TREND-Thema: Kapitalistischer Stadtumbau

leerstand belegen - momente gemeinsamer aneignung - 2012- die erste hälfte ist erst der anfang...

08-2012

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betrachtet mensch die erste hälfte dieses Jahres, so fallt ein breites spektrum an widerständigkeit im kiez auf, das sich nicht mehr allein gegen steigende mieten und Verdrängung richtet, andererseits sind menschen vermehrt bereit, über bisherige protestformen wie kundgebungen oder infostände hinauszugehen, beispielsweise ist ende Juni eine stille besetzung aufgeflogen, die einige der besetzer_innen versucht hatten gegen die polizei zu verteidigen (1). bereits bei der ersten besetzung der bevernstraße 2 im märz, die mit ihrem hoffest, in das sie eingebettet war, sehr viele menschen im kiez angesprochen hatte, war dies als breite Zustimmung für solcherlei aktionen bei den anwohner_innen zu spüren gewesen (2). ähnliches lässt sich auch von der besetzung der weisestraße 47 im april sagen, nach deren räumung eine lautstarke demo durch den kiez zog, der sich anwohnerjnnen angeschlossen hatten und andere aus den häusern dem demonstrationszug begeistert applaudierten (3). waren diese beiden besetzungen gegen leerstand und drohende Zwangsräumungen wegen Umwandlung in eigentumswohnungen und luxusmodernisierung gerichtet, thematisierte die symbolische besetzung der kurt-held-grundschule in der görlitzer Straße 51 den Zusammenhang von rassismus und gentrifizierung im kiez (4).

dreisterweise war die schule wegen ihres "zu hohen migrant_innenanteils" an schüler_innen geschlossen worden, danach wurde der gebäudekomplex vom lifo an die modedesigner_innenschule "esmod" verkauft, die hier wohnraum, die ehemaligen lehrer_innenwohnungen nämlich, praktisch zerstört, das einzige, was in diesen wunderschönen Wohnungen passiert sind photoshootings, während, wie in der bevern die menschen aus ihrem kiez verschwinden müssen, weil sie keine bezahlbare wohnung mehr finden.

schließlich wurde die bevern im mai zum zweiten mal besetzt, nachdem die hausbesitzer_innen auch weiterhin die entmietung des hauses inklusive Zwangsräumung vorantrieben (5). um die entschlossenheit zu demonstrieren dies zu verhindern, wurde die besetzung mit einer aktion verbunden, bei der den hausbesitzer_innen das büro zertrümmert wurde, das sie bis dahin in dem haus unterhalten hatten. Letztlich ging es dabei natürlich auch darum, mafiosem spekulantenpack klarzumachen, dass ihre machenschaften sehr teuer für sie werden könnten.

neben den eigentlichen aktionen erscheint uns das entscheidende moment von all diesen aktivitäten, zum austausch mit den anwohner_innen beizutragen, eine ganz neue qualität in dieser hinsieht erreichen die errichtung des kotticamp-gecekondu (6) und die besetzung der stille Straße 10 in pankow (7). beide aktionen stellen die kommunikation unter anwohnerjnnen und mit ihnen auf eine ganz neue ebene, was vorallem von ihrer kontinuität herrührt, die ganz andere möglichkeiten des austausches und dessen Intensität ermöglicht.

ohne hier nochmals darüber diskutieren zu wollen, welchen sinn es macht, solche aktionen hauptsächlich mit forderungen an die politik zu verknüpfen, und inwiefern eine angemeldete aktion überhaupt als "besetzung" zu bezeichnen sei (8), mutet es aber nichtsdestotrotz mehr als fragwürdig an, wenn vorab allein auf Parlamentarismus schielende forderungen von politaktivist_innen mit der begründung aufgestellt werden, mensch bekäme die anwohner_innen sonst nicht auf die Straße, wir hatten da bei begegnungen mit beteiligten anwohner_innen, beispielsweise bei der zweiten lärmdemo, bei der einige menschen festgenommen wurden, doch ganz andere erfahrungen gemacht: tatkräftig stellten sich auch anwohner_innen vor die wanne um zu verhindern, dass die menschen abgekarrt würden, unserem eindruck nach soll hier vorallem eine potentielle radikalisierung verhindert werden, die den politischen interessen einiger Organisatoren des kotticamp widerspräche.

