Mali in Aufruhr
Parlamentsgebäude in Flammen

von Bernard Schmid

07/2020

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onlinezeitung

Stand: 12. Juli 2020

Eine verworrene Situation // vgl. https://www.financialafrik.com/ // herrschte an diesem Wochenende (11./12. Juli 20) im westafrikanischen Mali, wo eine aufgebrachte Menge von Protestierenden am Freitag, den 10. Juli d.J. das Parlamentsgebäude anzündete // vgl. https://www.lemonde.fr //, ebenso wie dasjenige des staatlichen Fernsehens (ORTM) attackiert wurde. // Vgl. https://malijet.com/ // Telefon- und Interverbindungen waren am Sonntag (12. Juli) durch die Behörden vielfach unterbrochen worden; dem Autor gelang es jedoch, zu einzelnen Personen telefonisch durchzukommen.

Die Regierung räumte zunächst einen Toten ein // vgl. https://malijet.com/ //, später von war von mindestens drei Toten die Rede. // Vgl. https://malijet.com/actualite// Krankenhausquellen sprachen zunächst von fünf Getöteten. // Vgl. http://malijet.co// Oppositionelle Medien ihrerseits sprachen am Sonntag von 17 Toten und zeigten in Bildern Stellen mit Blutlachen am Boden. // Vgl. https://m.facebook.com/; Videos können aufgrund der allgemeinen Situation derzeit vorübergehend nicht abrufbar sein. // In der Bevölkerung ist die Rede davon, die Schmutzarbeit sei zum Teil durch Söldner aus dem, von heftigen innenpolitischen Konflikten geschüttelten und bis 2010 durch eine Militärdiktatur geführten, Nachbarland Guinea ausgeführt worden.

Der vergangene Freitag (10. Juli 20) war erneut von massiven Protestdemonstrationen in der Hauptstadt Bamako und – in geringerem Ausmaß – in weiteren Städten wie Kayes im Westen, Mopti im Zentrum und Sikasso im Südosten des Staatsgebiets geprägt.

Seit dem ersten Protestfreitag am 05. Juni dieses Jahres // vgl. https://www.rfi. // häufen sich die Demonstrationszüge und Kundgebungen gegen den amtierenden Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta, allgemein „IBK“ genannt. Das die Massenproteste tragende, heterogene Oppositionsbündnis nennt sich deswegen auch „Bewegung des 5. Juni – Sammlung der patriotischen Kräfte“, in der französischen Abkürzung: M5-RPF. Seit dem vorigen Freitag ruft es nun zum offenen „zivilen Ungehorsam“ im Land auf. // Vgl. https://malijet.com/// Ziel ist es, Staatspräsident „IBK“ zum Rücktritt zu drängen. // Vgl. https://www.lemonde.fr/ // Auch politische Kommentatoren sprechen mittlerweile einer „Transition“, also einer Übergangsperiode zur Umbildung der staatlichen Exekutive, das Wort. // Vgl. http://www.rfi.fr/fr/ //

Bereits am 19. Juni d.J., aus Anlass der zweiten größeren Protestwelle, wollte mindestens ein Teil der protestierenden Menge in der Hauptstadt Bamako unmittelbar vor den Präsidentenpalast ziehen und dem Staatschef quasi seine Entlassungsurkunde persönlich überreichen. Es war der immer einflussreicher werdende Prediger Mahmoud Dicko, um welchen es weiter unten noch ausführlicher gehen wird, der dies verhinderte, mit dem Argument, man möge den staatlichen Sicherheitskräften keinen Anlass zur Repression bieten. // Vgl. https://malijet.com/

Doch was sind die Hintergründe des Protests?

Es ist eine heterogene Koalition, die derzeit im westafrikanischen Mali die Bevölkerung zu Protestdemonstrationen auf die Straße mobilisiert. Mehrere Zehntausend Menschen, unter ihnen Hauptstadtbewohner, aber auch aus anderen Landesteilen extra Angereiste, demonstrierten erstmals am 05. Juni dieses Jahres nach dem Freitagsgebet auf dem „Platz der Unabhängigkeit“ im Zentrum der Hauptstadt Bamako, auf der nördlichen Flussseite des Niger. Sie alle einten politische, aber für die meisten Beteiligten auch soziale Anliegen wie die dramatische Unterfinanzierung von Schulen und Krankenhäusern, die häufigen Unterbrechungen der Stromversorgung, fehlende Arbeitsmöglichkeiten für die auf den Arbeitsmarkt drängende Jugend. Die grassierende, quasi um Regierungssystem gewordene Korruption anzuprangern, gehörte und gehört zum Allgemeinkonsens.

