Neue Arbeitsplätze durch Niedriglöhne?
Beschleunigter Übergang zur schwankenden Stagnation als neue Erscheinung im kapitalistischen Krisenverlauf

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F.B.
08/04

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onlinezeitung

Monat für Monat wird eine neue Rekordzahl an registrierten Arbeitslosen seit der Wiedervereinigung und damit auch seit Bestehen der BRD gemeldet. Bundeswirtschaftsminister Clement fabuliert dennoch allen Ernstes von einem "guten Weg" zu einem "neuen Aufbruch" am Arbeitsmarkt. Er erwarte, "dass die vollständige Umsetzung der beschlossenen Reformen die Wirtschaftsdynamik stärken und die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessern werde". Mit anderen Worten, die Werktätigen sollen darauf setzen, dass ausgerechnet Hartz IV die Wirtschaft ankurbelt und Arbeitsplätze herzaubert. Eine dreiste Lüge.

Seit fast zwei Jahren verkünden die Regierung und die Unternehmerverbände den bevorstehenden Aufschwung. Zwar setzte bereits im letzten Jahr eine relative Belebung der Weltwirtschaft nach dem Ende der von 2001 bis 2003 dauernden Weltwirtschaftskrise ein. Das zeigte sich am leichten Wiederanstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den führenden imperialistischen Industrieländern, einem Wert, der alle produzierten Waren und Dienstleistungen zusammenfasst.

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschlang stagniert jedoch bereits wieder. Und zwar zu einem Zeitpunkt, wo die für eine weitere Belebung entscheidende Industrieproduktion noch nicht einmal den Stand der Vorkrisenproduktion erreicht hat.

Einen so unmittelbaren Übergang aus der Krise in eine erneute schwankende Stagnation ohne nennenswerte Belebungsphase hat es bisher noch nicht gegeben. Das ist eine neue Erscheinung im kapitalistischen Krisenzyklus. Die weitere Entwicklung, insbesondere wie lange die schwankende Stagnation anhält, bevor sie wiederum in eine Weltwirtschaftskrise mündet, ist nicht vorhersehbar. Sicher ist, dass es den vielfach vorhergesagten "Aufschwung" nicht geben wird.

"Aufschwung" durch Niedriglöhne?

In ihrem jüngsten Bericht schätzt die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent wicklung der 30 größten westlichen Industrieländer) das Wirtschaftswachstum der BRD in diesem Jahr auf bescheidene 1,1 Prozent. Und ganz im Sinne von Wirtschaftsminister Clement lautet die längerfristige Prognose, die "starke und wettbewerbsfähige Exportindustrie" werde Deutschland aus der "Quasi-Stagnation" heraushelfen, aber nur, wenn die "Reformen der Agenda 2010 zielstrebig weiter fortgesetzt und vertieft werden".

Profite übertreffen bereits Vorkrisenstand

Ohne das starke Exportwachstum von über 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Mai +11,8 Prozent, Juni +16,1 Prozent) wäre das Bruttoinlandsprodukt bereits im ersten Halbjahr wieder gesunken. Der Exportboom geht einher mit einer immensen Steigerung der Profite.

Vor allem für die 30 größten Konzerne, die den Deutschen Aktienindex DAX repräsentieren. Sie steigerten ihren Profit bereits im letzten Jahr um insgesamt 36 Prozent. In diesem Jahr wird nach den bisherigen Halbjahreszahlen mit einer Gewinnexplosion von nochmals 54 Prozent gerechnet, so dass bereits für 2005 die bisherigen Spitzenprofite aus dem Vorkrisenjahr 2000 übertroffen werden sollen.

Die Maximierung der Profite ist ein direktes Ergebnis der groß angelegten Ausbeutungsoffensive in den Betrieben auf dem Rücken der Belegschaften. Sie drohen mit Entlassungen und Verlagerungen, wollen die Löhne und Gehälter senken, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängern und die Arbeitszeit dem Auf und Ab der Produktion anpassen.

Niedriglöhne vernichten Arbeitsplätze

Im letzten Jahr ging die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze um mehr als 400000 von 23,3 Millionen auf 22,9 Millionen zurück. Auch mit der wirtschaftlichen Belebung soll die Vernichtung von Arbeitsplätzen weiter gesteigert werden. Wurde im ersten Halbjahr 2003 der Abbau von 203542 Arbeitsplätzen angekündigt, sind es im ersten Halbjahr 2004 bereits 440040. Das ist eine Steigerung um 116 Prozent.

Die Massenarbeitslosigkeit wird von den Konzernen zur Durchsetzung von Niedriglöhnen benutzt. Ob Siemens, DaimlerChrysler oder VW, ein Konzern nach dem andern kündigt an, die "Personalkosten" müssten mittelfristig um 30 Prozent oder mehr sinken. Bereits heute verdient nach Angaben des DGB jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohns. Das sind rund 2,5 Millionen Arbeiter und Angestellte.

Trotz einer Vollzeitbeschäftigung langt der Lohn oft nicht mal für das Existenzminimum der Familie. Inzwischen stieg nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit die gemeldete Zahl der "ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten" auf 4,4 Millionen. Das sind Beschäftigte, die mit ihrem Verdienst unterhalb von 400 Euro im Monat und einer Höchstarbeitsgrenze von 15 Wochenstunden liegen.

Dieser so genannte "Niedriglohnsektor" ist mit eine direkte Folge der bisherigen Hartz-Gesetze. So konnten nach Schätzung der Bundesagentur für Arbeit allein im letzten Jahr mindestens 100000 Vollzeit arbeitsplätze in so genannte "Minijobs" umgewandelt werden. Auch mit Hartz IV werden keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern wird der Niedriglohnsektor massiv staatlich gefördert und ausgeweitet bzw. seine Ausweitung erzwungen.

Wie ist es nach der Logik von Clement und Co. zu erklären, dass die reale Massenarbeitslosigkeit zwischen 1991 und 2003 von 5,5 Millionen auf 8,3 Millionen angestiegen ist (nach Berechnungen der GSA e.V.) und gleichzeitig der Lohnanteil von 12,1 Prozent auf 8,3 Prozent im Jahr gesunken ist?

Ob Niedriglöhne oder längere und flexiblere Arbeitszeiten, sie steigern einzig und allein den Ausbeutungs grad der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben. Die Massenarbeitslosigkeit kann nur auf Kosten der Profite bekämpft werden. Die Arbeit muss radikal neu verteilt werden. Mit der Einführung einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich als Regelarbeitszeit von Montag bis Freitag könnten acht Millionen Arbeitsplätze erhalten bzw. geschaffen werden.

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel erschien in der ROTEN FAHNE Nr.33/04 12.8.2004  und ist eine Spiegelung von http://www.mlpd.de/rf0433/rfart4.htm