Burkina Faso
Ein gebremster Putschversuch

von Bernard Schmid

08/2015

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Die Präsidentengarde von Burkina Faso betreibt den Sturz des Übergangspremierministers Isaac Zida. Dahinter stehen Verbündete des im vorigen Jahr gestürzten autoritären Präsidenten Blaise Compaoré, der sich im Nachbarland Côte d’Ivoire aufhält.

Der Ton ist rau geworden: « Lasst uns in das Militärcamp Naaba Koom gehen, und wir werden sehen, wer von uns lebend herauskommt. » Dies schleuderte der General Gilbert Diendéré am Montag voriger Woche //am 13. Juli in Burkina-Fasos Hauptstadt Ouagadougou dem amtierenden Übergangs-Premierminister des Landes, Isaac Zida, entgegen.

Was wie eine handfeste Drohung klingt und wohl auch eine darstellen sollte, war die Replik auf die Aussage von Übergangspremier Zida, er zähle noch Unterstützer in den Reihen des « Regiments für die präsidiale Sicherheit » (RSP). Dieses Elitekontingent, das offiziell mit der Sicherheit des amtierenden Übergangspräsidenten Michel Kafando betraut ist, mischt sich seit Wochen immer unverhohlener in die Politik des Landes ein. Auf eine Weise, die Medien in Burkina-Faso seit Anfang Juli Titel wie « Die Transition in Gefahr » oder « Dicke Wolken über der Transition » auswählen lässt. Auch der US-Botschafter vor Ort, Tulinabo Salama Mushingi, äußerte sich besorgt und traf am 10. Juli mit Übergangspräsident Kafando zusammen, um sich die Lage erklären zu lassen.

Als « Transition » (Übergang) bezeichnet man die Periode, die seit dem 31. Oktober 2014 eröffnet ist. Also jenem Tag im vergangenen Herbst, an dem der autokratisch sowie dank Korruption, Klientelwirtschaft und mitunter manipulierter Wahlen regierende Präsident Blaise Compaoré nach 27jähriger Herrschaft gestürzt wurde. « Der schöne Blaise », wie sein Spitzname in diplomatischen Kreisen lebte, war ein enger geopolitischer Verbündeter der früheren Kolonialmacht in der Region – das COS (Kommando für Spezialaufträge), eine Eliteeinheit der französischen Armee, war bei ihm stationiert -, in mehrere Bürgerkriege in Westafrika als Hintermann und Waffenlieferant verwickelt und hatte mit einigen Gefolgsleuten seinen emanzipatorischen Ideen verpflichteten Vorgänger Thomas Sankara ermordet. Sankara hatte sich für Frauenbefreiung, Korruptionsbekämpfung, Unabhängigkeit von den Großmächten sowie Importsubstitution eingesetzt und Schuldenstreichung gefordert. Damit war er etwa für Frankreichs damaligen Präsidenten François Mitterrand ein Störenfried.

Doch im vergangenen Jahr hatte Compaoré sich ein Vorhaben zu viel geleistet: Er plante, den Artikel 37 der burkinabesischen Verfassung mit Hilfe eines vermeintlich willfährigen Parlaments abändern zu lassen, um die bis dahin bestehende Amtszeitbeschränkung aufzuheben. So wollte er erneut als Kandidat zu einer Präsidentschaftswahl antreten und sich einmal mehr zu seinem eigenen Nachfolger bestellen lassen. Doch aufgebrachte Demonstranten stürmten das Parlament, das bisherige Regime verlor die Kontrolle, und Compaoré wurde mit einem französischen Militärhelikopter in das Nachbarland Côte d'Ivoire ausgeflogen.

