Nach der Weltwirtschaftskrise bauen auch die kapitalistischen
Gesellschaften in ihre Wirtschaft immer mehr
Redistributionsmechanismen ein, teils aus sozialpolitischer
Zielsetzung, teils im Interesse einer Regulierung des
Reproduktionszyklus. Die traditionelle preisregulierende
Marktwirtschaft löst sich auf, und der staatsmonopolistische
Kapitalismus nimmt mehrere Wirtschaftssphären aus dem
Funktionsmechanismus des Markts heraus, den er durch
Redistributionsmechanismen ersetzt. Wie wurde die strukturelle
Position der Intelligenz von der
great
trans-formation
in Gesellschaften beeinflußt, die zwar das Prinzip des
Privatbesitzes an Produktionsmitteln beibehalten haben, dafür
aber den Intellektuellen bei der Wirtschaftsund
Gesellschaftslenkung eine immer größere Bedeutung zugestehen?
Können wir - ausgehend von der ständig zunehmenden Macht der
Intelligenz - von der Organisation der Intelligenz als Klasse
unter den Bedingungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus
sprechen?
a)
Staatsmonopolistischer Kapitalismus und sozialistische rationale
Redistribution
Durch die Anwendung von Redistributionsmechanismen erhält die
kapitalistische Wirtsdiaft genau so wenig rationalen
Redistributionscharakter, wie die sozialistische Wirtschaft sich
auch dadurch nicht dem Kapitalismus zuwendet, daß sie bei der
Regulierung der Wirtschaftsprozesse den Waren- und
Geldverhältnissen des Markts
Raum gibt. Zwischen den beiden Systemen, deren Funktionsprinzip
sich grundlegend voneinander unterscheidet, besteht ein
Qualitätsunterschied. Zwischen der staatsmonopolistischen
Marktwirtschaft und der rationalen Redistribution gibt es
keinen stufenweisen
Übergang. Es wäre ungenau, die Frage so zu
formulieren: Wie groß ist der Anteil der Wirtschaftstätigkeit,
der vom Markt oder von der Redistribution reguliert wird? Es
hätte nicht viel Sinn, zu zeigen, daß sich in diesem
Zusammenhang eine Skala nachweisen läßt, angefangen von den
Vereinigten Staaten, wo die Redistribution am geringsten ist,
über Schweden bis zu Jugoslawien - bei beiden spielt die
Redistribution eine ähnliche Rolle - und von hier aus bis zur
Sowjetunion oder zu China, wo dem Markt eine ebenso geringe
Bedeutung zukommt wie in den Vereinigten Staaten der
Redistribution.
Die Grundfrage des Vergleichs der Wirtschaftssysteme besteht
eher darin, welche Kriterien im einen oder anderen System das
Verfügungsrecht über das Mehrprodukt legitimieren und welche
Faktoren die relative Größe des Mehrprodukts bestimmen. Gleich
wieviel Steuern der Staat aus dem Mehrprodukt herauszieht -
solange der Markt das Mehrprodukt als Differenz von
Produktionskosten und Verkaufspreis definiert und solange der
Kapitalbesitz ausreichenden Rechtsanspruch auf die Verfügung
über das Mehrprodukt gewährt, behält die Gesellschaft immer
ihren kapitalistischen Charakter bei. Die kapitalistische
Wirtschaft nutzt die Redistribution gerade zur
Funktionsverbesserung des Markts, doch ordnet sie die
Redistribution der Marktlogik unter, während die sozialistische
Wirtschaft zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit der
Redistribution die Marktverhältnisse nutzt, diese aber der
Redistributionslogik unterordnet.
