Kommentare zum Zeitgeschehen
Linksparteidebatte, Debatte, NRW

von Edith Bartelmus-Scholich

07/2018

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In Kamen fand am Wochenende der Landesparteitag der LINKEN.NRW statt. Mit knapp über 8000 Mitgliedern stellt die Partei in NRW nach dem Landesverband Sachsen derzeit den zweitgrößten Landesverband der Linkspartei dar. Wenn die Mitgliederentwicklung sich verstetigt, kann sie zum Jahreswechsel die Spitzenposition übernehmen.

Gesuchtes weibliches Spitzenpersonal

Um Spitzenpositionen ging es auch auf dem Parteitag. Der Landesvorstand musste neu gewählt werden. Die bisherige Landessprecherin Özlem Demirel wollte nach vier Jahren nicht mehr für den Vorstand kandidieren. Sie möchte sich auf ihre berufliche Entwicklung bei der Gewerkschaft Ver.di konzentrieren. Die Suche nach einer Nachfolgerin für das arbeitsreiche Ehrenamt war schwierig. Lange Zeit gab es keine Kandidatin. Es zeigt sich hier ein Stück gesellschaftliche Wirklichkeit: Frauen sind oft doppelt belastet und müssen genau überlegen wie viel ehrenamtliche Arbeit sie noch leisten können.

Diese Problemlage schlug sich auch in der Unmöglichkeit die Position der ehrenamtlichen Frauenbeauftragten der Landespartei neu zu besetzen nieder. Die bisherige Frauenbeauftragte hatte in ihrer Amtszeit alles Mögliche getan um der Aufgabe gerecht zu werden, konnte die Arbeitsbelastung jedoch nicht länger tragen. Eine Kandidatin für diese Position fand sich nicht. Nun hat die Linkspartei NRW für tausende Frauen in 53 Kreisverbänden keine Ansprechpartnerin als Frauenbeauftragte mehr. Eine Situation, die sie schleunigst ändern sollte.

Landesvorstandswahlen

Mit der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Inge Höger aus Herford wurde schließlich doch eine politikerfahrene Kandidatin als Landessprecherin gefunden. Höger ist gut in der Partei verankert, nicht nur, weil sie zuletzt Stellvertretende Landessprecherin war. Sie ist ein WASG-Urgestein, hat auch während ihrer zwölf Abgeordnetenjahre stets Parteiarbeit vor Ort gemacht und als Rentnerin kann sie sich der Aufgabe in Vollzeit widmen.

Gewählt wurde Höger mit einem denkbar knappen Ergebnis von 117 Ja-Stimmen. Ursächlich dafür waren weniger ihre zuvor skandalisierten Positionen zum Israel-Palästina-Konflikt. Viel wichtiger für das Wahlergebnis sind alte und neue Bruchlinien in der Partei. Inge Höger verfügt über die Eigenschaft, sich, wenn sie es für nötig hält, in einer Sache zu positionieren auch ohne taktische Rücksichten zu nehmen. Gegner handelte sie sich so 2006 ein, als sie als Stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und Andreas Maurer in einem Interview vor dem Ludwigshafener Parteitag der WASG aufforderte, die Partei nicht zu spalten und den linken Flügel nicht auszugrenzen. Für die WASG konnte Höger seinerzeit Schaden begrenzen, sie selbst bezahlte die „Majestätsbeleidigung“ mit dem Verlust ihrer Position im Fraktionsvorstand. Jahrelang musste sie danach um einen ordentlichen Sitz in einem Ausschuss des Bundestags kämpfen. Als 2009 die Landesliste für die Bundestagswahl aufgestellt wurde, unterstützten die Anhänger von Lafontaine und Ernst die Kandidatur von Ingrid Remmers (‚Sozialistische Linke‘) gegen sie. Auch als Höger, die auch langjährige Sprecherin der ‚Antikapitalistischen Linken‘ ist, sich durchsetzte, gab es hin und wieder Feindseligkeiten gegen sie. Schlussendlich spielte bei dem Wahlergebnis eine Rolle, dass sie sich in der laufenden Auseinandersetzung um die sog. Sammlungsbewegung bereits im Sinne der Einhaltung der Parteitagsbeschlüsse zur Migrationspolitik positioniert hatte.

Weniger umstritten war die Kandidatur von Christian Leye aus Bochum, der aus dem Amt heraus zur Wiederwahl antrat. Der Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht musste allerdings eine Frage nach dem Charakter der von seiner Chefin angestoßenen ‚Sammlungsbewegung‘ beantworten. Leye beteuerte, dass die Sammlung nicht die Partei schädigen, sondern nur gesellschaftlich für Aufbruch sorgen sollte und beschwor die Einheit der Partei. Da seine bisherige Leistung als Landessprecher untadelig ist, erreichte er auch vor dem Hintergrund der Unruhe in der Partei ca. 72% Zustimmung. Mit der Partei möchte er NRW nach links ziehen.

Bei den weiteren Wahlen zum Landesvorstand zeigte sich, dass auch in Zukunft die linken Parteiströmungen ‚Antikapitalistische Linke‘ und ‚Sozialistische Linke‘ einflussreich bleiben. Die Strömung ‚Sozialistische Linke‘ stellt mit Hans Decruppe und Britta Pietsch zwei Stellvertretende SprecherInnen, die beiden anderen gingen an die AKL, die auch im erweiterten Vorstand noch KandidatInnen platzieren konnte.

EU als kapitalistisches Projekt

Das inhaltliche Top-Thema des Parteitags war die Debatte zur Europapolitik. Im Jahr vor der Wahl des EU-Parlaments wurde eine Vereinheitlichung angestrebt ohne, dass eine Beschlussfassung geplant war. Offenbar möchte man der Bundespartei nicht vorgreifen.

Der kürzlich in das EU-Parlament nachgerückte Abgeordnete Martin Schirdewan sowie der europapolitische Sprecher des scheidenden Landesvorstands Michael Aggelidis sparten nicht mit Kritik an der EU, die sie einer tiefgreifenden Erneuerung unterziehen wollen. Am eindrucksvollsten formulierte das Mitglied des Parteivorstands Thies Gleis die Kritik in der Debatte. Die Europäische Union sei von ihrer Konzeption und in ihrer Wirkung ein Projekt des Kapitals, der transnationalen europäischen Bourgoisie und richte sich ausbeuterisch mit neoliberaler (De)regulierung und Entdemokratisierung gegen die Interessen der europäischen Lohnabhängigen, führte Gleiss aus. Diese EU, so wie sie aufgestellt ist, können Linke nicht unterstützen und erhalten. Sie muss durch ein solidarisches, internationalistisches Projekt, sozusagen eine „EU von unten“ ersetzt werden.

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