Dilemmata nach Oslo
Interview mit Anat Biletzki

von
 Roni Ben Efrat
08/05

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Im Juni 2005 ist Israel in sein 38. Jahr als Besatzer eingetreten. Wir haben uns entschieden diesen Jahrestag mit einem Interview mit Professorin Anat Biletzki zu beginnen, die stets kompromisslos gegen die Besatzung gekämpft hat. Biletzki steht der Abteilung für Philosophie an der Universität Tel Aviv vor. Seit 2001 ist sie auch Vorstandsvorsitzende von B’tselem („Im Bilde“), der möglicherweise wichtigsten Menschenrechtsorganisation in Israel. Sie ist die Koordinatorin von Ha-Campus lo Shotek (Der Campus wird nicht schweigen), dessen Abteilung an ihrer Universität ca. 400 Fachbereiche und Studenten umfasst. Biletzki gehört zu jenen acht Frauen in Israel und Tausend in der ganzen Welt, die gemeinsam für den Friedensnobelpreis nominiert wurden. Roni Ben Efrat hat sie am 03. Juli 2005 für zwei spannende Stunden in ihrem Büro getroffen.

BEN EFRAT: Ende Mai hat B’tselem eine Veranstaltung organisiert zu den Auswirkungen, die die Loslösung auf die Rechte der Palästinenser in der Westbank und Gaza voraussichtlich haben wird. In Ihrer Eröffnungsrede haben Sie ein in Menschenrechtsorganisationen verbreitetes Problem erwähnt: in der Regel sind diese damit beschäftigt, sich nach dem In-Kraft-Treten politischer Entscheidungen um deren Folgen zu kümmern. Im Falle der Loslösung jedoch hat B’tselem den ungewöhnlichen Schritt unternommen, im Voraus einen Text zu veröffentlichen, einen sehr umfassenden und wichtigen Text, in dem Sie versucht haben vorauszusehen, was nach Israels Rückzug in Gaza passieren wird. Doch als wir uns während einer Pause auf dem Flur unterhielten, haben Sie mich mit der Aussage überrascht, dass Sie nicht glauben, dass es zu einer Loslösung kommt. Das erscheint mir eine sehr isolierte Position zu sein.

BILETZKI: Aus meiner Sicht hatte Ariel Sharon nie auch nur die leiseste Absicht, Gaza zu verlassen, nicht mal in dem begrenzten Umfang, in dem er die Loslösung im Kopf hat, also die Siedlungen zu räumen. Doch selbst wenn er so weit gehen würde, wäre dies keine echte Loslösung. Die Armee bleibt. Nominell wird sie den Gaza-Streifen nur umstellen, aber in dem Beschluss der Regierung gibt es eine Klausel, die besagt, dass die Armee jederzeit eindringen kann, wenn sie die Situation für gefährlich erachtet. Darum sage ich, es ist keine Loslösung. Es ist die Bewachung eines Gefängnisses.

Als Sharon gegen Ende des Jahres 2003 zum ersten Mal die „Loslösung“ erwähnte, hat er das den Begriff einfach in den Raum gestellt. Das war nichts anders als ein Versuch, die öffentliche Kritik, die damals gegen ihn erhoben wurde, abzulenken. Die Piloten sprachen von Verweigerung. Menschen beider Seiten waren gerade mit der Genfer Initiative an die Öffentlichkeit getreten. Also hat er diesen Köder ausgelegt. Ich dachte, es würde dabei bleiben, selbst ehe Dov Weisglass (ein wichtiger Berater Sharons – RBE) dies in einem Zeitungsinterview bestätigt hat (Haaretz, Wochenendbeilage, 06.10.2004). In diesem Interview, das muss man betonen, sagte Weisglass, dass sie wüssten, wenn sie über einen Rückzug aus Gaza zu reden begännen, würde dies den Friedensprozess einfrieren lassen. Er sagte nicht: „Wenn wir Gaza verlassen“, sondern er sagte: „Wenn wir über einen Rückzug aus Gaza zu reden begännen.“ Und das war für mich der endgültige Hinweis darauf, dass es nicht darum ging, aus Gaza rauszukommen, sondern uns an der Nase herumzuführen. Ende April 2004 habe ich mit Sari Nusseibeh (Präsident der Al-Quds-Universität und gemeinsam mit Ami Ayalon Unterstützer der Friedensinitiative „People’s voice“). Er war der erste, mit dem ich gewettet habe. Seitdem habe ich dieselbe Wette mit mehr als hundert Leuten abgeschlossen. Das ist die einzige Wette, die ich gerne verlieren würde.

