Betrieb & Gewerkschaft

Karstadt: Arbeitsplätze in höchster Gefahr

von Peter Lenz

08-2014

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Am 7. Juli schrieb die Westfälische Allgemeine Zeitung (WAZ): „Ab heute steckt Karstadt wieder voll im Krisenmodus. Die Leidtragenden dieses Missmanagements sind die Mitarbeiter.“

20 Karstadt-Warenhäuser sollen geschlossen werden, da sie angeblich „unwirtschaftlich“ arbeiten. Bei den Beschäftigten geht daher die blanke Existenzangst um angesichts solcher Verlautbarungen des Chefs des Aufsichtsrats Fanderl: „Es wird schmerzhafte Einschnitte geben müssen, um dem gesunden Kern eine Zukunft zu geben.“ Das Unternehmen brauche endlich einen Zuschnitt, mit dem es Geld verdienen könne.

Der Karstadt-Investor Berggrün will, so berichtet die Tagespresse, die Warenhäuser an die Signa-Gruppe von Rene Benko verkaufen. Benko hat schon einen Teil der Häuser (so das KADAWE, das Alsterhaus in Hamburg und ein Warenhaus in München) gekauft und ist auch Vermieter von Karstadt-Häusern.

2009 hatte Karstadt noch knapp 60.000 Angestellte. Bis Ende 2014 sollen es nur noch 22.000 sein. Für die verbleibenden Karstadt-Beschäftigten heißt das auch, dass der Arbeitsdruck steigt. Über Jahre haben die Beschäftigten von Karstadt auf Teile ihrer Löhne verzichtet. Berggrün hatte im Gegenzug versprochen, Investitionen vorzunehmen. Doch wenn überhaupt, hat er diese aus dem laufenden Geschäft abgezweigt. Dabei hat Berggrün über den Verkauf von Filialen an den Österreicher Benko Geld eingenommen. Daraus und aus seinem Eigenkapital nahm Berggrün jedoch so gut wie nichts. Die Beschäftigten waren also über den Tisch gezogen worden und haben statt gesicherter Arbeitsplätze nur leere Versprechungen erhalten.

Am 1. September 2014 treten wieder die „normalen“ Tarifverträge der Karstadt-Beschäftigten in Kraft, nachdem es in den letzten 10 Jahren 4 Sanierungstarifverträge gab, die mit Einbußen verbunden waren.

Der Modell-Investor Berggrün

Ver.di hatte 2010 grünes Licht für den Deutsch-Amerikaner Berggrün gegeben, der für einen Euro Karstadt übernahm und vollmundige Investitionsversprechungen abgab. Berggrün wurde als Kunstsammler und Investor mit „sozialem Antlitz“ bekannt. Darauf verließ sich offenbar auch ver.di. Doch anstatt ihn als Heilsbringer zu betrachten, hätten sie lieber einen genaueren Blick in die Bilanzen geworfen. So hätte man sich jetzt vielleicht die Krokodilstränen über die gescheiterte Sanierung sparen können.

400 Millionen Euro Investitionen hatte Berggrün bis 2015 versprochen. Tatsächlich waren es aber nur 160 Millionen, finanziert aus den laufenden Einnahmen. Mehr als 50 Millionen steuerten die Beschäftigten durch Lohnverzicht bei - auf die letzten 10 Jahre gerechnet sogar mehrere 100 Millionen durch die Sanierungstarifverträge. Trotzdem waren auch noch mehrere Tausend Beschäftigte entlassen worden.

Für den Handelsbereich sind die Karstadt-MitarbeiterInnen relativ gut gewerkschaftlich organisiert - eine solide Basis also, um kämpfen zu können. Aber anstatt den Kampf von Anfang an kompromisslos zu führen und ihn mit anderen Kämpfen zu verbinden, schürte die ver.di-Führung Illusionen in den „Sanierer“ Berggrün und setzte auf Abwarten.

Doch spätestens seit 2012 war absehbar, dass Berggrün ein Roßtäuscher ist. Heute wird von ver.di erneut nach einem Investor als Alternative gesucht, statt wirklich in Kampfposition zu gehen. Wurde Berggrün am Beginn noch als „Retter“ hofiert, so gilt er jetzt als der Verursacher des drohenden Ruins. So illusorisch das Geschwätz von ver.di zu Beginn war, so greift nun erneut zu kurz.

Berggrün ist ein Kapitalist, dessen Vermögen auf etwa 2 Milliarden geschätzt wird. In Berlin und Brandenburg besitzt er Immobilien im Wert von ca. 450 Millionen Euro. Durch den Verkauf eines Teils der Warenhäuser an Benko erzielte er einen Gewinn von 300 Millionen Euro.

Mit diversen Täuschungsmanövern nimmt er die Opfer kapitalistischer Krisen doppelt aus – umgeben mit der Aura des „sozialen Unternehmers“. Ver.di hat lange diesem Zerrbild gefrönt, der „gute Unternehmer“ (im Unterschied zum „Abzocker“) gehört schließlich zum Weltbild der BürokratInnen in ver.di wie vieles andere bürgerliche Gedankengut. Da ist der Jammer groß, wenn sich Kapitalisten wie Berggrün so verhalten, wie es ihnen ihre Kapitalnatur aufzwingt.

