Huawei: Gefahr für wen?
5G-Mobilfunk ein Wirtschaftsprojekt mit zweifelhaftem Nutzen

von Wolfgang Müller

07/2020

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Der schnelle 5G-Mobilfunk soll die Nervenbahnen der Wirtschaft modernisieren und damit Zukunftsprojekten wie Industrie 4.0 oder dem autonomen Fahren zum Durchbruch verhelfen. Für Privathaushalte bringt er keinen zusätzlichen Nutzen. Begleitet wird die 5G-Einführung vom US-amerikanischen Handelskrieg gegen den chinesischen Huawei-Konzern, den führenden Lieferanten für die Ausrüstung des neuen Mobilfunkstandards. Erstmals seit Langem sehen die USA ihre technologische Dominanz bedroht.

Mobilfunk: Eine Kapitalistische Erfolgsstory

Die Erfolgsgeschichte des digitalen Mobilfunks begann 1990. Die in der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für Post und Telekommunikation (CEPT) zusammengeschlossenen europäischen Post- und Fernmeldebehörden beschlossen einen gemeinsamen Standard für die digitale Mobiltelefonie, das Global System for Mobile Communication (GSM), auch Mobilfunk der 2. Generation (2G) genannt. Die neuen digitalen Netze nach dem GSM-Standard lösten einen Flickenteppich analoger, inkompatibler Mobilfunknetze mit begrenzter Netzkapazität, unpraktischen Mobiltelefonen und überschaubarem Kundenkreis ab. In Deutschland ersetzten die D-Netze (D1: Telekom, D2: Mannesmann Mobilfunk) das analoge C-Netz. Der neue europäische Standard setzte sich international durch. Mit der digitalen Konvertierung von Sprache, Musik und Bildern verschmolzen Kommunikations- und Computertechnik. Die Zahl der gleichzeitig möglichen Verbindungen erhöhte sich exponentiell. In der mobilen Kommunikation entstand ein Riesenmarkt mit ganz neuen Produkten und Dienstleistungen. Dieser Schub der Produktivkräfte hat die Produktionsverhältnisse in vielen Wirtschaftszweigen umgewälzt. Etablierte Branchen und quasi monopolistische Lieferanten verschwanden, neue Anbieter und Geschäftszweige entstanden. Weltweit drängte anlagesuchendes Kapital in diesen Sektor. Fast überall im Westen wurden die staatlichen Telefonmonopole privatisiert. Deren jahrzehntelange Symbiose mit ihren Hauslieferanten (in der alten Bundesrepublik die „Amtsbaufirmen“ Siemens, SEL oder T&N) war vorbei.

Mit GSM begann der weltweite Siegeszug der Mobiltelefonie. Viele Länder der kapitalistischen Peripherie, die nicht das Geld für eine Festnetzinfrastruktur mit landesweiter Abdeckung hatten, starteten gleich mit der digitalen Mobiltelefonie, die nur einen Bruchteil einer Festnetzinfrastruktur kostet, auch wenn die im Land verteilten Basisstationen etwa über feste Leitungen mit den Mobilfunkzentralen und darüber mit dem Internet verbunden sind. Deshalb ist das Mobiltelefon in großen Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas das erste Kommunikationsmittel überhaupt, das Menschen in entlegensten Gebieten miteinander verbindet und den Kontakt zu Märkten, Bildungseinrichtungen oder Kliniken schafft.

GSM ermöglicht es zwar, zu telefonieren und SMS zu senden, aber nicht, größere Datenmengen zu übertragen. Erst der im Jahr 2000 definierte 3G-Standard, auch unter dem Begriff Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) bekannt, ermöglichte schnellere Datenübertragung und schuf damit die Voraussetzung für Internetsurfen, Bildübertragung oder Videotelefonie. Mobilfunkfirmen galten plötzlich als die Größten, die „Masters of the Universe“. Im Jahr 2000 schluckte Vodafone für 190 Milliarden Euro die Mobilfunksparte von Mannesmann, eine der teuersten Übernahmen der Wirtschaftsgeschichte.

