In einer
provozierenden Arbeit vertritt Lefebvre den Standpunkt,
daß die industrielle Revolution als Vorläufer der
urbanen Revolution des 20. Jahrhunderts interpretiert
werden muß. Unter „urbaner Revolution" versteht er „den
umfassenden Transformationsprozeß, den die heutige
Gesellschaft in ihrer Gesamtheit durchläuft und der dazu
beiträgt, die Periode des vorherrschenden ökonomischen
Wachstums und der Industrialisierung in eine Periode
vorherrschender urbaner Problematik umzuwandeln, in der
die Erforschung der der urbanen Gesellschaft angepaßten
Lebens- und Erscheinungsformen sich immer
dringenderstellt"(1). Lefebvre führt nicht genau aus,
was er unter „umfassendem Transformationsprozeß"
versteht, noch verfolgt er die inneren Bewegungsgesetze
einer kapitalistischen Gesellschaft, auf Grund deren die
Urbanisierung das ökonomische Wachstum und die
Industrialisierung ersetzen soll. In gleichem Maße
ungenau ist Lefebvre mit seiner Argumentation, „daß der
Anteil des global produzierten und realisierten
Mehrwertes in der industriellen Produktion abnimmt",
während „der Anteil des Mehrwertes, der durch
Spekulation, durch die Bauindustrie und durch den Bau-
und Bodenmarkt realisiert wird, anwächst"(2). Seine
These, daß der „sekundäre Kreislauf des unproduktiven
Kapitals" den „primären Kreislauf des produktiven
Kreislaufs" ersetzt, ist in ihrer Behauptung
überraschend und erfordert vorsichtige Überprüfung, ehe
sie akzeptiert oder verworfen werden kann. Daher soll
hier der Versuch unternommen werden, Lefebvres Hypothese
zu untersuchen, wie Grundrente — oder genauer:
Klassenmonopolrente -im Zusammenhang mit der
Urbanisierung entsteht.
1. Grundrente im Urbanisierungsprozeß
Es wird von mir als axiomatisch vorausgesetzt, daß
„Wert" durch jene gesellschaftlichen
Prozesse entsteht, die die in der Natur vorhandenen
Materialien mit Hilfe von Naturkräften in nützliche
Gegenstände für Individuen umsetzen. Mit anderen Worten,
„Wert" entsteht durch Produktion und wird durch
Konsumtion realisiert3. Jedoch können Produktion und
Distribution nicht bewerkstelligt werden ohne (1) eine
entwickelte gesellschaftliche Struktur (dies schließt
Voraussetzungen wie Arbeitsteilung und Versorgung der
Gesellschaft mit notwendigen Dienstleistungen ein); (2)
eine Struktur gesellschaftlicher Institutionen, mittels
derer individuelle und gemeinschaftliche Aktivitäten
koordiniert werden können, und (3) ein Minimum
physischer Infrastruktur (wie
Kommunikationsverbindungen, Versorgungseinrichtungen und
ähnliches). Jedes Produktions- und Distributionssystem
setzt folglich gewisse Transferzahlungen voraus, die zur
Finanzierung der gesellschaftlich notwendigen
Institutionen, Dienstleistungen und der physischen
Infrastruktur vom gesellschaftlich erzeugten Wert
abgezogen werden müssen.
Auch die Grundrente ist eine solche Transferzahlung,
und ihre Geschichte ist voll von Argumenten für und
wider die Rechtmäßigkeit dieser Zahlungen(4). Allgemein
ist diese Problematik in den letzten Jahren in dem Maß
entschärft worden, wie sich die Überzeugung breitgemacht
hat, daß die Grundrente entsprechend neo-klassischer
Theorie als eine Art rationierender Einrichtung
erscheint, mittels derer ein knapper „Produktionsfaktor"
- nämlich Grund und Boden und die enthaltenen
Bodenschätze — rational und rationell verteilt werden
kann(5). Die Existenz der Grundrente kann nach dieser
Theorie als notwendige Koordinationsvoraussetzung für
die rationelle Produktion von Wert gerechtfertigt
werden. Jedoch die Fragwürdigkeit der neo-klassichen
Grundrententheorie offenbart sich, sobald man die
Grundrente als eine an einen knappen Produktionsfaktor
gezahlte Entschädigung (und damit als dingliches
Konzept) ansieht und nicht als eine tatsächliche, an
Personen gezahlte Entschädigung. Aus analytischen
Gründen mag diese Verdinglichung zulässig sein; die
realen Transferzahlungen jedoch werden nicht an den
Boden an sich gerichtet, sondern an lebende Individuen:
ein Mieter sieht im Vermieter sicherlich keinen knappen
Produktionsfaktor. Die gesellschaftlichen
Folgeerscheinungen der Grundrente sind wichtig und
können nicht einfach deshalb vernachlässigt werden, weil
die Grundrente in der neo-klassischen Doktrin einer
gesellschaftlichen, durch Wettbewerb vermittelten
Harmonienlehre eine so unschuldige Rolle spielt(6).
Ein weiterer Punkt ist zu betrachten. Damit
Transferzahlungen erfolgen können, ist eine
institutionelle Struktur notwendig. Ohne sie ließe es
sich nicht feststellen, an wen Grundrente zu zahlen ist.
Folglich muß jede Untersuchung zur Entstehung und
Realisierung von Grundrente, die die stützenden
institutionellen Strukturen ausklammert, erfolglos
bleiben. Entscheidend für unsere gesellschaftliche
Organisation ist die Institution des Privateigentums.
Grundrente ist im wesentlichen eine Transferzahlung, die
durch das Monopol an Grund und Boden sowie Bodenschätzen
realisiert und durch die Institution des Privateigentums
vermittelt wird.
Aber was für eine Art von Zahlung ist denn
Grundrente? Die einfachste Antwort ist, daß sie eine
Zahlung eines Nutznießers darstellt, der durch sie das
Privileg erhält, ein knappes Produkt (hier Grund und
Boden) zu nutzen, das einem anderen gehört. Wie jedoch
kommt es zu Knappheit? Seitdem Produktion systematisch
betrieben wird, haben menschliche Gesellschaften die
Begrenztheit vieler natürlicher Ressourcen erkannt (hier
verstanden als technische und kulturelle Bewertung der
Natur)(7). Diese Erkenntnis verleitet dazu, Knappheit
als etwas in der Natur Angelegtes zu verstehen,
sozusagen eine von der Natur ausgehende Verweigerung,
uns mit den notwendigen Mitteln zur Verwirklichung
gesellschaftlicher und individueller Ziele zu versehen.
Auf dieser Grundlage liegt der Schluß nahe, mehr zu
fordern für die Nutzung von ertragreichem Ackerboden und
hochproduktiven Minen als für mittelmäßigen Ackerboden
oder Minen von nur durchschnittlicher Produktivität.
Dieses Konzept eines „natürlichen Reichtums" und
einer „natürlichen Knappheit" ist bei näherer
Betrachtung wenig zufriedenstellend. Wo gibt es schon
„natürlichen Reichtum", der nicht, ehe der
Produktions-prozeß beginnt, vorbereitet und organisiert
wird. Wälder müssen gerodet werden, um Felder abzugeben;
Gruben müssen ausgeschachtet und gesichert werden.
Solche dauerhaften Vorleistungen (wie z. B.
Terrassierungen von Hängen, künstliche Verbesserungen
der Bodenqualität, die Entwässerung von Marschen oder
Deichbauten) werden allerdings nach einiger Zeit als
„natürliche" Ressourcen angesehen. Kaum irgendwo auf der
Erdoberfläche kann man heute noch „natürliche Umwelt"
antreffen, wenn man damit „unberührt durch menschliche
Tätigkeit" versteht. In einer urbanisierten Umwelt ist
dieses Problem von noch größerer Bedeutung, denn die
urbanisierte Umwelt ist vom Menschen produziert und
stellt ein relativ dauerhaftes, künstliches
Ressourcen-System dar(8). Die menschlichen Vorleistungen
gehen in den Grund und Boden als fixes und immobiles
Kapital mit hoher Lebensdauer ein. Folglich mag die hohe
Grundrente für ein Stück Grund und Boden im Zentrum von
London aus seiner hohen Produktivität resultieren, aber
diese Produktivität resultiert ihrerseits wieder aus der
Herstellung des gewaltigen künstlichen
Ressourcen-Systems London. Da dieses vom Menschen
künstlich hergestellte Ressourcen-System lokal begrenzt
ist, hat der Urbanisierungsprozeß die vorher nicht
vorhandene Knappheit an Grund und Boden hervorgebracht.
Wenn die Grundrente als eine Transferzahlung an einen
knappen „Produktionsfaktor" angesehen wird, dann hat der
Urbanisierungsprozeß die Möglichkeiten zur Realisierung
der Grundrente vervielfältigt. Die verschleiernde
Unterscheidung zwischen „natürlicher" und „künstlich
hervorgebrachter" Knappheit macht es schwer, zwischen
Grundrente und Profit zu differenzieren. Sind z. B.
