Hartz IV
Das Kapital ist unzufrieden mit dem Volk

von Max Brym
08/04

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„Die Deutschen jammern zuviel“, unter diesem Titel versuchte die Münchner Abendzeitung die Kritik der Herrschenden am gemeinen Volk abzuhandeln. In der Ausgabe der AZ vom 14./15 August verfaßt der Schreiberling des Kapitals Stefan Marx dazu 5 Thesen. Die Thesen geben einen ausgezeichneten Einblick in die Denkstruktur sowie die strategische und taktische Ausrichtung der bürgerlichen Klasse. Deshalb hier eine kurze Wiedergabe des prokapitalistischen Thesenpapiers und einige Anmerkungen.

Zu These 1- St. Florian und die „reformunwilligen Deutschen“

Herr Marx unterstellt der Mehrheit der Deutschen, dem „Sankt Florians Prinzip“ zu huldigen. Er bejammert, „die Nullrunde bei den Renten bringt Tausende auf die Straße. Länger arbeiten geht erst wenn der eigene Arbeitsplatz am seidenen Faden hängt“ Stefan Marx klagt demzufolge die einkommensschwachen Gruppen an, an ihrer Existenz zu hängen. Zynisch nennt er die Proteste gegen die Politik der sozialen Kälte „reformunwillig“.

These 2- Selbst Bismarck war „Sozialist“

Der bürgerlich reaktionäre Professor Meinhard Miegel klagt in These 2 Fürst Bismarck an, „die Sozialgesetze von Oben eingeführt zu haben“. Der Mehrheit der Deutschen wird objektiv vorgeworfen, an Einrichtungen wie der Krankenversicherung, der Rentenversicherung und der Unfallversicherung festhalten zu wollen. Dabei ist den prokapitalistischen Modernisierern Miegel und Stefan Marx kein rhetorischer Taschenspielertrick und keine Geschichts- klitterung zu billig. Bekanntlich führte Bismarck die Sozialversicherungen zur Zeit der Sozialistengesetze ein, um der damals revolutionären deutschen Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Antwort der Arbeiter war damals: „Bismarcks Zucker verachten wir, Bismarcks Peitsche zerbrechen wir“. Professor Miegel stellt dem ein „demokratisches soziales Modell“ entgegen, womit er klar zum Ausdruck bringt, dass er hinter Bismarck zurück will. Von den Kampferfolgen der Arbeiterbewegung unter Lassalle, Bebel und Wilhelm Liebknecht gar nicht zu reden. Modernisierung heißt für die Herren Miegel und Stefan Marx: Zurück zum ungezügelten Manchester Kapitalismus wie ihn Friedrich Engels ausgezeichnet in dem Buch, „Zur Lage der arbeitenden Klasse in England“ 1844 beschrieb.

These 3 Was Herr Stefan Marx bedauert

Bedauerlich findet Herr Marx unter Anlehnung an den in München pensionierten Historiker A. Ritter, „dass der Sozialstaat ala Bismarck alle historischen Stürme überstand“. Der „Sozialstaat galt bis vor kurzem als eine unserer wenigen Erfolgsgeschichten“. Diese Erfolgsgeschichte darf nach den Herren Ritter und Marx selbstverständlich nicht weiter geführt werden. In ihren derregulierten und flexibilisierten Gehirnzonen sind alle Kampferfolge der Arbeiterbewegung ein „historischer Irrtum“ und gehören beseitigt. Die Millionen Arbeitslosen sollen auf Teufel komm raus durch Verelendungsprogramme wie Hartz IV dazu gebracht werden, stärker um die wenigen freien Stellen zu kämpfen. Die beschäftigten Arbeiter haben durch Mehrarbeit und Lohnverzicht das Kapital um Gnade anzuwinseln. Wer sich dieser absurden Logik entgegenstellt, gilt als Romantiker oder gar als Staatsfeind.