Die Entwicklung der Redistributionsmechanismen machte also den
staatsmonopolistischen Kapitalismus effektiver, doch brachte sie
nicht den Ausbau der Klassenposition des ideologischen
Redistribuenten mit sich. Folglich sind in den westlichen
Gesellschaften die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die
Organisation der Intelligenz als Klasse nicht vorhanden. Es ist
allerdings wahr, daß die Redistribution auch an sich die
ökonomische Macht der intellektuellen Fachleute wesentlich
erhöht. Damit verbunden ist das Bestreben der zahlmäßig immer
stärker zunehmenden führenden Technokraten, sich eine Art
Klassenmacht zu verschaffen. Doch wenn auch der Redistribuent im
staatsmonopolistischen Kapitalismus eine immer größere Rolle
spielt, so bildet sich doch um seinen Status keine
Homogenisierung der Sphären von Wirtschaft und Politik heraus
und keine monopolistische Ideologie, die die
Redistri-butionsverhältnisse auf allen Gebieten von Wirtschaft
und Gesellschaft totalisiert.
Eine unserer Grundthesen bei der Strukturanalyse der
sozialistischen Gesellschaften ist, daß der Status des
ideologischen Redistribuenten lediglich eine zentrale
Organisationsposition der Intelligenzklasse ist. Folglich sind
nicht nur jene Mitglieder der Intelligenzklasse kraft ihrer
Amtsgewalt unmittelbar berechtigt, über das gesellschaftliche
Mehrprodukt zu verfügen, sondern all jene, die das Ethos der
rationalen Redistribution schaffen, erhalten und zur umfassenden
Ideologie der gesamtgesellschaftlichen Kultur erheben.
Auch wenn die professionellen Redistribuenten im
staatsmonopolistischen Kapitalismus auftreten, bilden sie
bestenfalls eine spezielle Intelligenzschicht, gewissermaßen
eine organische Intelligenz der herrschenden Klasse, und zwar
selbst dann, wenn diese Technokratie auch selbständige wirtschaftliche und politische Macht besitzt. Allein die
Tatsache, daß die Technokratie Macht hat, besagt noch nicht, daß
sich um sie herum die Intelligenzklasse organisiert. Dies schon
deshalb nicht, weil die Geltung der beiden anderen
Legitimationsprinzipien die Hegemonie des Legitimationsprinzips
des intellektuellen Fachwissens beschränkt oder nicht einmal zur
Entfaltung kommen läßt, nämlich bei der Verteilung der
Haushaltsmittel die Souveränität des auf dem Vertretungsprinzip
basierenden politischen Mechanismus, in der Politik des
Privatkapitals dagegen das unmittelbare Verfügungsrecht der
Kapitalbesitzer.
Diese beiden alternativen Legitimationsprinzipien zwingen die
Technokratie ununterbrochen, ihre eigene Sicherheit lediglich
in der Rolle der Exekutive zu erblicken, weil dies die Sphäre
ist, zu der sie ihr Legitimationsprinzip berechtigt. Hieraus
kann sie sich nur befreien, wenn sie die politischen
Entscheidungen durch ihre gutachterlichen Vorschläge oder
ab ovo
den eigenen Intentionen entsprechend manipuliert oder aber auf
technische Fachfragen reduziert. Da allerdings jede als
Fachfrage formulierte politische Frage von vornherein auf dem
plurali-stischen Feld von Wirtschaft und Politik mit andere
Interessen vermittelnden Fragestellungen oder Vorschlägen
konfrontiert wird, finden diese kompetitiven Interessen
notwendigerweise ihren technokratischen Apparat. Auf diese Weise
wird der Kampf der technokratischen Gruppen zwangsweise in der
Öffentlichkeit ausgetragen. Folglich wäre es ungenau, den
Begriff der Technokratie in der Einzahl zu benutzen. Eigentlich
können wir nur von antagonistischen Technokratien der sich nach
verschiedenen Richtungen organisierenden Interessen sprechen.
