die Golf-Emirate eine Arabische Koalition gegründet haben, deren erste Amtshandlung der Ausschluss des Emirats Katar war (siehe dazu: Paukenschlag im Nahen Osten). Was wie ein Signal der Stärke an den Iran aber auch an Washington gedacht war, entwickelt sich nun aber zunehmend zu einem unkalkulierbaren Risiko. Denn Katar gab den Forderungen der anderen Emirate nicht nach und erhielt dabei Unterstützung von den Europäern und auch der Türkei.

Dass die USA diesen Schritt der Arabischen Koalition nicht nur begrüßt hatten, sondern er sicherlich auch mit Wissen oder gar der Ermunterung Washingtons unternommen wurde, kann zwar nicht bewiesen, aber als Konsequenz der Ereignisse von Riad angenommen werden. Nur haben auch hier die USA keine kluge Entscheidung getroffen. Angesichts der zusätzlichen Probleme, die dieser Schritt der Arabischen Koalition in dieser ohnehin schwierigen Region geschaffen haben, verlieren die USA immer mehr die Geduld mit den Mitgliedern der Arabischen Koalition, je länger sich dieser Konflikt hinzieht. Der Golf-Kooperationsrat (GCC), in dem sich die Golfmonarchien zur Wahrung ihrer speziellen Interessen als absolutistische Fürstentümer zusammengeschlossen hatten, droht an dem Konflikt mit Katar auseinander zu brechen. „Oman schert aus der Front gegen Katar aus und stellt Qatar seine Seehäfen zur Verfügung“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7.7.17: Der Preis der Qatar-Krise). Kuweit hat sich erst gar nicht an dem Boykott Katars beteiligt, versucht aber zu vermitteln und die Krise einzudämmen. Und der Iran, der durch diesen neuen Pakt hatte geschwächt werden sollen, ist stärker denn je aufgrund der selbstverschuldeten Schwäche seiner Gegner.

Nun gilt es, den Konflikt schnell zu beenden, um weiteren Schaden besonders auch für die Geschäftswelt abzuwenden. Denn so lange die Krise schwelt, steht zu befürchten, dass sich Investoren zurückhalten. „Auch könnte es schwieriger werden, ausländische Fachkräfte („Expats“) in eine Krisenregion zu holen“ (ebenda), auf die alle Golfmonarchien angewiesen sind für den Umbau der Wirtschaft von einem Energielieferanten hin zu modernen Wertschöpfungsketten. Auch die europäischen und US-Börsen könnten in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn der Staatsfond Katars, der große Anteile an westlichen Aktiengesellschaften hält, gezwungen sein sollte, Aktienpakete aufzulösen zur Finanzierung der Staatsaufgaben.

Zur Beilegung der Krise hatte der US-Außenminister Tillerson im Gegensatz zu Trump schon früh die Arabische Koalition gedrängt, Forderungen an Katar zu stellen, die verhandelbar und am Ende auch umsetzbar seien. Einzig das Thema Terrorfinanzierung erfüllte diese Voraussetzungen, weil hier Ergebnisse vorgelegt werden konnten, ohne dass Katar in seiner staatlichen Souveränität nachweislich verletzt worden wäre. Das wäre offensichtlich im Fall der Abschaltung des Senders Al Dschasira, dem Schließen der türkischen Militärbasis und der Veränderungen der Beziehungen zu Iran, wie von den Gegnern Katars gefordert. Wie schon vorher vermutet (siehe dazu Planlos in Katar), konzentrierten sich in der Folge die Bemühungen darauf, Fortschritte zu erzielen beim Vorwurf der Terrorfinanzierung.

Als erster griff Außenminister Gabriel diesen Strang auf, indem er mit den Gegner Katars „über eine Initiative zur Unterbindung von Zahlungen von Terrororganisationen gesprochen“ hatte (FAZ vom 4.7.2017: Ein Handel mit rohen Eiern). Um aber die Erfolgsaussichten der Verhandlungen nicht zu gefährden, nahm er Katar in Schutz und betonte er, dass „auch er Hinweise darauf habe, dass es von Personen – nicht von der Regierung, aber von Personen – aus Qatar heraus so etwas [Terrorfinanzierung, Anmerkung des Autors] gibt“ (ebenda). Damit waren Sprachregelung und Vorgehensweise zur Beilegung des Konfliktes gefunden, bei denen alle Beteiligten ihr Gesicht wahren konnten. Am 11.7.2017 meldete das Handelsblatt den Abschluss eines Abkommens zwischen Katar und den USA „über eine stärkere Zusammenarbeit gegen den Terror“ (Handelsblatt: USA und Katar unterzeichnen Anti-Terror-Abkommen), das aber schon seit Längerem in Arbeit gewesen sei, also keine Reaktion auf die aktuellen Ereignisse. Die Arabische Koalition erklärte darauf hin zwar, „ihre Maßnahmen gegen Katar beizubehalten und zu verfolgen, wie ernsthaft das Land den Kampf gegen den Terrorismus nehme“ (ebenda). Aber sie werden sich nicht gegen die USA stellen, wenn diese den Vorwurf der Terrorfinanzierung durch dieses Abkommen als haltlos erklären.

Zwar ist größerer Schaden durch die schnelle Beilegung des Konflikts verhindert worden, aber das Ansehen der USA hat weiter Schaden erlitten. Der Iran wurde entgegen den großmäuligen Ankündigungen Trumps nicht geschwächt. Wieder haben die USA durch eine Kehrtwende in ihrer Politik Verbündete um der eigenen Interessen willen fallen gelassen. Die Stabilität des Golf-Kooperationsrates hat durch die Vertiefung der inneren Konflikte, die wesentlich auch durch das Verhalten der USA ausgelöst wurde, Schaden erlitten. Und in Syrien hat sich die Lage in der Zwischenzeit so weit zugunsten des Regimes verändert, dass die USA nun von sich aus gegenüber Russland Angebote für eine Waffenruhe in Südsyrien machen.

Dabei ist der Beweggrund der Amerikaner noch nicht klar zu erkennen. Angesichts der Rigorosität, mit der man bei der Rückeroberung Mossuls vorgegangen ist, ist der Schutz der Menschenrechte inzwischen ein sehr unglaubwürdiges Motiv geworden. Vielleicht sind die Verbände, die man in Jordanien aufbaut, noch nicht einsatzbereit. Vielleicht will man aber auch alle Kräfte auf die ostsyrische Metropole Deir ez-Zor konzentrieren, um deren Kontrolle „eine Art Wettrennen zwischen der von Moskau und Teheran unterstützten syrischen Armee und pro-amerikanischen Milizen“ begonnen hat (Luxemburger Wort vom 11.7.17: Friedensgespräche ohne Kurden und Dschihadisten). Jedenfalls scheint es den USA immer schwerer zu fallen, Verbündete an sich zu binden. Ihre politischen Winkelzüge machen sie zu einem immer schwerer einzuschätzenden Partner, auf den man im Ernstfall nicht bauen zu können scheint. Aber wie wollen die USA die Kriege im Nahen Osten gewinnen, wenn es ihnen nicht gelingt, Bodentruppen zu mobilisieren?

Editorische Hinweise

Der Text wurde erstveröffentlicht auf dem Blog des Autors: https://ruedigerraulsblog.wordpress.com/
Wir erhielten ihn von R. Rauls zur Zweitveröffentlichung in dieser Ausgabe

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