Es hat andere Leute gegeben, die gesagt haben, dass es keine Loslösung geben wird, weil sie Sharon kennen würden und weil man ihm einfach nicht glauben könne. Es gibt auch Leute mit scharfem politischem Verstand, noch schärfer als meiner, die nicht dem Utopismus frönen. Sie sagen, dass Sharon nach dem Tag, an dem er Gaza verlässt, von niemand mehr gebraucht wird, weder auf der Rechten noch auf der Linken. Also müsse er sich ewig um die Schwelle des Rückzugs herumdrücken.

BEN EFRAT: Doch das widerspricht dem, was wir vor Ort sehen.

BILETZKI: Was wir vor Ort sehen, sind nur die äußeren Merkmale eines Rückzugs, nicht der Rückzug selbst. Die Sache ist klar. Wenn sie wirklich 7.000 Leute räumen wollten, würden sie sagen: „Freunde, hier ist Eure Chance. Am 15. August werden Eure Handys, die Elektrizität und das Wasser abgestellt, die Armee zieht ab und Ihr müsst Euch alleine durchschlagen.“ Das haben sie in Algerien getan, erinnern Sie sich, da war die Zahl viel größer, um 150.000.

BEN EFRAT: Dann sagen Sie mir, warum die Linke von dieser Geschichte so hingerissen ist? Natürlich sieht sie sie als das kleinere Übel an, aber warum folgt sie blind Sharon? Sie haben selbst gesagt, dass Israel dort der Gefängniswärter sein wird.

BILETZKI: Ich habe gute Freunde, die gegen die Loslösung sind, weil sie sie als einen Schritt zur vollständigen Konsolidierung unseres Zugriffs auf die Westbank betrachten. Anders als ich glauben sie, dass Sharon raus will, doch der Preis dafür ist aus ihrer Sicht unerträglich. Und Sharon verbirgt seine Absichten nicht! Das ist das Erstaunliche. Er wiederholt immer wieder, dass er die Siedlungen in Gaza und vier in Samaria räumen wird und das wäre es – Fini!

Andererseits gibt es jene Linken, nach denen Sie gefragt haben: Sie sehen den Weggang aus Gaza als ersten Schritt eines größeren Rückzugs und deshalb unterstützen sie Sharon. Aber das ist ein Irrtum.

Ich möchte da zwei Leute erwähnen. Einer ist mein Freund Salim Tamari, der im Januar zu mir gesagt hat: „Du musst begreifen, dass, wenn sie eine einzige Siedlung räumen, dies das ganze Konzept erschüttern wird.“ Und das eine ernsthafte Behauptung.

Ben Efrat (unterbricht): Was haben Sie ihm geantwortet?

BILETZKI: Zunächst, dass ich nicht glaube, das es geschehen wird. Zweitens, dass wir bereits Ereignisse hatten, die zu ihrer Zeit aussahen, als würden sie das ganze Konzept erschüttern – z.B. die Räumung bestimmter Gebiete – aber es ist kein Erdbeben gefolgt. Statt dessen wurde die Lage schlimmer. Der klassische Fall ist Hebron. Als Bibi (Netanyahu) sich 1997 aus der Stadt zurückgezogen hat, haben meine palästinensischen Freunde zu mir gesagt: „Sag uns nicht, was wir verlangen sollten. Erst sollen sie raus.“ Nun, ich war vor zwei Monaten in Hebron und glauben Sie mir, 1996 war die Lage dort besser. Damals sollte es ein Schritt zur Räumung bestimmter Gebiete sein, heute ein Schritt zur Räumung von Siedlungen. Hinter der Annahme, dass der Präzedenzfall einen ernsthaften Durchbruch darstellt, steckt eine ganze Menge Wunschdenken.