Die zwei Hauptredner an jenem Tag im Juni zählten zu ziemlich unterschiedlichen Lagern. Einer von beiden, der bereits erwähnte Mahmoud Dicko – da er aus der teilweise arabischsprachigen Region um Tombouctou (eingedeutscht Timbuktu) stammt, trägt er den Vornamen in seiner arabischen Variante, im Süden des Landes wird er jedoch meistens in der lokalen Version „Mahamadou Dicko“ genannt – war bis 2017 einer der engsten Verbündeten von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta. Letzterer wurde im August 2013 erstmals gewählt und 2018 im Amt bestätigt.

Bei seiner ersten Wahl verhalf Dicko ihm zu viel Zulauf von Stimmberechtigten aus dem religiösen oder sozial konservativen Lager. Damals stand er, seit 2008, dem „Hohen Islam-Rat“ (HCI) vor, einer Vertretung des in die staatlichen Institutionen eingebundenen Klerus, der ein Wörtchen in der Politik mitreden kann – allerdings nicht direkt in die Regierungsgeschäfte hineinreden, denn Mali ist eine laizistische Republik nach französischem Vorbild, auch die christliche Minderheit kommt etwa in den öffentlich-rechtlichen Medien gleichberechtigt vor. Und zwar ist die übergroße Mehrheit gläubig, sei es im Sinne der muslimischen oder christlichen Religion oder auch animistischer Glaubensvorstellungen; Atheisten geben sich jedenfalls nicht öffentlich zu erkennen, und insgesamt neunzig Prozent bekennen sich zum Islam in einer seiner Varianten. Doch von Religionsfunktionären oder organisierten Klerikern lassen sich sehr viele Malier nur ungern Vorschriften machen, vielmehr betrachten sie oft ihre Beziehung zu Gott als eine individuelle oder familiäre, blicken dem Bodenpersonal jedoch mit Misstrauen entgegen.

Heterogenes Oppositionsbündnis

Der 55jährige Mahmoud Dicko selbst vertritt eine erkennbar politisierte Vorstellung von Religion, ohne jedoch unter Rückgriff auf Gewalt einen Gottesstaat im Land errichten zu wollen. Er wird in der Regel zur so genannten quietistischen Richtung des Salafismus gezählt, also jener Strömung, die anders als die djihadistischen Salafisten nicht anstrebt, „gottlose“ Regierungen umstürzen und andere an ihre Stelle zu setzen, sondern eher durch Predigten, das Vorbild guter Taten, Sozialarbeit sowie Agitation und Propaganda die Gesellschaft zu beeinflussen sucht. Im April 2019 trat er von seinem Amt beim HDI zurück. Im darauffolgenden September gründete er eine neue Organisation, die CMAS (Koordination der Bewegungen, Vereinigungen und Sympathisanten), mit denen er gegen die Regierung opponiert.

Der andere Hauptredner aus demselben Anlass, Clément Dembélé, ist ein 46jähriger Hochschullehrer. 2010 legte er in Frankreich eine Doktorarbeit in vergleichender Literaturwissenschaft vor. Bekannt wurde er vor allem als „Anti-Korruptions-Aktivist“. Er appelliert, auf nicht-religiöser Basis, an die Zivilgesellschaft und ihren steigenden Unmut. Aufgrund seiner lauten Kritik wurde er am 09. Mai auf außergesetzliche Weise durch die Generaldirektion für Staatssicherheit (DGSE) – einen Inlandsnachrichtendienst – festgenommen // vgl. http://afpafricaine.org// //, vierzehn Tage lang verhört und am 23. Mai wieder freigelassen. // Vgl. https://www.lemonde.fr // Dieses „Kidnapping“, wie viele sagen, löste seinerseits Protest aus.