Gebäude als relativ dauerhafte Wertverbesserung des
Bodens zu interpretieren, oder sind sie eher als Waren
anzusehen, deren Profit aus einem in sie investierten
Kapital hervorgeht? Die Antwort hängt von der
Interpretation des Begriffes „relativ dauerhaft" ab. Zum
Teil ist dies ein Zurechnungsproblem: Gebäude müssen
produziert und als Ware bezahlt werden. Ist jedoch das
Gebäude endlich bezahlt, muß es als relativ dauerhafter
Bestandteil des Bodens angesehen werden (vorausgesetzt,
daß es noch nutzbar ist). Der Buckingham Palace z. B.
stellt einen dauerhaften Bestandteil des Bodens dar;
wogegen ein Vorstadthaus, gerade fertiggestellt, noch
nicht zu dieser glücklichen Kategorie gerechnet werden
kann. In gleicher Weise kann man sämtliche Bauwerke, die
eine Stadt ausmachen, betrachten - Büros,
Einkaufszentren, Straßen, Kirchen, Plätze, Parkanlagen
usw.
Die Unterscheidung zwischen reiner Transferzahlung -
Rente - und dem Profit auf investiertes produktives
Kapital bereitet einige Schwierigkeiten. Den
individuellen Investor kümmert diese Unterscheidung
nicht sonderlich, denn der Gesamtprofit seines
vorgeschossenen Kapitals ist das Entscheidende. Aus
seiner Sicht wird daher das Kapital dort investiert, wo
die Profitrate am höchsten ist, unabhängig, ob es sich
um eine produktive Aktivität handelt oder nicht. Es wird
von den produktiven Aktivitäten — Lefebvres „primärem
Kreislauf des Kapitals" — auf die unproduktive Bau- und
Bodenspekulation umgelenkt, sobald die Profitrate in
diesem „sekundären Kreislauf höher ist als im primären.
Wenn die Unterscheidung zwischen produktiven und
unproduktiven Investitionen in der individuellen
Kalkulation des Investors verschwindet, so läßt dies
keine Schlüsse auf die Bedeutung einer solchen
Unterscheidung als gesellschaftliches Faktum zu: Jagt
alles Kapital nur noch der Grundrente nach und wird
nichts mehr in die Produktion investiert, dann wird
folglich auch kein Wert mehr produziert, aus dem sich
die Transferzahlungen - Grundrente - schöpfen lassen.
Die Unfähigkeit des Investors, zwischen Rente und Profit
zu unterscheiden, könnte die Stichhaltigkeit von
Lefebvres Argumentation nahelegen.
2. Klassenmonopolrente, Urbanisierung und
Klassenmonopol
Eine Grundrente kann aus verschiedenen Gründen
gefordert werden. Die Marxschen Kategorien
einer Differentialrente, absoluten Rente und
Monopolrente, zu denen Richard Walker kürzlich noch die
redistributive Rente hinzugefügt hat, sind insofern
nützlich, als sie uns zwingen, die verschiedenen
Entstehungsformen der Grundrente zu analysieren(9). In
diesem Beitrag will ich versuchen, eine Rentenform zu
untersuchen, die als „Klassenmonopolrente" bezeichnet
wird. Ob sie den Marxschen Kategorien der Monopolrente
oder der absoluten Rente zugerechnet werden soll, ist
nicht von Belang. Die Antwort auf diese Frage hängt von
der Lösung des „Transformationsproblems" ab, das aus der
Beziehung von Wert und Preis im Reproduktionsschema
entsteht(10). Meiner Meinung nach kann
Klassenmonopolrente am ehesten als eine Form der
absoluten Rente betrachtet werden. Da dieser Begriff
jedoch strittig ist, werde ich den Begriff
„Klassenmonopolrente", der dem hier dargestellten Inhalt
am nächsten kommt, verwenden. Klassenmonopolrente
entsteht auf Grund der Existenz einer Klasse von
Eigentümern an „parzellierten Ressourcen", d. h.
Grundstücken, und dem darauf relativ dauerhaft
investierten Kapital; eine Klasse, die durch jene
Eigentümer gebildet wird, die die in ihrer Verfügung
stehenden Grundstücke nur dann vermieten oder
verpachten, wenn die Rentenrate — d. h. der Rückfiuß
über dem eingesetzten Kapital - eine willkürlich
gesetzte Mindesthöhe überschreitet(11). Nur als Klasse
haben sie die Macht, immer ein Minimum an Profit zu
erzielen; d. h. entscheidend ist hier ihre Macht als
Klasse. Sofern Eigentümer an Grund und Boden nicht in
Übereinstimmung mit einem solchen wohldefinierten
Klasseninteresse handeln würden oder könnten, ließe sich
eine Klassenmonopolrente nicht realisieren. So würden z.
B. Haus- und Grundbesitzer aussterben, wenn sie die zu
ihrer Verfügung stehenden Ressourcen nicht verpachten
oder vermieten könnten. Eine Klassenmonopolrente könnte
in diesem Fall in einer Wettbewerbswirtschaft nicht oder
nur unter restriktiven Umständen existieren. Eigentümer
an Grund und Boden gewinnen ihr Klassenmonopol gerade
durch den Umstand, daß sie als Individuen recht gut
leben können, auch wenn sie nicht sämtlichen in ihrer
Verfügungsgewalt stehenden Grund und Boden vermieten
oder verpachten. Im Europa des 19. Jahrhunderts war die
Macht der Grundeigentümer ein Überbleibsel des
Feudalismus. Als Klasse realisierten sie eine absolute
Rente, da sie über Macht und Einfluß verfügten und die
legale Basis der Grundrente von den industriellen
Kapitalisten nicht in Frage gestellt wurde; die
Voraussetzungen des privaten Eigentums, die die
Realisierung einer Grundrente ermöglichten, boten
gleichzeitig den notwendigen legalen Rahmen für das
kapitalistische Unternehmertum. Marx jedoch erkannte,
daß es durchaus im Interesse der Klasse der
industriellen Kapitalisten läge, wenn Grund und Boden
und andere produktive Ressourcen in Staatseigentum
überführt würden; die Verpflichtung, den Grund- und
Bodeneigentümern Transferzahlungen in der Form von Rente
zu machen, wäre ihnen dadurch abgenommen(12). In einer
urbanisierten Welt hat sich die Unterscheidung zwischen
Kapitalist und Grundeigentümer zugleich mit der
fließenden Unterscheidung zwischen Boden und Kapital
mehr und mehr verwischt. Wir müssen daher unsere
Kategorien so anpassen, daß wir die neue Komplexität der
künstlich geschaffenen Ressourcen-Systeme erfassen
können. Die alte Frage bleibt daher bestehen: gibt es
Eigentümer von parzellierten Ressourcen (seien diese
„natürlich" oder „künstlich geschaffen"), deren
Verhalten auf die Realisierung einer Rente ausgerichtet
ist? Falls es sie gibt, folgt die Frage, worauf sich
ihre „Klassenmacht" gründet, wie sich ihr
„Klasseninteresse" definieren läßt und wie wir ihre
Funktion und Position in einer modernen
Klassengesellschaft interpretieren. Vorab sei
festgestellt, daß wir es uns nicht leisten können,
Grundrente ausschließlich als Zahlungen an eine Klasse
zu analysieren, die ihre Machtposition aus dem Nachlaß
des Feudalismus herleitet; dazu hat Grundrente in einer
urbanisierten Welt eine zu große Bedeutung.
Am besten scheint es, diesen Fragenkomplex in kleinen
Schritten anzugehen. Einige Bemerkungen zum Begriff
„Klasseninteresse" sind jedoch zur Vermeidung von
Fehlinterpretationen vorauszuschicken. Ich verwende die
Begriffe „Klasseninteresse" und „Klassenmonopol"
zunächst in bezug auf jede gesellschaftliche Gruppe, die
durch ein wohldefiniertes gemeinsames Interesse in einer
jeweils gegebenen Situation charakterisiert ist(13). Wie
diese unscharfe Definition von „Klasse" und
„Klasseninteresse" auf die Gesamtstruktur einer
Klassengesellschaft zu beziehen ist, sei auf später
verschoben; hier wird zunächst an Hand von zwei
Beispielen die Bedeutung von „Klasseninteresse"
beleuchtet.
2.1 Hauseigentümer und einkommensschwache Mieter
Angenommen, es gibt eine gesellschaftliche Klasse,
die auf Grund ihres Einkommens, sozialen Status,
Kreditwürdigkeit und ihres Anspruchs auf „öffentliche
Unterstützung" weder imstande ist, als Hausbesitzer noch
aber im Sozialen Wohnungsbau(14) Unterkunft zu finden.
Die Existenz einer solchen, durch die beschriebene
Situation gekennzeichneten Klasse läßt sich ohne Mühe in
jeder großen amerikanischen und europäischen Stadt
nachweisen. Diese Klasse hat keine andere Alternative,
als sich Unterkunft auf dem freien Wohnungsmarkt zu
suchen, d. h. auf dem Teilmarkt für die unterste
Einkommensklasse; sie ist in eine ausweglose Situation
getrieben.
