Betrieb & Gewerkschaft
Großkonflikt um Tarifverträge der Druckindustrie im Herbst 2018

von red. "kommunisten.de"

07/2018

trend
onlinezeitung

Die Druckindustrie steht 2018 vor einer möglichen Zäsur in der Tarifpolitik. Die Unternehmer haben – frühzeitig – den Manteltarifvertrag (MTV) zum 30. September 2018 gekündigt und sind mit einigen Gegenforderungen zur Arbeitszeit, Regulierung der Maschinenbesetzung, Bezahlung der Schichtarbeit u.a. aufgetreten. ver.di hat zum 31. August 2018 die Lohntarife gekündigt und fordert eine Erhöhung um 4,5 Prozent. Somit fallen Lohn- und Mantelrunde zusammen, was eine Herausforderung für die Gewerkschaft bedeuten dürfte.

ver.di verfügt bei weitem nicht mehr um die Kampfstärke und politisch-moralische Haltung, dass beide Themen – insbesondere die Angriffe der Unternehmer beim Mantel – zu einem kollektiven Aufschrei führen. Der stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende, Frank Werneke, beschrieb dazu in einem Offenen Brief an die Beschäftigten der Druckindustrie die insgesamt defensive Lage für ver.di in dieser Branche exakt: "Es ist aus meiner Sicht völlig offen, ob eine Wiederinkraftsetzung des Manteltarifvertrages mit dem Arbeitgeber gelingt. Es ist sogar wahrscheinlich, dass der MTV ab dem 1. Oktober auf unabsehbare Zeit noch in der so genannten Nachwirkung fortbesteht."

Zu Recht betont Werneke, dass ein in der Nachwirkung befindlicher Mantel für alle nicht in ver.di Organisierte Folgen haben wird. "Alle Beschäftigten, die nicht spätestens zum 1. September 2018 Gewerkschaftsmitglieder sind, verlieren den rechtlichen Anspruch auf die Anwendung des Tarifvertrages." (Lohn, ab 1.10. käme möglicherweise der Mantel dazu). Die Tatsache, dass die Unternehmer den MTV gekündigt haben, ist sicher kein Zufall, so Werneke. "Zum 31. August 2018 laufen die Lohn- und Gehaltsabkommen für die Druckindustrie aus. Verhandlungsauftakt ist für die Lohnrunde wird der 17. September 2018 sein. Das zeitliche Auslaufen des Manteltarifvertrages zum 30. September fällt somit in die Phase der laufenden Lohntarifverhandlungen. Das hat der BVDM (Bundesverband der Druckindustrie) so gesteuert – wohl durchdacht bereitet er einen tarifpolitischen Großkonflikt vor."

Druckunternehmer im Gegenangriff

Eine offene Situation ist an sich nichts Unnormales bei laufenden Verhandlungen. Im Vertretungsbereich von ver.di für die Wirtschaftszweige der Druck- und Verpackungsindustrie (Papier, Pappe, Karton) gibt es damit Erfahrungen. Diese führen aber dazu, dass Zugeständnisse gemacht werden mussten, wollte man wieder einen MTV in Kraft setzen. Der Grund war nachvollziehbar: In der tariflosen Zeit wurden in Betrieben neue Realitäten gesetzt, vor allem auf Ebene von Unternehmenstarifverträgen, die über einen längeren Zeitraum wieder auf den Stand der Fläche gebracht werden müssen.

Die Unternehmer treten mit eigenen Forderungen auf, die auch inhaltlich eine Wende in der Tarifpolitik bedeuten würden. Sie wollen die 35-Stunden-Woche kippen und aus dem MTV streichen. Außerdem will der BVDM die Einkommen der Arbeiter*innen kürzen. Nach Berechnungen von ver.di würde dies in der Summe ein Drittel der Einkommen von Schichtarbeiter*innen ausmachen. Sie wollen die Zuschläge für Spätschicht und Nacharbeit absenken; das Urlaubs- und Weihnachtsgeld soll um 14 Prozent reduziert werden.