Hinter beiden und den zahllosen anderen Protestierenden steht eine breite Koalition von Oppositionskräften, unter ihnen unterschiedliche parlamentarische Parteien, NGOs und religiöse Zirkel, die sich zunächst unter dem Namen „Sammlung der patriotischen Kräfte“ zusammengeschlossen hat, inzwischen – wie erwähnt – hinter dem Zusatz „Bewegung des 5. Juni“. Ihr gehören unter anderem die CMAS, aber auch das oppositionelle Parteienbündnis „Front für die Rettung der Demokratie“ (FSD) oder die bürgereinitiativenähnliche Vereinigung Espoir Mali Koura an. Aber auch die früher maoistische, heute eher linksnationalistische Partei SADI zählt dazu // vgl. https://maliactu.net// //, auch wenn es – anscheinend infolge interner Umorientierungsdebatten – um ihren Vorsitzenden Oumar Mariko in jüngerer Zeit etwas stiller // vgl. https://maliactu.net/ // wurde.
 

Seit einer Frist, die dem Präsidenten „IBK“ zunächst gesetzt worden war, um auf Proteste zu reagieren, und die am Abend jenes 05. Juni auslief, wird dieser nunmehr zum Abtritt aufgefordert. Auch wenn der zunehmend einflussreiche Imam Dicko sich selbst in einem Sinne äußerte („das Ruder herumdrehen“), der auch eine Kursberichtigung durch das Staatsoberhaupt offenzulassen scheint. Seitdem laufen zahlreiche informelle Gespräche. Solche hatte es auch im Vorfeld gegeben: Die „Gründerfamilien von Bamako“, also die Oberhäupter alteingesessener Familien der Hauptstadt, hatten an die Oppositionskräfte appelliert, ihre Versammlung abzublasen. Im Gegenzug wurde ihnen angeboten, einen parlamentarischen Misstrauensantrag gegen die Regierung zur Abstimmung zu stellen, worauf diese sich jedoch nicht einlassen mochten und was auch folgenlos geblieben wäre.

Internationale Akteure setzen allem Anschein nach ebenfalls darauf, vor allem Mahmoud Dicko in Verhandlungen einzubinden. // Vgl. https://www.jeuneafrique.com/ // Ihn trafen Vertreter der Afrikanischen Union, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (französisch CEDEAO, englisch ECOWAS) sowie der UN-Truppe für Mali, MINUSMA, am 08. Juni dieses Jahres – drei Tage nach den ersten Massenprotesten - offiziell. // Vgl. https://www.lemonde.fr/ // Im Juli sprach ein französischer Strategieforscher davon, Mahmoud Dicko drohe einerseits, Frankreichs Einfluss in der Region – eventuell zugunsten Russlands und Chinas – zurückzudrängen, biete der französischen Armee andererseits jedoch die Perspektive, den Konflikt mit den noch immer im Norden Malis bewaffnet kämpfenden, teilweise die Bevölkerung terrorisierenden // vgl. https://malijet.com/ // und Sabotage betreibenden // vgl. https://malijet.com/actualite // Jihadisten beilegen zu können. Dies erlaube der Armee Frankreichs eventuell, über eine Exit-Perspektive zu verfügen, fügte Strategieforscher Serge Michailof hinzu. // Vgl. https://www.lemonde.fr///

Auslöser des Unmuts

Ein wichtiger Auslöser für das Lautwerden von Unmut bildeten die Parlamentswahlen, die die Staatsführung unter „IBK“ am 29. März d.J. im ersten und am 19. April im zweiten Wahlgang, also mitten in der Coronavirus-Krise, abhalten ließ // vgl. https://fr.africanews.com/// // – während zugleich Maßnahmen ergriffen wurden, die weitgehend eine Kopie der bei der Ex-Kolonialmacht Frankreich verfügten Ausgangsbeschränkungen darstellten und auch nahezu zeitgleich mit dem französischen Lock-down gelockert wurden. Entsprechend gering fiel der Enthusiasmus in der Bevölkerung aus, wo vielfach spöttisch von der Wahl von „Corona-Abgeordneten“ gesprochen wurde. // Vgl. https://jean-jaures.org/nos-productions/covid-19-en-afrique-le-mali-malade // Die reale Wahlbeteiligung dürfte die Zwanzig-Prozent-Marke kaum überschritten haben; ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Beobachtergruppen bezifferte sie am 19. April seinerseits mit 23 Prozent.