Die Bedürfnisse dieser Klasse werden durch die Klasse
von Grundeigentümern befriedigt. Natürlich wechselt die
Erscheinungsform des Grundeigentümers von der alten
Dame, die ein Dachzimmer vermietet, bis zu dem in großem
Maßstab operierenden Hai, der genaue Buchführung und
professionelles Management einsetzt, um Profite zu
realisieren. Aus Gründen der Verdeutlichung sei hier
angenommen, daß die genannte Art von Unterkunft
ausschließlich von der Klasse der professionellen
Hauseigentümer bereitgestellt wird. Als Klasse stehen
ihr verschiedene Möglichkeiten der Investition offen,
jedoch ein Großteil ihres Kapitals ist im Wohnungsmarkt
gebunden. Im Hinblick auf den auf dem Kapitalmarkt zu
erzielenden möglichen Ertrag aus Investitionen wird hier
als Beispiel angenommen, daß der professionelle
Hauseigentümer die zu erwartende Profitrate auf Basis
des allgemeinen Marktwertes des fixen Kapitals bei 15 %
jährlich festsetzen kann. Ferner wird angenommen, daß
Wohnungen für die unterste Einkommensklasse in einer
Stadt zunächst im Über-fluß vorhanden sind und daß die
hier bestenfalls realisierbare Profitrate nur 5 %
beträgt. Eine rationale Strategie der Hauseigentümer zur
Erhöhung der Profitrate besteht nun darin, die
Unterhaltungskosten zu reduzieren und bewußt nicht zu
investieren; das dabei freigesetzte Kapital wird auf dem
Kapitalmarkt dort investiert, wo es mindestens eine
Profitrate von 15 % abwirft. Durch die reduzierten
Unterhaltungskosten werden die Wohnungen auf diesem
Markt qualitativ entwertet, und nach und nach werden die
schlechtesten Wohnungen der Nutzung z. B. durch
Sanierung entzogen: es wird Knappheit erfolgreich
produziert. In den verbleibenden Wohnungen werden die
Mieten und Renten wegen der Verknappung steigen, bis die
Profitrate des Kapitalmarktes von 15 % erreicht ist;
sofern die Umstände noch höhere Mieten und Renten
ermöglichen, steht dem auf der Seite der Grundeigentümer
nichts im Weg. Kennzeichnend für das Klasseninteresse
der professionellen Hauseigentümer ist es, entweder
diese untere Profitrate von 15 % in absehbarer Zeit zu
erzielen oder den Wohnungsmarkt zu verlassen.
Das Klasseninteresse der professionellen
Hauseigentümer ist dem der Mieter diametral
entgegengesetzt. Sobald die Wohnungsqualität sinkt und
Mieten und Grundrenten relativ oder absolut steigen,
werden viele Mieter sich andernorts nach Unterkunft
umsehen. Da sie aber im wesentlichen an den Ort gebunden
sind, bleibt ihnen kaum eine Aus-weichmöglichkeit. Wo
immer sie einen politischen Faktor darstellen, können
sie versuchen, das Klassenmonopol der Hauseigentümer
durch Einführung von öffentlich kontrollierten,
minimalen Wohnungsstandards oder Mietkontrollen zu
brechen. Solche gesetzgeberischen Maßnahmen können die
Profitraten der Hauseigentümer reduzieren, aber auch zur
Folge haben, daß die Hauseigentümer versuchen, das in
Bauten gebundene fixe Kapital zu realisieren, um es auf
dem Kapitalmarkt ertragreicher zu investieren. Wohl
könnten den Hauseigentümern beim Verkauf Schwierigkeiten
entstehen, wenn sich in einem Markt mit
unterdurchschnittlicher Profitrate keine Käufer finden
oder wenn — unter sozialem, gesetzlichem und politischem
Druck — der Rückzug von Investitionen mit sozialen und
steuerlichen Strafen belegt wird. Erst unter solchen
Bedingungen müßten die Hauseigentümer Kompromisse
schließen und sich mit einer nur gering erhöhten
Profitrate etwa von 8 % zufriedengeben; die Mieter
hätten einen Teilsieg gegenüber dem Klassenmonopol von
Hauseigentümern erzielt. Falls dagegen die Mieter
politisch schwach sind, falls ferner eine Verknappung
von geeigneten Wohnungen entsteht (sei es durch
verstärkten Zuzug oder durch Sanierung) und falls für
die Hauseigentümer die Möglichkeit besteht, ohne
Schwierigkeiten zu verkaufen oder ihre Wohnungen
anderweitig zu nutzen (z. B. durch Vermietung an Mieter
höherer Einkommensklassen), haben die Hauseigentümer
beträchtliche Macht und sind in der Lage, die Profitrate
auch über die Mindest -grenze von 15 % zu steigern. Wo
aber die Mieten steigen, da werden die begrenzt
verfügbaren Einkommen geschmälert; die Mieter können nur
durch eine stärkere Aufteilung der Wohnungen reagieren
mit dem unentrinnbaren Resultat einer erhöhten
Belegungsdichte und Slumbildung.
Derartige Klassenkonflikte zwischen Mietern und
Hauseigentümern können für jede amerikanische und
europäische Stadt belegt werden(15). Der Profit nun, der
durch das Ausspielen dieses Konfliktes den
Hauseigentümern zuwächst, kann am besten als
Klassenmonopolrente interpretiert werden, obgleich
Hauseigentümer sie im allgemeinen als Profit auf
investiertes Kapital anzusehen belieben. Die
Realisierung dieser Rente ist abhängig von der
Möglichkeit, durch Macht das eigene Klasseninteresse
gegenüber einer anderen Klasse durchzusetzen. Auf Grund
dieses Klassenmonopols können die Hauseigentümer sich
immer eine minimale Profitrate bei der Vermietung jener
Wohnungen sichern, die in ihrer Verfügungsgewalt stehen.
2.2 Bau- und Bodenspekulanten und die höheren
Einkommensklassen in den Vororten
Der Fall einkommensschwacher Mieter gegen
Hauseigentümer ist vergleichsweise simpel. Wir wenden
uns jetzt einem wesentlich komplexeren Fall zu, an dem
gezeigt werden soll, daß eine Klassenmonopolrente
tatsächlich in allen Bereichen des Wohnungsmarktes
realisiert werden kann. Die höheren Einkommensklassen,
die meistens die Vororte und Randgemeinden (Suburbia)
bewohnen (dies bezieht sich vorzugsweise auf die
Verhältnisse in den USA), erschließen sich kraft ihres
Einkommens mannigfaltige Möglichkeiten auf dem
Wohnungsmarkt.
Wo gesellschaftliche Prestigesucht und Statusdenken
ausgeprägt in Erscheinung treten, dort können
Wohnungsproduzenten eine Klassenmonopolrente in dem Maße
realisieren, wie die höheren Einkommensklassen durch
Prestigewohnungen in der „richtigen Gegend" sich
gegenseitig auszustechen versuchen. Dies gilt sicher
nicht für den Großteil der mittleren Einkommensklassen,
die weniger aus freier Wahl als eher durch äußere
Umstände und ihr selbstgeschaffenes Weltbild zum Auszug
aus der Stadt gezwungen werden; sie fühlten sich durch
Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in den
Innenstädten in ihrem Lebensstil und ihren
kleinbürgerlichen Ansprüchen bedroht: die ständige
Zuwanderung ländlichen „Lumpenproletariats", der
Zusammenbruch städtischer Dienstleistungen, die
Entwertung der Grundstücke, der Entzug staatlicher
finanzieller Unterstützung für ganze Nachbarschaften,
die Abwanderung der Arbeitsplätze usw. haben
entscheidend zum Exodus der Mittelklassen
beigetragen(16). Zum Teil wurde ihnen von den
Wohnungsproduzenten eine neue heile Welt in den Vororten
vorgegaukelt; zum Teil wurde ihnen einfach ein heftiger
Tritt versetzt(17).
Die Realisation einer Klassenmonopolrente ist hier
von der Existenz einer Klasse von Bau- und
Bodenspekulanten abhängig, die die Macht haben, diese
Rente zu realisieren(18). In einer „freien"
Wettbewerbswirtschaft haben die Spekulanten eine
„positive" Funktion: sie bestimmen den richtigen
Zeitpunkt für Nutzungsänderungen; sie garantieren, daß
der augenblickliche Boden- und Gebäudewert die in der
Zukunft zu erwartende Veränderung der Profitrate
berücksichtigt; sie versuchen diejenigen externen
Effekte zu nutzen, die den Wert ihrer vorhandenen
Bauvorhaben erhöhen; sie wirken im allgemeinen
koordinierend und stabilisierend(19). Ihre Funktion ist
integraler Bestandteil einer kapitalistischen
Marktwirtschaft; die kapitalistische Stadt ist Produkt
ihrer Aktivitäten. Damit Individuen und Organisationen
diese „positive" Funktion erfüllen können, ist ihre
institutionelle Absicherung in zweierlei Hinsicht
erforderlich: 1.) die Unsicherheit
wettbewerbswirtschaftlicher Flächennutzung muß durch
staatliche Verordnungen reduziert werden, wie z. B.
durch die Planungsgesetzgebung in Großbritannien und die
Flächennutzungsverordnungen in den Vereinigten Staaten,
und 2.) den Vermögenden einer Gesellschaft - die es sich
leisten können, Grund und Boden bis zur Baureife
zurückzuhalten — muß ein Anreiz geboten werden, als
Spekulanten auf der Grundlage vorteilhafter
Abschreibungsmöglichkeiten zu fungieren. Die erste
Absicherung gewährleistet den Bau- und Bodenspekulanten
berechtigte Profiterwartungen in der Zukunft, während
die zweite sichert, daß nur Personen mit hinreichendem
Finanzkapital die Aufgabe der Koordination und
Stabilisation von Nutzungsveränderungen des Bodens
übernehmen.