Die zweite Person, die ich hier erwähnen möchte, ist Hanan Hever, der zu mir gesagt hat: „Ein richtiger Linker kann nicht gegen Loslösung stimmen.“ Ich verstehe, dass er meint, dass wir gemeinsam mit den Palästinensern jeden Schritt unterstützen müssen, der auch nur eine minimale Chance hat, uns in Richtung Frieden zu bringen. Ich kann heute nicht erkennen, was für ein Schritt das tun könnte.

Ben Efrat: Haben das Scheitern von Oslo und die zweite Intifada zu diesem Gefühl beigetragen?

Biletzki: Ja, weil ich eine der Naiven war, die Jahre lang an Oslo festgehalten haben. Ich erinnere mich, dass ich gesagt habe, dass wir den Punkt erreicht hätten, von dem es kein Zurück mehr gäbe. Dieses idiotische Mantra. Heute kann ich Leute wie Tanya Reinhart, Noam Chomsky und Euch von Challenge verstehen, die gesagt haben, dass Oslo nicht gelingen könnte, weil es so strukturiert sei, dass es Fortschritte unmöglich mache. Aber wenn ich dem zustimme, ergreift mich die Verzweiflung. Und ich möchte etwas zu Verzweiflung sagen, weil mich dieses Thema sehr beschäftigt. Üblicherweise spricht man von Verzweiflung als einem irrationalen emotionalen Zustand. Haare ausreißen und Schreie des „Weh’s mir!“ Ich betrachte Verzweiflung allerdings als logische Folge solcher Voraussetzungen. Ich unterrichte Logik, dort gibt es Voraussetzungen und Regeln, nach denen Störungen erfolgen.

Wenn also die Voraussetzungen die heute herrschenden Bedingungen sind – nämlich die Spieler und Helden der Politik, Bushs Krieg gegen Terrorismus und seine Auswirkungen – dann ziehe ich den Schluss, dass es keine Aussichten gibt, dass es besser wird. Daher ist meine Verzweiflung völlig rational. Und wenn ich hier und da ein bisschen Hoffnung bekomme, das ist dann irrational und hängt von den Wechselfällen der Geschichte ab.

Ben Efrat: Meinen Sie, es wird eine dritte Intifada geben?

Biletzki: Ja, nur nicht so schnell. Manche sagen, es wird innerhalb eines Jahres geschehen, aber ich denke, es wird viel länger dauern, aus dem einfachen Grund, dass Israel soviel zerstört hat. Jeder sagt, dass die Mauer den Terrorismus reduziert hat. Stimmt nicht. Es gibt weniger Widerstand, weil wir seine menschliche Infrastruktur vernichtend geschlagen haben. Eine ganze Generation wurde dort getötet oder verkrüppelt, und ich denke, es wird Jahre dauern – eine ganze Generation – um eine neue und Ernst zu nehmende Führung zu schaffen.


Ben Efrat: Ich würde gerne ein bisschen auf die Wurzeln des Konflikts zurückkommen. Die Linke ist gespalten in jene, die behaupten, diese wären in der Eroberung von 1967 zu sehen, und jene, die sie auf 1948 datieren. Was denken Sie?
Biletzki: Ich bin keine Zionistin. Ich weiß nicht, wann ich aufgehört habe, eine zu sein. Obwohl ich hier geboren bin, habe ich meine Kindheit und Jugend in den Vereinigten Staaten und Kanada verbracht, bin in einer linken Familie aufgewachsen, habe in den 60er Jahren an den Bürgerrechtsdemonstrationen und gegen Vietnam teilgenommen. Aber mit 17, als ich hierher zurückkam, habe ich mich nicht geweigert, in die Armee einzutreten. Ich habe gedient. Auf der logischen, materialistischen Ebene habe ich jedoch bereits 1972 eine Ein-Staaten-Lösung favorisiert. Das war vor dem Yom-Kippur-Krieg. Ich erinnere mich, dass ich gedacht habe, dass ich gegenüber einem jüdischen Staat keine Verpflichtung habe.