b) Die
Polarisierung der Intelligenz im staatsmonopolistischen
Kapitalismus
Im staatsmonopolistischen Kapitalismus differenziert sich die
speziell intermediäre Schichtposition der Intelligenz
zwischen Kapitalisten und Arbeitern beachtlich: Es hebt sich
eine intellektuelle Berufsgruppe ab, deren Macht wesentlich
zunimmt und die sich in vielerlei Hinsicht mit den
Kapitalbesitzern die ökonomische Macht beziehungsweise mit den
auf der Grundlage des Vertretungsprinzips gewählten Politikern
die politische Administration teilt. Parallel dazu sind
allerdings auch Intelligenzgruppen vorhanden, die deutliche
Proletarisierungstendenzen aufweisen, also zu einfachen
Arbeitskraftbesitzern werden. Zur Anwendung des intellektuellen
Fachwissens ist nämlich der Besitz von in den grauen
Gehirnzellen gespeicherten Kenntnissen immer weniger
ausreichend, und es besteht ein erhöhter Bedarf an
objekt-technischen Mitteln der intellektuellen Arbeit, ein
erhöhter Bedarf an immer kostenaufwendigeren
Versuchseinrichtungen, Computern usw., mit einem Wort, an
modernen und komplizierten Produktionsmitteln der
technisch-wissenschaftlichen Revolution, über die nur das
Großkapital oder die technokratischen Organisationen verfügen
und ohne die das intellektuelle Fachwissen bloß potentiellen
Charakter hat.
Durch die Herausbildung der umfassenden instrumentellen
Ausrüstung, der vielseitigen Kooperation und Teamarbeit wird
die wissenschaftliche Arbeit immer mehr eine kapitalintensive
Tätigkeit, und die Forscher sind gezwungen, sich in große
Produktionseinheiten einzufügen. An den Forschungskosten sinkt
der Anteil des Forschergehalts mehr und mehr, der Kostenanteil
der Mittel beziehungsweise der maschinellen Leistungen wird
immer
größer. Dieser Umstand veranlaßt die Finanziers zu größter
Vorsicht: sie brauchen Garantien dafür, daß sich ihre
wissenschaftlichen Investitionen rentieren. Deshalb müssen sie
unter den um die Forschungsbedingungen konkurrierenden
Intellektuellen möglichst nach bestimmten Kriterien auswählen:
Der Forscher sollte eine solide, entsprechend spezialisierte
Fachkenntnis besitzen, eine gleichbleibende Arbeitsdisziplin
sowie die Bereitschaft zur Kooperation und Unterordnung. Die
Erfüllung dieser Kriterien gewährleistet gediegene
Forschungsergebnisse, selbst wenn vielleicht auch keine genialen
individuellen Entdeckungen zu erwarten sind. Die Rolle der
individuellen Inventionen und der Forscherpersönlichkeit
verliert also in den Fabriken der "Wissenschaft immer mehr an
Bedeutung, während die Bedeutung der routinierten, abstrakten
Arbeit ständig zunimmt.
Jene glücklichen Gruppen der Intelligenz also, die aufgrund
immer spezifizierterer Kriterien durch die Personalpolitik der
Forschungsfinanziers den teuren Einrichtungen
gewissermaßen als Zubehör zugeordnet werden, obwohl ihnen eine
hohe materielle Versorgung zuteil wird, spüren ihre immer
größere Entfremdung von den Forschungsprozessen, die von oben
gelenkt werden und wegen der umfassenden Spezialisierung immer
weniger überschaubar sind. Um ihre Arbeit verrichten zu können,
haben diese Intellektuellen die im Kapitalbesitz befindlichen
Produktionsmittel genauso nötig wie die Arbeiter. Deshalb
verwandeln sie sich sowohl im Hinblick auf den Charakter des
Arbeitsprozesses als auch im Hinblick auf ihre Position auf dem
Arbeitsmarkt schließlich in hochqualifizierte Arbeiter.
Elementares Interesse des in der wissenschaftlichen Forschung
gebundenen Kapitals ist es also, daß die Universitäten den oben
skizzierten Bedürfnissen entsprechende Arbeitskräfte
produzieren. Deshalb versucht das Kapital, die Universitäten
durch seine Subventionspolitik dahingehend zu beeinflussen, daß
auch sie spezialisierte Fabriken der spezialisierten
Arbeitskraft sind und eine ebenso stetige, quantitative
Massenproduktion bieten wie die modernen Großbetriebe.