Heute sind in 1.300 Unternehmen der Druckindustrie 96.000 Beschäftigte beschäftigt. Für die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft sind vor allem die Zeitungsdruckereien entscheidend. In diesen 54 Unternehmen arbeiten nicht mehr als 6.000 Beschäftigte. Bei den reinen Lohndruckereien, also Unternehmen ohne eigene Tageszeitung, ist die Mehrzahl der Beschäftigten in 884 Betrieben tätig.

 

Beschäftigte/
Betriebe
1 - 49
Arbeiter*innen
50 - 99
Arbeiter*innen
100 - 249
Arbeiter*innen
250 - 499
Arbeiter*innen
500 - 999
Arbeiter*innen
1.000 und
mehr
Arbeiter*innen
Zeitungsbetriebe 14 16 20 4 - -
Lohndruckereien-Betriebe 490 228 134 23 7 2


Ein früherer Erfolg: 35-Stunden-Woche und Regelung der Maschinenbesetzung

Von grundsätzlicher Bedeutung sind zwei Eckpunkte des MTV, die Ergebnis ein harten Tarifkampfes in den 1970er und 1980er Jahren waren – die 35-Stunden-Woche und die Maschinenbesetzung. Er ist bundesweit der einzige deutsche Tarifvertrag, der Maschinenbesetzung regelt. Was heute ver.di für die Gesundheitswirtschaft fordert – eine Besetzungsregelung in der Pflege in den Krankenhäusern – ist für die Druckindustrie seit Jahrzehnten Norm. Hierüber wurde die Konkurrenz der Druckhäuser erheblich eingeschränkt. Nicht nur, dass es im Prinzip überall die gleichen Maschinen sind; auch beim Personaleinsatz gab bzw. gibt es eine Normierung. Es war Ergebnis eines dreiwöchigen Arbeitskampfes in 1978.

O-Ton der IG Druck und Papier damals: Es wird “Unternehmern ein Stück ihrer alleinigen Entscheidungsgewalt über die Arbeitsorganisation weg genommen bzw. der Mitbestimmung unterworfen, in dem die … Gewerkschaft bzw. die Betriebsräte über die Umsetzung neuer Techniken in der bestehenden Arbeitsorganisation mitentscheiden können." [1]

Arbeitskampf der Redakteur*innen

Update 26.06.2018: Bei der Urabstimmung in zahlreichen Zeitungsredaktionen hat sich eine Mehrheit der Befragten für einen Streik ausgesprochen. ver.di spricht bei seinem Mitglieder von 89,2 Prozent. Der DJV von „deutlich überwiegende Mehrheiten“.Verschiedenen Zeitungsredaktionen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen waren zu der Urabstimmung aufgerufen worden. Die nächste Tarifverhandlung ist am 1. Juli 2018 in Hamburg.

   

 

Die IG Druck und Papier, heute im ver.di Fachbereich Medien aufgegangen, verfolgte – wie die anderen Industriegewerkschaften – eine Strategie der “aktiven Tarifpolitik". Davon kann man heute nicht mehr reden. Auch die erstmals durch eine Industriegewerkschaft tariflich durchgesetzte 35-Stunden-Woche war Ergebnis langjähriger Tarifkämpfe, beginnend 1984 mit einem 14-wöchigen Arbeitskampf.

35-Stundenwoche aufgeweicht

Die anderen Branchengewerkschaften haben hingegen seit Jahrzehnten ihre Regelungen zur 35-Stunden-Woche wieder aufgeweicht. Auch in der Druckindustrie gab es seit Anfang der 1990er Jahre Öffnungsklauseln. Ursächlich hatte Rezession den Druckereien erhebliche Probleme bereitet. Die Nachfolge-Gewerkschaft der IG Druck und Papier, die IG Medien, war gezwungen, Öffnungen zu vereinbaren. Sie liefen darauf hinaus, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich eingeschränkt möglich war, im Gegenzug aber betriebsbedingte Kündigungen längerfristig ausgeschlossen waren.

