Die große
Aufmerksamkeit und der erfolgreiche Abschluss der ersten Stufe
zur Einleitung eines Volksbegehrens zeigen: Es gibt ein
riesiges Wohnungsproblem in dieser Stadt, für das bisher keine
Lösung auf dem Tisch liegt. Eine beachtliche Zahl von
Mieter/innen ist vor diesem Hintergrund offen gegenüber
weitreichenden und mitunter radikal klingenden Maßnahmen. Die
Berliner MieterGemeinschaft e.V. (BMG) begrüßt die Forderung
nach der Enteignung und Vergesellschaftung großer
Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von mehr als 3.000
Wohnungen grundsätzlich. Es ist gut, dass über die
Eigentumsfrage in der Wohnungspolitik diskutiert wird. Viele
Mitglieder der BMG haben sich an der Sammlung der
Unterschriften beteiligt und die Unterschriftenlisten lagen in
unseren Beratungsstellen aus. Die im Zuge dieser Kampagne
erzielte Mobilisierung und Organisierung von Mieter/innen ist
ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Mieterbewegung.
So begrüßenswert und verständlich die Freude über den
bisherigen Erfolg der Kampagne ist, so deutlich müssen jedoch
auch die Grenzen und Kipppunkte der hier infrage stehenden
Maßnahme sowie der politischen Strategie, mit der sie
vertreten wird, diskutiert werden. Die heute vorherrschende
Euphorie darf über die Widersprüche, Folgen und möglichen
Fallstricke einer forcierten Vergesellschaftung großer
Wohnungsunternehmen nicht hinwegtäuschen. Andernfalls besteht
die Gefahr, dass auf den hohen Flug ein tiefer Fall und auf
die heutige Euphorie schon bald eine bittere Resignation
folgt.
Grundsätzlich muss immer in Erinnerung behalten werden, dass
es sich bei den Artikeln 14 und 15 des Grundgesetzes
mitnichten um „Enteignungs-“ oder „Vergesellschaftungsartikel“
handelt, sondern um jene Artikel, die das private Eigentum
begründen und schützen. Die darin vorbehaltene Möglichkeit zur
Enteignung bzw. Vergesellschaftung ist ausdrücklich mit einem
negativen Schutzrecht für die Eigentümer/innen versehen: Eine
Enteignung bzw. Vergesellschaftung ist nicht möglich, außer
gegen eine angemessene Entschädigung „unter gerechter Abwägung
der Interessen“. Es handelt sich so gesehen um eine Art
erzwungenen Verkauf, der fraglos einen harten Eingriff in die
Verfügungsgewalt des privaten Eigentums darstellt, das private
Eigentum als elementaren Pfeiler der bürgerlichen Rechts- und
Gesellschaftsordnung jedoch keineswegs antastet und auch gar
nicht antasten kann. Die Frage nach der Höhe der Entschädigung
ist keine rein politische, sie lässt sich endgültig nicht
durch einen Volksentscheid, nicht durch den Senat und auch
nicht durch das Parlament festlegen, sondern sie wird in
letzter Instanz eine Sache der Rechtsprechung sein. Der
Rechtsweg vor ein ordentliches Gericht ist den
Eigentümer/innen ausdrücklich vorbehalten, und sie werden –
davon muss man ausgehen – mit Sicherheit Gebrauch von ihm
machen. Ferner muss davon ausgegangen werden, dass nicht nur
die Entschädigungssumme, sondern auch die Rechtmäßigkeit der
Vergesellschaftung selbst angefochten werden wird. Die heute
erzielte und zurecht gelobte Politisierung der Wohnungsfrage
droht in diesem Fall in einem sehr langwierigen Rechtsstreit
zu versanden und mitunter juristisch entpolitisiert zu werden.
