Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Elemente zur Einwanderungspolitik der neuen Regierung (Teil 1)

08-2012

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Dem Wahlkampf folgten die ersten Schritte der neuen Regierung: Seit Mitte Mai dieses Jahres – nachdem der Ausgang der Präsidentschaftswahlen vom 06. Mai 12 feststand – steht die aus Sozialdemokraten und Grünen gebildete Regierung von Premierminister Jean-Marc Ayrault. Bei den Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni d.J. wurde sie im Amt bestätigt. Nunmehr hat sie ernsthaft zu arbeiten begonnen. Während einige ihrer ersten Schritte bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik bereits für die ersten mehr oder minder herben Enttäuschungen sorgten, soll es an dieser Stelle um die bisherigen Maßnahmen bei der „Ausländer“politik, und am Rande auf dem Feld der „Inneren Sicherheit“, gehen. Wirken diese Politikbereiche doch „ideologieprägend“, und beeinflussen sie insbesondere die Geisteshaltung der WählerInnen und potenziellen WählerInnen der extremen Rechten.

Im Wahlkampf hatten der nunmehrige Präsident François Hollande und sein nunmehriger Premierminister Jean-Marc Ayrault versucht, bei diesen Themen den Ball flach zu halten. Es sollte zu keiner scharfen Links-Rechts-Polarisierung zu diesen Themen kommen, von denen man befürchtete, eine stärkere Aufwallung der Emotionen könne dem (im weiteren Sinne) linken und sozialdemokratischen Lager eher schaden denn nutzen. Auf seiner Seite versuchte Noch-Präsident Nicolas Sarkozy umgekehrt, vor allem auf dem Feld der Einwanderungspolitik mit verbalen Attacken scharf zu polarisieren.

Ankündigungen zu diesen Themen gab es nur insoweit, als die TV-Journalisten beim großen Fernsehduell der beiden Präsidentschaftskandidaten Hollande und Sarkozy am Abend des 02. Mai 2012 – das François Hollande deutlich gewann, nachdem die letzte sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal am 02. 05. 2007 gegen Sarkozy haushoch unterlegen war – auch Fragen zu der Thematik stellten. François Hollande hielt sich dazu jedoch bedeckt, und wollte insbesondere keine Aussagen zu den „legal“ in Frankreich lebenden Einwanderern treffen; im Gegensatz zu Sarkozy und seinem Innenminister Claude Guéant, die zu dem Zeitpunkt offen von einer Verringerung der Zahl der „legalen“ Zuwanderer (durch Familiennachzug oder Eheschlüsse mit französischen StaatsbürgerInnen) sprachen.

Er hielt sich an eine strikte Unterscheidung zwischenlegal undillegal“. Und, einmal bedrängt durch Nachfragen der TV-Journalisten („Gibt es nun zu viele Ausländer in Frankreich?“) konzedierte er: „Es gibt zu viele illegale Ausländer.“ Diese seiendazu berufen, das Land zu verlassen oder ggf. abgeschoben zu werden“. Gleichzeitig bekräftigte er das Versprechen, das er rund zehn Tage zuvor in einem Brief an die, sehr institutionelle undmoderat“-staatstragende, NGO France Terre dAsile (FTDA - „Frankreich, Asylland“) abgegeben hatte1: Die Verhängung von Abschiebehaft französisch rétention administrative, wobei sie im französischen Recht nicht alsHaft betrachtet wird, sondern als rein verwaltungstechnischerGewahrsam“ – solledie Ausnahme und nicht die Regel bilden“. Zudem sollten nach Möglichkeit keine Kinder mit ihren Angehörigen inAbschiebegewahrsam kommen. Dieses Versprechen folgt der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strasbourg.

Hollands frisch ernannter Premierminister Jean-Marc Ayrault wandte sich am 13. Juni d.J. in Paris, bei einer Abschlussveranstaltung im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen, ausdrücklich an die Wähler des Front National: Ihnen werde gesagt, die Sozialdemokratie deren Wahlsieg sich abzeichnete wollemassenhaft Sans papiers legalisieren“, also illegalisierten Einwanderern künftig Aufenthaltstitel verschaffen. Doch dies zähle zu denLügen“, die Ayrault zu dementieren versuchte. Vgl. http://www.lemonde.fr/

Abschiebehaft und Kinder:...