Damals sprachen wir nicht über eine Zwei-Staaten-Lösung; es ging um einen binationalen Staat. Während des Yom-Kippur-Kriegs wurde die Zwei-Staaten-Lösung unter Linken zum Diskussionsthema und ich dachte: “Wenn sich herausstellt, dass die Mehrheit der Juden einen jüdischen Staat will und die Mehrheit der Palästinenser einen palästinensischen Staat, wer bin ich ihnen zu sagen, dass sie einen gemeinsamen Staat wollen sollen?“
Aber es hat sich herausgestellt, dass aus der Zwei-Staaten-Lösung nichts werden kann. Sie ist nicht machbar.

BEN EFRAT: Warum nicht?

BILETZKI: Weil auf der einen Seite der Grünen Grenze mehr als 440.000 jüdische Siedler leben und auf ihrer anderen Seite 20 % der Bevölkerung Palästinenser sind. Daher sehe ich nicht die geringste Chance für zwei Staaten. Bei einem Vortrag habe ich einmal einen Palästinenser sagen hören „.... alle zehn Millionen von uns“ und ich dachte, ich würde gerne einen Artikel mit dieser Überschrift machen. Alle zehn Millionen, die hier leben, müssen das Problem lösen, auch wenn ich heute keinen Weg sehe, wie. Nebenbei bemerkt, wenn mir heute jemand zeigen würde, wie die Zwei-Staaten-Lösung möglich sein könnte, würde ich nichts dagegen sagen. Ebenso wie ich mich öffentlich nicht gegen Genf ausgesprochen habe. Es gibt da eine Menge Sachen, mit denen ich nicht übereinstimme, aber wenn mir jemand zeigt, dass Genf zum Erfolg führt, werde ich die erste sein, die sich freut.

Ben Efrat: Das Problem mit der Ein-Staaten-Lösung ist einfach: Heute gibt es keinen Apparatus, der sie herbeiführen könnte. Natürlich ist sie unsere Idealvorstellung. Aber damit so etwas geschehen könnte, müsste Israel aufhören, Israel zu sein, und das internationale Gleichgewicht der Kräfte müsste anders sein als heute. Daher erscheint mir die Diskussion dieses Themas sehr abseitig und theoretisch. Darum identifizieren sich wenig Leute damit.


Biletzki: Das Reden über einen Staat ist nicht theoretisch. Ronny Talmor, der Jahre lang im Vorstand von B’tselem war, hat vor langer Zeit geschrieben, dass es, wenn es uns nicht gelingt hier zwei Staaten zu schaffen, einen einzigen Apartheidsstaat geben wird. Das geschieht heute. Es könnte leichter sein, gegen die Apartheid zu kämpfen als für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Ben Efrat: Und das würde das Aufgeben des jüdischen demokratischen Staats bedeuten.

Biletzki: Der Ausdruck „jüdischer demokratischer Staat“ ist ein Oxymoron.

Ben Efrat: Warum?

Biletzkii: Weil ein demokratischer Staat nicht ethnisch oder religiös sein kann. Demokratische Werte lassen die Bevorzugung einer Gruppe nicht zu. Punkt. Darum kommt man nicht herum. Ein Staat ist hauptsächlich ein Regierungsapparat. Ein Staat ist keine Kultur. Ein Staat ist keine Gesellschaft oder eine besondere Gemeinschaft – es ist ein Regierungsapparat. Ein Regierungsapparat darf keine spezielle Gruppe bevorzugen – das ist nicht akzeptabel. Ein jüdischer Staat bevorzugt eine bestimmte Gruppe; ein demokratischer Staat tut dies nicht. Von einem „jüdischen demokratischen Staat“ zu sprechen, ist daher ein Widerspruch in sich. Das erscheint mir so grundlegend, dass ich nicht verstehe, warum es Leuten nicht möglich ist, dies zu begreifen.