These 4- „Der Fluch des Nachkriegsbooms“

Herr Stefan Marx hält den Nachkriegsboom für eine fatale Angelegenheit. Dazu zitiert er den Geschäftsführer der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“: „Nach den Mühen des Wiederaufbaus, genehmigten Unions und SPD geführte Regierungen den Bundesbürgern viele soziale Wohltaten. Mehr Rente, mehr Kindergeld, mehr Arbeitslosenhilfe“. Die Politik des sozialen Kompromisses war demzufolge verantwortlich, für „die schlechte Mentalität der Deutschen“. Mit diesem Fluch muß nach den Ideologen des Kapitals aufgeräumt werden. Deshalb versucht die Regierung Schröder, unterstützt von der finanziellen und publizistischen Macht des Kapitals, die Konterreformen in einer anlaufenden gigantischen Werbekampagne schönzureden. Der Kern der Botschaft ist, wir „kündigen den sozialen Frieden auf“ und fordern „einen Mentalitätswechsel von Euch“

These 5- „Das Selbstmitleid“

Warum es zu unerwartet starken Protesten gegen Hartz IV kommt, erklärt Herr Marx mit dem „Selbstmitleid der Deutschen“. Statt jubelnd im Westen mit 345 Euro oder mit 311 Euro im Monat im Osten leben zu wollen, ergehen sich nach Marx „die Menschen in einer falschen Mentalität“. Hinzuzufügen wäre noch, die Menschen protestieren sogar. Herr Marx bedauert, dass die Leute nicht auf den Modezar Karl Lagerfeld hören, Lagerfeld meint: „Ich habe das Gefühl, dass einige neue deutsche Landsleute sich in Selbstmitleid ergehen“. Auch Lagerfeld hat es mit dem „Selbstmitleid“ und beschimpft besonders die Menschen in den neuen Bundesländern. Wahrscheinlich wurde dem „intellektuell beschlagenen“ Designer gesagt, wie wenig Produkte er im „Ostbusch“ absetzt. Der „Weltökonom“ Ex Bundeskanzler Helmut Schmidt wird von Stefan Marx zitiert, auch er hat was „gegen den Wohlfahrtsstaat“. Dabei stört es Herrn Marx nicht, dass Helmut Schmidt vor 30 Jahren in seiner Regierungserklärung sagte: „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von Morgen und die Arbeitsplätze von Übermorgen.“ Warum, abgesehen von den gegenwärtigen Gewinnen, die Gewinne von Vorgestern, nicht die Investitionen von Gestern und die Arbeitsplätze von heute sind, wird von den Leuten mit der Kapitalverwertungsbrille nicht gefragt. In These 5 kommt wieder der unvermeidliche Professor Miegel vor, er empfiehlt Kanzler Schröder: „Die Politik muß vorangehen- auch gegen Mehrheiten“. Eigentlich schade, dass sich das Kabinett kein anderes Volk wählen kann. Zudem stellt Miegel mit seiner Aussage offen die Legitimationsgrundlage des bürgerlichen Parlamentarismus in Frage. Miegel sagte außerdem: „Kanzler Schröder muß einen Kurs fahren der ihm die Wiederwahl kosten könnte. Das unterscheidet einen Staatsmann vom Parteipolitiker“.

Resümee

Schröder soll nach Miegel und Marx eine Politik gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung machen. Dazu ist Schröder auch bereit, nicht zufällig trägt die soziale Härte Hartz IV den Namen eines Menschen aus dem VW-Vorstand. Der Klassencharakter der Schröderschen Politik ist mehr als deutlich. Schröder ruiniert sich als Kanzler selbst. Ein Wahlerfolg von Schröder im Jahr 2006 ist relativ unwahrscheinlich. Dazu müßte schon eine noch größere Flut als im Jahr 2002 kommen, Angela Merkel mit der CDU Parteikasse durchbrennen und Edmund Stoiber sämtliche katholischen Feiertage in Bayern per Dekret unter Strafe stellen. Schröder geht es darum, einen Dammbruch zugunsten des Kapitals durchzudrücken und als „eiserner Kanzler“ in die Geschichte einzugehen. Wer dies nicht will, muß nicht nur Hartz IV verhindern, sondern die Regierung Schröder stürzen.
 

Editorische Anmerkungen:

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 15.08.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.