Betrieb & Gewerkschaft

Zur Gewerkschaftsfrage
Sozio-ökonomische Interessenvertretung in der Krise

von Karl Wild

08-2013

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Die sich formierende Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts ruhte auf drei Säulen: den Genossenschaften, den Gewerkschaften und den Arbeiterparteien. Die Genossenschaften mutierten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert z.B. in Deutschland, so sie denn nicht schlicht pleite gingen, zu normalen kapitalistischen Unternehmungen; die Parteien der Arbeiterbewegung wollten keine Klassenparteien mehr sein und entwickelten sich über den Umweg von "Volks"parteien hin zu modernen Mittelschichtsparteien, denen Kapitalinteressen zumindest nicht fremd sind.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ging gleichzeitig in den entwickelten kapitalistischen Länder kontinuierlich zurück und die Gewerkschaften hörten auf, sich für eine zum Kapitalismus alternative Gesellschaft auszusprechen. Im Zuge der Hegemonie des Neoliberalismus und seines Ziels der Profitdominanz in allen Lebensbereichen wird der gesellschaftliche "Kuchen" zusehends zuungunsten der Arbeitenden verteilt und die Gewerkschaften, in den Bereichen, in denen sie überhaupt noch existent sind, sind auf sog. Abwehrkämpfe beschränkt, d.h. auf die ohnmächtige Verteidigung von einst erkämpften Rechten und Errungenschaften reduziert.

So formulierte ich an anderer Stelle: "Eine Epoche der zumindest sozialpolitischen Reaktion ist eingeleitet! Weder zeichnet sich ein neues revolutionäres, in Theorie und Praxis geschichtsmächtiges Subjekt ab noch kann die Rückkehr zu einer Politik der keynesianischen "Reformen" zu Gunsten der Lohnabhängigen, letztendlich ja der "Totengräber" des Subjekts Proletariat, ein solches rekonstituieren." (siehe "Mythos Proletariat" auf www.scharf-links.de)

An die Stelle des selbstbewussten Kampfes um eine bessere Welt hat die Arbeiterbewegung in vielen hochentwickelten kapitalistischen Ländern sich aufgelöst und in die bürgerliche Welt integriert. Der zeitweilige allgemeine Wohlstand zu Hochzeiten des Sozial- und Wohlfahrtsstaates und die Korrumpierung der Arbeitereliten entzog dem einst von Intellektuellen zum revolutionären "Subjekt" stilisierten Proletariat die Wesensgrundlage.

Zur Integrationsstrategie ins System sei angemerkt:

"Es waren die deutschen Gewerkschaften, Klassenkampfpositionen ablehnend, welche im Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern auf die "Mitbestimmung" im Betrieb setzten und statt dessen lieber Aufsichtratsmandate in den Großkonzernen besetzten. Bedarf es einer Illustration der Rede von der "Arbeiteraristokratie", so liefern die Beziehungen der "Tarifpartner" reichlich Anschauungsmaterial. Man darf nicht vergessen, dass an diesem Modell alle verdienen, der einfache Arbeiter als Häuslebauer in Schwaben wie der frei gestellte, vom Unternehmen bezahlte Betriebsrat bis hin zum Gewerkschaftsfunktionär, der nur mehr in Luxushotel tagt und Aufsichtsratstantiemen verzehrt. Und noch immer gilt für einen nicht unwesentlichen Teil der Klasse, dem sogenannten Kern oder den Stammbelegschaften großer Konzerne, so manches tarifrechtliche Privileg." ("Krise der Gesellschaft – Krise der Gewerkschaften“, debatte.info, 2004)

Die Sozialpartnerschaft, besonders ausgeprägt in Deutschland, brachte über einige Jahrzehnte Millionen von Arbeitnehmer relativen Wohlstand und soziale Sicherheit. Und wie die Abwehrkämpfe von heute zeigen, sind die Gewerkschaften noch in der Lage, bestimmte tarifliche Positionen zu verteidigen und um den Preis der Unterordnung unter die Kapitalinteressen bestimmte Leistungen für bestimmte Gruppen von Arbeitenden zu bewahren.

Sozioökonomische Interessen der „Klasse“, sprich auch diejenigen der aus dem Arbeitsprozess ausgeschiedenen Rentner, der Kinder erziehenden Hausfrau oder der Arbeitssuchenden, von der Rente über die Kranken- wie Arbeitslosenversicherung, vom Anteil der Lohnarbeit am Sozialprodukt ganz abgesehen, sind die deutschen Gewerkschaften aber weder in der Lage noch Willens zu vertreten, wie der schnell erlahmende Protest gegen die Hartz-Reformen anschaulich zeigte. In der Gesellschaft erscheinen selbst diese Gewerkschaften als altmodische Vertreter von gemeinschaftsschädlichen Partikularinteressen, deren noch vorhandener Einfluss auf die Stammbelegschaften es zu brechen gilt. Trotz des offensichtlichen Endes des bisherigen "Klassenkompromisses" gibt es in den Gewerkschaften einflussreiche Kräfte, die für einen Teil der Arbeiterklasse das bisherige Regulationsmodell aufrechterhalten wollen, wodurch die Differenzen in den Lebenslagen und damit die Spaltung bei den Lohnabhängigen sich vergrößert und den Übergang der Gewerkschaften auf "klassenkämpferische" Positionen zu verhindern sei. Um die sozioökonomischen Interessen der Klasse „an sich“ und nicht nur die Privilegien bestimmter ausgewählter Stammbelegschaften zu vertreten, müßte die Erkenntnis in den deutschen Gewerkschaften wachsen, dass sozialpartnerschaftliche Ansätze eines "Co-Managements" letztendlich zum finalen Ende der Gewerkschaften führen werden. Damit diese Erkenntnis wächst, sollten die spezifischen Interessen der Arbeitenden, der Werktätigen als „neue“Klasse gegenüber dem Kapital reartikuliert werden, innerhalb der Mitgliedschaft wie von Außen vermittelt durch linke und marxistische Positionen. Wohlgemerkt: Es geht erstmals um die Formulierung von Interessen innerhalb des Systems, um den Anteil, den sich der "Faktor" Arbeit am gesamtgesellschaftlichen Produkt erkämpft. Ohne Druck von Innen wie Außen wird die Gewerkschaftsbürokratie ihre Unterordnung unter die sozialdemokratisch vermittelten Kapitalinteressen nicht aufgeben. Doch andererseits ist ohne eine Revitalisierung der Gewerkschaften eine sozioökonomische Interessenvertretung weiterhin undenkbar; soziale Bewegungen und Protest auf der Straße sind nötig, können aber gewerkschaftliche „Gegenmacht“ nicht ersetzen!

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.