Über linke Politik in Albanien
Ein Interview mit „Organziata Politike“  zur Lage der arbeitenden Klasse in Albanien

von Max Brym

08/2016

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Albanien steht nicht gerade im Fokus der Weltpolitik und hat auch bezüglich der Aufmerksamkeit der Linken in Deutschland keinen hohen Stellenwert. Das ist allerdings  ein Fehler. Die Organisation „Organizata Politike“ existiert seit etwa acht Jahren in Albanien und bemüht sich darum, die sozialen Kämpfe von Studenten und Arbeitern und Arbeiterinnen zu verbinden. Ein Besuch in ihrem Zentrum in Tirana erinnert an viele linke Zentren in Deutschland, vor allen Dingen in den siebziger Jahren. Das alte Gebäude im Zentrum Tiranas hat einem Garten und einen Hof in dem für Aktionen, Transparente und Plakate angefertigt werden. Im Zentrum selbst befinden sich drei Büro -Räumlichkeiten, sowie ein Aufenthaltsraum in dem das Rauchen erlaubt ist. Überall hängen Bilder von Karl Marx, Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci sowie von Ernesto Che Guevara. Vor einigen Tagen führte der Autor dieser Zeilen ein Interview mit Klodi Leka, Alfred Bushi und Syzana Kurtallari in Tirana.

Max Brym - Ihr bezeichnet euch als weit links stehende Organisation wie seid ihr auf den Namen „ Organizata Politike“ gekommen. Den Namen versteht man ja auch in Deutsch.

Klodi Leka: Wir beziehen uns sehr stark als linke Organisation, auf dem französischen Philosophen Alain Badiou . Wir gehen davon aus das die Teilung der Gesellschaft in Klassen überwunden werden muss . Wir unterstützen jede selbständige Formierung von Studenten und Arbeitern, welche die soziale Frage in den Mittelpunkt ihres Engagements stellen. Wir wollen soziale Gleichheit, Demokratie, sowie die Absage an jede Form von Unterdrückung und Militarismus.

Max Brym- Wie stark ist eure Organisation, welche Verankerung habt ihr bei den Studenten und den Arbeiten?

Klodi Leka -Es dürfte nicht überraschen, wenn wir festhalten, dass wir keine Massenorganisation und noch keine politische Partei darstellen. Dennoch geben wir regelmäßig eine Studentenzeitung heraus und spezielle Flugblätter für die Arbeiter in den klassischen und den nicht klassischen Sektoren, in welchen Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt sind. Natürlich kümmern wir uns auch besonders um die spezielle Unterdrückung vor allen Dingen von Roma ,welche gegenwärtig aus ihren traditionellen Stadtvierteln rund und um Tirana ausgesiedelt werden sollen. Die Regierung befürchtet Widerstand von diesen besonders unterdrückten Menschen.

Max Brym - Ihr habt mir gerade eine Broschüre in die Hand gedrückt mit dem bezeichnenden Titel“ „Die Lage der arbeitenden Klasse in Albanien“. Die Broschüre hat fast den gleichen Titel wie das Buch von Friedrich Engels, „Über die Lage der arbeitenden Klasse in England“ aus dem Jahr 1845. Ist das Zufall?

Alfred Bushi -Nein absolut kein Zufall. Die Broschüre, welche von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tirana und einer anderen Organisation herausgegeben wurde, zeigt wie sehr sich die Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen mit der Lage der Arbeiterklasse in England im Jahr 1845 vergleichen lässt. Es genügt eigentlich bestimmte Namen abzuändern, oder Manchester durch das Erdölarbeitergebiet Ballsh zu ersetzen. Wer dies tut hat eine höchst aktuelle Schrift von Engels in der Hand.

Max Brym- Dann erzähl uns doch mal was zur Lage der arbeitenden Klasse in Albanien.