Die Vorstellung, durch „Druck von der Straße“ nennenswerten
Einfluss auf die höchstrichterliche Rechtsprechung nehmen zu
können, darf als bestenfalls naiv gegenüber dem existierenden
Rechtsstaat und seiner Gewaltenteilung bezeichnet werden. Auch
darf nicht ignoriert werden, dass die betroffenen Akteure und
ihre Verbände über enorme Ressourcen verfügen, um ihrer
Rechtsposition nachhaltig Gehör zu verschaffen. Fest steht
ferner, dass am Ende dieser Auseinandersetzung sehr hohe
Summen an die zu entschädigenden Eigentümer/innen fließen
könnten. Selbst eine Entschädigung unterhalb des Verkehrswerts
wäre eine Umverteilung in die falsche Richtung, gerade
angesichts der niedrigen Kaufpreise, die etwa die Deutsche
Wohnen für die ehemaligen landeseigenen und unter Rot-Rot
privatisierten Bestände gezahlt hatte. Die mitunter ins Spiel
gebrachte Option einer rein symbolischen Entschädigung beruht
auf einer äußerst streitbaren Rechtsposition. Daher sind auch
die heute existierenden Kostenschätzungen mit großer Vorsicht
zu genießen. Sie reichen von rund 7 bis 14 Milliarden Euro
laut Initiative bis zu rund 29 bis 36 Milliarden Euro laut
Senat. Problematisch ist, dass auch die Kalkulation der
zukünftigen Miethöhen in den zu vergesellschaftenden
Beständen, so wie sie von der Initiative vorgebracht wird, auf
einer sehr moderat angesetzten Entschädigungssumme beruht.
Sollte eine höhere Entschädigung durchgesetzt werden, wäre
auch diese Berechnung nicht aufrecht zu erhalten.
Diese Tatsachen und die in ihnen angelegten Fallstricke lassen
sich weder leugnen noch wegdiskutieren, auch eine
weitreichende „Diskursverschiebung“ – so begrüßenswert sie
auch ist – wird alleine die basalen Grundfeste der Rechts- und
Eigentumsordnung dieser Gesellschaft nicht ins Wanken bringen.
Das heißt nicht, dass eine sozialere Wohnungspolitik im
Interesse der Mieter/innen nicht möglich wäre. Ganz im
Gegenteil, die entsprechenden Kräfteverhältnisse und den
politischen Willen vorausgesetzt, stünden dafür grundsätzlich
sehr weitreichende Möglichkeiten zu Verfügung. Eine einzelne
Kampagne kann nicht die Auseinandersetzung um eine fundamental
andere Wohnungspolitik ersetzen, so öffentlichkeitswirksam sie
auch sein mag. Dieser Sachverhalt ist der Initiative für ein
Volksbegehren keineswegs vorzuhalten, notwendigerweise handelt
es sich um eine „Ein-Punkt-Kampagne“ die fokussiert und
zuspitzt, die provokant ist und polarisiert und die so
überhaupt erst die Fähigkeit gewinnt, entlang einer einzigen
aber richtungsweisenden Forderung eine solch enorme
Aufmerksamkeit und Mobilisierungsstärke zu generieren, wie sie
heute zu beobachten ist.
Die strukturellen Probleme des Wohnungsmarktes werden sich
aber – leider – nicht kurzfristig und schon gar nicht durch
eine Patentlösung beheben lassen. Auch die in der Diskussion
stehende Vergesellschaftung könnte dies selbstverständlich
alleine nicht leisten, auch wenn sie keineswegs die Falschen
treffen würde. Sie birgt allerdings objektive Probleme und
Fallstricke, mit denen ein Umgang gefunden werden muss. Das
sollte die Freude über den Mobilisierungserfolg keinesfalls
trüben. Der nun geöffnete Diskussionsraum muss genutzt werden
für eine breite Auseinandersetzung um eine grundsätzlich
andere Wohnungspolitik. Für den weiteren Fortgang des
Geschehens heißt das vor allem:
Den Senat nicht aus der Verantwortung entlassen!