Die seitdem eingeleitete « Transition » soll ein knappes Jahr dauern. Bis zu dessen Ablauf regiert ein « Nationaler Übergangsrat » (CNT), welcher nach dem erzwungenen Abgang Ex-Präsident Compaorés aus Angehörigen von dessen ehemaliger Regierungspartei CDP (Demokratischer Kongress des Volkes), der bisherigen Oppositionsparteien, der Armee sowie von « Organisationen der Zivilgesellschaft » - abgekürzt OSC – zusammengesetzt wurde.

Anfang Juli hatte das RSP de facto den Sturz von Interimspremier Zida betrieben. Aufgrund manifester Uneinigkeiten mit dessen Kurs forderten die Anführer des Eliteregiments formal, alle Angehörigen der Armee müssten aus den Übergangsinstitutionen abgezogen werden. De facto konzentrierte die politische Auseinandersetzung sich jedoch auf das Vorhaben, Zida von den Schalthebeln in der Interimsregierung zu entfernen. Letzterer kommt ursprünglich selbst aus der Präsidentengarde – dem RSP -, hat sich jedoch augenscheinlich von ihm entfernt und gilt in seiner derzeitigen Amtsführung als integer. Hauptsächlich unterstützt wird er derzeit noch durch die „sankararistischen“ Parteien, die freilich zersplittert sind, und besonders durch die wichtigste unter ihnen (UNIR/PS) unter Bénéwendé Sankara. Nachdem Übergangspremierminister Zida am 06. und 07. Juli auf Staatsbesuch im Nachbarland Côte d’Ivoire weilte und unterdessen „zu Hause“ der Versuch zu seinem Sturz betrieben wurde, kehrte er am zweiten Tag zu Fuß vom Flughafen von Ouagadougou bis zum Regierungssitz zurück. Dabei begleiteten ihn wohl mehrere Hundert Menschen – die Angaben variieren von „einige Dutzend“ bis zu „rund eintausend“ – aus Oppositionsparteien und vor allem aus den „Organisationen der Zivilgesellschaft“, die ihn unterstützten und sich zu einem Demonstrationszug formierten.

Es war bereits die dritte, doch bislang schwerste Krise zwischen der Übergangsregierung und einem Flügel der Armee; das RPS hatte bereits im Februar d.J. den Abgang von Übergangspremier Zida gefordert. Dieses Mal schien diese Fraktion jedoch wirklich entschlossen, führende Akteure der « Transition » wegzudrücken. Den Hintergrund dafür bildete die Kampagne von Anhängern und Nutznießern des alten Regimes gegen das im April angenommene neue Wahlgesetz. Dieses sieht vor, dass all diejenigen politischen Funktionsträger, die im vergangenen Jahr « eine verfassungswidrige Maßnahme wider das Prinzip demokratischer Machtwechsel » unterstützten – also das Vorhaben, den damaligen Präsidenten mittels juristischer Tricksereien weiterhin an der Macht zu belassen -, von den im kommenden Herbst anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auszuschließen.

Dagegen laufen erwartungsgemäß die direkten politischen Erben der alten Machthaber Sturm. Zu ihnen zählt Compaorés frühere Partei CDP, die mit Eddie Komboïgo einen Präsidentschaftskandidaten nominiert hat und einige Bündnispartner in einer so genannten « Republikanischen Front » sammeln konnte. Doch dieses Lager verfügt darüber hinaus über Verbündete etwa in der heimischen Bourgeoisie und in den oberen Rängen der Armee. Anders als es die nicht legal zugelassene, aber – vor allem über Teile der Gewerkschaften - einflussreiche maoistische Partei PCRV (Parti communiste révolutionnaire voltaïque) darstellt, ist nicht die Armee insgesamt ein Träger des aktuellen Übergangsregimes sowie Haupthindernis für gesellschaftliche Veränderungen.