Mobilfunkfirmen: keine Lizenz zum Gelddrucken

Als um die Jahrtausendwende die Frequenzen für den 3GMobilfunk in den reichen Ländern des Westens versteigert wurden, überboten sich die Mobilfunkfirmen gegenseitig. Allein der damalige deutsche Finanzminister Hans Eichel erlöste über 50 Milliarden Euro aus der Versteigerung. Danach kam der große Kater. Denn die Provider hatten sich verspekuliert, ihr „Business-Case“ ging nicht auf. Sie hatten zwar die teuren neuen Netze gebaut, aber das große Geld mit dem mobilen Surfen verdienten Plattformen wie Google, Facebook, Amazon und Alibaba. Außerdem dauerte es noch fast zehn Jahre, bis das Smartphone als günstig zu kaufender mobiler Computer mit „Killer“-Anwendungen, wie die Programme Google Maps oder YouTube, das mobile Surfen popularisierte und das Internet zu Milliarden Menschen brachte, die damit beispielsweise erstmals Zugang zu einem Bankkonto bekamen.

Vodafone, T-Mobile & Co sind seit der Investitionsbonanza hoch verschuldet und machen bezogen auf ihre Kundenbasis immer weniger Umsatz. Pro Kunde bzw. Kundin sind die Monatsumsätze in Europa von 35 US-Dollar im Jahr 2006 auf 20 US-Dollar im Jahr 2019 gefallen.(1) Zudem konkurrieren in Europa 26 Provider auf etwa der Fläche, auf der in den USA, einem hochgradig monopolisierten Markt, künftig nur noch drei Provider agieren.

2010 kam der 4G-Standard des Mobilfunks, der vor allem unter dem Begriff Long Term Evolution (LTE) bekannt ist, mit nochmals höheren Datenraten und schnelleren Ladezeiten. Doch diesmal hielten sich die Provider mit Netzinvestitionen zurück. Das ist einer der Gründe für die mangelnde Qualität und die unzureichende Netzabdeckung des Mobilfunks in Deutschland. Unzureichende staatliche Regulierung der Mobilfunkkonzerne hat dazu geführt, dass Funklöcher auch an Autobahnen oder quälend langsames mobiles Internet in vielen ländlichen Regionen leider die Regel sind.

5G-Mobilfunk: Projekt der Wirtschaft, für private überflüssig

Seit 2019 bauen Mobilfunkkonzerne in verschiedenen Teilen der Welt Netze nach dem neuen 5G-Mobilfunkstandard auf, landesweit beispielsweise in Südkorea und China. 5G ist in der Technikhistorie die fünfte Generation des Mobilfunks. Bislang hat das mobile Internet die Entwicklung bestimmt: Immer höhere Datengeschwindigkeiten haben zu immer mehr Datenvolumen geführt. 5G ist mehr als eine inkrementelle Weiterentwicklung des digitalen Mobilfunks. Mit 5G können Daten 50bis 100-mal schneller übertragen werden als bei 4G (LTE) – das heißt circa ein Gigabit oder eine Milliarde Bits pro Sekunde. Hundertmal mehr Endgeräte als bei 4G können pro Basisstation vernetzt sein.(2)

Gleichzeitig wird der Stromverbrauch um bis zu 90 Prozent gesenkt. Privatkund*innen oder Büroarbeiter*innen brauchen solche 5G-Geschwindigkeiten eher nicht. Nach einer Studie über den Internet-Traffic in der Redaktion des Wall Street Journal nutzten die Reporter*innen nur einen Bruchteil des unter 4G verfügbaren Datenvolumens, auch wenn sie mehrere Video-Streams gleichzeitig schauten.(3) Allenfalls beim Hochladen von Bildern und Videos dürfte mit 5G ein Unterschied zu 4G erkennbar sein und die Gamer könnten sich freuen, weil sie künftig ihre Spiele ultraschnell streamen können.