Die Studentenbewegungen der sechziger Jahre sind vor allem auf
die Ablehnung dieser Proletarisierung zurückzuführen. Die
Studentenschaft will sich damit nicht abfinden, daß das Kapital
durch die Vermittlung der Universitäten, dadurch also, daß es
die Universität zu einer Ausbildungsstätte für hochqualifizierte
Facharbeiter umwandelt, die Proletarisierung der Intelligenz zu
einer vollendeten Tatsache macht. Intuitiv wehrte sich die
junge Intelligenz dagegen, daß man ihr das Monopol des
»transkontextuell« orientierten Wissens streitig machen will.
Sie protestierte also dagegen, daß man an den Universitäten
sich nur jenes Wissen aneignen kann, das man lediglich in einem
ganz bestimmten Kontext unter Anleitung anwenden kann.
Mißtrauisch wurde die Studentenschaft insbesondere durch die
Tendenz der kapitalistischen Großunternehmen, eigene, an ihrem
Betriebsprofil orientierte Hochschulen zu gründen, in denen die
Studenten neben einer durchschlagend erfolgversprechenden
praktischen Ausbildung auch eine derartige Spezialisierung
erhalten, durch die sie quasi an einen einzigen bestimmten
Kontext gekettet werden, das heißt an den Personalbestand des
ausbildenden Großunternehmens. Die revoltierenden Studenten
erhoben Anspruch auf ein eigenes Wertsystem und forderten die
Vermittlung von Kenntnissen, die auch in verschiedenen
Kontexten anwendbar sind. Wir können auch sagen, daß sie den
intellektuellen Charakter
ihrer Arbeitskraft bewahren, nicht bloß Arbeitskraftbesitzer
werden wollen. Ironisch formuliert, daß sie auch ihren
speziellen Kapitaleigentümer-Charakter erhalten wollen.
Es ist ein merkwürdiges Paradoxon des staatsmonopolistischen
Kapitalismus, daß er also die Sicherheit der Produzenten
steigert und den Absatz der Produkte garantiert, angefangen von
der Autoproduktion über die Erdölindustrie bis hin zur
Lebensmittelwirtschaft, während er zugleich die Kompetition, d.
h. den Wettbewerb, auf dem Markt der Schlüsselindustriezweige
senkt. In wesentlich geringerem Maße dagegen setzt er auf dem
Markt der intellektuellen Arbeitskräfte und Geistesprodukte die
Mittel der redistributiven Subvention ein. Die Monopolstellung
der Intellektuellen auf dem Arbeitsmarkt ist im Schwinden,
deshalb ist dieser Markt immer weniger ein Markt der Verkäufer.
Nach dem großen Aufschwung der sechziger Jahre ist der Staat
bemüht, den Anteil der Weiterlernenden an den Universitäten zu
beschränken, deshalb beschneidet er auch die staatliche
Subvention der Universitäten. Auf dem Markt der kulturellen
Erzeugnisse dagegen - im Verlagswesen, in der Filmindustrie und
der bildenden Kunst - herrschen auch weiterhin beinahe die
klassischen preisregulativen Marktgesetze des 19. Jahrhunderts.
Würde ein Wirtschaftshistoriker aufgrund der heutigen
kapitalistischen Wirtschaft das idealtypische Modell des
preisregulativen Markts rekonstruieren wollen, würde er als
Beispiel eher den Buch- und Filmmarkt wählen als den Markt der
Stahlindustrie, der Rohölbearbeitung oder der Autoindustrie.
Hieraus ergibt sich in der Epoche des staatsmonopolistischen
Kapitalismus eine weitere Dualität der Intelligenz.