Klassenmonopolrente kann durch Bau- und
Bodenspekulanten nur realisiert werden, wenn ihrem
kollektiven Klasseninteresse durch geeignete Mechanismen
Nachdruck verliehen wird. Diese Mechanismen liegen
gerade in der notwendigen institutionellen Absicherung
ihrer Aktionen. Zum Beispiel realisieren in den
Vereinigten Staaten Bau-und Bodenspekulanten eine
Klassenmonopolrente gewöhnlich durch Beeinflussung von
Flächennutzungsentscheidungen (Zoning). Politische
Kontrolle der kommunalen Gremien durch Bau- und
Bodenspekulanten ist in den Randgemeinden amerikanischer
Großstädte gang und gäbe; da, wie Gaffney feststellt,
die kommunalen Gremien der Randgemeinden das wirksamste
und sicherste Kartell für Flächennutzungsentscheidungen
darstellen, bieten sich nahezu unbegrenzte
Möglichkeiten, eine Klassenmonopolrente auf diesem Weg
zu realisieren(20). Auch politische Korruption trägt
ihren Teil bei. In einer Wettbewerbswirtschaft wird
diese Korruption zuweilen sogar „positiv" bewertet, da
sie die Starrheit bürokratischer
Flächennutzungs-ausweisungen marktgerecht zu umgehen
gestattet.
Der Bau- und Bodenspekulant kann seine Funktion als
Förderer, Koordinator und Stabilisator von
Flächennutzungsveränderungen ohne minimale staatliche
Regelungen und Absicherungen nicht erfüllen. Ohne
staatliche Rückendeckung könnte er diese Funktion nicht
übernehmen, und Bauprojekte in den Randgemeinden der
Städte würden sich in Chaos auflösen; das Finanzkapital
wäre gezwungen, sich von der Finanzierung der
Urbanisierung zurückzuziehen. Die Auswirkungen eines
solchen Rückzuges auf das wirtschaftliche Wachstum,
„effektive" Nachfrage im allgemeinen und auf das
kapitalistische Wirtschaftssystem als Ganzes wären
folglich katastrophal.
Die Höhe der Klassenmonopolrente hängt davon ab, wer
im Konflikt zwischen Bau- und Bodenspekulanten und den
mittleren und oberen Einkommensklassen die Oberhand
behält. Kann der Bau- und Bodenspekulant die oberen
Einkommensklassen von den Vorzügen eines besonderen
Wohnstiles — etwa „kolonial", „spanisch-marokkanisch"
-in einer besonderen Nachbarschaft - etwa an einem
See - überzeugen, ist dies zu seinem Vorteil. Lassen
sich die Verbraucher dagegen durch die Werbung der Bau-
und Bodenspekulanten nicht beeindrucken und haben zudem
Kontrolle über den politischen Mechanismus der
kommunalen Flächennutzungsentscheidungen und der
Besteuerung von ungerechtfertigten Spekulationsgewinnen
(„windfall profits"), dann wird die Klassenmonopolrente,
die die Bau- und Bodenspekulanten realisieren können,
nur minimal ausfallen. Die politische Auseinandersetzung
in vielen amerikanischen Randgemeinden dreht sich
letztlich allein um diese Rentenform. Läßt sich eine
minimale Profitrate in einer Landgemeinde nicht
realisieren, dann zieht sich der Bau- und Bodenspekulant
dort aus dem Geschäft so lange zurück, bis die zu
erwartende Profitrate wieder ansteigt. Diese Rente sinkt
daher kaum lange unter ein gewisses Minimum ab, nur um
meist unvermittelt wieder auf enorme Höhen
emporzuklettern.
Mit diesen Beispielen sollte ein operationales
Verständnis der „Klassenmonopolrente" und des
„Klassenmonopols" im Zusammenhang des
Urbanisierungsprozesses hergestellt werden;
Klassenmonopolrente sollte verstanden werden als
notwendige Begleiterscheinung des kapitalistisch
organisierten Haus- und Bodenmarktes. Sie existiert
unter der Voraussetzung, daß der professionelle
Eigentümer von Wohnungen für einkommensschwache Mieter
selbst in der Randgemeinde wohnt und dort seinerseits
Rente an Bau- und Bodenspekulanten zahlen muß. Wichtig
hieran ist, daß offensichtlich die bei
einkommensschwachen Mietern eingezogene Monopolrente
durch den Hauseigentümer an den Bau- und
Bodenspekulanten weitergegeben wird. Nahezu
unwahrscheinlich wäre der Fall, daß Klassenmonopolrente,
die durch Bau- und Bodenspekulanten realisiert worden
ist, kreisschlüssig irgendwie wieder in die Hände der
einkommensschwachen Mieter gelangt. Eine hierarchische
Struktur kann vorausgesetzt werden, durch die diese
Rente aufwärts und nicht mehr abwärts zirkuliert. An der
Spitze dieser Hierarchie stehen die Finanzinstitute. Wie
nun entsteht eine solche Hierarchie, und was ist ihre
gesellschaftliche Funktion?
3. Der institutionelle hierarchische Rahmen für die
Koordination des Wohnungsmarktes
Zuerst eine Prämisse: die institutionelle
hierarchische Struktur, in der Klassenmonopolrente
realisiert wird, ist unabdingbar notwendig, wenn der
Wohnungsmarkt dazu beitragen soll, die kapitalistische
Krisenhaftigkeit auszusteuern. Da jedes Land seine
eigenen institutionellen Bedingungen geschaffen hat, die
sich keineswegs alle gleichen, ist es nicht einfach,
diese These zu verifizieren. Jedoch verfügen alle
kapitalistischen Wirtschaftssysteme notwendigerweise
über wirksame Steuerungsinstrumente zur Integration von
nationalen und lokalen ökonomischen Aspekten und zur
Integration individueller Entscheidungen in einem
Gesamt/usammenhang, der für die Gesellschaft als Ganzes
sinnvoll ist.
Kurz: jede Gesellschaft verfügt über formalisierte
Mechanismen, Institutionen, mittels derer das Problem
der Aggregation gesellschaftlicher Interessen gelöst
wird(21). Um die Verbindung zwischen Staat und Gemeinde,
zwischen der Gesamtgesellschaft und den Individuen zu
verstehen, muß man die Struktur dieser
gesellschaftlichen Institutionen, die die Grundlage für
das Klassenmonopol im Wohnungsmarkt ausmachen,
untersuchen. Diese These werde ich an Hand der
institutionellen Struktur in den Vereinigten Staaten
belegen, wobei ich mich auf die Bedingungen der letzten
zwei Jahrzehnte in Baltimore beschränke.
Die staatliche Bürokratie und die Finanzinstitute
(Banken, Sparkassen, Hypothekenanstalten u. a.)
fungieren mit dem Zweck, die gesellschaftlichen
Reproduktionsbedingungen sicherzustellen und mit
auftretenden Schwierigkeiten auf möglichst unauffällige
und ordnungsgemäße Art und Weise fertigzuwerden. Das
heißt, staatliche Politik muß ausgerichtet sein an der
Sicherung der ungestörten Akkumulation von Kapital, des
ökonomischen Wachstums und der Reproduktion der sozialen
und politischen Verhältnisse, soweit sie für die
Existenz des kapitalistischen Wirtschaftssystems
notwendig sind. Auf dem Wohnungsmarkt werden diese
allgemeinen Bedingungen staatlicher Politik in drei
spezifische Bedingungen einer staatlichen
Wohnungspolitik umgeformt:
1. Sie muß ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
Bauwirtschaft, wirtschaftlichem Wachstum und Gründung
neuer Haushalte sichern.
2. Sie muß kurzfristig Stabilität sicherstellen und
langfristige Zyklen der Volkswirtschaft austarieren,
wobei die Bauwirtschaft und der Wohnungsbau weitgehend
als „keynesianischer Regulator" fungiert.
3. Sie muß innere Ruhe und Ordnung durch die
gesteuerte Verteilung des Sozialproduktes mittels
Bereitstellung von öffentlich subventioniertem
Wohnraum garantieren.
