Nachgereicht zum 50. Jahrestag der
großen proletarischen Kulturrevolution

08/2016

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Die Kulturrevolution wird gewöhnlich in drei Perioden eingeteilt und ihr Ende auf das Jahr 1976 gelegt. Wir veröffentlichten bisher Material aus der ersten Phase ("Rotgardistenbewegung"), die vom Mai 1966 bis zum 9. Parteitag der KP Chinas 1969 dauerte, sowie eine nachträgliche Beurteilung der Kulturrevolution aus dem Jahre 1981 durch die 6. Plenartagung des ZK der KP Chinas. Wir schließen unser Schwerpunkthema "Kulturrevolution" in dieser Ausgabe mit exemplarischem Material zur Frauenemanzipation und zum Kampf gegen Revisionismus in Literatur und Kunst aus der Zeit nach der Entmachtung von Lin Biao 1971 bis zum Sturz der "Viererbande" 1976 ab.

Frauenemanzipation und Kulturrevolution
Die neuen Frauenkomitees von Chawan

In derselben Diskussion erfuhren wir, daß während der Kultur­revolution die ehemalige Frauenorganisation »suspendiert« wor­den war. Diese revolutionäre Vereinigung war in den Flammen des antijapanischen Kriegs entstanden, hatte sich aber im Laufe der Zeit zu einem Verein entwickelt, der eine rückschrittliche Ideo­logie von der Frau im Heim produzierte, die an nichts weiter interessiert ist als an den kleinen Sorgen und Freuden ihrer Fami­lie, kurz, die kleine Frau, wie wir sie aus den Schilderungen der kapitalistischen Fachpresse kennen. Die Genossin Dung Anming, eine Bäuerin von etwa dreißig Jahren, erzählte uns, daß sie in der ganzen Volkskommune von Chawan mehrere Revolutions­komitees organisiert hatten, die etwa 5500 Frauen, d. h. die große Mehrheit (mehr als 80%!), umfaßten, und daß sie selbst eine der Verantwortlichen dieser Komitees war. Während unserer Reise hat man uns oft gesagt, daß die Organisation der Frauen eine »Etappe von Kampf-Kritik-Umgestaltung« sei, (d.h. daß die Bilanz ihrer vergangenen Aktivitäten noch nicht abgeschlossen ist), und daß andererseits die neuen Orientierungen sich noch nicht klar abzeichneten. Ganz offensichtlich findet über diese Frage eine Diskussion in den Massen statt, und die »nationale« Organisation wird nicht aufgrund einer Entscheidung »von oben«, sondern auf der Grundlage unzähliger Untersuchungen und Erfahrungen der Massen selbst geschaffen werden. Daher waren wir ganz besonders daran interessiert, die Ziele der (wahrscheinlich provisorischen) Frauenkomitees von Chawan kennenzulernen, und Dung Anming antwortete uns: »Zur Zeit haben wir fünf Hauptaufgaben definiert:

»Erstens, das Studium des Marxismus-Leninismus und der Maotse-tungideen. Lassen Sie mich Ihnen erklären, wie wir dabei vorgehen. Zu Beginn organisierten wir gemeinsame Schulungs­kurse für die Männer und Frauen. Die Paare brachten also ihre klei­nen Kinder mit, aber dadurch wurde die Schulung gestört. Da schlu­gen die Frauen vor: >Anstatt daß die Nachbarn uns bei der Beauf­sichtigung der Kinder helfen, wäre es besser, wenn die Männer Zu­hause blieben, um auf die Kleinen aufzupassen, während die Frauen in der Schulung sind; so können wir uns schulen, ohne dabei gestört zu werden, und andererseits sehen die Männer besser, was es heißt, Kinder zu beaufsichtigen.« Und so machen wir's auch. Sechsmal im Monat gehen die Frauen zur Schulung, und die sechs anderen Male die Männer. Die Frauen sind mit dieser Lö­sung sehr zufrieden: >Wir haben eine wirksame Methode gefunden, die Politik zu studieren«, sagen sie . . .«

