Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Soziale Bewegung von rechts und kommende Wahlen
Lebensschützer-Liste: Ein Schreckenskabinett kandidiert zum Europaparlament und will die rechte Massenprotestbewegung gegen die Homosexuellenehe verlängern

08-2013

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Es ist Walpurgisnacht, und alle Untoten erwachen zum Leben, um einen schauerlichen Tanz hinzulegen: So lässt sich in Kurzform das Schreckenskabinett beschreiben, das sich jüngst zusammenfand, um eine gemeinsame Kandidatinnen- und Kandidaten-Liste zum Europaparlament aufzustellen.

Weniger literarisch ausgedrückt, lautet die Sache wie folgt. Am Donnerstag, den 11. Juli d.J. berief die rechtskatholische Politikerin Christine Boutin die Presse in das Café ,Le Carré parisien‘ im 15. Pariser Bezirk ein. Zwei Tage zuvor, am 09. Juli, war sie vom Vorsitz ihrer Kleinpartei Parti Chrétien-Démocrate (PCD) zurückgetreten, um sich in das Abenteuer einer „überparteilichen“ Kandidatur stürzen zu können. Beim PCD handelt es sich um eine Splitterpartei, die jedoch als assoziiertes Mitglied (Kollektivmitglied) der stärksten bürgerlich-konservativen Sammelpartei in Frankreich – also der UMP – angegliedert ist.

Christine Boutin, die seit ihrer ersten Wahl zur Abgeordneten 1986 als führendes Mitglied der „Lebensschützerlobby“ (vulgo Abtreibungsgegner/innen) wirkte, war im Jahr 2002 als Präsidentschaftskandidatin ihrer Kleinpartei angetreten. Allerdings konnte Boutin dabei nur 1,2 Prozent der Stimmen sammeln. In den Jahren 2007 bis 2009 amtierte sie als Wohnungs- und Städtebauministerin unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy (UMP). Bekannt wurde Boutin vor allem dadurch, dass sie im Oktober 1998 während der Parlamentsdebatte über die Einführung des PACS (,Pacte civil de solidarité‘) – eine Art eingetragener Lebenspartnerschaft, die hetero- wie homosexuellen Paaren zur Verfügung steht – 5 Stunden und 25 Minuten am Stück redete. Und mehr noch dadurch, dass sie während dieser Debatte in der Nationalversammlung eines laizistischen Staates die Bibel schwenkte, um das sündige Treiben anzuprangern. Ebenfalls bekannt wurde Christine Boutin in den letzten Monaten als virulente Gegnerin der Öffnung der Ehe auch für homosexuelle Paare und des Gesetzes dazu, das am 17. Mai 2013 in Kraft gesetzt wurde. In den Augen vieler Beobachter/innen sorgte Christine Boutin dabei allerdings wiederholt für eine lächerliche Erscheinung. Erst wurde in breiten Kreisen bekannt, dass die erzreaktionäre Katholikin seit Urzeiten mit ihrem leiblichen Cousin verheiratet ist – während ihr zufolge „die Ehe nichts mit Liebe zu tun hat“, sondern ausschließlich der Aufzucht von Kindern dient -, was nicht eben als attraktives Modell erschien. Dann fiel die Dame bei einer Demonstration am 21. April 13 auf den Champs-Elysées noch auf kameragerechte Weise ostentativ in Ohnmacht, weil einige hundert Meter weiter Tränengas eingesetzt worden war (gegen junge aufgebrachte Rechte, die versucht hatten, eine Absperrung zu durchbrechen). Komiker/innen haben seitdem wiederholt die Szene nachgespielt, und fielen auf der Bühne demonstrativ in Ohnmacht.

Für ihr Listenprojekt konnte Christine Boutin noch einige andere tiefgefrorene Monster gewinnen, die zur Europaparlamentswahl von Ende Mai 2014 aufgetaut werden sollen. Zu ihnen zählt der frühere Vizepräsident des Front National (FN), der Steuerrechtsexperte und Professor an der Universität Paris-2 (Assad), Jean-Claude Martinez. Martinez wurde im November 2008 aus der rechtsextremen Partei ausgeschlossen, weil er – vor dem Hintergrund der damaligen heftigen innerparteilichen Konflikte – zu den Europaparlamentswahlen im Juni 2009 eine Konkurrenzkandidatur gegen Marine Le Pens Lebensgefährten Louis Aliot vorbereitete. Bei den Regionalparlamentswahlen im März 2010 trat er im Raum Montpellier mit einer eigenen Liste(gegen den FN) an; diese erhielt jedoch nur 0,74 Prozent.

Danach befragt, ob Marinez‘ langjährige Vergangenheit beim Front National in ihren Augen kein Hindernis für seine Kandidatur darstelle, erwiderte Christine Boutin bei ihrem Auftritt vor der Presse, dies störe sie nicht. Es stelle „überhaupt kein Problem“ dar, denn schließlich sei auch der Jungpolitiker Guillaume Peltier (knapp 37) beim FN gewesen – jener aber sei heute Vizepräsident der UMP. Wenn das Sündenregister der Einen, das Kerbholz der Anderen rechtfertigt…

Neben Christine Boutin und Jean-Claude Martinez trat am 11. Juli auch Béatrice Bourges mit vor der Presse. Die 52jährige Schiffsschraube, nein falsch: Schreckschraube war im Frühjahr 2013 „die“ Galionsfigur der neu gegründeten Bewegung Le Printemps français („Französischer Frühling“), die ab Ende März dieses Jahres den rechten Flügel der Bewegung gegen die Homosexuellenehe bildete. Diese Bewegung ist bis heute, auch zwei Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, noch immer nicht abgeklungen. Anlässlich der letzten Etappe des Radrennes Tour de France am Sonntag, den 21. Juli zwischen Versailles und Paris standen mindestens mehrere Hunderte von Aktivist/inn/en entlang der Strecke mit Fahnen und Transparenten Spalier. Zuvor hatten andere Aktivisten der Anti-Homoehe-Bewegung bei der Etappe am Mont Ventoux, in Südfrankreich, Transparente gehisst. Am 30. Juni hatte die Bewegung zuvor einen Autokorso durch die Pariser Innenstadt veranstaltet. Béatrice Bourges (vgl. http://www.lemonde.fr/ ), die eine frappierende Ähnlichkeit mit dem deutschen Komiker Otto Waalkes aufweist, kann zwar nicht eben als Sexsymbol gelten, ist jedoch politisch ein „Star“ der reaktionären Protestbewegung.

Ferner lässt sich noch die Präsenz von Patrick Louis, des Generalsekretärs der rechtskatholischen Kleinpartei Mouvement pour la France (MPF, „Bewegung für Frankreich“) des Grafen Philippe de Villiers bei dem Auftritt am 11. Juli erwähnen. Auch er soll auf der Liste präsent sind. Thematisch will diese sich u.a. „der Familienpolitik“ und „dem Lebensschutz“ widmen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.