Jene Intellektuellen, die lediglich ihre qualifizierte
Arbeitskraft auf dem Markt verwerten, müssen sich geistig
uniformieren lassen, sie erscheinen in der Öffentlichkeit als
Angehörige eines unpersönlichen Apparats. Jene dagegen, die von
Verwertung ihrer Produkte leben - allen voran die Künstler -,
sind gezwungen, mit Hilfe von wirksamen Reklametricks sich ein
individualisiertes Image zu verschaffen. Dieses Beispiel liefert
einen sprechenden Beweis für den Positionsunterschied der
Intelligenz im staatsmonopolistischen Kapitalismus und in der
rationalen Redistribution. Die Technokratie der
kapitalistischen Länder ist also nicht in der Lage, auch die
anderen Intelligenzschichten an den Vorteilen des
Redistributionsme-chanismus zu beteiligen, die Sicherheit der
staatlichen Subventionen sowohl auf die Welt der Universität als
auch der Kunst auszudehnen. Die Technokratie kann also als
Vermittler der homogenisierenden Interessen der
Gesamtintelligenz auftreten. Notwendige Konsequenz dieser
Situation ist, daß sich die Intelligenzschichten um diese
technokratische Position nicht als einheitliche Klasse
integrieren können.
Die herrschende Intelligenz in den Gesellschaften der
rationalen Redistribution beseitigt gerade in der Sphäre der
Kunst und Ideologie die Gesetzmäßigkeiten des Marktmechanismus
am radikalsten, was auch in dem deklarierten Grundprinzip zum
Ausdruck kommt, daß die Kultur in der sozialistischen
Gesellschaft keine Ware ist; das wird in der Praxis deutlich, in
der die Auflagenhöhe eines Buches nicht bloß kategorisch vom
Absatz getrennt wird, sondern oft auch von dessen immanentem
Wert. Die Auflagenhöhe und so auch das für das Werk gezahlte
Honorar wird mit dem dispositiven Status des Autors in enge
Korrelation gebracht. Es kommt also eine tiefe
Interessenübereinstimmung zwischen der mit der unmittelbaren
Praxis der Redistribution verbundenen Technokratie und der
schöpferischen Intelligenz zustande, die existenziell auf die
redistributive Subvention angewiesen und unabhängig vom Urteil
des Publikums erfolgreich oder erfolglos ist, weil sie primär
von der Billigung der Kulturbürokratie abhängig ist. Diese
Ubereinstimmung kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Künstler
Osteuropas im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen, die
bemüht sind, sich sogar in ihrer Kleidung von den Staatsbeamten
und Managern deutlich zu unterscheiden, versuchen - angefangen
von der Frisur bis hin zum Schlips -,
comme il faut,
als Kulturbürokraten zu wirken.
Wenn allerdings der staatsmonopolistische Kapitalismus diese
bedeutende Gruppe von Intellektuellen nicht mit den Mitteln des
staatlichen Interventionismus vor der Kompetition des
klassischen preisregulativen Markts schützt, gesteht er ihnen
als Ersatz eine beachtliche Autonomie bei der Wahl des Geistes
ihrer Werke zu, was auch vom liberalen Kapitalismus toleriert
wurde, obwohl er in den Reihen der Technokratie in Staat und
Großunternehmen, in den Reihen der an der Redistribuentenmacht
teilhabenden und deren Vorteile genießenden Technokratie bei
weitem nicht solche Freiheiten zuläßt. Wenn also die
Redistribution ihrer eigenen Logik folgt, spricht sie der Kultur
in der sozialistischen Gesellschaft den Warencharakter ab;
gleichzeitig fordert sie auch vom Künstler, daß er in seinen
Werken die intellektuelle Klassenkultur, das Ethos der
rationalen Redistribution vermittelt. Jenes Reservat aber, das
der staatsmonopolistische Kapitalismus in der den Marktgesetzen
untergeordneten Kulturindustrie der Freiheit des Individuums
zugesteht, gibt gleichzeitig jener intellektuell-künstlerischen
Gegenkultur, die auch das ideologische Zuhause der neuen linken
Revolte gegen die Technokratie ist, ihre Existenzgrundlage.
