Fundstück
C. Wright Mills: MENSCHEN IM BÜRO

von Richard Albrecht

07/2019

trend
onlinezeitung

Menschen im Büro. Ein Beitrag zur Soziologie der Angestellten(1) ist der deutsche Titel des zweiten Buchs von C. Wright Mills (1916-1962), einem kritischen, marxistisch orientieren US-Soziologen aus Texas. CWM wurde 1942 mit einer wissensoziologischen Studie über den Pragmatismus promoviert, veröffentlichte 1946 mit deutschen Emigranten Hans Gerth (1908-1978) eine englische Max-Weber-Edition, publizierte sowohl als Sozialwissenschaftsjournalist in politischen Zeitschriften wie New Leader, New Republic, Partisan Review, Politics und Dissent als auch in akademischen Journalen wie American Sociological Review und American Journal of Sociology sowie 1948 als erstes Buch New Men in Power. America´s Labor Leaders. Nach Lehr- und Wanderjahren erhielt CWM Mitte 1950 an der renommierten Columbia University in New York City eine Anstellung als Associated Professor.

CWMs gemeinsam mit Hans Gerth geschriebene Studie zur Psychologie sozialer Institutionen erschien 1953: Character and Social Structure. 1956 folgte CWMs soziologischer Besteller zur Machtelite der USA: The Power Elite – eine Arbeit, die im Sinn aufklärender Soziologie des muckracking der Chicago-Schule mit der vorherrschenden Sicht zur Auslobung der da oben bricht. Damit verläßt CWM die akademische Sonderwelt und untersucht als Radikalsoziologe die sich mit great depression und New Deal, Zweiten Weltkrieg und Folgen neu formierende erweiternde Macht (in) der US-Gesellschaft mit ihren Säulen: Wirtschaft – Militär – (Zentral-) Regierung

In den nächsten - seinen letzten - Lebensjahren wird CWM, seit Mitte 1956 Columbia-Professor auf Lebenszeit und im Vergleich zu seinen mainstream-Kollegen wie Talgott Parsons und Robert K. Merton akademischer Außenseiter wie enfant terrible und theoretisch wie praktisch dem bürgerlich-liberalen sozialen und intellektuellen Milieu der US-Ostküste entfremdet. Es gab zahlreiche Reisen ins alte Europa, ins neue Rußland und nach Kuba; und neben dem schmalen Essayband The Sociological Imagination (1959) die politikkritschen Bücher The Causes of World War Three (1968) und Listen Yankee. The Revolution in Cuba (1960). CWM starb, 45jährig, im März 1962 in New York. Zeitnah erschienen in den USA und im Vereinigten Königreich das noch von CWM selbst zur Publikation vorbereitete Buch The Marxists (1962) und posthum Power, Politics, and People. Collected Essays (Hg. Irving Horowitz 1963).
 

Link zu diesem Datensatz

http://d-nb.info/453384242

Titel

Menschen im Büro : Ein Beitrag z. Soziologie d. Angestellten / C. Wright Mills. Ins Dt. übertr. von Bernt Engelmann

Person(en)

Mills, Charles Wright (Verfasser)
Engelmann, Bernt (Mitwirkender)

Werk(e)

White Collar (dt.)

Verlag

Köln-Deutz : Bund-Verl.

Zeitliche Einordnung

Erscheinungsdatum: 1955

Umfang/Format

488 S. ; 8

ISBN/Einband/Preis

Lw. : 15.80

Anmerkungen

Status nach VGG: vergriffen

Sachgruppe(n)

05b Sozialwissenschaften

Frankfurt

Signatur: D 55/9202
Bereitstellung in Frankfurt

Leipzig

Signatur: 1956 A 7513
Bereitstellung in Leipzig


Menschen im Büro ist die deutsch(sprachig)e Ausgabe von CWMs White Collar. The American Middle Classes (1951) und gilt als spezielle Soziologie der Angestellten. Der Münsteraner Lehrstuhlsoziologe H. J. Krysmanski wertete die Studie fünfzig Jahre später als "brave" empirische Arbeit mit dem forschenden "Rundumblick in Augenhöhe auf die Mittelschichten, denen man selbst angehörte"(2). Das Buch wurde übersetzt von Bernt Engelmann (1921-1994), der auch als Mitübersetzer von CWMs The Power Elite (Deutsch Die amerikanische Elite 1962) wirkte und seit seinem ersten Bestseller Meine Freunde die Millionäre (1963) ein bekannter Wirtschaftsjournalist und Romanautor wurde.(3) Das knappe Vorwort (5-7) zu Menschen im Büro schrieb der nonkonformistische Soziologe Heinz Maus (1911-1978)(4), damals Dozent am Pädagogischen Institut im mittelhessischen Weilburg. Er betonte die zunehmende soziale Bedeutsamheit der oft verächtlich Stehkragenproletarier genannten Angestellten (ohne ausdrücklich auf ihre dichte Beschreibung von Siegfried Kracauer 1929/30 zu verweisen.)(5)