aus all dem wollen wir lernen, lernen auch aus fehlem, die wir zur genüge gemacht haben, lernen aber vorallem aus den aktionen, die doch zu einer erheblichen Verbreiterung der kämpfe in der Stadt beitragen könnten und das heißt überlegen, wie wir eine kontinuität hinbekommen, die sich nicht von militanz distanziert, die vielmehr militanz zu einem ganz normalen bestandteil unserer kämpfe im Stadtteil macht.

leerstand belegen ist keine kiezinitiative, leerstand belegen will nicht aufklären, will nicht einmal agitieren, leerstand belegen will widerständigkeit im kiez verstehen um daran anknüpfen zu können, leerstand belegen will nicht belehren, will nicht in bestimmte richtungen hinmobilisieren, leerstand belegen vertraut darauf, dass die wut im kiez wesentlich größer ist, als den anhängern hiesiger parlamentarisch-demokratischer Strukturen lieb ist. leerstand belegen will zuhören, will aufgreifen, was kein praktisches echo in der praxis von initiativen findet.

leerstand belegen geht mit bertolt brecht davon aus, dass es nur fensterscheiben sind, die uns von dem trennen, was wir zum leben brauchen oder wollen, leerstand belegen geht von der aneignung aus, die weit über hausbesetzungen hinaus gehen soll, aneignung ist für uns eine praxis, an der vielerlei widerstand zusammenkommt, voneinander lernt und sich gemeinsam entwickelt oder genauer sich entwickeln kann, aneignung übergeht den zwang zum kauf, holt sich das, was gebraucht wird ohne sich auf das zentrale moment des kapitalistischen System einzulassen: das geld. das jobcenter hat zu zahlen, die Unternehmerinnen haben für die minijobs zu zahlen, das bafögamt hat zu zahlen: leerstand belegen will ein Vorschlag sein, der auch hier kollektiven widerstand organisiert: niemand geht nicht mehr nur allein zum amt, niemand geht auch nicht mehr allein zum chef oder zur haus Verwaltung, aber darüber hinaus fangen wir an, uns kollektiv das zu nehmen, was wir brauchen und wir wollen alles!

nicht aber geht es allein darum, dass jede_r für sich das bekommt was mensch jeweils zu seinem_ihrem glück zu brauchen glaubt, leerstand belegen will ein kollektives projekt sein, leerstand belegen will gemeinsam aneignen, will gemeinsam das angeeignete verbrauchen und da heraus überlegen, wie aus der aneignung, aus der kollektiven aneignung, aus der subversiven art des lebens ein ganz anderes organisieren des alltags entstehen könnte, das alle menschen miteinbezieht, die sich dem diktat unseres lebens durch das geld und vorallem durch die arbeit widersetzen wollen, auch wenn sie klauen, aneignen oder wie wir das auch immer nennen wollen, individuell nicht organisiert bekommen: dann erst recht und dann eben erst recht gemeinsam, eine gemeinsame kultur der aneignung entwickeln! Ein gemeinsames, ein politisches, kollektives leben aus der aneignung entwickeln!

1) https://linksunten.indymtdia.org/de/nude/62821 
2) https://linksunten.indymedia.org/de/nodt/57045  
3) http://de.indymedia.org/2012/04/328993.shtml
4) https://linksunten.indymedia.org/de/node/59302 
5) http://dc.indymcdia.org/2012/OS/329955.shtml
6) http://kottiundco.wordpress.com
7) http://pankowsolidaritaet.wordpress.com/erklaerung/stiUe-otriisie/
8) https://linksunten.indymcdia.org/dc/node/58945

 

Editorische Hinweise

Der Artikel wurde der oben abgebildeten Broschüre entnommen, die über www.neukoellnverteidigen.tk erhältlich ist.