Seit den dreißiger Jahren haben diese Bedingungen in
den Vereinigten Staaten zu spezifischen Zielsetzungen
geführt, die im großen und ganzen erfüllt werden
konnten(22). Wirtschaftliches Wachstum wurde begleitet
und zum Teil bewerkstelligt durch schnelles Wachstum von
„suburbia". Dieser Urbanisierungsprozeß wurde durch die
staatliche Wohnungspolitik der „Federal Housing
Administration" (FHA; eine Abteilung des früheren
Bundeswohnungsministeriums, des heutigen „Department of
Housing and Urban Development") intensiv gefördert. Ein
Großteil des Wachstums des Bruttosozialproduktes seit
den dreißiger Jahren ist (sowohl absolut als auch pro
Kopf) im Urbanisierungsprozeß gebunden worden; dies
schließt Straßenbau, öffentliche Energie- und
Wasserversorgung, Wohnungsbau, aber auch die „effektive"
Nachfrage, die nach Kraftfahrzeugen, Benzin usw.
ausgelöst wurde, ein. Die wirtschaftlichen Zyklen seit
den dreißiger Jahren sind weitgehend kontrolliert
verlaufen, und die Bauwirtschaft scheint ihre Rolle als
wesentliches Instrument eines antizyklischen
Krisenmanagements erfüllt zu haben. Die offenkundige
soziale Unzufriedenheit der dreißiger Jahre wurde
weitgehend entschärft, indem die staatliche
Wohnungspolitik systematisch ein dickes Polster von
„Mittelklasse" aufbauen half: eine Hauseigentümerklasse,
die heute unter der Last ihrer Schulden, aber zufrieden,
kaum das gesellschaftliche System in Frage stellt. Die
offene Unzufriedenheit des städtischen Proletariats in
den sechziger Jahren führte zu einer ähnlichen
wohnungspolitischen Reaktion wie in den dreißiger
Jahren; allerdings wurde das beständig im Kongreß
beschworene Ziel des „anständigen Hauses in einer
lebenswerten Umwelt" („a decent house in a decent living
environment") für das städtische Proletariat keineswegs
erreicht; bestenfalls wurde die Spitze der sozialen
Unruhe der ausgehenden sechziger Jahre gebrochen. Die
bestehende gesellschaftliche Ordnung in ihrer
wesentlichen Struktur zu erhalten und gleichzeitig
wirtschaftliches Wachstum und kapitalistische
Akkumulation zu fördern, zyklische Schwankungen
auszureichen und drohende Unzufriedenheit zu
entschärfen, das ist das erklärte Ziel auch der
Bundeswohnungspolitik.
Wie wird nun die Bundeswohnungspolitik auf die
Gemeindeebene umgesetzt, und wie kommt es, daß
Individuen sie in ihre Entscheidungen einbeziehen? Ein
komplexer Mechanismus, für den drei wesentliche
Komponenten hier benannt werden sollen, von denen jede
eine dreischichtige hierarchische Struktur von Bund,
Bundesstaaten und Kommunen aufweist, über die die
Bundespolitik nach unten gefiltert und bis auf die
Gemeindeebene weitergeleitet wird. Jede politische Ebene
besitzt eine weitgehend unabhängige Bürokratie. Die
Bundesbürokratie ist allerdings in sich hierarchisch so
organisiert, daß sie die Bundeswohnungspolitik mit dem
lokalen Wohnungsmarkt verbinden kann. Die „Federal
Housing Administration" verwaltet eine Unzahl von
Regierungsprogrammen auf lokaler Ebene und operiert
unabhängig von der Bürokratie der anderen politischen
Ebenen. In den Vereinigten Staaten ist jedoch der
entscheidende Mechanismus für die Koordination zwischen
Bund und Gemeinden sowie zwischen individuellen und
gesellschaftlichen Finanzaktivitäten in den hierarchisch
gegliederten Finanzinstituten zu sehen, die im Rahmen
von Vorschriften der Bundesregierung fungieren. Ihre
Struktur ist äußerst kompliziert, und sie soll hier
nicht näher beschrieben werden(23). Es ist lediglich von
Bedeutung, daß Institutionen, wie die „State Savings and
Loans" (etwa: Landes-Bausparkassen) und „Federal Savings
and Loans" (etwa: Bun-des-Bausparkassen) sich
ausschließlich mit der Finanzierung des Wohnungsmarktes
beschäftigen; ursprünglich um „den Sparsinn der
Bevölkerung lokal zu fördern"(24). Einige dieser
Finanzinstitute sind gemeinnützig, lokal organisiert und
werden durch die lokalen Sparer kontrolliert; sie sind
von den Bedingungen des Geldmarktes im allgemeinen und
von staatlichen Bestimmungen im besonderen abhängig. Im
Gegensatz dazu stehen Hypothekenbanken, Sparkassen und
Handelsbanken, die auf Profitbasis arbeiten. Alle diese
im Verbund arbeitenden Finanzinstitute dienen dazu, die
Bundeswohnungspolitik auf örtliche und individuelle
Entscheidungen zu beziehen und eine lokal begrenzte
Struktur herzustellen, in der Klassenmonopolrente
realisiert werden kann. Dieses Phänomen soll nun im
Kontext von Baltimore untersucht werden.
Das Einzugsgebiet von Baltimore hat eine Bevölkerung
von schätzungsweise zwei Millionen, wovon 900 000 in der
Stadt leben und 600 000 im umliegenden Baltimore County
(etwa: Landkreis Baltimore). Die politische
„Maschinerie" in Baltimore County steht unmittelbar
unter dem Einfluß der Bau- und Bodenspekulanten, die bis
vor kurzem unangefochten in der Lage waren,
Flächennutzungsausweisungen so zu beeinflussen, daß sich
spekulative Profite realisieren ließen. Politische
Korruption ist allgemein verbreitet (Spiro Agnew war
früher County Executive [etwa Landrat] von Baltimore
County, und auch der gegenwärtige Inhaber dieser
Position steht 1974 wegen Korruption unter Anklage). In
den letzten Jahren brachen politische Konflikte in
Baltimore County auf, als die mittleren und höheren
Einkommensklassen Einspruch gegen den laschen Vollzug
von Flächennutzungsausweisungen gegenüber den Bau- und
Bodenspekulanten erhoben, denn die Bau- und
Bodenspekulanten strebten eine ökonomische Änderung an
in einem Landkreis, der sich heute als „sozial"
konsolidiert und homogen darstellt und in dem die
Einwohner vor allem die Erhaltung ihres Haus- und
Grundstückswertes und ihres Lebensstiles anstreben. Die
Bau- und Bodenspekulanten benutzten die Kreisverwaltung
als Instrument zur Durchsetzung ihrer Klasseninteressen.
Um eine Klassenmonopolrente realisieren zu können, ist
lediglich eine ausreichend starke Nachfrage nach
Wohnraum (z. B. durch Bevölkerungswachstum oder Gründung
neuer Haushalte) erforderlich. Nun ist das „Klima" für
Investitionen in Baltimore County und Baltimore City
grundsätzlich verschieden; alle Finanzierungsinstitute
betrachten Baltimore County als ein Wachstums- und
Expansionsgebiet, während Baltimore City ihnen als eine
bestenfalls stabile und schlimmstenfalls schnell
herunterkommende Gegend gilt. Die Folge - im Sinne einer
sich selbst erfüllenden Prophezeiung — ist das Anwachsen
der Investitionen im Landkreis und die allgemeine
Unlust, in der Stadt zu investieren. Die mittleren
Einkommensklassen reagieren darauf durch Umzug in den
Landkreis, wo der Bau- und Bodenspekulant sie schon
fürsorglich erwartet. Der Strukturkonflikt zwischen
Stadt und Landkreis trägt so in amerikanischen Städten
zur Realisierung einer Klassenmonopolrente am Stadtrand
bei.
Eine sorgfältige Analyse enthüllt, daß der
Wohnungsmarkt in Baltimore eine geographische Struktur
aufweist, die verstärkt zur Realisierung einer
Klassenmonopolrente führt.(24a)
Diese geographische Struktur der Teilmärkte in
Baltimore bildet ein Entscheidungsfeld, in dem die
einzelnen, durch Rasse und Einkommen bestimmten
Haushalte ihre Wohnungswahl treffen müssen, wobei die
„Wahl" der Haushalte mit der geographischen Struktur
übereinstimmt und sie wahrscheinlich weiter verstärkt.
Die geographische Stadtstruktur selbst ist das Ergebnis
einer geschichtlichen Entwicklung; auf lange Sicht zwar
ununterbrochen im Wandel durch Zu-und Abfluß von
Kapital, durch die Aktionen von Spekulanten und Maklern,
durch die Veränderung der Wohnungspolitik gegenüber dem
Hauseigentum, durch die Veränderung des Lebensstiles und
der sozialen Ansprüche, der Minoritätenfrage, der
Bürgeraktivität in Stadtvierteln, durch die
Transformation der Profitabilität des Hausbesitzes, ist
die geographische Stadtstruktur jedoch kurzfristig
weitgehend stabil; ein abgrenzbares Raster von
geographischen Teilmärkten, innerhalb derer sich
Interessengruppen als gesellschaftliche Klassen
gegenüberstehen.
4. Klassenmonopolrente, absoluter Raum und
Stadtstruktur
Klassenmonopolrente entsteht, weil die Eigentümer von
parzellierten Ressourcen die Macht besitzen, immer einen
Profit zu erzielen. Ricardo war der Meinung, daß eine
absolute Rente nur auf einer Insel denkbar sei, auf der
der gesamte Boden bebaut wäre und auf der absolute
Knappheit herrsche. Die Analyse von Städten wie z. B.
Baltimore läßt den Schluß zu, daß das durch
Urbanisierung künstlich geschaffene Ressourcen-System in
Wirklichkeit aus einer Vielzahl von künstlich
produzierten „Inseln" besteht, auf denen die
Klassenmonopole jeweils absolute Knappheit schaffen.
Eine wesentliche Voraussetzung für die Realisierung
einer Klassenmonopolrente sind durch menschliche Praxis
erzeugte „absolute Räume", die aus jener merkwürdigen
Eigenschaft des geographischen Raumes herrühren,
parzellierbar, in Segmente aufteilbar zu sein, von denen
jedes als „Ding an sich" und unabhängig von anderen
betrachtet werden kann(25). Durch das Privateigentum als
wesentliche institutionelle Voraussetzung für die
Klassenmonopolrente werden die individuellen Räume erst
formell produziert. Die Struktur politischer
Gebietskörperschaften ebenso wie bürokratische
Flächennutzungsausweisungen definieren kollektive
absolute Räume, d. h. Gebiete, „Inseln", die, wie wir
gesehen haben, die Realisation einer Klassenmonopolrente
wesentlich beeinflussen.