Mit Sorge beobachten wir, dass angesichts der hohen medialen
Aufmerksamkeit, die die Kampagne zur Vergesellschaftung
erfährt, die reale Wohnungspolitik des Senats aus dem
(kritischen) Blick zu geraten droht. Ein zentrales Argument
zur Organisierung breitenwirksamer Zustimmung zu und zur
Legitimierung von der Vergesellschaftung großer
Wohnungsunternehmen lautet, dass es angesichts der heutigen
Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt keine Alternativen zu
diesem „radikalen“ Mittel mehr gebe. Dem ist nicht so: Das
Land Berlin verfügt mit seinen landeseigenen
Wohnungsunternehmen, der Investitionsbank Berlin (IBB), dem
Zugriff auf öffentliche Grundstücke sowie der Planungshoheit
über alle wesentlichen Instrumente, mit denen ein
ambitioniertes öffentliches Wohnungsbauprogramm zur Linderung
des Mangels und zur Entspannung des Wohnungsmarkts gestartet
werden könnte. Notwendig ist hierfür alleine der politische
Wille zu einem radikalen Reformkurs. Was den Schutz des
Wohnungsbestands angeht, so verfügt das Land Berlin
möglicherweise sogar über weitreichende gesetzgeberische
Kompetenzen zur Mietpreisregulierung, wie die
Auseinandersetzung um einen „Mietendeckel“ zeigt. Dass das
Land Berlin bzw. der regierende R2G-Senat keine weitreichenden
Handlungsmöglichkeiten hätte, ist schlichtweg falsch. Nicht
zuletzt mit dem Argument der vermeintlichen
„Alternativlosigkeit“ der Vergesellschaftung wird der Senat
aus der Verantwortung entlassen, ob wissentlich und
willentlich oder nicht. Äußerst skeptisch zu beobachten ist in
diesem Zusammenhang, dass mit der LINKEN und den Grünen zwei
regierende Parteien in Berlin die Enteignungs-Kampagne offen
unterstützen. Ein Volksentscheid als direktdemokratisches
Korrektiv gibt den Bürger/innen die Möglichkeit, zwischen den
Wahlen ihren Willen nicht nur zu artikulieren, sondern ihn in
Gesetzesform zu gießen bzw. (wie im jetzigen Falle) ein
Gesetzgebungsverfahren zu erzwingen. Das setzt jedoch voraus,
dass die Regierenden, zumindest in dem zur Abstimmung
kommenden Punkt, gegen die Mehrheit des „Volkes“ regieren,
andernfalls wäre der Volksentscheid überflüssig. Dass
Regierungsparteien einen Volksentscheid unterstützen, ist so
gesehen ein Ding der Unmöglichkeit. Mit einem Volksentscheid
ist Nichts umsetzbar, das nicht auch im Rahmen eines normalen
Gesetzgebungsverfahrens umsetzbar wäre. Warum bitte legen
nicht LINKE und Grüne einen entsprechenden Gesetzentwurf auf
den Tisch und nageln ihren dritten – seit Monaten in den
Umfragewerten schwächsten – Koalitionspartner SPD an die Wand?
So ließe sich das Vorhaben deutlich abkürzen. Ferner ist
zutiefst irritierend, dass Deutsche Wohnen und Co. in eine
Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) überführt werden sollen, die
ebenfalls privatrechtlich (als AG oder GmbH) organisierten
landeseigenen Wohnungsunternehmen jedoch nicht. Das wäre – den
politischen Willen tatsächlich vorausgesetzt – relativ schnell
und einfach zu machen. Aber warum passiert es nicht? Diese
Situation stimmt nachdenklich, nicht zuletzt, da beim
Volksentscheid, sollte er wirklich durchgeführt werden, kein
fertiger Gesetzestext zur Abstimmung kommen wird, sondern ein
Beschluss, der eben jenen Senat verpflichtet, ein
entsprechendes Gesetz erst auszuarbeiten. Wie dies
schlussendlich aussehen wird, steht bisher in den Sternen.
Ihre verbale Unterstützung des Volksentscheids erlaubt es
maßgeblichen Teilen der regierenden und somit für die
Wohnungspolitik in Berlin direkt verantwortlichen Parteien,
von der positiven diskursiven Aufmerksamkeit zu zehren und
sich gleichsam im Schatten dieses medialen Ereignisses zu
verstecken. Der Senat darf nicht aus der Verantwortung
entlassen werden. Seine real praktizierte Wohnungspolitik und
seine rhetorische Strategie müssen in der weiteren Diskussion
wesentlich stärker in den Fokus gerückt werden.
Keine faulen Kompromisse!
Für Teile der Politik ist die Kampagne zur Vergesellschaftung
lediglich ein Vehikel, um Deutsche Wohnen und Co. an den
Verhandlungstisch zu bringen. In einem Beschluss des
Landesausschusses von Bündnis90/Die Grünen vom Mai 2019 heißt
es: „Wir wollen, dass der Staat wieder auf Augenhöhe mit
Wohnungsunternehmen verhandeln und agieren kann. Wir würden
uns wünschen, dass die Umstände uns nicht zwingen, die
Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden, um den
verfassungsgemäßen Auftrag erfüllen zu können.“ Eine
Vergesellschaftung der großen Wohnungsunternehmen ist also gar
nicht das erklärte Ziel der vorgeblichen Unterstützung durch
die Grünen. Stattdessen soll ein „Runder Tisch, an dem alle
beteiligten Akteur*innen von den Initiativen bis hin zu
profitorientierten Wohnungsunternehmen beteiligt sind,
weitgehende Maßnahmen zum Schutz der Mieter*innen erarbeiten.“
Auch manche Verlautbarungen der LINKEN – und teilweise sogar
der Initiator/innen des Volksentscheides – tendieren in eine
ähnliche Richtung. Die Erfahrungen des Mietenvolksentscheids
aus dem Jahr 2015 zeigen, dass Verhandlungsangebote seitens
des Senats zur Abkehr von den eigentlichen Zielen eines
Volksbegehrens durch die Initiator/innen zugunsten eines
„Kompromisses“ führen können. Betrachtet man den heutigen
Diskussionsstand, so könnte das Spektrum möglicher
Kompromissangebote vom einvernehmlichen Verkauf einzelner und
wenig attraktiver Bestände über den Abschluss von
Kooperationsvereinbarungen, wie sie bisher schon zwischen
einigen Bezirken und großen Wohnungsunternehmen erprobt
werden, bis hin zum bloßen Ankauf von Belegungsbindungen
reichen. Solche faulen Kompromisse darf es nicht geben.