5G soll ganz neue wirtschaftliche und industrielle Anwendungen ermöglichen

Der 5G-Mobilfunkstandard definiert drei unterschiedliche Anwendungskategorien: Erstens bietet 5G-Mobilfunk mobiles Breitband und dadurch eine um ein Vielfaches höhere Datenrate. Medizinische Eingriffe (Telemedizin) über das Netz werden möglich oder technische Zeichnungen können auf die Datenbrille eines Technikers bzw. einer Technikerin übertragen werden. Militärische Drohnen können auf Basis aktuellster Bilder von potenziellen Zielen gesteuert werden. Zweitens ermöglicht 5G drahtlose zeitkritische Kommunikation zwischen Maschinen und Anlagen bei höchster Systemverfügbarkeit. Das ist elementar für Industrie 4.0. Künftig können per Mobilfunk ganze Produktionsanlagen und mobile Roboter neu konfiguriert werden. Auch für autonomes Fahren und autonome Fahrzeuge auf Hafen- oder Werksgeländen und für bewegliche Industrieroboter ist Echtzeitkommunikation nötig. In der industrialisierten Landwirtschaft braucht es für autonome Mähdrescher und Landmaschinen schnellen Mobilfunk und durchgängige Netzabdeckung. Schließlich ermöglicht 5G die drahtlose Steuerung von Maschinen und Geräten mit hoher Signalreichweite, hoher Energieeffizienz und Batterielaufzeiten von bis zu zehn Jahren. In diesem „Internet der Dinge“ (Internet of Things, IoT) können Milliarden Geräte vernetzt werden, die nur gelegentlich geringste Datenmengen senden und empfangen.

Unter dem Begriff „Smart City“ werden heute Anwendungen für Wasseruhren, Verkehrsampeln oder Stromzähler, für Parkleitsysteme oder die Straßenbeleuchtung getestet. Damit die 5G-Netze diese sehr unterschiedlichen Anforderungen erfüllen können, werden immer mehr Netzfunktionen von der Hardware in die Software verlagert. So können verschiedenste virtuelle Subnetze aufgebaut werden. Bislang in einer Internet-Cloud etwa bei Amazon oder Google residierende Daten und Programme können mit 5G in die auf einem Werksgelände installierten Mobilfunk-Hotspots verlagert werden. Das sorgt für geringste Verzögerung der Signale. Denn die Daten wandern nicht mehr in die Cloud im Internet, sondern zur Basisstation in der Nähe. Für Ausfallsicherheit sorgen mehrere Basisstationen gleichzeitig, die dasselbe Signal koordiniert mehrfach an den Empfänger senden. Zu den Vorteilen für die Unternehmen zählt, dass die Daten direkt vor Ort verarbeitet werden. Damit sind Firmengeheimnisse besser geschützt. T-Mobile und Vodafone, deren klassisches Geschäft unter massivem Preisdruck steht, erwarten von 5G-Lösungen ein neues Geschäft mit höheren Margen.

Wird 5G das Nervensystem moderner Volkswirtschaften?

Der 5G-Mobilfunk ist eine Basistechnologie und liefert modernste Kommunikationsinfrastruktur für vielfältigste kommerzielle und auch militärische Anwendungen. Mit diesen Vorteilen werben die Verfechter*innen von 5G. Aber werden 5G-Netze existierende Netzstrukturen und Inhouse-Netze der Firmen künftig ersetzen? Braucht es überhaupt 5G, damit aus Technologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0, Smart Home oder Smart City, deren Anwendung teilweise fragwürdig ist, ein profitables Geschäft wird? Sorgt die 5G-Infrastruktur für einen Schub der Kapitalverwertung? Oder ist 5G ein technisches Wunderwerk auf der verzweifelten Suche nach gesellschaftlichem Nutzen? Zweifellos kann 5G einen Multiplikatoreneffekt für eine ganze Reihe anderer Technologien haben. Aber das kann dauern, lehrt die Geschichte: Bis aus der Verbindung von digitalem Mobilfunk und Internet das große Geschäft wurde, vergingen viele Jahre.

Trotz des zweifelhaften Nutzens werden in den nächsten Jahren geschätzt etwa 1.000 Milliarden US-Dollar in den Ausbau der 5G-Netze fließen. Denn die Unternehmen und Länder, die als erste 5G entwickeln und anwenden, setzen globale Standards und erhoffen sich Konkurrenzvorteile. Das gilt auf jeden Fall für China: Der schnelle 5G-Ausbau im Land wird den weltweit größten Markt mit geschätzt 600 Millionen privaten 5G-Nutzer*innen im Jahr 2025 schaffen. Die Musik für die Netzausrüster spielt also dort. Die 5G-Infrastruktur kostet ein Vermögen, weshalb die chinesischen Telekomfirmen die neuen Netze gemeinsam bauen. Im Oktober 2019 waren in China schon 85.000 5G-Basisstationen installiert, Ende 2019 sollten es über 130.000 mit 5G-Abdeckung in den Metropolen sein.(4) 5G ist für China auch ein Werkzeug zur Modernisierung der Industrie. Das Kalkül der Staatsplaner: Ein Großteil der installierten Produktionsbasis etwa in Deutschland kann nicht mit der hohen Präzision mithalten, die chinesische 5G-gesteuerte Anlagen künftig liefern.