Bartgerechte Haltung für Oppositionsführer

Hinzu kam noch, dass der parlamentarische Oppositionsführer – der 2013 und 2018 gegen „IBK“ gescheiterte Präsidentschaftskandidat Soumaïla Cissé am 25. März d.J., also vier Tage vor dem Wahltermin, mutmaßlich durch Jihadisten entführt wurde. // Vgl. https://www.lemonde.fr/ // Die Regierung entschied sich unbeirrt dazu, die Wahlen einfach trotzdem abhalten zu lassen, obwohl der Chef der URD (Union für die Republik und die Demokratie) verschwunden blieb. Bislang tauchte er auch nicht wieder nicht auf // vgl. https://www.afrik.com //, doch die Entführer meldeten sich zwischenzeitlich zu Wort, um anzukündigen, Cissé werde gut behandelt; man werde ihn nicht freilassen, bevor sein Bart nicht in salafistischen Vorstellungen entsprechender, genügender Länge gewachsen sei. // Vgl. https://afrique.le360.ma/ // Seit Anfang Juni setzen sich verstärkt auch Parlamentarier afrikanischer Länder für seine Freilassung ein; inzwischen tat dies im Juli auch das französische Außenministerium. // Vgl. https://malijet.com/ //

Cissé, der früher unter anderem in Frankreich bei Großunternehmen arbeitete – IBM und Pechiney und der Fluglinie Air Inter – und von 2004 bis 2011 Kommissionschef der ECOWAS war, steht sicherlich wohl kaum für eine soziale Alternative zur jetzigen Regierungspolitik, wobei ein Großteil der Bevölkerung innenpolitische Fronten aber ohnehin nicht durch das Raster einer etwaigen Klassenpolarisierung wahrnimmt. Doch immerhin ist er der Chef der stärksten parlamentarischen Oppositionspartei, und Wahlen einfach ohne ihn abzuhalten, wirkt, gelinde ausgedrückt, seltsam.

Als die offiziellen Wahlergebnisse vom 19. April d.J. verkündet wurden, wies die Präsidentenpartei RPM (Sammlung des malischen Volkes) plötzlich eine zweistellige Zahl von Sitzen zusätzlich zu den in ersten Prognosen des Innenministeriums angekündigten auf. Die Sitzverteilung und die offiziellen Wahlresultate wurden beim – nicht unbedingt als regierungsunabhängig geltenden – Verfassungsgericht angefochten, jedoch ohne Erfolg. Prompt gründeten mehrere Kandidaten und durch den mutmaßlichen Wahlbetrug verhinderten Parlamentarier ein „Kollektiv der vom Volk gewählten und Verfassungsbericht bestohlenen Abgeordneten“. // Vgl. https://www.facebook.com///

Daraufhin kam es zu ersten Protesten, und ab dem 06. Mai 2020 in einer Reihe von Städten zur Explosion: von Kayes im Nordwesten bis zu Sikasso im Südosten des Landes. Dort, in Sikasso, spielte auch die erwähnte Linkspartei SADI eine Rolle bei den Demonstrationen.

In Kayes wurde dabei am 11. Mai dieses Jahres ein junger Mann durch die Polizei getötet, was den Zorn erst recht anschwellen ließ. In der Hauptstadt Bamako brannte es kurz darauf unter anderem in den Stadtteilen Banconi, Lafiabougou, Magnambougou, Ouzimbougou und Sébénikoro, wobei der Unmut über die Wahlresultate nur einen Katalysator für die allgemeine Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen darstellte.

Ausblick

Diese Proteste dürfen weitergehen, wobei die so genannte internationale Gemeinschaft manifest darauf zu setzen scheint, die Einbindung von jemandem wie Mahmoud Dicko könne die Lage stabilisieren. Sollte er jedoch an die Macht kommen, dürfte er auf stärkere Distanz zur (politisch im Land ziemlich präsenten) früheren Kolonialmacht gehen, sich auf die Golfstaaten und eventuell auch direkt oder indirekt auf Wladimir Putin und Russland stützen.


Wie oft in solchen Fällen, versuchen Islamisten sich dabei zugleich als Protestkraft gegen das Bestehende, aber auch als Partei der (wenn auch nicht der jetzigen, dann der künftigen) Ordnung zu profilieren. Vor diesem Hintergrund sind auch die Manöver von Mahmoud Dicko, bei denen er die übrigen Protestierenden eher bremst und sich „verantwortungsbewusst“ zu zeigen versucht, zu analysieren. Auch am Sonntag, den 12. Juli 20 rief er seine Anhänger erneut „zur Ruhe“ auf. // Vgl.
https://www.lefigaro.fr/// Sein Einfluss im Augenblick dürfte nicht zu unterschätzen sein, dennoch repräsentiert er sicherlich nicht alle Protestierenden, und ihre Forderungen könnten zum gegebenen Zeitpunkt auch in Widerspruch zu seiner Strategie oder seinen Machtambitionen geraten.