Letztlich hängt die Entscheidung über die Weiterführung des
Volksbegehrens an einem sehr kleinen Kreis von Leuten, die
große Verantwortung auf sich geladen haben. Die Gefahr einer
Entfremdung zur Basis darf nicht ausgeblendet werden.
Inzwischen ist klar: Wer solch ein Vorhaben startet, muss es
bis zum Ende durchziehen. Ein vorzeitiger Abbruch ist
inzwischen nicht mehr möglich, ohne großen Schaden zu nehmen
bzw. anzurichten. Die zweite Stufe des Volksbegehrens muss
daher durchgeführt und der Volksentscheid zur Abstimmung
gebracht werden.
Keine Konkurrenz mit anderen wohnungspolitischen Maßnahmen!
Das Bestreben, große Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften,
darf weder diskursiv noch materiell in Konkurrenz mit anderen,
dringend notwendigen wohnungspolitischen Maßnahmen treten. Die
Diskussion um die Vergesellschaftung hat große Aufmerksamkeit
erzeugt und sie zugleich gebunden. Das ist begrüßenswert,
jedoch droht die Fokussierung auf Enteignung bzw.
Vergesellschaftung andere wichtige Fragen und Probleme in den
diskursiven Schatten zu stellen. So darf etwa das drängende
Thema des Wohnungsneubaus nicht unter den Tisch fallen. Die
vor allem von der SPD und der Wohnungswirtschaft im
Zusammenhang des Volksbegehrens hervorgehobene Tatsache, dass
durch eine Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen
trotz der zu erwartenden hohen Kosten keine einzige neue
Wohnung entstehen wird, ist so richtig wie nichtssagend, denn
die Schaffung neuer Wohnungen ist gar nicht das Anliegen des
Volksbegehrens. Ihm geht es um den Schutz und die Zukunft von
Bestandswohnungen, die sich heute im Eigentum großer
Immobilienunternehmen befinden, nicht mehr und auch nicht
weniger. Ob der verfolgte Ansatz ein taugliches Mittel ist,
wird man erst hinterher wissen. Das ist wie skizziert kein
Grund, dieses Vorhaben nicht zu unterstützen, aber ein
nüchterner Blick auf die Unwägbarkeiten scheint dringend
nötig, um Frustration und Enttäuschung zu vermeiden. Und er
drängt dazu, reale Alternativen auch auf anderen
wohnungspolitischen Feldern zu entwickelt. Auf keinen Fall
darf daher das Thema des Wohnungsneubaus der
Immobilienwirtschaft überlassen, sondern es muss dringend im
Interesse der Mieter/innen aufgegriffen werden. Neubau und
Bestand gegeneinander zu stellen nutzt nur einer Politik, die
bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum völlig versagt. Die
Eigentumsfrage muss auch beim Wohnungsbau gestellt werden. Das
vertritt die BMG seit vielen Jahren mit der Initiative Neuer
Kommunaler Wohnungsbau (INKW). Es kommt entscheidend darauf
an, wer in dieser Stadt was, für wen, in welcher Zahl und zu
welchen Mieten baut. Berlin braucht neue und dauerhaft
bezahlbare Wohnungen in großer Zahl, denn die Stadt wächst
seit Jahren enorm. Der Senat muss ausreichende Ressourcen für
ein ambitioniertes öffentliches Wohnungsbauprogramm zu
Verfügung stellen. Die Kosten eines Entschädigungsverfahrens
dürfen nicht in Konkurrenz mit anderen, dringend notwendigen
wohnungspolitischen Maßnahmen treten oder gegen sie
ausgespielt werden. Die BMG wird die Diskussionen um einen
Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer
Wohnungsunternehmen auch weiterhin kritisch und solidarisch
begleiten.