Doch ist 5G wirklich alternativlos? Auch 4G-Netze können etwa Tausende Sensoren in einer Produktion schnell vernetzen. Kostenlose WiFi- oder Bluetooth-Netze sind für zeitkritische Anwendungen ebenso machbar. In seinem Buch „The 5G Myth“ vergleicht William Webb die Wetten auf immer schnellere Datengeschwindigkeiten mit der Luftfahrtbranche: „5G könnte enden wie die Concorde – ein Meisterstück der Ingenieurskunst mit Nutzen nur für eine winzige Minderheit.“(5) Im Frühjahr 2019 hatte die EU-Kommission ein „technologieneutrales“, WiFi-basiertes System mit 5GOption für autonomes Fahren vorgeschlagen, musste ihren Vorschlag aber auf Druck der Autolobby zurückziehen. Die Tatsache, dass China der weltgrößte Automarkt ist und das autonome Fahren dort 5G-basiert ist, dürfte dafür ausschlaggebend gewesen sein.

Dilemma des Westens: Huawei bei 5G führend

Ob und wann 5G tatsächlich zum Nonplusultra der Kommunikation wird, ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen. Sicher ist aber, dass der chinesische Huawei-Konzern dabei eine große Rolle spielt. Damit hat der Westen ein Problem. Huawei wurde 1987 vom ehemaligen Offizier Ren Zhengfei gegründet. Heute hat Huawei weltweit über 180.000 Beschäftigte. Der Konzern machte im letzten Jahr 123 Milliarden US-Dollar Umsatz und ist beim Verkauf von Smartphones nach Stückzahlen die Nummer 2. Vor allem führt Huawei bei Mobilfunknetzen – deutlich vor Ericsson und Nokia – mit einem Marktanteil von 28 Prozent im Jahr 2018. Im Februar 2020 hatte Huawei bereits 91 Verträge für 5G-Ausrüstung mit Netzbetreibern auf der ganzen Welt abgeschlossen, davon 47 in Europa und 27 in Asien.(6) Huawei ist preislich günstig und technologisch spitze. 2018 investierte Huawei 15,1 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung, mehr als doppelt so viel wie die skandinavische Konkurrenz zusammen. Die meisten 5G-Patentanmeldungen entfallen auf Huawei. Führend ist Huawei auch bei der Entwicklung von Chips, Sensoren und Software für das industrielle Internet, um Produktion und Logistik mit dem Internet zu verbinden. 2018 umfasste dieser Markt 44 Milliarden US-Dollar mit jährlichen Wachstumsraten von 25 Prozent. In China, der „Fabrik der Welt“, kann Huawei die neuen Standards setzen, denn anders als beim 5G-Mobilfunk gibt es für diese Sparte noch keine allseits akzeptierten Richtlinien. Beim industriellen Internet steht Huawei mit seiner Cloud-Plattform Ocean-Connect in direkter Konkurrenz zum Cloud-Geschäft der US-Konzerne Google und Amazon.

Wie der Westen das Rennen um 5G verlor

Angesichts der möglichen Bedeutung von 5G für den Technologiesektor und die Gesamtwirtschaft ist es erstaunlich, dass kein US-Konzern die gesamte 5G-Ausrüstung von Antennen über Basisstationen bis hin zu Backbone-Servern, den mit hohen Datenübertragungsraten verbundenen Computern und Datenbanken im Kernbereich der Mobilfunknetze, liefern kann.