Zurück zu François Hollands Versprechen betreffen die Abschiebehaft: Ermöglicht werden sollte dieses, indem man dasselbe Ziel, also die freiwillige oder erzwungene Ausreise der Betreffenden, mit anderen Mitteln erreichen würde. Also insbesondere durch assignation à résidence (wörtlich „Zuweisung eines Wohnorts/Wohnsitzes“ - gemeint ist hier jedoch, dass ein Mensch in seiner Wohnung bleibt und sich in regelmäßigen Abstände bei der örtlichen Polizeidienststelle meldet) - sollte gewährleistet werden, dass „illegalisierte“ und zur Abschiebung bestimmte Einwanderer auch tatsächlich zur Ausreise verpflichtet werden. Nur sollten sie ihre Abreise in der eigenen Wohnung vorbereiten können. Dies hat sicherlich einige Vorteile unter humanitären Gesichtspunkten, wenn man die Lebensbedingungen in den Centres de rétention administrative (CRA, ungefähre Entsprechung zu den deutschen Abschiebeknästen) kennt. Allerdings auch Nachteile aus Sicht der betroffenen Einwanderer. Denn während man in einem CRA Tag und Nacht einsitzt – da es sich juristisch nicht um Haft handelt, gibt es allerdings einige handfeste Erleichterungen gegenüber Gefängnissen, die Insassen dürfen etwa frei telefonieren -, Kontakt zu dort präsenten NGOs hat und Rechtsmittel gegen den „Gewahrsam“ und gegen die Ausreiseverpflichtung einlegt, ist die Situation beim Gewahrsam zu Hause eine andere. Aufgrund der unterschiedlichen Situation konzentriert man sich oft weit weniger darauf, die erforderlichen Rechtsmittel einzulegen (zumal der Rechtsweg gegen die Verhängung des Abschiebegewahrsams ja entfällt). Und wenn dann plötzlich die Polizei um sechs Uhr früh vor der Tür steht, um die Ausreise auch durchzuführen und die Betroffenen direkt zum Flughafen zu bringen, dann ist es für den Rechtsweg i.d.R. zu spät.

... Neue Ministerialverordnung

Am 06. Juli 2012 hat François Hollandes Innenminister Manuel Valls, ein Mann des rechten Flügels der französischen Sozialdemokratie, diesen Ankündigungen nun erste Taten folgen lassen. Mittels einer an alle Präfekten gerichteten circulaire („Rundschreiben“, ungefähr: eine Ministerialverordnung) forderte er diese juristischen Vertreter des Zentralstaats in den Départements dazu auf, sich an oben ausgeführter Linie zu orientieren. Der Text enthält dementsprechend zwei Teile: Im ersten Abschnitt wird dargelegt, dass Familienangehörige von „zur Ausreise verpflichteten“, da „illegalen“ AusländerInnen – insbesondere Kinder und Jugendliche – tunlichst nicht mit ihren Familien in Abschiebegewahrsam genommen werden dürften. Vielmehr solle die Verpflichtung zur Einhaltung von polizeilichen Meldeauflagen als Alternative dazu dienen, und es gleichzeitig erlauben, die Ausreise dieser Familien vorzubereiten. In einem zweiten Abschnitt geht es dann jedoch um die Ausnahmen von dieser Regeln: Sofern die Erwachsenen der Familie entweder ihrer Meldepflicht nicht nachkommen, oder aber versuchen, sich der angeordneten Ausreise zu entziehen, dann entfällt diese Anordnung. In diesem Falle können also alle Familienmitglieder wiederum in eine (de facto) Abschiebehaftanstalt, in ein CRA, eingewiesen werden. (Nach französischem Recht können Menschen für maximal anderthalb Monate in einem CRA festgehalten werden, insofern kann es aus Sicht des Staates durchaus praktisch sein, viele „Abschiebekandidaten“ bei sich zu Hause zu „verwahren“.)

Innenminister Manuel Valls kündigte ferner an, diese neue Regel werde nicht für die – administrativ zu Frankreich gehörende, und seit einer Abstimmung im März 2009 nun das 101. Département bildende – Insel Mayotte gelten. Besonders dort aber stellt sich die Frage der Abschiebehaft für Kinder: Im europäischen Frankreich, der „Metropole“, wurden bislang jährlich rund 400 Kinder in Abschiebegewahrsam genommen. Doch auf der Insel Mayotte wurden dort im letzten Jahr 5.389 Kinder in der dortigen Abschiebeanstalt, wo besonders menschenunwürdige Bedingungen herrschen, registriert. Hintergrund ist, dass Mayotte zum Komoren-Archipel zählt (die Insel wurde bei der Unabhängigkeit der Komoren 1975 durch Frankreich künstlich aus dem Archipel herausgelöst) und vom Rest der Inselgruppe keine 70 Kilometer entfernt liegt. Doch die materiellen Lebensbedingungen weisen ein starkes Gefälle auf. Seit der Einführung einer Visumspflicht für komorische Staatsbürger/innen im Jahr 1994 ertranken rund 5.000 Menschen in dem Meeresarm, der die Inseln trennt. Valls begründete die beabsichtigte Ausnahmeregelung für Mayotte mit „dem starken Wanderungsdruck dort“. Aus Sicht der Einwohner/innen der Komoren allerdings befinden sie sich auf Mayotte „im eigenen Land“.

