Ökonomenlexikon
Baran, Paul Alexander


von Klaus O.W. Müller
08/05

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8.12.1910 Nikolajew (Ukraine) bis 26.3.1964 Palo Alto; US-amerikanischer Ökonom linksradikaler Prägung.

B. studierte in Berlin und promovierte 1932 zum Dr. phü. Seit 1939 lebte er in den USA, wo er seine Ausbildung an der Harvard Univ. fortsetzte und 1941 den Master of Arts erwarb. Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete B. zunächst in der Verwaltung der Federal Reserve Bank in New York. Seit 1948 bis zu seinem Tode wirkte er als Prof. für Wirtschaftswissenschaften an der Stanford Univ.

B. wurde zunächst durch sein Buch »The political economy of growth« bekannt, in dem er von linksradikaler Position ausgehend Probleme des Wirtschaftswachstums in entwickelten kapitalistischen Ländern behandelte. In seinem zweiten größeren Werk »Monopoly capital. An essay on the american economic and social order«, das er zusammen mit Sweezy verfaßte, behandelte B. Erscheinungen des Parasitismus des USA-Imperialismus und leistete zugleich einen gewichtigen Beitrag zur politökonomischen theoretischen Fundierung des gegenwärtigen Linksradikalismus.

Der von B. auf diesem Hintergrund vertretene Anspruch auf schöpferische Weiterentwicklung der marxistischen politischen Ökonomie ist nicht aufrechtzuerhalten. Das zeigt sich insbesondere auf dem Gebiet der politischen Ökonomie des Kapitalismus, wenn B. zusammen mit Sweezy und in direkter Kontroverse mit "Lenins Imperialismustheorie" behauptet, daß nicht das Monopol, sondern ein ökonomischer Überschuß, der sogenannte economic surplus, und seine Bewegung der entscheidende Ansatzpunkt für eine »schöpferische« Imperialismusanalyse sei.

Der amerikanische marxistische Ökonom Karl H. Niebyl hat darauf verwiesen, daß die Kategorie »economic surplus« von B. als die Differenz zwischen dem, was die kapitalistische Gesellschaft produziert, und den Produktionskosten verstanden wird. Die damit bezweckte Ersetzung der marxistischen Kategorie »Mehrwert« ist wissenschaftlich unhaltbar, da die Kategorie »economic surplus« die Spezifika und das revolutionäre Wesen der Marxschen Mehrwerttheorie nicht berücksichtigt.

B. und Sweezy haben dem Marxschen Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate ein sogenanntes Gesetz des wachsenden ökonomischen Überschusses entgegengestellt. Nach B. habe die Monopolbourgeoisie alle ihre Anstrengungen darauf zu richten, diesen wachsenden Überschuß zu realisieren. Hierin besteht der Kern der Konzeption von der Absorption des wachsenden »economic surplus«. Mit einer derartigen Auffassung werden zwar gewichtige Aspekte der ökonomischen Imperialismusanalyse angeschnitten, z. B. das Realisierungsproblem, die Theorie des relativen Kapitalüberschusses, die Fragen der Disproportionalität des kapitalistischen gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, aber damit werden das grundlegende Klassenverhältnis des Kapitalismus und sein Grundwiderspruch nicht in das Zentrum der politökonomischen Analyse des Imperialismus gestellt. per bekannte sowjetische Politökonom S. L. Wygodski hat sofort nach Propagierung der B.-Sweezyschen »economic surplus«-Konzeption den revisionistischen Charakter und das Marxsche Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate auch für die Bedingungen des Imperialismus als gültig nachgewiesen.

Auch im Hinblick auf die Beurteilung der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse bezieht B. eine nichtmarxistische, unrealistische Position, wenn er davon ausgeht, daß diese Klasse ihrer revolutionären Potenzen verlustig gegangen und angeblich in das imperialistische System integriert sei. Eine derartige Auffassung kommt den Ambitionen der heutigen Linksradikalen, als angeblich revolutionärer Katalysator zu fungieren, voll entgegen. B.s Auffassungen fanden in kleinbürgerlichen Kreisen insbesondere der USA und in Lateinamerika Verbreitung.

Publikationen: The political economy of growth, New York 1957; (dt.: Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums, Neuwied, Berlin [West] 1966); Monopoly capital-(mit Paul M. Sweezy), New York, London 1966 (dt.: Monopolkapital, Frankfurt a. M. 1967); Unterdrückung und Fortschritt [Teils., dt.], Essays, Frankfurt a. M. 1966; Intellektuelle und Sozialismus (mit E. Fried/G. Salva-tore), Berlin (West) 1968; Zur politischen Ökonomie der geplanten Wirtschaft [Teils., dt.], Frankfurt a. M. 1968. Literatur: f. Sweezy/L. Huberman: Paul A. Baran, 1910-1964, New York 1965; K. H. Niebyl: Zu einigen Problemen der Methodologie im Buch von Baran und Sweezy. In: Wirtschaftswissenschaft, Ber-1111 1967, H. 2; S. L. Wygodski: Der gegenwärtige Kapitalismus, Berlin 1972; - O. W. Müller: Politische Ökonomie

Barone der Linksradikalen, Berlin 1984; Geschichte der politischen Ökonomie. Grundriß, Berlin 1985. Klaus O.W. Müller
 

Editorische Anmerkungen

Der Text stammt aus: Krause, Werner; Graupner, Karl-Heinz & Sieber, Rold (1989). Ökonomenlexikon. Berlin: Dietz. S. 26ff

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