Früher waren die Bell Labs, die ehemalige Forschungsabteilung der US-Telefongesellschaft AT&T, aus denen verschiedene Nobelpreisträger hervorgingen, das Mekka der Telekommunikation. Aber in den 1990er Jahren liberalisierten die USA die Telekommunikation – genauso wie Deutschland, Großbritannien und andere Länder. Plötzlich gab es für die etablierten Netzausrüster wie das aus den Bell Labs hervorgegangene Unternehmen Lucent Technologies zahlreiche neue Konkurrenten auf einem deregulierten Markt. Der riesige chinesische Markt bot um die Jahrtausendwende einen Ausweg: die Chefs der weltweit größten Netzausrüster pilgerten nach Peking und machten Zusagen, ihre Technologien und Produktionsstätten in China zu lokalisieren. China verlangte für den Zutritt zum Riesenmarkt, dass chinesische Geschäftspartner und staatliche chinesische Forschungsinstitute Zugang zu den Technologien und zum Know-how bekamen. John Roth, damaliger Chef des kanadischen Telekommunikationsunternehmens Nortel Networks, erklärte 1999:  "Wir haben eine langfristige Verpflichtung für den chinesischen Markt übernommen, dort eine lokale Telekomindustrie auf Weltniveau zu entwickeln."(7) Der Rest ist Geschichte: Nortel und andere Unternehmen, darunter auch Siemens, haben erfolgreich mitgeholfen, Chinas heutige Spitzenstellung in der Kommunikationstechnik aufzubauen. Aber die eigene Position konnten sie nicht halten. 2009 ging Nortel in die Insolvenz, viele Nortel-Forscher*innen wechselten zu Huawei. Der oben bereits erwähnte US-Netzausrüster Lucent Technologies wurde 2006 von Alcatel übernommen und ist inzwischen Teil von Nokia. Siemens hat nach dem Jahr 2000 seine Telekommunikationssparte schrittweise abgewickelt. Heute gibt es neben Huawei nur noch zwei andere Komplettanbieter für 5G-Ausrüstung, nämlich Ericsson und Nokia.

Technisch offene Funkzugangsnetze (OpenRAN) und damit Alternativen zu herstellergebundener 5G-Ausrüstung von Huawei, Nokia und Ericsson sind derzeit noch in der Entwicklung.(8) Auch T-Mobile, mit der Übernahme des US-Mobilfunkanbieters Sprint aktuell vom Goodwill der Trump-Regierung abhängig, arbeitet daran. Technisch werden die Mobilfunkdaten bei OpenRAN nicht mehr über eine feste mobile Verbindung, sondern als Pakete übermittelt. Insider*innen zufolge führt diese Übertragungsform aber noch zu erheblichen Leistungsverlusten, weil die von verschiedenen Lieferanten gekaufte Ausrüstung nicht optimal aufeinander abgestimmt ist. Zudem würde offene 5G-Software auch die auf hauseigenen Technologien beruhenden lukrativen Geschäftsmodelle von US-Technologiefirmen wie Cisco und Oracle gefährden.

Systemkonflikt: US-Amerikanischer Krieg gegen Huawei und die Rolle Europas

Die USA haben Huawei den Krieg erklärt. Auf Ersuchen der US-Justiz ließ die kanadische Regierung im Dezember 2018 Meng Wanzhou, die Huawei-Finanzchefin und Tochter des Firmengründers, in Vancouver verhaften. Sie soll gegen Iran-Sanktionen verstoßen und Industriespionage getrieben haben. Die US-Regierung verlangt von Kanada ihre Auslieferung. Dabei geht es den USA eigentlich um ihre bislang ungefährdete Dominanz bei den digitalen Technologien. Die USA sehen sich durch den „systemischen Rivalen“ China und speziell durch Huawei bedroht. In einem Dossier des Nationalen Sicherheitsrates der USA zu 5G heißt es lapidar: „Wir verlieren.“ Huawei sei bei 5G führend.(9) Deshalb hat die Trump-Regierung allen US-Konzernen, vor allem den technisch immer noch führenden US-Chipkonzernen, seit Frühjahr 2019 alle Geschäfte mit Huawei untersagt.