Für die Intelligenz, die sich in die Technokratie-Bürokratie in
Staat und Großunternehmen nicht einfügen kann oder will, bieten
sich verschiedene Gettos an, vom Künstlergetto und von der
Inzucht radikaler politischer Gruppen bis hin zum Getto der
ehrwürdigen Mitglieder verschiedener Akademien, die wenigstens,
wenn sie sich auch voneinander in Äußerlichkeiten, in der
Aufwendigkeit ihrer Lebensform und in ihren Umgangsformen
erheblich unterscheiden, darin übereinstimmen, daß sie ihre
Mitglieder nicht bloß von anderen Gesellschaftsklassen als
geschlossenes Universum isolieren, sondern auch von anderen
Gruppen der Intelligenz. Durch diese Isolation wird die
marginale Intelligenz um jene Stärkung ihres Selbstbewußtseins
gebracht, die ihre osteuropäischen Kollegen erfahren, indem
diese nämlich, angefangen bei der politischen Polizei über die
Technokratie bis hin zu Akademiemitgliedern oder der
künstlerischen Intelligenz, die Aufmerksamkeit eines jeden auf
sich ziehen und indem sie höchstwahrscheinlich auch zu anderen
Gliedern der Intelligenzklasse persönlichen Kontakt haben
können. Der intellektuelle westliche Besucher ist in den
osteuropäischen Ländern im allgemeinen überrascht, wenn er
zufällig einen Eindruck von der Atmosphäre in dortigen
Intellektuellenkreisen gewinnt: daß nämlich im
Intellektuellendasein Osteuropas Getto-Tendenzen nahezu
vollkommen fehlen, daß die persönlichen Kontakte über die
Amtshierarchien und beruflichen Gruppengrenzen weit hinausgehen,
daß er in einer Gesellschaft vereint den hochdekorierten
Wirtschaftswissenschaftler, den Physiker, den Bankdirektor, den
Schriftsteller und den Filmregisseur antrifft, daß dieselben
Persönlichkeiten die Idole der
ganzen Klasse sind. Auch jenes paradoxe Privileg mag sogar den
Neid des westlichen Besuchers erregen: Welche besondere
Aufmerksamkeit die höchsten Staats- und Parteiorgane, ja sogar
Polizeistellen jedem auch nur in irgendeiner Weise
Aufmerksamkeit verdienenden Geistesprodukt widmen und natürlich
auch dem Autor selbst, sei nun die Rede von seinen Fehltritten
in Sachen Liebe oder Politik.
Ist dieser westliche Besucher gleichzeitig auch Soziologe, kann
er - wenn er sich lediglich auf seine persönlichen Erfahrungen
stützt - zu der Erkenntnis gelangen, daß seine osteuropäischen
Freunde Glieder ein und derselben Klasse sind, daß sie durch
eine gemeinsame Klassenkultur verbunden sind und selbst dann,
wenn sie auf ihre Politiker schimpfen, nicht auf die
Repräsentanten einer anderen Klasse schimpfen. Selbst die
marginalen Intelligenzangehörigen sind erfüllt vom
Selbstbewußtsein der führenden Klasse, und aus all diesen
Gründen muß der westliche Besucher sehen, daß die
osteuropäischen Intellektuellen, die er kennengelernt hat, wenn
sie auch weniger Wohlstand und Freiheiten besitzen als er, sich
dennoch auf direktem Weg und unaufhaltsam ihrer eigenen
Klassenmacht nähern, was die gespaltene und durch
gegensätzliche Interessen segmentierte westliche Intelligenz
von sidi nicht behaupten kann, deren Legitimationsanspruch auf
die Macht im staatsmonopolistischen Kapitalismus sich nicht im
entferntesten mit dem herrschenden Legitimationsprinzip deckt.