Eine Reihe von französischen NGOs – der GISTI, die „Beobachtungsstelle für den Freiheitsentzug für Ausländer“ (OEE), der MRAP... – haben angekündigt, die neuen Verordnung von Innenminister Valls durch eine Klage beim Obersten Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) überprüfen zu lassen.

Krankenversicherung für illegalisierte Einwanderer

In der Nacht vom 19. zum 20. Juli 12 stimmte die französische Nationalversammlung über die Ausgestaltung der Aide médicale d’Etat (AME, „staatliche Arzneihilfe“) ab. Die AME ist eine Art Sonder-Krankenversicherung, die „illegalisierten“ Einwanderern offen steht, sofern sie – laut eigenen Angaben – unter 640 Euro pro Monat verdienen und sich seit über drei Monaten in Frankreich aufhalten. Historisch hatten diese Menschen keinerlei Zugang zu einer Krankenversicherung, obwohl sich in den 1990er Jahren Netzwerke von ÄrztInnen herausbildeten, die bereit waren, sie dennoch zu behandeln. Im Jahr 2000 führte die damalige sozialdemokratische Regierung die AME ein, und zwar nicht nur aus humanitären Motiven, sondern vor allem auch aus Gründen staatlicher Gesundheitspolitik: Wenn eine größere Zahl von Menschen sich nicht medizinisch behandeln lassen kann, dann drohen, bereits ausgerottete oder aber ansonsten mehr oder minder leicht zu bekämpfende Krankheiten (wieder) aufzutreten.

Die Rechtsregierungen unter der UMP hatten aus dem zu genannten Motiv heraus die AME ebenfalls beibehalten. Allerdings hatte die letzte Rechtsregierung im März 2011 eine franchise (einen „Freibetrag“, einen Selbstbehalt) eingeführt: Um die jeweils für zwölf Monate gewährte AME-Bescheinigung zu erhalten, mussten die Antragsteller/innen dreißig Euro hinlegen. Aus ökonomischen Gründen hielt dies viele von ihnen davon ab, einen Antrag zu stellen, außer bei dringender Not.

In der Nacht zum 20. Juli 12 schaffte die Nationalversammlung den „Freibeitrag“ nunmehr wieder ab. Rechte Abgeordnete tobten. Die UMP focht dafür, den 30 Euro-Eigenbeitrag zu behalten. Hingegen forderten die beiden Abgeordneten des Front National, Gilbert Collard und Marion Maréchal-Le Pen, eine vollständige Streichung der AME. Collard bemühte sich dabei darum, zu dementieren, dass dies irgend etwas mit Hass zu tun habe. Vielmehr habe er rein rationale, nüchtern ökonomische Beweggründe: „Wären wir reich, dann würde ich für die universelle Großzügigkeit eintreten. Aber unser Land kann es sich nicht erlauben“, usw.usf.

Sonstiges

Eine ministerielle Verordnung vom 31. Mai 12, die wir in den nächsten Tagen ausführlicher darstellen werden, erleichtert für ausländische Studienabgänger/innen erneut (nach einer gegenteiligen Verordnung vom 31.05.11) den Zugang zum Arbeitsmarkt. Bei der „Inneren Sicherheit“ hingegen beerdigte Manuel Valls vorläufig ein anderes Versprechen von Präsidentschaftskandidat François Hollande: Bei jeder Personenkontrolle eine Art „Quittung“ auszustellen, um missbräuchliche und schikanöse Kontrollen – viele Jugendliche mit Migrationshintergrund werden zwanzig mal pro Tag polizeilich kontrolliert – einzudämmen. Die Mehrheit der Polizeigewerkschaften wollte davon nichts wissen. Valls erwähnte das Versprechen bei einer Rede vor hohen Polizeibeamten mit keinem Wort, sondern forderte dort lediglich eine Selbstverpflichtung zu Benimmregeln. So soll das systematische Duzen durch Polizisten künftig unterbleiben.

Anmerkungen

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.