Den Handelsstreit mit Huawei verkaufen die USA in der Öffentlichkeit mit der vorgeblichen Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit: China könne über Hintertüren in Huawei-Produkten an sensible Daten kommen und mit Cyberangriffen kritische Infrastrukturen im Westen lahmlegen. Der Einfluss der Regierung in Peking auf chinesische Unternehmen stelle eine Bedrohung für die wirtschaftliche und nationale Sicherheit Amerikas dar, so der Direktor des Federal Bureau of Investigation (FBI) Christopher A. Wray.(10) „Der Dieb schreit: Haltet den Dieb!“: Bislang haben die USA jedoch keinerlei Belege gegen Huawei geliefert. Dagegen ist vielfach belegt, dass US-Geheimdienste, aber auch der Bundesnachrichtendienst (BND) Hintertüren in den Produkten von Technologiekonzernen wie Cisco oder Siemens für die Spionage genutzt haben(11). Mit der gleichen Argumentation wie die US-Regierung könnte China übrigens den Einsatz von 5G-Basisstationen oder Smartphones untersagen, die mit 5G-Chips von US-Firmen ausgerüstet sind.

Parallel zu den Sanktionen haben die USA eine diplomatische Offensive gegen Huawei gestartet, in der Huawei als verlängerter Arm des chinesischen Staates dargestellt wird. Im Juli 2017 traf sich die Abhörallianz „Five Eyes“ der Geheimdienste der USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands. Es ging um 5G. Daraufhin schlossen Australien und Neuseeland Huawei ganz vom Aufbau der 5G-Netze aus. Die britische Regierung entschied sich Anfang 2020 für eine Zusammenarbeit mit Huawei. Trump soll nach dieser Entscheidung am Telefon ausfallend gegenüber Boris Johnson geworden sein und die Financial Times zitierte im Februar 2020 den republikanischen US-Senator Tom Cotton: "Huawei zu erlauben, heute das britische 5G-Netz zu bauen, ist wie eine Erlaubnis für den KGB zu Zeiten des Kalten Krieges, das britische Telefonnetz zu bauen."(12) Zwar dürfen die britischen Mobilfunkanbieter Huawei-Ausrüstung nicht im Kern der neuen Netze verbauen. Aber bei 5G liegt die Netzintelligenz ohnehin vor allem in der Peripherie, den Basisstationen. Außerdem darf der Huawei-Anteil an der neuen 5G-Ausrüstung wertmäßig nicht mehr als 35 Prozent betragen. Diese Entscheidung kostet allein Vodafone circa 500 Millionen Euro. Denn die Netzbetreiber nutzen insbesondere Huawei-Bauteile in ihrer 4G-Infrastruktur. Bei einem kompletten Ausschluss von Huawei hätten die britischen Netzbetreiber auch den größten Teil der 4G-Ausrüstung teuer ersetzen müssen. Der Start der neuen 5G-Netze hätte sich um mehrere Jahre verzögert. Auch die drei deutschen Netzbetreiber (Telekom, Vodafone und Telefónica) verwenden bislang Ausrüstung von Huawei. Ein kompletter Ausschluss des Unternehmens von den Ausschreibungen für die deutschen 5G-Netze würde Milliarden Euro kosten und den Netzaufbau erheblich verzögern. Karl-Heinz Streibich, der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech), verlangte, Deutschland als Exportchampion solle sich „strategisch positionieren […]. Ein hartes, umfassendes Nein zu Huawei käme einem partiellen Wirtschaftsboykott gleich.“(13)