An erster Stelle unter den Voraussetzungen für die
Realisierung der Klassenmonopolrente steht die Struktur
der Teilmärkte. Die Konsequenzen daraus sind besonders
für Wohnviertel von Bedeutung. Die Differenzierung von
Wohnvierteln in Städten ist schon seit langem durch
sozio-ökologische Prozesse, die Herrschaft des
Verbrauchers, Nutzenmaximierungsverhalten von Individuen
usw. erklärt worden. Gewöhnlich wurde stillschweigend
vorausgesetzt, daß die Finanzinstitute eine völlig
neutrale Funktion in diesem Prozeß einnehmen. Eine
Untersuchung Baltimores zeigt, daß dies eindeutig nicht
zutrifft. Finanzinstitute und staatliche Bürokratie
übernehmen eine aktive Rolle, indem sie „Raum"
strukturieren und unterschiedliche Wohnungsmärkte
produzieren. Damit soll nicht gesagt sein, daß andere
Faktoren, wie etwa die Berücksichtigung der ethnischen
Zugehörigkeit, des sozialen Status und Prestiges, des
Lebensstiles, der Stadtteil-und
Nachbarschaftssolidarität, der Exzentrizität einzelner
für das Verständnis der Differenzierung von
Stadtvierteln irrelevant wären. Man muß sie jedoch im
Rahmen jener gesamtgesellschaftlichen und lokalen
Prozesse sehen, die die Finanzierung des Wohnungsmarktes
strukturieren. In dem Maße, wie es dem Finanzkapital
gelingt, die Differenzierung des Stadtgebietes
hervorzubringen, können Hauseigentümer in allen
Stadtteilen eine Klassenmonopolrente realisieren. Die
genannten Faktoren tragen ihren Teil dazu bei, indem
durch sie die geschaffenen „Inseln" der Teilmärkte
stabilisiert werden.
Aus der Analyse Baltimores läßt sich offenbar
schließen, daß die Klassenmonopolrente in einem
Teilmarkt von der in einem anderen Teilmarkt erzielten
nicht ganz unabhängig ist und daß Multiplikatorwirkungen
festgestellt werden können. Z. B. sei angenommen, daß
bei starker Innenstadtspekulation hohe
Klassenmonopolrenten realisiert werden, sobald ein neuer
Teilmarkt geschaffen und in der Folge erweitert wird.
Dieser Prozeß wird dann die Bewohner mit mittleren
Einkommen aus den innerstädtischen Nachbarschaften
verdrängen und sie zwingen, am Stadtrand nach neuer
Wohnung zu suchen, wo der Bau- und Bodenspekulant die
ansteigende Nachfrage zu seinen Gunsten ausnutzen kann.
Je höher die Rente ist, die von den Spekulanten in der
Innenstadt realisiert werden kann, desto größer ist auch
die Gelegenheit, diese Rente am Stadtrand zu
realisieren. Multiplikatorwirkungen dieser Art lassen
sich von denselben Finanzinstituten bzw. von denselben
Kapitaleignern ausnutzen. Wenn die Generierung der
Multiplikatorwirkung nicht auf einer bewußten Politik
beruht, dann wird die individuelle Kalkulation von
Profit und Verlust, von zukünftigen Profiterwartungen
und Risiken insgesamt hinter dem Rücken der
unmittelbaren Akteure zum gleichen Resultat führen.
Dieses Ergebnis gilt geographisch und institutionell
zunächst nur für Baltimore und die Vereinigten Staaten.
Jedoch läßt bereits eine oberflächliche Durchsicht der
Literatur über europäische Städte den Schluß zu, daß es
cum grano salis allgemeine Gültigkeit für die
entwickelten kapitalistischen Gesellschaften
beanspruchen kann(26). So sind ganz sicher die mit der
Realisation einer Klassenmonopolrente verbundenen
Prozesse, einschließlich der hier betrachteten
Multiplikatorwirkung, allgemeingültig. Jedoch setzen
diese Prozesse besondere institutionelle, geographische
und historische Gegebenheiten voraus, so daß die
Erscheinungsform dieser Prozesse von Ort zu Ort
variieren wird. Mit anderen Worten, der Prozeß ist
allgemein, jedoch sind die Umstände wie auch die
Ergebnisse der jeweiligen Situation angepaßt.
Haben aber die Multiplikatorwirkungen generelle
Gültigkeit, so haben wir auch eine teilweise Erklärung
für jene Kräfte, auf die sich Lefebvres eingangs
beschriebene Hypothese vom Wechsel des primären zum
sekundären Kreislauf des Kapitals gründet.
Finanzinstitute und staatliche Bürokratie sind
gezwungen, in festgelegter Weise zu operieren, wenn die
individueüen Entscheidungen koordiniert und mit den
allgemeinen Bedingungen staatlicher Politik integriert
werden sollen. Die Urbanisierung, selbst ein Produkt
dieser Bedingungen, schafft die „Inseln", auf denen die
Gelegenheit besteht, eine Klassenmonopolrente zu
realisieren. Das Streben nach dieser Rente erzeugt eine
Multiplikatorwirkung, die es kurzfristig noch
profitabler macht, Investitionen in die unproduktive
Boden-, Bau- und Wohnungsspekulation zu verlagern. Eine
solche Verlagerung von Investitionen aus der Produktion
von Wert in die Sphäre der Realisation von Wert kann zur
Erklärung der industriellen Stagnation, die seit dem
Ende der sechziger Jahre in den fortgeschrittenen
kapitalistischen Ökonomien immer offenkundiger wird,
beitragen. Im Extremfall muß diese Verlagerung zur
Katastrophe führen; denn wenn Wert nicht mehr produziert
wird, wie soll er dann realisiert werden?
5. Klassengesellschaft, Klassenstruktur und
Klasseninteresse in der politischen Ökonomie der
Urbanisierung
Übrig bleibt ein Themenkreis, der am Anfang dieses
Beitrages undiskutiert blieb - und zwar handelt es sich
dabei um den Begriff des „Klasseninteresses", wie es im
Kontext der Urbanisierung entsteht, und um den
allgemeineren Begriff von „Klasse" und
„Klassenkonflikt". Zu Beginn mag es nützlich sein zu
unterscheiden zwischen objektiver Klassenlage,
die Marx in ihrer Relation zu den
Produktionsverhältnissen und der Aneignung von Wert in
der Gesellschaft definiert, und subjektiver
Klassenlage, die bei Gruppen durch die Erkenntnis ihrer
eigenen gesellschaftlichen Position bestimmt wird(27).
In Marx' Schemata existieren gesellschaftliche Klassen
objektiv, da die Produktion, Zirkulation und Realisation
von Wert innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise
auf einer Unterscheidung zwischen einer Klasse von
Produzenten des Mehrwertes (Arbeiter) und einer Klasse
von Aneignern des Mehrwertes (industrielle Unternehmer)
beruht. Die erstgenannte Klasse beinhaltet sowohl
produktive Arbeit als auch jene Arbeit, die
gesellschaftlich notwendig, jedoch unproduktiv ist (z.
B. Arbeit innerhalb des Zirkulations-, Realisations- und
Verwaltungsprozesses oder Arbeit, die für
gesellschaftlich notwendige Dienste verausgabt wird).
Die Bedeutung von „Klasseninteresse" in diesem Beitrag
resultiert aus dem Faktum der Konflikte, die mit der
Realisation der Klassenmonopol-rente entstehen; die
begriffliche Bestimmung erfolgt daher auf der Ebene des
subjektiven Klasseninteresses, und meine Aufgabe ist es
hier, die Relation zum objektiven Klassenbegriff
herzustellen. Da Rente eine Transferzahlung ist, müssen
wir zuerst unterscheiden, wer daran beteiligt ist.
Traditionell wurde Rente angesehen als ein Transfer
zwischen Grundeigentümerklasse (Rentiers) und der Klasse
der industriellen Unternehmer. Eine solche Konzeption
mag gewöhnlich ausreichen; aber die Transferzahlung, mit
der wir es hier zu tun haben, ist eine Rente, die aus
Stadtvierteln, d. h. aus dem Konsum-tionsprozeß und
nicht aus Produzenten extrahiert wird. Konflikte in
Stadtvierteln um die Realisation einer
Klassenmonopolrente stehen zumindest oberflächlich im
Widerspruch zu den traditionellen arbeits-orientierten
Konflikten um die unmittelbare Produktion von Wert.
Dieser Kontrast spiegelt sich in einigen seltsamen, in
der städtischen Gesellschaft besonders ausgeprägten
Dichotomien. Bürgerinitiativen in Stadtvierteln bieten
nur selten ihre Unterstützung bei Arbeitskämpfen (z. B.
Streiks) an, und Arbeitsorganisationen (wie z. B.
