Sexuelle Herrschaft in Uniform
Ein amerikanischer Wert

von Linda Burnham
08/04

trend

onlinezeitung

Die Bilder von sexueller Demütigung und Unterwerfung in Abu Ghraib haben gezeigt, welches unentwirrbare Geflecht aus Rassismus, Frauenhass, Homophobie, nationaler Arroganz und übersteigerter Männlichkeit das US-amerikanische Militär durchzieht.

Militarisierte sexuelle Unterwerfung ist weder "mit den amerikanischen Werten unvereinbar" noch das Werk einiger weniger schwarzer Schafe. Vielmehr ist sie alltägliche Praxis.

Die Ausrede von den schwarzen Schafen ist nicht nur vollkommen unangemessen, sondern auch durch und durch verlogen.

Eine solche Reduktion des Geschehenen auf individuelles Fehlverhalten bietet dem Militär natürlich einen willkommenen Schutzschild und lenkt zugleich von äußerst verstörenden Tatsachen ab. Die Fotos von Abu Ghraib verraten ebenso viel über unsere Nation, wie sie über die Soldatinnen und Soldaten der 372. Militärpolizeidivision verraten.

Unser Präsident hatte deutlich gesagt, Ziel der Invasion und Besetzung des Irak sei es, den irakischen Widerstand in die Knie zu zwingen. Warum ist man jetzt überrascht, dass die SoldatInnen diese Anweisung mit Begeisterung wörtlich nahmen? Von dem Szenario eines knienden irakischen Mannes, der den Penis eines anderen im oder am Mund hat, waren wir alle schockiert.

Dabei war doch der Aufruf unserer Regierung, die Araber und Muslime zu demütigen, keineswegs so verhalten, dass er nur von einigen verirrten SoldatInnen gehört wurde.

Irakische Gefangene wurden dazu gebracht, Damenunterwäsche zu tragen. Hier sollten diejenigen aufhorchen, die für die gleichberechtigte Zulassung der Frauen zum Militär gekämpft haben. Dies ist noch immer eine Männerarmee, in der Weiblichkeit noch immer für Erniedrigung und Schwäche steht.

Über Private Lynndie England, die triumphierende Peinigerin der Gefangenen, ist viel diskutiert worden. Ihre Schuld scheint offensichtlich, und wenn sie nach Hause zurückkehrt, wird England, so gut sie kann, um ihre Seele kämpfen müssen.

England ist aber schon die zweite Titelfigur der Serie "Wie das US-Militär Frauen integriert". Die erste war Jessica Lynch.

Zwei junge Frauen aus dem kleinstädtischen Arbeitermilieu, Mädchen mit unverbrauchten Gesichtern, die sich danach sehnen, den engen Grenzen ihrer Heimat und ihres Standes zu entfliehen. Und geflohen sind sie - in die offenen Arme einer Institution, die eine von ihnen benutzte, um die Bevölkerung mit der Mär von der gefährdeten, aber tapferen Frau zu erbauen, die vor den finsteren Barbarenhorden gerettet wurde. Die gleiche Institution wird die andere als Opfer benutzen, um die Ängste der verstörten Nation zu besänftigen.

In ihrer Rolle als Domina über irakische Männer zeigte Lynndie England, in welchem Maße die Unterwerfung eines Volkes sexualisiert ist. Indem sie sich an der militarisierten Konstruktion des Männlichen beteiligte, schuf sie einen erschreckenden neuen Archetypen: die Frau der herrschenden Nation als frohlockende Akteurin sexueller, nationaler, rassistischer und religiöser Demütigung.

Sieht so die Befreiung aus?

Wenn wir aber einmal von Lynndie England absehen, zeigen die Szenen von Abu Ghraib sexuelle Unterwerfung als einen Grundzug der übersteigerten Männlichkeit des Militärs. Die schrecklichen Berichte der Denver Post über sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, denen weibliche Armeeangehörige massenhaft ausgesetzt sind, sind ein weiterer Hinweis darauf, dass sexuelle Herrschaft in Uniform alles andere als ein Einzelfall ist.

Unser Militär gründet sich auf die tägliche Unterwerfung des Sexuallebens Tausender und Abertausender von Frauen unter die sexuellen Begierden der Armeeangehörigen weltweit.

Die Unterordnung der nationalen Interessen von Ländern in der ganzen Welt unter die geopolitischen Interessen der USA erfordert anscheinend die sexuelle Opferung eines Teils der Frauen dieser Länder - und stets sind es arme Frauen.

Militärprostitution wird als Erholung und Entspannung, als Unterhaltung für die Truppen betrachtet. Während das vordergründige "Ziel" der sexuellen Demütigung der Gefangenen von Abu Ghraib darin bestand, wichtige Informationen aus ihnen herauszuholen, erzählen die Fotos eine komplexere Geschichte. An den fröhlichen Gesichtern sehen wir, dass es ein Riesenspaß war, die metaphorische Vergewaltigung der irakischen Nation als tatsächliche sexuelle Unterwerfung irakischer Männer in Szene zu setzen.

Wenn sie selbst als Regisseure und Schauspieler in diesem Drama sexueller Demütigung agierten, handelten die Gefängniswärter offenbar in dem festen Glauben, sie dürften alles tun, wozu sie Lust hatten, und sich dabei prächtig amüsieren. War es unamerikanisch von ihnen, so zu denken? Nicht, wenn die Kernbotschaft ihres Oberkommandierenden an das irakische Volk lautete: "Ihr werdet euch unserer Fähigkeit zu herrschen beugen, und wir werden diese Fähigkeit dem globalen Widerstand zum Trotz ausüben".

Der Kampf um Schuldzuweisung hat den Charakter eines hochbrisanten politischen Tangos angenommen. Dieser Kampf wird noch an Intensität zunehmen. Auch wenn außer Frage steht, dass jeder Verantwortliche, von den unmittelbaren Tätern an aufwärts, zur Rechenschaft gezogen werden muss, geht die Schuldfrage viel tiefer.

Es mag nicht leicht sein, morgens aufzustehen und dieser Tatsache ins Auge zu blicken, aber wir sind, kollektiv, durch und durch schuldig. Wir wählen Vertreter, die das Monster Militär füttern. Wir verherrlichen sadistische Hyper-Männlichkeit und belohnen diejenigen, die sie am besten verkörpern, mit Gouverneursposten (siehe Arnold Schwarzenegger). Wir geben riesige Summen für Zwang und Disziplin in unserem Strafvollzugssystem aus. Und wir belügen uns unaufhörlich selbst.

Die Welt begegnet Amerikas fadenscheinigen Unschuldsbeteuerungen mit Überdruss und blanker Wut.

Die Soldaten von Abu Ghraib haben den Vorhang zu ihren perversen Spielen aufgezogen, so dass wir sehen können, wer wir sind. Haben wir den Mut, hinzuschauen? Haben wir den Willen, uns zu ändern?

 

Editorische Anmerkungen:

Dieser Artikel ist eine Spiegelung von
http://www.graswurzel.net/291/abughraib.shtml