Manche
hielten ihn für einen Kommunisten. 1930 wurden seine Bücher im
damaligen Deutschen Reich wegen „bolschewistischer“ Tendenzen
verboten, manche bezeichneten ihn dort gar als einen „Lenin der
Architektur“. Nun bezeichnen Kritiker ihn als einen ausgemachten
Faschisten, weisen antisemitische Passagen in seiner
Privatkorrespondenz nach und sprechen von einer
menschenverachtenden Konzeption. Bei seinem Tod schlug der
französische Antifaschist und Minister André Malraux – in jungen
Jahren selbst kommunistischer Schriftsteller, später Gaullist –
vor, man müsse seinen Sarg mit Wasser aus dem Hinduisten als heilig
geltenden Fluss Ganges bespritzen. Dies tat er dann auch.
Angeblich, denn wie man später erfuhr, kam es aus dem Wasserhahn in
den Toiletten der indischen Botschaft in Paris.
Vor
fünfzig Jahren, im August 1965, verstarb der französische
Stararchitekt Charles-Edouard Jeanneret, besser bekannt unter
seinem Pseudonym: Le Corbusier. Aus diesem Anlass widmete ihm das
Centre Pompidou in Paris eine Ausstellung, die am 29. April ihre
Tore öffnete und am kommenden Montag, den 3. August zu Ende gehen
wird. Doch den Beginn der Ausstellung überschattete eine Flut von
Presseartikeln und Gastbeiträgen, die Le Corbusiers politische
Vergangenheit und Auffassungen zum Gegenstand hatten. Anlass dazu
war das Erscheinen dreier Bücher in diesem Frühjahr, kurz vor
Ausstellungsbeginn, die vor allem das Verhältnis des Architekten
zum Faschismus zum Gegenstand hatten. Und dies über die bereits
früher bekannte Tatsache hinaus, dass er – allerdings weitgehend
vergeblich – dem Regime in Vichy im Jahr 1940 seine Dienste anbot
und sich damals auch in Vichy niederließ,
auch wenn er häufig auf Reisen war und es in der Stadt nicht
sonderlich aushielt. Xavier de Jarcy verfasste Le Corbusier,
un fascisme français, François Chaslin publizierte Un
Corbusier. Und von dem Hochschullehrer für Kunst und
ästhetik, Marcel Perelman, erschien Le Corbusier. Une froide
vision du monde (Eine kalte Weltsicht). Die dadurch
ausgelöste Pressekontroverse, die periodisch alle paar Wochen
wieder aufflammte, hielt auch in der zweiten Julihälfte noch an.
Der
1887 im schweizerischen Jura geborene „Corbu“, wie manche ihn auch
kurz und knapp nennen, war vor allem durch seine baulichen Utopien
bekannt, von denen einige auch umgesetzt wurden. Nach dem Zweiten
Weltkrieg wollte Le Corbusier das Stadtzentrum von Paris abreißen
und durch modern-quadratisch-praktische Hochhausbauten ersetzen –
ein Vorhaben, das im Nachhinein nur von wenigen als gedankliche
Meisterleistung betrachtet wird. In Marseille errichtete er von
1947 bis 1952 eine moderne Wohnsiedlung, die schon eher als
gelungen betrachtet wird. Auf Pfählen stehende, insgesamt 337
„Wohneinheiten“ in Form eines flachen Betonriegels bilden dort die
Cité radieuse (ungefähr: „Ausstrahlendes
Gemeinwesen“) – der Name spielt nicht auf einen Atomunfall an -,
die zu jener Zeit futuristischen Charakter hatte.
In
jener Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch
wieder andere Wohnsiedlungen nach den Plänen von Le Corbusier
errichtet: im westfranzösischen Rezé, in den ostfranzösischen
Städten Briey und Firminy sowie ein fünfte, die 1957 im Westend in
Berlin-Charlottenburg entstand. In Indien wurde Le Corbusier in den
frühen fünfziger Jahren von Präsident Nehru damit beauftragt, eine
neue Verwaltungshauptstadt für die Provinz Pundjab, das auf einem
Hochplateau zu Füßen
des Himalaya errichtete Chandigarh. Daher rührte auch die Idee von
André Malraux, der ihn nach dem Krieg trotz bereits damals
bekannter Vichy-Kontakte Le Corbusiers zusammen mit anderen vor der
Epuration – der französischen Variante der Entnazifierung, die um
Einiges konsequenter ausfiel als die westdeutsche – bewahrt hatte.
Le
Corbusier hatte aber auch in der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch
der Weltwirtschaftskrise 1929 urbanistische Vorschläge
unterbreitet, die darauf hinausliefen, Platz sparende und räumlich
konzentrierte neue Wohnviertel zu errichten. Unter anderem
arbeitete er zu städteplanerischen Konzepten für Rio de Janeiro,
Algier – diesen Plan unterbreitete er dem Vichy-Regime, da Algerien
damals französisch kolonisiert war, erhielt jedoch keinen Auftrag –
und Barcelona. Er hielt sich jedoch auch 1930 in Moskau auf. Schon
früher hatte Le Corbusier zeitweilig auch Lenin seine Dienste als
Architekt angeboten, was noch keinen zwingenden Hinweis auf eine
progressive Weltanschauung enthielt – der französische
Polit-Mystiker Georges Sorel bezog sich am Ende seines Lebens
positiv zuerst auf Lenin, später auf Benito Mussolini -, ihm
allerdings einen Ruf als Kommunist eintrug.