Derzeit ist es (noch?) nicht so weit. Dickos Popularität wächst durch die Repression gegen ihn und seine Anhänger eher. Am Wochenende versuchten die Sicherheitskräfte des bestehenden Regimes, ihn festzunehmen – sein Wohnsitz wurde umstellt, doch seine Festnahme misslang // vgl. https://malijet.com/ //, und Protestteilnehmer schützten ihn. // Vgl. https://maliactu.net// // Unterdessen wurden jedoch andere prominente Protagonisten des Protests verhaftet. Zu ihnen zählt der oben erwähnte Clément Dembélé vom nicht-religiösen Flügel der Protestbewegung. Aber auch frühere Minister unter „IBK“, darunter der ehemalige Hochschulminister (und vormalige Präsidentschaftskandidat) Mountaga Tall – er selbst versuchte sich in der Vergangenheit wiederholt auf islamistische Kräfte zu stützen, vgl. https://jungle.world/ – und der Telekommunikationsingenieur sowie zeitweilige Kommunikationsminister Choguel Maïga, wurden festgenommen. // Vgl. http://malijet.co/s //

Präsident Keïta seinerseits versucht, Ballast abzulassen und durch Zugeständnisse an die Proteste den Druck aus der Situation zu nehmen. In jüngster Zeit hatte „IBK“ zunächst angeboten, jene Kandidaten, denen infolge des umstrittenen Wahlergebnisses – am Ausgang der Parlamentswahl vom 29. März und 19. April – ihr Mandat nicht anerkannt worden war, in Eigeninitiative in einen neu bildenden Senat aufzunehmen. Ein solches parlamentarisches Oberhaus solle infolge einer Verfassungsänderung gebildet werden, es hätte jedoch geringere Vollmachten als die Nationalversammlung, die im Falle eines Konflikts zwischen beiden Parlamentskammern das letzte Wort behielte. Doch mit dieser Lösung wollten sich die Protestierenden nicht zufrieden geben. Nunmehr verkündet „IBK“ de facto die Auflösung des Verfassungsgerichts, das zunächst die offiziell verkündeten Wahlergebnisse abgesegnet hatte. // Vgl. https://www.rfi.fr/// Zugleich will sein amtierender Premierminister, Boubou Cissé, alsbald eine erweiterte „Regierung der Öffnung“ einsetzen. // Vgl. https://www.rfi.fr//

Auf diesem Wege versucht „IBK“, mittels Zugeständnissen und Kompromissen mit einigen Kräften doch noch das Heft der Initiative zurückzugewinnen. Derzeit ist jedoch fraglich, ob ihm dies noch gelingen wird. Denn längst ist auch die Korruption im Zusammenhang mit dem Gebaren seiner Familie, insbesondere seines höchst umstrittenes Sohns Karim Keïta – Geschäftsmann und Parlamentarier, und als möglicher Nachfolger seines Vaters gehandelt // vgl. https://mondafrique.com

// – ins Visier der Öffentlichkeit geraten. Als privat deklarierte Videos von Karïm Keïta, welche im Ausland (wohl in Paris oder Umland) aufgenommen wurden // vgl. https://www.rf//, begannen in Umlauf zu kommen. // Vgl. https://www.financialafrik.com// // Darin ist das Präsidentensöhnchen unter anderem im Umgang mit europäischen Prostituierten zu sehen. Solches Auftreten bildet unter anderem auch ein offenes Einfallstor für einen islamistischen Moralisierungsdiskurs. Aber nicht allein, so sind manche Kommentare zwar kritisch, insbesondere was den Umgang der Präsidentenfamilie mit öffentlichen Geldern betrifft - ohne von reaktionärem Moralismus geprägt zu sein. Ein ironischer Kommentar bei den sozialen Medien beginnt etwa mit der Feststellung: „Wenn es wenigstens Prostituierte aus Mali wären, dann hätte er das Bruttoinlandsprodukt gesteigert…“ // Vgl. https://www.facebook.com/ //

Zum Opponieren gibt es also unterschiedliche Gründe, viele dafür liefern der Präsident und seine Familie selbst. Ob diese die Lage noch einmal in den Begriff bekommen, bleibt abzuwarten. Bis zur nächsten turnusmäßig anstehenden Präsidentschaftswahl, 2023, wäre es noch weit. Wahrscheinlich zu weit aus der Sicht einer wachsenden Zahl seiner Landsleute.

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