In der DGB-Zeitschrift Gewerkschaftliche Monatshefte 2/1956 besprach ein kundiger Jungwissenschaftler (der als Erwin K. Scheuch [1928-2003] bald Karriere machen sollte) das Buch. Und begrüßte dessen "Soziologie der heutigen USA" als "beispielhafte Darstellung einer hochkapitalistischen Gesellschaft mit dem Konkurrenzkampf zwischen Großunternehmen und Verbraucherschaft", bei dem sich der "kleine Unternehmer" in einem "hoffnungslosen Rückzugsgefecht gegen die Mammutgebilde der Industrie und des Handels" befinde und der "Verfall des alten Mittelstandes unaufhaltsam" werde.(6)

Und weiter: CWM veranschauliche allgegenwärtige Nivellisierung und Schablonierung durch wirtschaftlich gefertigte Uniformen und Masken für Angestellte, etwa bei Warenhausverkäuferinnen. Auch Bürokräfte würden durch Bewegungsstudien rationalisiert: "Für jeden wird eine unauffällige Zwangsjacke geschneidert, und zugleich kommt noch dazu die immer wechselnde Zwangsjacke der Mode, um dem Motor der Wirtschaft stets neue Antriebe zu geben. Auch das geistige Leben wird bürokratisiert, die Intellektuellen werden zu Marionetten oder zum Sprachrohr wichtiger Auftraggeber. An die Stelle persönlicher Bindungen tritt das Unpersönliche, die Anonymität. Zur Selbstentfremdung gesellt sich die gegenseite Entfremdung, ´weil jeder heimlich versucht, den anderen als Werkzeug zu benutzen´." Im Ausblick erwähnt E.Sch. CWMs Hinweis auf die jedem "totalitären Monopolkapitalismus" (Franz L. Neumann) innewohnende Tendenz als Möglichkeit eines staatlichen Faschismus ohne Massenbewegung, der sich nicht auf "Gewalt, sondern auf die Passivität" und politische Apathie auch der vielen white collars stütze.

Anmerkungen

1) Köln-Deutz: Bund-Verlag, 1955, 488 p.; zum Autor http://agso.uni-graz.at/lexikon/pdfs/mills.pdf

2) H.J. Krysmanski, Soziologische Ausflüge in die Massenkultur; in: Festschrift für Horst Herrmann. Hg. Roland Seim. Münster 2005

3) http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/engelmann_bernt.htm

4) Barry C. Hyams, Heinz Maus; in: Marburger Zeitung, 2 (1978) 12: 16-17; https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Maus

5) Dessen Reportagen erschienen 1929 in der Frankfurter Zeitung und als Buch 1930: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland. Mit einer Rezension von Walter Benjamin. Frankfurt/M. 1971; weniger bekannte Ausgaben von Die Angestellten mit den Untertiteln Eine Schrift vom Ende der Weimarer Republik. Geleitwort Everett Huges. Einführung E.P. Neumann. Bonn 1959; Kulturkritischer Essay. Nachwort Lothar Bisky. Leipzig; Weimar 1981. – Das Genre komplettieren W.E. Richartz´ Büroroman (Zürich 1976) und Menschen im Büro von Kafka zu Martin Walser. Hg. Hannes Schwenger. München 1986

6) Zitate nach http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1956/1956-02-b-126.pdf

Editorische Hinweise

Dr. Richard Albrecht ist historisch arbeitender Sozialwissenschaftsjournalist. Leitkonzept The Utopian Paradigm (1991). Kolumnist des Linzer Fachmagazins soziologie heute. Autor des Marburger Forum Wissenschaft und der Berliner Netzzeitung trend.infopartisan. Letzterschienes Buch HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren (Shaker Media 2011).