Spy versus Spy: Huawei und der Untergang des Abendlandes

Die ideologisch aufgeheizte Diskussion um Huawei und 5G oszilliert hierzulande zwischen der scheinheiligen Moral westlicher Werte, europäischer Industriepolitik und sicherheitstechnischen Überlegungen: „Wenn Kanzlerin Angela Merkel entscheidet, ob man sich auf einen zwar preisgünstigen, aber hoch riskanten Anbieter aus China verlassen will, geht es vor allem um die Werte und die Demokratie in Deutschland“, so die Direktorin des Asien-Programms der US-amerikanischen Stiftung German Marshall Fund, Julianne Smith.(14) Ähnlich äußerte sich Nancy Pelosi von den US-Demokraten und Sprecherin des Repräsentantenhauses bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2020. Die Süddeutsche Zeitung prophezeite Ende 2019 gleich den Super-GAU: „5G ist die Nervenbahn einer vernetzten Gesellschaft, in der im schlimmsten Fall ein Befehl aus Peking genügen könnte, um in Deutschland keine Huawei-Updates mehr aufzuspielen.“(15) Die Transatlantiker in der CDU/CSU und bei den Grünen stoßen ins gleiche Horn. Der chinesische Technologiekonzern steht unter Generalverdacht, zwangsläufig Werkzeug der bösen Absichten der Kommunistischen Partei Chinas zu sein. Sachlicher sind die bisherigen Untersuchungen etwa des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) oder des britischen Geheimdienstes. Die Behörden haben Huawei-Technik auf etwaige Sicherheitslücken für Chinas „Schnüffler“ geprüft und keine Schadstellen gefunden. Allerdings gilt in der Informatik die Erfahrungsregel, dass auch bei ausführlichsten Softwaretests niemals alle Fehler gefunden werden. Die EU-Kommission hat ihrerseits Anfang des Jahres 5G-Sicherheitsempfehlungen(16) für ihre Mitglieder veröffentlicht, die nicht auf einen kompletten Ausschluss von Huawei hinauslaufen, und die Bundesregierung plant parallel zur Entscheidung über 5G, die in den nächsten Monaten fallen soll, ein Anti-Spionage-Abkommen mit der Volksrepublik China.(17)

Nach jahrzehntelangem Ausverkauf der Industrie in den USA und teilweise in Europa ist wieder Industriepolitik angesagt. Plötzlich soll der Staat in sicherheitsrelevanten Branchen wie der Telekommunikation eingreifen und als ideeller Gesamtkapitalist fungieren. Der US-Generalstaatsanwalt William Barr schlug im Februar dieses Jahres vor, die USA und ihre Verbündeten sollten Vorschläge für kontrollierende Anteile an Ericsson und Nokia prüfen.(18) Die Aktienkurse beider Firmen stiegen gleich jeweils um über fünf Prozent. Eine andere Variante sind staatlich garantierte Kreditlinien, damit Nokia und Ericsson vergleichbare Konditionen wie Huawei anbieten können. Ein früherer finnischer Ministerpräsident verwies auf die geopolitischen Interessen der EU und auf die seltene Gelegenheit, einen europäischen 5G-Champion zu etablieren.

Positionen linker Politik zu 5G und Huawei

5G ist ohne Zweifel ein Wirtschaftsprojekt, die möglichen Vorteile kommen vor allem großen Unternehmen zugute. Der Gesellschaft nutzt der Ausbau wahrscheinlich selbst auf längere Sicht wenig. Deswegen sollten auch keine Steuergelder oder Subventionen in den 5G-Ausbau fließen. Aber bei allen Bedenken gegen die Einführung des ultraschnellen 5G-Mobilfunks in Deutschland ist eine Kampagne zur Verhinderung von 5G nicht realistisch. Die Diskussion um 5G bietet dagegen die Chance, den beklagenswerten Zustand der flächendeckenden Versorgung mit schnellen Datenverbindungen in Deutschland und eine Mobilfunk-Infrastruktur zu thematisieren, die hinter die in Albanien zurückfällt. Jetzt sind Forderungen umso wichtiger, die Festnetz -und mobilen Verbindungen massiv auszubauen und die Bundesnetzagentur als staatlichen Regulator zu harten Auflagen für die Netzbetreiber zu zwingen. Das ist im Interesse sowohl der ganzen Gesellschaft als auch der kleinen und mittleren Unternehmen, die vielfach von schnellen Internetverbindungen abgekoppelt sind.

Der dominante politische Diskurs um Huawei beim Aufbau der 5G-Netze in Europa ist ideologisch aufgeheizt und scheinheilig. Wenn es um China geht, rufen Marktfetischist*innen plötzlich nach dem Staat. Westliche Geheimdienste haben nachweislich Kommunikationsinfrastrukturen systematisch zur Spionage und Sabotage genutzt. Für die Unterstellung, dass auch das aufstrebende China mithilfe von Huawei so vorgeht, gibt es keinerlei Belege. Warum sollte ausgerechnet jetzt die Öffentlichkeit in Europa den Argumenten der US-amerikanischen Regierung trauen? Ein kompletter Ausschluss des chinesischen Lieferanten Huawei steht aus Sicht Europas und Deutschlands ohnehin nicht zur Debatte. Dafür ist die wirtschaftliche Vernetzung mit China zu eng. Ein europäischer Boykott von Huawei und damit eine einseitige Parteinahme für den US-amerikanischen Wirtschaftskrieg gegen China würde Europas Position gegenüber dem bisherigen Hegemon USA und der aufstrebenden Weltmacht China weiter schwächen und die politischen Spaltungslinien in Europa weiter vertiefen.