Konkurrenzkampf im Handelssektor

Berggrün war von Anfang an klar, dass die Immobilienwerte das einzig Reizvolle am „Modell Karstadt“ waren. Das Konzept des „All-in-Kaufhauses“ steht zwischen spezialisiertem Handel, Discountern und Internet-Vertreibern inzwischen zunehmend auf schwankendem Grund. Den Trend zum Internet-Handel hatten die Karstadt-Kapitalisten jedoch verpasst. Angesichts des enorm verschärften Konkurrenzkampfes und Verdrängungswettbewerbs helfen dann natürlich auch keine Sonntagsreden vom „Kaufhaus“ als „Kulturstandort“.

Es gibt seit etlichen Jahren eine Umstrukturierung im Handelssektor, der schon ehemalige Größen wie Neckermann, Quelle u.a. dahingerafft hat.

Wie weiter?

Für die Karstadt-Beschäftigten ist die aktuelle Entwicklung harte Realität, aber nur dann auch Grund zur Verzweiflung, wenn man die Methoden des Klassenkampfes nicht kennt oder als „überholt“ empfindet.

Für die Verteidigung der Arbeitsplätze lohnt sich durchaus ein Blick auf die Erfahrungen des Tarifvertragskampfes des Einzelhandels im letzten Jahr, als die Beschäftigten mit ihren Methoden den Einzelhandelskapitalisten durchaus Schwierigkeiten bereitet haben. Aber diese Methoden des flexiblen Kampfes wie in Baden-Württemberg setzen zumindest eine gewisse Unabhängigkeit von der Fixierung auf das „Unternehmenswohl“ voraus.

Bei Karstadt stehen die Beschäftigen und die Gewerkschaft mit dem Rücken zur Wand. Selbst wenn ein „neuer Investor“ gefunden wäre, würde die Ausschlachtung des Unternehmens nur unter anderem Namen weitergehen. Auch jeder andere Kapitalist würde natürlich auf höhere Gewinne aus der Immobilienspekulation setzen, statt zu hoffen, nach Jahren des Niedergangs noch die Wende im erbitterten Konkurrenzkampf zu schaffen.

Als kurzfristige Lösung bleibt eigentlich nur eine gesamtgesellschaftliche. Was bedeutet das? Erstens die Offenlegung der Bilanzen, Verträge und Umstrukturierungen usw., um überhaupt einen klaren, nachprüfbaren Stand über das Geschäftsgebaren zu erhalten. Zweitens muss Berggrün wie alle anderen Mitverdiener von Karstadt entschädigungslos enteignet werden - und zwar nicht nur seine Unternehmen, sondern auch das milliardenschwere Privatvermögen. Damit könnte wenigstens ein Teil der Kosten bestritten werden und diese nicht durch immer weiteren Lohnverzicht der Beschäftigten aufgefangen werden. Drittens müsste ein verstaatlichtes Unternehmen unter Kontrolle der Beschäftigten weitergeführt werden.

Zweifellos ist all das nur eine kurzfristige Abhilfe. Die Konkurrenz im Handel, der brutale Kampf um Marktanteil bei stagnierender Kaufkraft der Lohnabhängigen - selbst eine notwendige Folge der kapitalistischen Krise - kann natürlich im Rahmen des Kapitalismus nicht gelöst, allenfalls abgemildert werden. Ein Durchbrechen der Schließungs- und Entlassungspläne bei Karstadt würde aber zumindest eine Trendumkehr bedeuten und könnte über das Unternehmen hinaus in der ganzen Branche eine wichtige Signalwirkung haben.

Doch das wird einen wirklichen Kampf erfordern. Auf Belegschaftsversammlungen müsste nicht nur über die Lage zu informiert werden, sondern v.a. auch über Kampfmaßnahmen beraten und beschlossen. Die Kaufhäuser werden wahrscheinlich nur gehalten werden können, wenn es zu unbefristeten Streiks und Besetzungen kommt.

Ein Streik in einem vor der Schließung stehenden Unternehmen ist natürlich nie einfach, weil der wirtschaftliche Druck, der aufgebaut werden kann, relativ gering ist. Daher wäre es wichtig, die Aktion im voraus an allen verbliebenen Standorten durchzuführen. Damit wäre sowohl der Druck auf die Kapitalisten größer als auch die öffentliche Wirkung. Darüber hinaus sind Solidaritätsaktionen und Streiks auch in anderen Unternehmen notwendig und ver.di muss dazu verpflichtet werden, solche vorzubereiten und durchzuführen.

Und schließlich geht es darum, Solidaritätskomitees gegen die Schließungen und die drohenden Entlassungen von tausenden Beschäftigten aufzubauen, um die Lohnabhängigen, allen voran die KundInnen in eine Solidaritätsbewegung einzubeziehen und die Vernichtung der Jobs bei Karstadt zu einer gesellschaftlichen, politischen Auseinandersetzung zu machen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 765
28. Juli 2014

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