Zunächst ist es immer der erste Schritt bei anstehenden Tarifkämpfen, auf die Folgen der Nachwirkung hinzuweisen, um den Zusammenhang zu verdeutlichen und die Organisationskraft zu stärken. Das alleine reicht zwar nicht aus, aber ver.di verfügt in der Branche über genügend Erfahrungen, wie die Szenarien auszusehen haben. Die Organisationsmacht von ver.di im Kernbereich der Druckindustrie ist zudem überschaubar: Die Druckunternehmer sind unter 20 Prozent in einem tarifgebundenen Arbeitgeberverband. In der Hauptsache wirken die Lohnabschlüsse in Anlehnung. Da die Druckindustrie aufgrund der rückläufigen Druckvolumen bei den Zeitungen und Zeitschriften national (Zeitungen) und international (Zeitschriften) seit Jahren sich in einer Konsolidierung befindet, sind manche "Kampfbetriebe“ vom Markt verschwunden, oder es gibt betriebliche Öffnungen mit Zustimmung von ver.di, die zentrale Regelungen erheblich außer Kraft setzen. Auch hier liegen die Ursachen auf der Hand: Wo Manager mit der Schließung der Druckerei drohen, machen sich die Belegschaften und betriebliche Akteur*innen in erster Linie einen Kopf um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Wenn Druckaufträge drohen, an Konkurrenten zu gehen, weil es dort keine Tarifbindung mehr gibt, oder es in ehemaligen Streikbetrieben Öffnungen gegeben hat, kann sich das auf die Mobilisierungsmöglichkeiten auswirken.

Wandel in der Branche beeinträchtigt Streikfähigkeit

Während in den 1970er und 1980er Jahren Zehntausende aus der Druckindustrie streikten, ist es heute schon ein Erfolg, wenn man an die 2.000 Streikende kommt. 1976 waren 70.000 Beschäftigte der Druckindustrie am Lohnkampf beteiligt. 1978 – zur Durchsetzung einer Maschinenbesetzungsregelung – stimmten 63.000 von 79.000 IG Druck und Papier-Mitgliedern für den Streik. 1984 – dem Arbeitskampf um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche über einen bundesweiten Tarifvertrag – zählte die amtliche Streikstatistik 84.211 Beteiligte aus 563 Betrieben. Bei einer sich völlig veränderten Branche waren in den vergangenen Jahren rund 50 Betriebe an den Streikaktionen beteiligt. Fakt ist: von Jahr zu Jahr werden es weniger Streikende. So hat sich auch die Streiktaktik – vernünftigerweise – geändert. Wo man erst aufwändig mobilisieren muss, fährt man beispielsweise keinen dreischichtigen (Warn)Streik.

Die kommende, doppelte, Tarifrunde in der Druckindustrie stellt ver.di vor eine große Herausforderung. Wie in vergangenen Jahren wird man sich dem stellen. Es ist in diesem Jahrtausend nicht das erste Mal, dass es diese Konstellation gab. Insofern gibt es gute Erfahrungen, wie man sich taktisch und strategisch aufstellt. Allerdings ist die Ansage der Gewerkschaft neu, dass man wahrscheinlich mit einem offenen Ausgang beim Mantel rechnet, eine neue Qualität im Vorfeld der Arbeitskampfmobilisierung. ver.di positioniert sich zu Recht kämpferisch: "Deshalb werden wir als ver.di im Herbst diesen Jahres alle Kraft aufwenden, auch für die Beschäftigten der Druckindustrie eine gute Lohnerhöhung durchsetzen … Wir werden … kämpfen und eine Verschlechterung des Manteltarifvertrages wird es mit uns nicht geben."

Anmerkung
1)  "Auf die eigenen Kraft vertrauen, Zum 60. Geburtstag von Leonhard Mahlein", Büchergilde Gutenberg, Seite 112

Quelle: http://www.kommunisten.de/rubriken/kapital-a-arbeit/7245-grosskonflikt-um-tarifvertraege-der-druckindustrie-im-herbst-2018 [28.6.2018]