Denn die Armee selbst, aus der einst auch Thomas Sankara hervorging – in Oppositionszeiten führte er die « Sammlung kommunistischer Offiziere » (ROC), deren Existenz sich daraus erklärt, dass den Kindern von Armenfamilien oft nur die Militärkarriere als einzige Perspektive blieb – ist von Spaltungslinien durchzogen. Doch ihr privilegiertester Teil, dessen politische Speerspitze das RSP darstellt, zählt eindeutig zu den Kräften der Konterrevolution, die das Rad gern zurückdrehen würden. Angeblich wartet auch Blaise Compaoré selbst von der Côte d'Ivoire aus auf eine geeignete Stunde, um seine Rückkehr zu verkünden, was jedoch nur schwerlich durchsetzbar erscheint.

Zu einem Umschlagen der Situation führte dann eine Entscheidung des gemeinsamen Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO. Dieser beschloss am 13. Juli, das Wahlgesetz Burkina-Fasos in seiner bestehenden Form zu annullieren. Aufgrund zu allgemein gehaltener und unpräziser Kriterien verstoße das Gesetz gegen den Grundsatz « der freien Teilnahme an Wahlen ». Das Urteil (vgl. http://burkina24.com/2015/07/13/code-electoral-lintegralite-de-la-decision-de-la-cour-de-justice-de-la-cedeao/ ) ließ unterdessen offen, ob ein solcher Ausschluss von Wahlen für Vertreter des alten Regimes rechtlich zulässig geblieben wäre, hätten ihm enger gefasste Kriterien oder eine präzise Liste betroffener Persönlichkeiten zugrunde gelegen. Die politische Verbindung der konterrevolutionären Kräfte zu einflussreichen Kräfte in der Armee wurde daraufhin im Übrigen auf manifeste Weise sichtbar: Als die Anwälte, die das Urteil erwirkt hatten, nach Burkina Faso zurückkehrten, wurden sie ihrerseits von einer Demonstration Compaoré-naher Kräfte empfangen. An ihrer Spitze lief die Gattin von General Diendéré mit.

Daraufhin wurde der Übergangsregierung durch Interimspräsident Kafando aufgetragen, nunmehr Abänderungen am Wahlgesetz vorzunehmen. Wie genau diese aussehen sollen, ließ Kafando jedoch offen, er blieb in dieser Hinsicht bislang eher vage. Auch der französische Botschafter in Ouagadougou, Gilles Thibault, hatte sich zuvor für ein « inklusives Wahlgesetz », also Einschluss statt Ausschluss, ausgesprochen. Seine Äußerungen in einem Interview anlässlich des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli erregten in Burkina-Faso einiges Aufsehen.

Kafando bildete am vorigen Freitag// am 17. Juli die Interimsregierung um. Entgegen dem, was von gewisser Seite gefordert worden war, entließ er Interimspremier Zida nicht. Er entzog ihm jedoch das Innenministerium, welches bislang von einem Zida-Vertrauten – dem nunmehr entlassenen Minister Auguste Barry – besetzt war, das in « Sicherheitsministerium » umbenannt wird. Übergangspräsident Kafando übernimmt es selbst und vereinigt es dabei in einer Person zusammen mit dem Verteidigungsministerium, das er bereits bislang inne hatte.

Das Übergangsparlament hatte am Tag zuvor jedoch auf die Offensive der Compaoré-Anhänger reagiert, indem es beschloss, Anklage gegen Compaoré und einige der Barone seines Regimes wie Ex-Außenminister Djibril Bassolé wegen « Landesverrats » zu erheben. Compaorés Rückkehr wird dadurch erschwert. Er könnte von einer sicheren Basis aus agieren, da der Präsident der Côte d'Ivoire – Alassane Ouattara – im April 2011 nach umstrittenen Wahlen durch die französische Armee, die militärisch gegen den sich an der Macht haltenden Laurent Gbagbo vorging, ins Amt gebracht worden war. Compaoré und Ouattara sind beide enge Verbündete der Ex-Kolonialmacht, die nach wie vor ihren Einfluss in der Region ausübt. Ähnliches gilt für die Strukturen des Wirtschaftsverbands CEDEAO.