c) Die neuen
Machtbestrebungen der Intelligenz
Diese letzte Erkenntnis müssen wir allerdings etwas
korrigieren, vor allem wenn wir Richtung und Möglichkeiten der
Machtbestrebungen der Intelligenz abwägen. Bereits der
New Deal,
das heißt die erste großangelegte politische Konstruktion des
staatsmonopolistischen Kapitalismus, war ein Ausgleich zwischen
nationalem Kapital und nationalem Staat: Im Interesse der
Erhaltung des nationalen Kapitals tritt das Kapital einen Teil
seiner Macht an den nationalen Staat ab, indirekt an die
tech-no-bürokratische Intelligenz. Der
New Deal
war also für den Erfolg der Machtbestrebungen der Intelligenz
eine bedeutende Station, jedoch nicht ausreichend für die
Organisation der Intelligenz als Klasse, da sie lediglich einer
einzigen intellektuellen Berufsgruppe zu einer privilegierten
Machtposition verhalf. Die technokratische Intelligenz teilt
sich mit dem Kapital in die Macht, und so entwickelte sich
neben dem Gegensatz Kapital-Arbeit als einer der Hauptgegensätze
im staatsmonopolistischen Kapitalismus der Widerspruch von
Technokratie und Kapital. Zu diesem Widerspruch innerhalb der
Nationalwirtschaft gesellt sich allerdings in jüngster Zeit ein
neuartiger und immer stärkerer Widerspruch, der sich aus den
Integrationstendenzen der Weltwirtschaft ergibt, und zwar
einerseits zwischen dem nationalen Kapital beziehungsweise dem
nationalen Staat und, als drittem Akteur, der Technokratie, die
sich in multinationalen Unternehmen organisiert hat, nach der
wirtschaftlichen Weltmacht strebt und sich vom Einfluß des
Privatkapitals immer mehr emanzipiert. Bei der Erklärung der
Inflationssymptome in den siebziger Jahren berufen sich die
Beobachter unter anderem im allgemeinen darauf, daß die
internationalen Wirtschaftsverbände, also die multinationalen
Unternehmen, der Kontrolle durch die Nationalstaaten immer mehr
entgleiten, sich den im
New Deal
eingegangenen Verpflichtungen
entziehen, denen zufolge sie bereit sind, ihre
Unternehmensinteressen mit der Staatsbürokratie abzustimmen.
Die multinationalen Unternehmen sind schon allein deshalb nicht
bereit, ihre Profitmaximierungsbestrebungen den nationalen
Interessen unterzuordnen, weil sie ihr Kapital, ja auch ihren
Stammsitz leicht über Staatsgrenzen hinweg bewegen können. Es
entsteht eine supranationale Bürokratie, die ihre Identität
nicht mit dem Mutterland, sondern mit dem Unternehmen sucht.
Diese Multinationalen garantieren ihren Mitarbeitern nicht bloß
ein hohes Gehalt und große Bewegungsfreiheit, sondern auch
überall auf der Welt derart ähnliche Arbeits- und
Lebensverhältnisse, daß wir zu Recht von der Geburt eines neuen
»Organisation man« sprechen können. Im Menschentyp der
supranationalen Verbände dürfen wir vielleicht die Antizipation
einer Weltintelligenz sehen; insofern können die multinationalen
Unternehmen auch als neue Strategie der Intelligenz zur
Steigerung der eigenen Macht angesehen werden. Die
multinationalen Technokraten revoltierten gegen den ihrer
Meinung nach kleinlichen Kompromiß zwischen nationalem Kapital
und nationalstaatlicher Bürokratie, gleichzeitig entziehen sie
sich der Kontrolle beider. So drängt sich die Vermutung auf,
daß wieder ein Ausgleich zwischen der Weltintelligenz der
multinationalen Unternehmen und der nationalstaatlichen
Bürokratie beziehungsweise dem nationalen Kapital notwendig
wird, weil nur durch einen solchen Kompromiß die
wirtschaftliche, ja die politische Stabilität der westlichen
Welt garantiert werden kann.