In diesem Augenblick unterbrach eine alte Bäuerin Dung Anming in ihrem Bericht:

»Einen Abend, als ich zur Schulung gehen sollte, fing es in Strö­men an zu regnen. Es war ganz dunkel. Mein Mann riet mir, bei diesem Wetter und in der Finsternis nicht auf die Straße zu gehen. Ich hab' ihm geantwortet: >In der Vergangenheit war ich trotz des Tageslichts wie blind, denn wie fast alle Frauen konnte ich weder lesen noch schreiben. Heute, wo ich über sechzig bin, gehe ich wieder zur Schule, um mit den anderen Frauen revolutio­näre Erfahrungen auszutauschen, um mich umzuerziehen und mein politisches Bewußtsein weiterzuentwickeln, und Du willst, daß ich heute abend zuhause bleibe? Du weißt nicht, was das Studium uns Frauen bedeutet.« Ich erzähle Ihnen diese Geschichte, denn sie zeigt, daß die Frauen sehr stark am politischen Unterricht interessiert sind.«

Offensichtlich verlegen, in der Öffentlichkeit und vor Auslände­rinnen zu sprechen, hatte sich die alte Bäuerin doch dazu ent­schlossen, denn sie wollte uns zeigen, worauf es ihr im wesent­lichen ankam: die Frauen haben ein brennendes Verlangen nach dem Studium! Dung Anming fuhr fort:

»Zweitens: alles zu tun, um die große revolutionäre Kritik voran­zutreiben. Wir Frauen müssen einen umfassenden Kampf gegen alle Äußerungen des Revisionismus führen, vor allem müssen wir eine radikale Massenkritik an den alten Orientierungen der Frauenorganisationen entfalten.

Drittens: alles daranzusetzen, daß die Frauen vollauf an den ver­schiedenen politischen Aktivitäten teilnehmen, d. h. daß sie ihre Rolle als >Hälfte des Himmels< spielen. Man findet Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Führungsorgane; aber es gibt noch zu viele Frauen, die nicht wagen, ihre Meinung auf öffentlichen Versammlungen vorzubringen, oder aber wenn sie es tun, schenken ihnen manche Männer nicht genügend Aufmerksam­keit. Unsere Rolle besteht darin, dieses Problem zu untersuchen, die Massen zu mobilisieren und es zu lösen.«

Das erinnerte mich daran, was uns der politische Ausbilder einer Schule des »7. Mai«(*) in der Nähe von Peking gesagt hatte: »Wenn wir für eine verantwortungsvolle Aufgabe zwei Personen haben, einen Mann und eine Frau, die in gleicher Weise geeignet sind, sie zu übernehmen, dann ist es die Politik der Partei, diese Auf­gabe bevorzugt der Genossin Frau anzuvertrauen. Das ist ein revolutionäres Prinzip.«

»Viertens: die alten rückschrittlichen Ideen bei den Männern, aber auch bei den Frauen zu zerstören, vor allem die Idee der angeb­lichen Überlegenheit der Männer auf bestimmten technischen Ge­bieten. Wir achten darauf, daß die Frauen an allen gesellschaft­lichen Aktivitäten ohne jede Ausnahme teilnehmen. Wir führen einen gnadenlosen Kampf gegen den Aberglauben, der die Frauen in der Vergangenheit ganz besonders unterdrückt hat.« Das war für die Genossin DungkeineswegseineliterarischeFormel, sondern eine sehr konkrete Realität. Die Bergarbeiter von Anyuan hatten uns erzählt, daß man früher behauptet hätte, die Frauen brächten Unglück, und wenn jemand eine von ihnen in der Nähe eines Schachtes sah, weigerten sich die Arbeiter einzufahren, da sie glaubten, er sei verflucht. Oder jene andere Geschichte, die die besondere Rolle der Frauen im Kampf gegen den Aberglau­ben sehr verdeutlicht: eine alter Glaube besagte, daß es den Frauen verboten sei, in den religiösen Tempeln Weinopfer darzubringen. Eine Frau, die davon trinke, würde, vom Himmel gestraft, auf der Stelle sterben. So veranstalteten die rebellischen Frauen vor den entsetzten Dorfbewohnern öffentliche Weinproben, und als diese sahen, daß sie keineswegs daran starben, wurden ihre aber­gläubischen Vorstellungen stark erschüttert.