Anmerkungen

1) The Economist: Vodafone’s search for the G-spot. Why telecoms firms view 5G with trepidation, 24.8.2019.

2) Eine übersichtliche Darstellung der 5G-Technik findet sich bei Dušan Živadinovic: Die Technik hinter 5G: So funktioniert das neue Funknetz, Heise-on-line, 2.4.2019, unter: www.heise.de/-4355865 .

3) Zit. nach: The Economist: Vodafone’s search for the G-spot.

4) Vgl. Financial Times, 30.10.2019.

5) Webb, William: The 5G Myth: When Vision Decoupled from Reality, London 2018, S. 156.

6) Beuth, Patrick: Huawei hat 5G-Verträge mit 47 europäischen Providern, Spiegel Online, 21.2.2020, unter: www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/huawei-hat-5g-vertraege-mit-47-europaeischen-providern-a-3b44bd94-7279-4858-ac0a-aa29cbea1e7d .

7) Zit. nach: Kynge, James/Fildes, Nic: Hua-wei: The indispensable telecoms company, in: Financial Times, 31.1.2020, unter: www.ft.com/content/24b01f0e-441e-11ea-a43a-c4b328d9061c.

8) The Economist: America does not want China to dominate 5G mobile networks, 8.4.2020.

9) Defence Innovation Board: The 5G Ecosystem: Risks and Opportunities for DoD, Washington, 3.4.2019, unter: https://media.defense.gov/2019/Apr/03/2002109302/-1/-1/0/DIB_5G_STUDY_04.03.19.PDF.

10) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.1.2018.

11) Anfang 2020 wurde enthüllt, dass die Central Intelligence Agency (CIA) und die National Security Agency (NSA) zusam-men mit dem BND im Rahmen der Operation Rubikon jahrzehntelang auch Nato-Partner ausspioniert hatten. Denn die von Siemens gelieferte, angeblich abhörsichere Telekom-Ausrüstung hatte spezielle Hintertüren für die Geheimdienste.

12) Kynge/Fildes: The indis-pensable company.

13) Karl-Heinz Streibich, zit. nach: Koch, Moritz/Neuerer, Dietmar: Ex-Chef der Software AG: «Wir brauchen die Stärke Europas», in: Handelsblatt, 28.10.2018, unter: www.handelsblatt.com/politik/deutschland/karl-heinz-streibich-ex-chef-der-soft-ware-ag-wir-brauchen-die-staerke-europas/25155940.html?ticket=ST-572002-z5T72Sc-qyUKCcBgYy6ll-ap4.

14) Smith, Julianne: Um welche Werte geht es hier eigentlich?, in: Süddeutsche Zeitung, 13.2.2020, unter: www.sueddeutsche.de/politik/5g-china-usa-meinung-1.4796321.

15) Giesen, Christoph: Im Dienste der KP, in: Süddeutsche Zei-tung, 3.11.2019, unter: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-im-dienste-der-kp-1.4665546.

16) Europäische Kommission: Cybersecurity of 5G networks – EU Toolbox of risk mitigating measures, 29.1.2020, unter: https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/cybersecurity-5g-networks-eu-toolbox-risk-mitigating-measures.

17) Eine aus-führliche Darstellung der politischen Diskussion um Huawei findet sich bei Kronauer, Jörg: Die Schlacht um Huawei, German Foreign Policy, 19.2.2020, unter: www.german-foreign-policy.com/news/detail/8191/.

18) Vgl. Financial Times, 8.2.2020.

Quelle: ROSALUX Standpunkte 08/2020

Wolfgang Müller ist Sozialwissenschaftler und Informatiker und hat bis 2014 für die IG Metall Bayern gearbeitet. Er hat mehrere Jahre in China gelebt und publiziert regelmäßig über die Entwicklung in und die Arbeitsbeziehungen in China.