In unseren Tagen kann die westliche Intelligenz ihre
Machtposition mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit also durch zwei
sich überschneidende Strategien stärken. Die eine ist die
Verbreitung der redistributiven Mechanismen im
nationalstaatlichen Rahmen. Das ist das Programm der
traditionellen Linken, die zunehmend nationale Interessen
vertritt, was neuerdings in zwei Entwicklungstendenzen zum
Ausdruck kommt. Die eine Tendenz besteht in der Annäherung der
kommunistischen Parteien und der die Interessen des nationalen
Kapitals vertretenden konservativ-nationalistischen politischen
Bürokratie auf einer gemeinsamen Plattform im Kampf gegen die
multinationalen Unternehmen; die andere Tendenz besteht in der
Annäherung der kommunistischen Parteien und der
nationalstaatlichen Technobürokratie, was als Begleiterscheinung
auch jene Umorientierung der politisch Radikalen der Neuen
Linken mit sich brachte, daß nämlich nach der Stärkung der
intellektuell-technokratischen Tendenzen in den kommunistischen
und sozialistischen Parteien auch sie sich an einer
technokratischen Reformpolitik beteiligen, die, wie sie meinen,
einerseits einen effektiveren und zeitgemäßeren Staatsapparat
schaffen könnte, andererseits eine bessere und gleichzeitig
umfassendere sozialpolitische Redistribution. Dadurch, daß die
kommunistischen Parteien die strategische Zielsetzung der
proletarischen Revolution von der Tagesordnung nehmen und sich
im allgemeinen der Intelligenz, insbesondere — und das ist das
wirklich neue Element in diesem Prozeß - der Technokratie
annähern, eröffnet sich ihnen die Möglichkeit, in die Apparate
der Nationalstaaten und der Großunternehmen einzudringen; auf
diese Weise gelingt es ihnen noch vor einem eventuellen
parlamentarischen Erfolg immer mehr, Entscheidungszentren
(Lokalverwaltungen, Universitätsgremien, Regierungsämter usw.)
ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Mit Hilfe des Trojanischen
Pferds der Technokratie nehmen sie also sozusagen die Bastionen
des staatsmonopolistischen Kapitalismus von innen her ein. Diese
Perspektive zeigt allerdings den sozialen Inhalt des oben
skizzierten Ausgleichs auf, nämlich die Kompromisse der
nationalen und internationalen Technokraten: daß nämlich die
sich gegenüberstehenden Parteien sowohl hier wie dort
überwiegend Intellektuelle sind. Folglich ist dieser Kompromiß
nicht bloß — und kann es auch nicht sein - ein Vergleich der
sich in verschiedenen Dimensionen organisierenden
kapitalistischen Interessen, sondern mindestens ebenso ein
Handeln der in den nationalen beziehungsweise internationalen
Organisationen nach der Macht strebenden
Intellektuellengruppen.
In den nächsten Jahren ist also zu erwarten, daß das Ringen des
Legitimationsanspruchs der Intelligenzmacht mit dem alternativen
Legitimationsanspruch des Kapitalbesitzes und seiner Vertretung
weitergeht, und zwar nicht bloß im nationalen, sondern bereits
im internationalen Rahmen. Obwohl die Intelligenz aus diesem
Kampf vermutlich gestärkt hervorgehen wird, steht auch außer
Zweifel, daß sie ihren Legitimationsanspruch nicht totali-sieren
können wird. Die Intelligenz des Westens setzt also ihre Odyssee
der Organisation zur Klasse fort. Sie wandelt weiter auf dem
Weg der westlichen Zivilisation, der sich bei den Bestrebungen
der Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht als Umweg erweist,
was die osteuropäische Intelligenz, die am Beginn des kürzesten
Weges zur Klassenmacht steht (auch wenn sie dafür einen hohen
Preis zu zahlen hat, wie ja auch die anderen Klassen), mitunter
zwar neidisch, doch manchmal mit Schadenfreude registriert.
Editorische
Hinweise
György Konrád,
Iván Szeléni, Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht, Ffm
1978, S. 117-132
OCR-scan red.
trend
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