Geh
gefälligst dahin zurück, wo Du Dich mal aufhieltest: Das ist, was die
marokkanischen Behörden offiziell von dem missliebigen Journalisten
’Ali Lmrabet fordern, und wodurch sie ihn zum Ausweis- und
Dokumentenlosen im eigenen Land machen. Am 24. Juni 15 begann Lmrabet
deswegen mit einem Hungerstreik in einem Zelt vor dem UN-Sitz in
Genf, den er damit begründet, dieser symbolische Gang vor die
Vereinten Nationen sei der letzte Ausweg, der ihm noch geblieben sei.
Am Montag, den 27.07.15 wurde vorübergehend vermeldet, er sei
aufgrund der Folgen seines Hungerstreiks ins Krankenhaus eingeliefert
worden – die Meldung dazu verschwand binnen kürzester Zeit von der
Webseite der marokkanischen Zeitschrift Telquel und war
nicht länger auffindbar. Mittlerweile wurde dies jedoch dementiert:
Lmrabet erhielt eine ambulante ärztliche Behandlung, entschied sich
jedoch dafür, seinen Hungerstreik unter dem Zeltdach fortzusetzen.
Seit
April dieses Jahres weigern die Behörden und das Innenministerium in
Rabat sich beharrlich, ihm eine Meldebestätigung auszustellen, die er
benötigt, um seine – mittlerweile abgelaufenen – Ausweispapiere
erneuern zu lassen. Oder um eine Zeitung neu anzumelden. Ihre
offizielle Begründung lautet, bis im Herbst 2011 sei Lmrabet ja in
Barcelona angemeldet gewesen. Dorthin hatte er sich infolge eines
zehnjährigen Berufsverbots und diverser Repressionsdrohungen in
Marokko vorläufig zurückgezogen. Zwar ist er beim marokkanischen
Konsulat in Spanien mittlerweile nicht mehr als Auslandsmarokkaner
gemeldet. Aber dies liege ja möglicherweise auch daran, dass Lmrabet
dort - als Auslandsfranzose gemeldet sei, suggerierte das staatstreue
marokkanische Webportal Le360.ma am vergangenen Sonntag. Es
unterstellt, Lmrabet sei mindestens Doppelstaatsbürger, wenn nicht
ohnehin Ausländer.
Der
56jährige wurde in Tétouan, einer Stadt im äußersten
Norden Marokkos, geboren und konnte eine marokkanisch-jüdische Schule
besuchen. Als Journalist hatte er den Sinn für Tabubrüche. Er
interviewte in den späten 1990er Jahren einen früheren Staatsfeind
Nummer 1, Abraham Serfaty – der Marxist-Leninist und antizionistische
Jude war vor Jahrzehnten durch die marokkanische Monarchie unter
Hassan II.; dem Vorgänger des jetzigen Königs Mohammed VI.,
ausgebürgert und kurzerhand zum Brasilianer erklärt worden. Aber auch
den israelischen Premier Benjamin Netanyahu interviewte er. Im Sommer
2000 setzte er als erster Journalist mit einem brüchigen Boot wie
„illegale“ Migranten über die Meerenge von Gibraltar. 2003 wurde er
wegen „Majestätsbeleidigung“ zu drei Jahren Haft verurteilt. Kaum
begnadigt, absolvierte er 2005 eine Reportage aus einem Lager für
Flüchtlinge aus der Westsahara im algerischen Tindouf. Neben der
Staatsreligion ist die seit 1975 anhaltende marokkanische Besetzung
der Westsahara eines der größten
nationalen Tabus in der Monarchie Marokko.
Sein
zehnjähriges Berufsverbot lief am 11. April dieses Jahres ab. Seit
Ende April kämpft er um eine Meldebestätigung an der Adresse seines
Elternhauses in Tétouan. Diese soll er nicht bekommen, um nur ja
nicht wieder beruflich tätigen werden zu können. Kurz bevor sein
Reisepass im Juni auslief, kam Lmrabet nach Genf, um dort unter den
Augen der internationalen Öffentlichkeit die Repression in Marokko zu
thematisieren. Diese hat auch sonst in den letzten Monaten erheblich
zugenommen. Binnen eines Dreivierteljahres wurden etwa 75 angemeldete
Aktivitäten der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH
behördlich verboten.
Editorische Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom Autor
für diese Ausgabe.
Ursprünglich verfasst für die Berliner Wochenzeitung ,Jungle
World’. Dort erschien der Artikel in leicht gekürzter Fassung am
30. Juli 2015
|