Gewerkschaften) unterstützen nur selten
Bürgerinitiativen aktiv. Wohl mag ein Individuum im
jeweiligen Konfliktbereich von einer politischen
Einstellung in die andere überwechseln: ein Radikaler am
Arbeitsplatz kann ein Konservativer in seinem
Stadtviertel sein. Ferner: noch immer ist der
Arbeitsplatz ein vorwiegend dem Mann vorbehaltener
Bereich im Vergleich zu dem der Frau weitgehend
vorbehaltenen Wohnbereich. Die Geschlechterrollen
verheddern sich aber, sobald sich ein bei Arbeitskämpfen
radikaler Mann gegenüber einer im Wohnbereich politisch
engagierten Frau konservativ verhält. Solche Konflikte
können selbst innerhalb der Familie auftreten; die
räumliche Verteilung menschlicher Aktivitäten kann
Verwandlungen und Umkehrungen erzeugen, die zu einer
äußerst komplexen Geographie des subjektiven
Klasseninteresses führen. Die Ausformung des
Klasseninteresses an Konflikten im Stadtviertel kann
daher nicht als eine einfache Widerspiegelung des
Klasseninteresses im Produktionsprozeß interpretiert
werden; die Beziehung ist sehr viel komplexer.
In der Vielfalt von Stadtviertelkonflikten erkennen
wir zwei Tendenzen:
a) Die Tendenz zu kleinkariertem, wechselseitigem
Gezanke, bei dem eine Gruppe gegen die andere und ein
Stadtviertel gegen ein anderes auftritt; ein
Nullsummenspiel, das die durchschnittlichen
Existenzbedingungen von Gruppen und Stadtvierteln
nicht im geringsten ändert: Was der eine gewinnt,
verliert der andere. Die Aufeinanderfolge von Sieg und
Niederlage dient ausschließlich zur Erhaltung der
Verteidigungsbereitschaft und zur Verewigung des
Wettbewerbs zwischen den Stadtvierteln oder gar zu
seiner Verstärkung, was dann die Realisation einer
steigenden Klassenmonopolrente ermöglicht; kein
Wunder, daß Spekulanten den kleinkarierten
Stadtviertel- und Gruppenzank gerne anheizen.
b) Die andere Tendenz richtet sich auf Konflikte,
die zur Erweiterung der Kirchturmsperspektive und
schließlich zum Klassenbewußtsein führen. So waren z.
B. in Baltimore Bürgerinitiativen gegen die Anwendung
der „Land Installment Contracts"
(Bodenabzahlungsverträge) aufgebracht; sie bemerkten
allmählich, daß Finanzinstitute diese Situation durch
Verweigerung von regulären Hypotheken an Bewohner und
gleichzeitige Finanzierung von spekulierenden
Grundbesitzern kontrollierten. Die Bürgerinitiativen
konnten in einem politischen Lernprozeß den Wust von
Zusammenhängen entwirren und gelangten schließlich zur
unmittelbaren Konfrontation mit der letztlich
entscheidenden Macht, dem Finanzkapital.
Der Konflikt am Arbeitsplatz kann zur gleichen
Erkenntnis führen; der traditionelle Konflikt zwischen
Arbeitern und Unternehmern wird in fortschrittlichen
Betrieben durch Integration von Arbeitern in den
Aufsichtsrat auf eine neue, entschärfte Ebene gehoben.
Mitbestimmung konfrontiert den Arbeiter unmittelbar mit
der Macht des Finanzkapitals, indem ihm beschränkte
Kontrolle über den Entscheidungsprozeß industrieller
Unternehmen zugestanden wird. Die Funktion des
Unternehmers wird dabei unter Umständen auf die eines
reinen Managers der Wertproduktion reduziert(28); denn
wie alle Transmissionsagenten ist auch der Unternehmer
nützlich, aber abschaffbar, falls es effizientere Wege
gibt, die Produktion zu organisieren. Von hier aus
erscheint es denkbar, wenn auch unwahrscheinlich, daß
man die industrielle Produktion vergesellschaften und
dezentralisierte Arbeiterkontrolle und
Stadtviertelkontrolle einführen könnte, ohne auch nur im
geringsten die Macht des Finanzkapitals zu tangieren
oder zu schmälern.
In beiden Fällen ergibt sich, daß die Organisation
der Produktion und der Realisation von Wert mehr in den
Händen des Finanzkapitals als in den Händen der
Unternehmer liegt. Eine vieldeutige Schlußfolge-rung,
die man mehr als Hypothese, denn als abgesichertes
Ergebnis ansehen sollte.
Die oberflächliche Dichotomie zwischen
arbeitsplatzorientierten und stadtviertelorientierten
Konfliktbereichen ist selbst Resultat innerer Umwandlung
der kapitalistischen Gesellschaft, die sich auf einen
wachsenden Führungsanspruch des Finanzkapitals über
Produktion, Zirkulation und Realisation des Wertes in
der Gesellschaft zurückführen läßt. Die Urbanisierung
ist Ergebnis der vom Finanzkapital forcierten Erzeugung
neuer Konsumtionsweisen und neuer Bedürfnisse. Die
Rollen des spekulierenden Hauseigentümers und des
spekulierenden Bauunternehmers sind für die
Aufrechterhaltung einer wirksamen Nachfrage
unentbehrlich, und eine Struktur von Teilmärkten, durch
die eine Klassenmonopolrente realisiert werden kann,
bietet ihnen den notwendigen Anreiz. Sie schafft
gleichzeitig die Möglichkeit zu schneller Akkumulation
von Kapital, das aus Stadtvierteln abgezogen wird, falls
die Situation es erfordert; dies wiederum schafft
unausweichlich Stadtviertelkonflikte. In diesem
allgemeinen Zusammenhang können wir dann doch
Einheitlichkeit zwischen dem stadtviertelorientierten
und dem arbeitsplatzorientierten Konflikt konstatieren,
wenn wir nämlich von einer beiden zugrunde liegenden
Einheitlichkeit eines Klasseninteresses ausgehen; ein
möglicher Hinweis auf die Definition eines objektiven
Klasseninteresses angesichts der heutigen Urbanisierung.
Objektive Klassenlage muß zwar noch immer vom Standpunkt
der Produktion und Aneignung des Mehrwertes her
definiert werden; aber es ist jetzt die „Produktion im
Allgemeinen", die die Erzeugung der Konsumtionsweisen
und Bedürfnisse einschließt und deren Auswirkungen auf
Stadtviertelkonflikte hier von Bedeutung sind. Eine
solche Betrachtungsweise wird unterstützt, sobald wir
die Kehrseite des Akkumulationsprozesses durch das
Finanzkapital untersuchen. Produktion und Reproduktion
der Arbeitskraft vollzieht sich innerhalb des
Stadtviertels(29). Die Reproduktion der
gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus
erfordert die Produktion einer Bevölkerung, die in
subjektive Klassen zersplittert ist und die bereitwillig
alle jenen gesellschaftlichen Rollen übernimmt, die zum
Überleben des Kapitalismus notwendig sind (sogar die
einer industriellen Reservearmee). Die Teilmärkte in
städtischen Gebieten haben daher eine doppelte Funktion:
sie erleichtern die Akkumulation des Kapitals durch die
Möglichkeit zur Extraktion einer Klassenmonopolrente,
und sie schaffen gleichzeitig die spezifischen
Verhältnisse, unter denen die gesellschaftlichen
Arbeitsbedingungen im Kapitalismus reproduziert werden
können. Stadtviertelorientierte und
arbeitsplatzorientierte Konflikte können daher beide als
subjektive Klassenkonflikte interpretiert werden, die
nur hervorgehen können aus der Struktur einer objektiven
Klassenlage, die ihrerseits definiert ist durch die
Beziehungen von Individuen und gesellschaftlichen
Gruppen zu sämtlichen Aspekten der Produktion und
Reproduktion unter der Vorherrschaft des Finanzkapitals.
6. Finanzkapital und Urbanisierung
Zusammenfassend können wir feststellen:
Klassenmonopolrente wird im Stadtviertel realisiert und
führt zu Stadtviertelkonflikten, die zumindest
oberflächlich im Gegensatz zu den mehr traditionellen
arbeitsplatzorientierten Konflikten stehen. Vom
Standpunkt einer subjektiven Klassenlage aus sind diese
beiden Konflikte meist nicht aufeinander bezogen und
stehen manchmal sogar antagonistisch einander gegenüber.
Betrachtet man beide Konfliktbereiche bei
Berücksichtigung der Umwandlung einer kapitalistischen
Gesellschaft von einer begrenzten industriellen
Erscheinungsform zu einer mehr allumfassenden Form des
Finanzkapitals, dann scheinen sie eine einheitliche
Zielsetzung und Struktur zum Ausdruck zu bringen, die
auf eine Veränderung der Kategorie einer objektiven
Klassenlage in einer städtischen Gesellschaft deutet.
Solche Ansicht wird unterstützt, wenn man
berücksichtigt, daß die durch die Finanzinstitute und
staatliche Verwaltung geschaffenen Teilmärkte ebenfalls
eine Umwelt darstellen, in der die gesellschaftlichen
Arbeitsbedingungen unter der Herrschaft des Kapitals
reproduziert werden.
Allgemeiner ausgedrückt: wir können nun eine
umfassende Argumentation für Lefebvres These vom
„umfassenden Transformationsprozeß", gemäß dem die
industrielle Gesellschaft graduell von einer urbanen
Gesellschaft abgelöst wird, anführen. Die Frühperiode
des Kapitalismus war mit der Organisation der
industriellen ,.Produktion im Besonderen" beschäftigt.
Mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus hat die
„Produktion im Allgemeinen", die hier die industrielle
Produktion, die Erzeugung neuer Konsumtionsweisen und
die Schaffung neuer gesellschaftlicher Bedürfnisse
einschließt, zweifellos größere Bedeutung erlangt. Da
das industrielle Kapital angepaßt ist der „Produktion im
Besonderen", jedoch seine Funktion in bezug auf die
„Produktion im Allgemeinen" limitiert ist, stieg daher
das Finanzkapital (das mit Hilfe der Industrie,
Finanzinstitute und der staatlichen Verwaltung operiert)
zur Hegemonialmacht in den entwickelten
Industrienationen auf. Folglich ist Urbanismus —
ursprünglich Ausdruck der Anforderungen der
industriellen Unternehmer — dem Machtanspruch des
Finanzkapitals über die „Produktion im Allgemeinen"
angepaßt worden. Hierin liegt die Bedeutung des
Urbanisierungsprozesses in bezug zur Konsumtionsweise
und zur Erzeugung neuer gesellschaftlicher Bedürfnisse.
Gleichzeitig entsteht eine neue Definition einer
objektiven Klassenlage, die sich in
Stadtviertelkonflikten manifestiert. Diese Konflikte
entstehen durch die Produktion neuer Konsumtionsweisen
und gesellschaftlicher Bedürfnisse, und diese Konflikte
sind daher von wesentlicher Bedeutung für eine
Klassenanalyse in einer städtischen Gesellschaft. Jedoch
ist die Transformation von einer „industriellen Form" zu
einer „Finanzform" des Kapitalismus schon in sich
unstabil — gründet sich letzteres doch auf der fremden,
jedoch transzendentalen Macht des Geldes, welches eine
Erscheinungsform und nicht Wesen des gesellschaftlichen
Reichtums ist. Das Finanzkapital betrachtet Geld als ein
„Ding an sich" und tendiert daher unausweichlich dahin —
infolge seiner Konzentration auf die Erscheinungsform
und nicht auf das Wesen von Wert —, die Produktion von
Wert zu unterminieren. Die handfesten Ausformungen
dieser Krise machen sich in den großstädtischen
Agglomerationen der entwickelten Industrienationen
deutlich bemerkbar. Die Gesamtheit der Transformationen,
die Lefebvre beschreibt, sind von größerer Komplexität,
als er es sich selbst vorstellt. Sie zu verdeutlichen,
ist eine sich immer dringender stellende Aufgabe, zu der
dieses Papier zumindest versucht, einen Anfang zu
setzen.
Anmerkungen
1) Henri Lefebvre, La Revolution Urbaine,
Paris 1970, S. 13; dt.: Die Revolution der Städte,
München 1972.
2) Ebd., S. 212.
3) Karl Marx, Das Kapital, Bde.
I, II, III, MEW 23, 24, 25,
Berlin (DDR) 1970.
4) Vgl. J. S. Keiper, E. Kurnow, C. D. Clark, H. H.
Segal, Theory and Measure-ment ofRent,
Philadelphia 1961.
5) Vgl. P. H. Wicksteed, The Coordination of the
Laws of Distribution, London 1894.
6) Vgl. Jörn Barnbrock, „Prologomenon to a Debate on
Location Theory: the Case of v. Thünen", in:
Antipode, 1974; zum Gesamtkomplex siehe ders.
(Hrsg.), Materialien zur Ökonomie der Stadtplanung,
Braunschweig 1975.
7) Vgl. W. Firey, Man, Mind and the Land: A Theory
of Resource Use, Glen-coe, 111., 1960; und A.
Spoehr, „Cultural Differences in the Interpretation of
Natural Resources", in: W. Thomas (Hrsg.), Man's Role
in Changing the Face of the Earth, Chicago 1960.
8) Vgl. David Harvey, Social Justice and the City,
London 1973;insbes. Kap. 2.
9) Ibid, Kap. 5;vgl. R. A. Walker, „Urban Ground
Rent: Building a New Con-ceptual Framework", in:
Antipode, 1974.
10) Zum Transformationsproblem existiert umfangreiche
Literatur, die größtenteils von D. Laibmann, „Values and
Prices of Production: the Political Economy of the
Transformation Problem"; in: Science and Society,
37, 1973, angesprochen wird. Die Beziehung zwischen
Transformationsproblem und Rente wird von Marx, a.a.O.,
Bd. III, Kap. 45, angeführt. Eine
kritische Bewertung findet sich bei A. Emmanuel,
Unequal Exchange: A Study of the Imperialism ofTrade,
New York 1972.
11) Vgl. Marx, a.a.O., Bd. III,
Kap. 45.
12) Vgl. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW
26,2, Berlin (DDR) 1967, S. 38 f.
13) Ein solcher Begriff von „Klasseninteresse" und
„Klassenmonopol" ist impliziert bei Marx, Das
Kapital, Bd. III, S. 204 f.
14) Im amerikanischen sozialen Wohnungsbau gibt es
Mindestanforderungen für die Zulassung; wer unter diesen
Mindestanforderungen mit einem Haushaltsmindesteinkommen
von jährlich 3000 Dollar bleibt, wird nicht zugelassen
(d. Hrsg.).
15) Vgl. L. Chatterjee, Real Estate Investment and
Deterioration of Housing in Baltimore; Diss.
Department of Geography and Environmental Engineering,
The John Hopkins University, Baltimore 1973; und G.
Sternlieb, The Tene-ment Landlord, New Brundwick,
N. J. 1966; und Milner-Holland-Report: Report of the
Committee on Housing in Greater London, London,
HMSO, Cmnd, 2605,1965.
16) Vgl. G. Fehl, "Garbage City: oder Planung ohne
Partizipation", in: Stadtbauwelt, 27, 1970 (d.
Hrsg.).
17) Vgl. Harvey, a.a.O., Kap. 5; und Folker
Schreiber: „Das Ende von Sub-urbia?", in:
Stadtbauwelt, 38, 1973 (d. Hrsg.).
18) Der Begriff Bau- und Bodenspekulant bezieht sich
hier im allgemeinen auf alle diejenigen Individuen und
Institutionen, die im Grundstücks- und Wohnungsmarkt
spekulieren mit der Absicht, Profite durch
Bodenwertsteigerungen zu realisieren. In Realität wird
es bei diesen Unternehmen beträchtliche Arbeitsteilung
geben, ebenso wie verschiedene Institutionen unter
verschiedenen gesellschaftlichen Einschränkungen
operieren (vgl. z. B. die Unterscheidung zwischen
Bauunternehmern und den „Überbleibseln" feudaler
Institutionen in London, beschrieben im: CIS
Anti-Report on the Property Developers: The Recurrent
Crisis of London, 1973).
19) Vgl. M. Neutze, The Suburban Apartment Boom,
Baltimore 1968; und P. Hall, H. Gracey, R. Drewett,
R. Thomas, The Containment of Urban England, Bd.
2, Kap. 6, London 1973.
20) Vgl. M. Gaffney, „Releasing Land to Serve Demand
via Fiscal Desegrega-tion", in: M. Clawson (Hrsg.),
Modernizing Urban Land Use Policy, Washington, D. C.
1973.
21) Vgl. D. Harvey, L. Chatterjee, „Absolute Rent and
the Structuring of Space by Financial Institutions", in:
Antipode, 1974.
22) Dieser Punkt wird im einzelnen durch den „Douglas
Commission Report" dokumentiert: Building the
American City, Washington, D. C. 1968.
23) Vgl. Harvey und Chatterjee, a.a.O.
24) Vgl. Chatterjee, a.a.O.
24a) In der Originalfassung dieses Aufsatzes versucht
Harvey im folgenden, diese These an Hand einer
detaillierten, hier aus Platzgründen nicht abgedruckten
Analyse Baltimores zu belegen (Anm. d. Hrsg.).
25) Vgl. Harvey, a.a.O., Kap. 5.
26) Für Materialien über London vgl. Hall u. a.,
a.a.O.; The Milner-Holland-Report, a.a.O.; R. E.
Pahl, Whose City, London 1970; CIS Anti-Report
on the Property Developers, a.a.O.; O. Marriott,
The Property Boom, London 1967. Über Toronto vgl. J.
A. Lorimer, Citizen's Guide to City Politics,
Toronto 1972.
27) Vgl. mit einer kürzlich geführten Diskussion zu
diesem Thema: A. Giddens, The dass Structure of the
Advanced Societies, London 1973.
28) Vgl. Marx, Das Kapital, Bd.
III, S. 452.
29) Vgl. Giddens, a.a.O., S. 109 f.; und W. Bunge,
The Point of Reproduction; nicht veröff. Manuskript,
Dept.of Geography, York University, Ontario 1973.
Editorische Hinweise
Ursprünglich erschien der Aufsatz unter dem Titel
,,Class-Monopoly Rent, Finance Capital and the Urban
Revolution", in: Regional Studies, 1974, S.
239-255. Wir übernahmen die gekürzte deutsche Fassung
aus: Stadtkrise und soziale Bewegungen, hrg. v. Margit
Mayer u.a.Köln/Ffm 1978, S, 55 - 77
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