Ich sehe meine linksliberalen Freunde, all diese Peace Now-niks, all die, die von einem „jüdischen demokratischen Staat“ reden. Schau, was sie erreichen, sie denken darüber nach, was wir tun müssen, um eine jüdische Mehrheit zu bewahren. Wenn ich höre, wie Leute „das demographische Problem“ diskutieren, sage ich: „Hört mal hin, was Ihr sagt!“ Das Konzept „demographisches Problem“ selbst ist rassistisch. Aber natürlich, wenn sie von einem jüdischen Staat reden, haben sie keine andere Wahl als „das demographische Problem“ zu diskutieren.

Sie begreifen nicht, dass von einem demographischen Problem zu sprechen, automatisch jede Rückkehr zu demokratischen Werten ausschließt. Und dann sagen sie: Ja, ja. Wir wollen demokratische Werte erhalten, darum müssen wir die Mehrheit erhalten. Aber wenn man Maßnahmen ergreift, um die Mehrheit einer speziellen Gruppe zu erhalten, dann ist es keine Demokratie. Genau das darf man nicht tun.

Ben Efratt: Sie waren eine der Unterzeichnerinnen des Olga-Dokuments, das im Juli 2004 von israelischen Linken herausgegeben wurde und zur Einlösung des palästinensischen Rückkehrrechts aufrief. Das ist eine sehr radikale Position. Die israelische öffentliche Meinung ist Lichtjahre davon entfernt. Selbst das Genfer Abkommen widerspricht dem Rückkehrrecht. Haben Sie nur eine moralische Position um ihrer selbst willen eingenommen oder halten Sie es für realisierbar.

Biletzki: Beides. Es ist eine moralische Erklärung, indem sie das Prinzip eines jüdischen Staates aufgibt, und ich denke, dass wir die Rechte der Flüchtlinge anerkennen können und müssen.

Ben Efrat: Meinen Sie wirklich, sie sollten in ihre Häuser zurückkehren?

Biletzki: Nicht exakt, denn ich kenne die Rechtslage und ihre moralische Grundlage, z.B., dass man kein Unrecht mit einem anderen gut machen soll. Wenn also das Haus eines Flüchtlings besetzt ist, dann gibt man ihm ein anderes in der Nähe.
Kurz nach dem Beginn der zweiten Intifada habe ich bei einem Familientreffen zwei Leute getroffen, ein früheres Mitglied der Knesset und einen Minister. Ersterer war einer der Unterzeichner einer Erklärung in der Zeitung, die ungefähr so lautete: „Liebe Palästinenser, wir wissen, dass Euch Unrecht geschehen ist und wir wollen Eure Forderungen berücksichtigen, nur fordert nicht das Rückkehrrecht!“ Ich sagte ihm: „Aber das Rückkehrrecht ist ihr Recht!“ Er antwortete: „Zwischen uns hat sich ein Abgrund aufgetan.“ Der Minister verkündete den gruseligen Satz: „Was! Wollen Sie sie neben sich wohnen lassen?“ Ich konnte nicht glauben, dass jemand so etwas sagt. Dazu noch ein Minister. Ja, darum ist es mir wichtig, dass dies gedruckt wird: Es ist okay für mich, wenn sie neben mir wohnen – mich interessiert nicht, wer neben mir wohnt.

Bei B’tselem haben wir zum Rückkehrrecht geforscht. Im August 2000 standen wir kurz davor, darüber einen Bericht zu erstellen. Als die zweite Intifada ausbrach, wollten wir grade seine Grundzüge festlegen. Seitdem sind wir nicht wieder darauf zurückgekommen. Aber jede Menschenrechtsgruppe, die über Flüchtlinge schreibt, versteht sofort, dass das ein Menschenrechtsthema ist.

Ben Efrat: Es besteht also Möglichkeit, dass B’tselem mit einem Beschluss an die Öffentlichkeit tritt, die das Rückkehrrecht fordert?