Compaoré in seinem Exil ähnelt ein wenig jener des vormaligen französischen Königs Louis XVI., der - in seinem Falle nach einem vereitelten Fluchtversuch - darauf hoffte, durch die europäischen Monarchien gegen die Revolution in seinem Land und auf kriegerischem Wege wieder an die Macht gebracht zu werden. Damals ging das nicht nur schief, sondern kostete ihn auch den Kopf. Ähnliche Perspektiven scheinen Compaoré im Augenblick allerdings nicht zu drohen.

Frankreich hat jedoch aus drei Gründen derzeit einen angeschlagenen Stand. Die erste Ursache liegt in dem Kindesmissbrauchsskandal, bei dem es um pädophile Akte von in Burkina Faso stationierten französischen Militärs geht. Derzeit stehen 220 Soldaten aus Frankreich in dem Sahelzonenstaat, im Rahmen der « Operation Barkhane » mit Hauptsitz im Tschad, die unter anderem die Staaten Niger, Burkina Faso und Mali umfasst und die 2013 in Mali durchgeführte « Operation Serval » abgelöst hat. Zwei von Vorwürfen des Kindesmissbrauchs betroffene französische Soldaten wurden am 30. Juni abgezogen, gegen einen der beiden läuft seit dem 3. Juli ein Strafverfahren. Einige Monate zuvor hatte es ähnliche Informationen über vierzehn in der Zentralafrikanischen Republik stationierte französische Soldaten gegeben.

Zum Zweiten hat es im April dieses Jahres erstmals ein Gericht in Burkina Faso gewagt, den französischen Großkonzern Bolloré zu verurteilen. Der Bolloré-Konzern, der in der Region vor allem Transport- und Infrastrukturarbeiten durchführt und die Mehrzahl der Häfen im französischsprachigen Westafrika kontrolliert, bildet vielerorts einen Staat im Staat. In Frankreich wiederum gehören ihm Medien wie der Fernsehsender Canal +, und Unternehmenschef Vincent Bolloré ist unter anderem ein Duzfreund von Ex-Präsident und Oppositionsführer Nicolas Sarkozy. Was an den meisten Orten in der postkolonialen Einflusssphäre Frankreichs lange undenkbar schien, wurde nun jedoch in Wirklichkeit. Wegen Schlampereien und Verzögerungen sowie Kostensteigerungen bei der Lieferung einer Turbine im Jahr 2010 verurteilte die Justiz von Burkina Faso den Konzern nun zu einer Geldstrafe von 7,2 Milliarden francs CFA (umgerechnet gut zehn Millionen Euro).

Drittens bleibt die Frage der Verwicklung des französischen Staates oder hoher politischer Stellen in die Ermordung des damaligen linksrevolutionären Präsidenten Thomas Sankara im Oktober 1987 nach wie vor hochaktuell. Dessen Witwe Mariam Sankara wurde am 16. Juni dieses Jahres in den Räumen der französischen Nationalversammlung von Abgeordneten der Grünen sowie der Linksfraktion empfangen. Deren Parlamentsfraktionen unterstützen die Forderung nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, um die genaue Rolle Frankreichs bei dem Rechtsputsch gegen Sankara – unter Federführung seines Amtsnachfolgers Blaise Compaoré – zu analysieren. Am 12. Juli wurde jedoch durch die Webseite NetAfrique bekannt, dass der sozialdemokratische französische Parlamentspräsident Claude Bartolone die Einsetzung des geforderten Untersuchungsausschusses rundheraus ablehnt. Seinen Worten zufolge ist das, seit Jahren ergebnislos anhängige, gerichtliche Untersuchungsverfahren in Burkina Faso « das geeignete Mittel » zur Aufklärung.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.

Ursprünglich verfasst für die Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’. Dort erschien der Artikel in leicht gekürzter Fassung am 23.07.2015
von Bernard Schmid