Dung Anming berichtete noch folgende andere Geschichte:

»Vor einigen Jahren hatten wir ziemliche Wolkenbrüche; die Ernte wur­de hektarweise zerstört, Felder von Sturzbächen weggespült. Ein 500 kg schwerer Felsbrocken wurde über einen Kilometer weit weggetragen. Da versuchte ein Klassenfeind, Hen, die Massen zu demobilisieren. Er erzählte überall: >Der Sturzbach, den man auf den Berghängen sieht, das ist der Gott der Pest, der sich auf die Erde stürzt. Man darf sich ihm nicht entgegenstellen, sonst wird alles verwüstet werden.« Diese feudalen Reden stifteten bei einigen Bauern Verwirrung, und einige Alte glaubten fast, daß das eine Strafe des Himmels für die gesellschaftlichen Veränderungen sei, die die Bauern unternommen hatten. Da trat die Genossin Pin hervor und hielt eine Rede an die Dorfbewohner: >Der Sturzbach ist lediglich Wasser. Er ist durch den starken Regen entstanden. Was kann er verwüsten? Die Häuser und die Felder, aber er kann nicht alles zerstören, wie Hen behauptet. Er kann nicht unseren Willen zerstören, die Revolution bis zum Ende zu führen. Das schafft keine Macht der Welt. Wir dürfen nicht nur keine Angst haben, >bestraft< zu werden, wir müssen auch unsere ganze Kraft daransetzen, diesen naturgegebenen Schaden zu beseitigen. Wenn wir den Lauf des Sturzbaches umlenken, werden wir verhindern, daß auch andere Ernten und andere Siedlungen verwüstet wer­den. Also, an die Arbeit!« Sie organisierte für diese Arbeit die Frauen, die dann dabei eine große Rolle spielten. In einem er­bitterten, mehrere Tage andauernden Kampf haben wir mehr als 30000 m3 Erde verlagert und so haben wir es geschafft, den Sturzbach völlig zu bezwingen! Und in jenem Jahr haben wir trotz der sintflutartigen Regenfälle eine reichhaltige Ernte gehabt, die die des Vorjahres um 25000 kg übertraf. Die Massen der armen und Mittelbauern der Kommune von Chawan haben gegen den Himmel und die Erde und die Klassenfeinde gekämpft und den Sieg davongetragen. In allen Kämpfen haben die Frauen eine umfassende Rolle gespielt und damit die Einschätzung Mao Tse-tungs bestätigt, daß die Frauen eine entscheidende Kraft für den Sieg der Revolution sind.

Fünftens: mit doppelter Anstrengung die ideologische Revolutio­nierung der Familie voranzutreiben. Auch da haben die Frauen einen entscheidenden Gesellschaftsbeitrag zu leisten. Wir haben dafür hier schon zahlreiche Beweise gehabt. Vielleicht kann Ihnen die Genossin Li Mahsien ihre Erfahrung darüber berichten.« Li Mahsien, eine Frau von etwa vierzig Jahren mit sonnenver­branntem Gesicht, ergriff das Wort:

»Die Brigade brauchte einmal einen Gemeinschaftstisch. Als ich davon hörte, sagte ich zu den Genossen, daß ich einen zuhause hätte und daß sie ihn nehmen sollten. Als mein Mann erfuhr, daß ich diesen Tisch verliehen hatte, wurde er wütend und sagte: Manche Frauen gehen arbeiten, um von draußen mehr Sachen in die Familie hineinzubringen, aber ich habe eine Frau, die macht das Gegenteil und gibt nach draußen, was in der Familie war.« Nach diesen Worten habe ich in unserer Familie eine Versammlung zum Studium der Maotsetungideen organisiert. Insbesondere habe ich die revisionistische Auffassung Liu Schaotschis kritisiert, daß zwischen dem kollektiven und dem privaten Interesse kein Wider­spruch bestünde. Das sind heuchlerische Worte, um den Egoismus zu propagieren. Wir, die armen Bauern, wir müssen uns völlig in den Dienst des Volkes stellen. Das heißt, trotz unseres persön­lichen Interesses müssen wir gegen den Egoismus kämpfen und uns eine proletarische Auffassung der Welt aneignen, indem wir das Interesse der breiten Massen immer in den Vordergrund stel­len. Meine Schwiegermutter erinnerte bei dieser Gelegenheit an die Leiden der Vergangenheit und an das Glück der Gegenwart und sagte: >Sollen wir egoistisch genießen und nur an unsere eigene Familie denken? Sollen wir die Vergangenheit, die 700 Millionen Chinesen und die 3 Milliarden Menschen auf der Erde vergessen? Sollen wir unseren >Besitz< schützen und vergessen, daß zwei Drittel der Menschheit noch unter Ausbeutung und Unterdrük-kung leben?« Diese Diskussion hat meinen Mann völlig verändert. Heute denkt er vor allem an den kollektiven Besitz und erst danach an seinen. Als die Genossen den Tisch nach einiger Zeit wieder zurückbrachten, leistete er Selbstkritik und sagte: »Wenn die Brigade irgendetwas braucht, kann sie es immer aus unserem Haus nehmen.«

Die revolutionäre Transformation der Familie ist eine sehr viel­seitige Aufgabe; wie wir weiter unten sehen werden, betrifft sie nicht nur die Umgestaltung ihrer gesellschaftlichen Funktion und die Zerstörung des Privatinteresses, sondern genauso die allmähliche Schaffung neuer Beziehungen zwischen Männern und Frauen sowie die radikale Umwälzung des Eltern/Kinder-Verhältnisses. Wir möchten darum in diesem Zusammenhang betonen, daß die chinesischen Revolutionäre die Entwicklung der Familie nicht nur als bloße Folge der gesellschaftlichen Umwälzungen, sondern auch als notwendige Bedingung der Revolution betrachten; daß die Frauen ganz selbstverständlich für ihre »Lenkung« verantwortlich sind; und daß schließlich diese »Revolution« eine der grundlegend­sten Aufgaben ist, die die Frauen für die Menschheit zu erfüllen haben. Dung Anming sagte weiter: »Wir können das Ziel der Revolutionskomitees folgendermaßen zusammenfassen: unter der Führung der Partei und des Vorsitzenden Mao die historische Rolle der Frau voll zur Geltung zu bringen.« Man täusche sich nicht! Es geht in China nicht einfach darum, die Frauen für die Revolu­tion »zu gewinnen« und selbstverständlich noch weniger darum, sie zu neutralisieren, sondern ihnen zu ermöglichen, ihre historische Rolle, auf die die Revolution nicht verzichten kann, bis zu Ende zu spielen. Wie wird die neue chinesische Frauenvereinigung aus­sehen? Eins ist sicher: sie wird sich auch in Zukunft, nach dem Beispiel der Komitees von Chawan und in Ubereinstimmung mit lern Kurs Mao Tsetungs in dieser Frage, auf die Anerkennung des entscheidenden Beitrags der Frauen in der Revolution grün­den. Sie hat nichts gemein mit den paternalistischen Reden Liu Schaotschis sowie mit der Auffassung einer herrschenden Strö­mung innerhalb der III. Internationalen, die in den Frauen ledig­lich eine zurückgebliebene, leicht manipulierbare Masse sah, für die man nur »irgendetwas zu machen« brauchte, um sie für die Sache zu gewinnen.

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* Kaderschulen des 7. Mai: sie wurden während der Kulturrevolution ins Leben gerufen, und ihre Aufgabe ist es, Industrie-, Handels- und Verwaltungskader umzuschulen.

Quelle: Claudie Broyelle, Die Hälfte des Himmels, Frauenemanzipation und Kindererziehung in China, Westberlin 1973, S. 36-40