Biletzki: Möglicherweise wird B’tselem eine Stellungnahme zu den Rechten der palästinensischen Flüchtlinge herausbringen. Und lassen Sie mich noch sagen, dass es zahlreiche Wege gibt, ein Recht einzulösen. Einige werden in ihre Häuser zurückkehren, einige werden in deren Nähe leben, einige werden abschließende Entschädigungszahlungen erhalten, andere werden anderswo Lösungen finden und einige werden eine Kombination von alledem erhalten. Grundsätzlich denke ich, dass eine Möglichkeit, israelische Ängste zu neutralisieren die ist, über „Flüchtlingsrechte“ zu sprechen. Selbst wenn man mit Linken spricht, werden alle zustimmen, dass die Flüchtlinge Rechte haben, aber wenn man das Rückkehrrecht benennt, Oy Gewalt!

Ben Efrat Ich denke nicht, dass wir das Scheitern von Oslo oder die darauf folgende Intifada abschließend erörtert haben. Als eine, die Oslo unterstützt hat, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Lage?

Biletzki: Heute zweifle ich nicht daran, dass Oslo eine neue Phase der Besatzung unter anderem Namen darstellte. Als Vorstandsmitglied von B’tselem erinnere ich mich, wie erschüttert ich bereits 1996 war, als die Frage der Abriegelung akut wurde. Plötzlich begriff ich, dass die Lage der Palästinenser seit Oslo viel schlimmer geworden war. Israel erfüllte seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung nicht, aber was wäre gewesen, wenn wir das getan hätten? Ich weiß es wirklich nicht. Es ist klar, dass die Siedlungen weiter vergrößert wurden und das Konzept der Menschenrechte taucht in Oslo nicht auf. Was haben sie gedacht, was sie da tun?

Ben Efrat: Man könnte sagen, dass sich das Problem von Oslo heute fortsetzt, wenn Abu Mazen bereit ist, während der Loslösung als Israels Polizist zu fungieren, ohne etwas dafür zu bekommen.

Biletzki: Also müssen wir leider gönnerhaft sein und ihm sagen, dass er nicht das Recht hat, dem zuzustimmen.

BEN EFRAT: Warum „gönnerhaft“? Hier berühren wir die Frage der Rolle der Linken in einer Situation, in der sie sich in geographischem oder ethnischem Sinn auf der Seite der Besatzer befindet. Ich meine, was ist wichtiger, Ihr Sein als Internationalisten oder Ihre ethnische Herkunft?

Biletzki: Ich betrachte mich sowohl als Linke – Kommunistin, Marxistin – als auch als Humanistin. Unmittelbares Ziel scheint mir die Verringerung des Leidens; dieses Ziel muss ich manchmal auf Kosten meiner ideologischen Ansichten verfolgen.
Ich habe mal an einer Diskussion mit Sari Nusseibeh teilgenommen. Er sagte, er sei bereit für seine Freiheit auf das Rückkehrrecht zu verzichten, und er fragte mich, wer ich sei, dass ich ihm sage, das könne er nicht tun. Immerhin, sagte er, sei das Rückkehrrecht seines, also könne er es auch im Austausch für Freiheit aufgeben. Ich war verblüfft, als er das sagte, aber ich habe darüber geschlafen und am nächsten Tag habe ich zu ihm gesagt, er sei naiv, wenn er denke, die Aufgabe seines Rückkehrrechts werde ihm Freiheit bescheren. Aber wichtiger war, ich sagte ihm, dass ich nicht für ihn für das Rückkehrrecht kämpfe, sondern zum Wohl meiner eigenen Gesellschaft, damit sie eine gerechte Gesellschaft wird. Um uns in Nicht-Besatzer zu verwandeln, müssen wir die Rechte der Palästinenser anerkennen.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien bei CHALLENGE. Wir spiegelten von http://www.challenge-magazin.de/dilemmata.htm

CHALLENGE ist eine zweimonatlich erscheinende linksgerichtete Zeitschrift, die sich auf die Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts im globalen Zusammenhang spezialisiert hat. Von Arabern und Juden in Jaffa herausgegeben, bietet sie politische Analysen, investigative Berichterstattung, Interviews, Augenzeugenberichte, Gender-Themen, Kunst und vieles mehr.