Und nun
sorgen die jüngsten Publikationen dafür, dass noch eine andere
Facette zum Vorschein kommt. Jene eines Mannes, der schon ab 1926
im Umfeld der Gruppe Le Faisceau (Das Bündel) von Georges Valois
mitwirkte, deren Namen nicht zufällig jenem lateinischen
Rutenbündel nachgebildet war, das als Namensgeber für den
italienischen Faschismus diente. Die 1925 gegründete Gruppierung
des Ex-Gewerkschafters Valois war die erste authentisch
faschistische Bewegung auf französischem Boden, die sich an
Mussolinis Italien orientierte, jedoch in den Jahren ihrer Existenz
nur mäßigen
Erfolg hatte. Sie kam wahrscheinlich historisch zu früh, und Valois
war eine komplexe Persönlichkeit, die schließlich
in der französischen Résistance endete, zu einer Zeit, als manche
vormaligen Linken ihrerseits zu Kollaborateuren geworden waren.
Im jahr
1929 gründete der Architekt zusammen mit dem Doktor Pierre Winter,
dem Vorsitzender einer – ihrerseits bedeutungslosen –
Splitterpartei unter dem bezeichnenden Namen Parti fasciste
révolutionnaire, eine Zeitschrift unter dem Namen Plans.
Er zeichnete die ganzen dreißiger
Jahre über Artikel in rechtsextremen und antidemokratischen
Zeitschriften, wenngleich seine eigenen Themen eher ästhetischen
oder städtebaulichen Fragen gewidmet waren. So gründete
er 1933 zusammen mit dem Ingenieur François de Pierrefeu die
Zeitschrift Prélude, die das nationalsozialistische
Regime in Deutschland in Schutz nahm.
1940
bot er den Machthabern in Vichy seine Dienste an, auch wenn er
keine nennenswerten Aufträge erhielt. In jener Zeit äußerte
er sich in Privatkorrespondenzen, besonders mit seiner Mutter, auch
zu politisch-ideologischen Fragen. An einer Stelle schrieb er: „Die
Geldsäcke, die Juden – die zum Teil schuldig sind -, die
Freimaurerei, Alles wird das gerechte Gesetz erleiden.“ An anderer
Stelle äußerte
in einer solchen Familienkorrespendenz auch, die Behandlung der
Juden komme ihm hart vor, aber sie seien „zum
Teil mitschuldig, weil sie durch das Geld das Land korrumpiert
hatten“. In einer Passage verkündet er: „Adolf Hitler kann nun sein
Lebenswerk mit einem grandiosen Werk krönen: der Raumordnung
Europas.“ Andernorts erklärte er jedoch, er sei dem regierenden
Marschall Philippe Pétain zu-, Adolf Hitler gegenüber jedoch
abgeneigt. Tatsächlich durchziehen einige Fluktuationen, zumindest
an Einzelpunkten, die nunmehr in den drei Büchern öffentlich
zugänglich gemachten Dokumente.
Der
französische Architekt Paul Chemetov, der als Kommunist oder ihrem
Gedankengut nahe stehend gilt und den Bau des französischen
Wirtschafts- und Finanzministeriums entwarf, nimmt Le Corbusier
tendenziell in Schutz. In Le Monde erklärte er, dieser sei in Vichy
gewesen, aber „die Mehrzahl der französischen Architekten waren
damals pro-Vichy“. Ferner könne man ihm nicht vorwerfen, unter
Vichy gearbeitet zu haben, „während auch Jean-Paul Sartre und
Albert Camus in der Vichy-Zeit schrieben“. Worauf Marc Perelman in
derselben Zeitung antwortet, die beiden Schriftsteller hätten sich
aber zu keinem Zeitpunkt zugunsten des Regimes geäußert.
Er hätte auch erwähnen können, dass Camus zur selben Zeit für die
im Untergrund erscheinende Widerstandszeitung Combat tätig war.
Perelman sieht bei Le Corbusier aber das Grundübel in einer von ihm
als faschistisch bezeichneten ästhetik angelegt. Le Corbusier haben
menschliche Körper normen und in der Masse – sei es in riesigen,
geometrisch geformten Wohnblöcken oder in ebenso gigantischen
Sportveranstaltungen zu ihre Füßen
– aufgehen lassen wollen. Er sei vom Vitalismus, der sich in
ständig in Bewegung befindlichen oder Masse bildenden Körpern
symbolisiere, fasziniert gewesen. Und zum Maßstab
der Dinge habe er mit dem Modulator einen
standardisierten und genormten Körper genommen. Dieser Messeinheit
nahm ein angeblich durchschnittlicher Menschenleib mit willkürlich
gewählten 1,83 Meter Körpergröße
zugrunde. Le Corbusier goss dieses Konzept in die Gesamttheorie,
ebenso wie Bienen in Waben wohnten, wollten auch Menschen sich
geometrisch gleiche Grundeinheiten schaffen und diese zu Großsiedlungen
zusammenschließen.
Nicholas Fox Weber, der selbst 2009 ein Buch über Le Corbusier
verfasste und sich in der vorletzten Juliwoche als einer der
letzten Debattenteilnehmer in der französischen Presse zu Wort
meldete, sieht dagegen in dem Architekten eine Persönlichkeit „mit
mehreren Facetten“. Viele Vorwürfe seien inhaltlich richtig,
zugleich verhielten die Dinge sich jedoch komplexer. So habe Le
Corbusier von massiven Großsiedlungen
geträumt, aber vor allem deswegen, weil er durch das Bauen in die
Höhe „so viel Menschen wie möglich Zugang zum Licht und zur
möglichst weiten Aussicht verschaffen“ habe wollen. Die Vorwürfe
des Antisemitismus seien zum Teil willkürlich gewählt, da die
Zitate widersprüchlicher seien. Perelman seinerseits würde darin
vielleicht ein Zeugnis jener „Entschuldigungskultur“ sehen, die er
mehrere Wochen zuvor am Beispiel von Chemetov moniert hatte.
Editorische Hinweise
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