Alfred Bushi- Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 25 %. In der Realität jedoch ist die Arbeitslosigkeit wesentlich höher. Alle Arbeitslosen leben im Elend. Viele von ihnen können nur existieren wegen der Gelder aus der Arbeitsemigration in Europa. In den klassischen Sektoren sind die Arbeiter im wesentlichen in drei Bereichen tätig. Erstens im Bergbau, zweitens beim Abbau von Chromerzen und Rohstoffen, sowie drittens im Bereich der Erdölförderung und der Erdölraffinerien. Alle diese Sektoren sind privatisiert und die Rechte der Arbeiter und Arbeiterinnen stehen nur auf dem Papier. Der Durchschnittslohn dürfte sich bei 220 € umgerechnet bewegen. Der Mindestlohn liegt bei umgerechnet knapp 140 € im Monat. Ob die Arbeiter die Löhne auch erhalten ist oft nicht sicher. Erst kürzlich streikten die Arbeiter in der privatisierten Erdölindustrie weil sie zehn Monaten lang keine Löhne mehr erhielten. Nachdem der Streik sich radikalisierte gab es durch das Management und durch die Regierung bestimmte Nachzahlungen. Die Arbeiter in den Minen arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen, vor allen Dingen im puncto Sicherheit. Nirgendwo sonst auf dem Balkan und in Europa gibt es so viele Arbeitsunfälle wie in diesem Sektor. Die privaten Investoren investierten nichts in den Bereich der Sicherheit. Nachdem im Jahr 2011 mehrere Bergarbeiter tödlich verunglückten, gab es einen wochenlangen Streik der letztendlich durch die damalige Regierung Berisha, gewaltsam mittels des Einsatzes von Spezialpolizisten gebrochen wurde. Ähnliche Arbeitsbedingungen herrschen bei den Arbeitern welche Chrom abbauen. Viele Arbeiter in Albanien sind im Dienstleistungssektor beschäftigt. Unter Dienstleistungssektor versteht man im wesentlichen nicht nur den Kellner in Tirana, sondern vor allen Dingen auch den größten Arbeitgeber in der Hauptstadt, die Callcenter. Dort arbeiten im wesentlichen Jugendliche welche in Italien anrufen, um irgendwelche Produkte zu verhökern. In allen Sektoren gilt, dass der Kündigungsschutz meist nur auf dem Papier besteht. Es wird gefeuert und geheuert nach Gutdünken. Das ist besonders im Immobilienbereich zu beobachten. Besonders ausgebeutet werden viele Frauen von italienischen und türkischen Textilkapitalistin in der Umgebung der Hafenstadt Durres. In letzter Zeit finden dort allerdings wegen „ Weltmarktproblemen“ viele Entlassungen statt. Die Krise in Italien ist in Albanien zu spüren.

Max Brym - Gibt es Gewerkschaften oder gar kämpferische Gewerkschaften in Albanien?

Klodi Leka - Nein es gibt zwei große gewerkschaftliche Dachverbände, die sich vollständig unter der Kontrolle der beiden großen Parteien in Albanien befinden. Der eine gewerkschaftliche Dachverband arbeitet eng mit der „Demokratischen Partei“ ( DP) des ehemaligen Ministerpräsidenten Berisha zusammen und der andere Dachverband ist eng an die so genannten Sozialisten ( SP) vom Premierminister Edi Rama gebunden.Es gibt aber immer wieder spontane Streiks von den Arbeitern . Unsere Arbeiter reagieren oft sehr impulsiv und spontan. Was fehlt ist die gewerkschaftliche und politische Organisation. Dennoch existieren bestimmte Einzelgewerkschaften welche sich nicht vollständig unter Kontrolle der beiden Mafia Parteien befinden.

Max Brym - Wie sieht eure Arbeit unter den Studierenden aus?

Syzana Kurtallari - In Albanien gibt es jede Menge Privatuniversitäten an denen die Kinder der privilegierten Kaste studieren. Gegenwärtig findet eine Teilprivatisierung der öffentlichen Universität im ganzen Land statt. In vielen kleineren und mittleren Orten wurden im Rahmen dieser Teilprivatisierung schon ganze Universitäten geschlossen. Bereits jetzt ist das Studium in Albanien ein finanzielles Abenteuer und mit enormen Entbehrungen verbunden. Ein Semester soll in Zukunft mindestens 300 € kosten. Daneben bezahlen jetzt schon Studenten und Studentinnen viel Geld in den Studentenwohnheimen. Auch das Essen ist nicht kostenlos sondern eher geschmacklos und relativer teuer. Die Privatisierung der öffentlichen Universitäten wird das ganze Problem verschärfen und den Kindern aus Arbeiter und Bauernfamilien, die Möglichkeit nehmen Universitäten zu besuchen. Dagegen führten wir viele Widerstandsaktionen und Proteste durch. Wir rechnen ab kommenden Herbst damit, dass die Proteste neuerlich aufflammen und die Regierung unter Druck setzen.

Max Brym - Habt ihr Beziehungen zu anderen linken Organisationen außerhalb Albaniens?

Klodi Leka - Wir haben Kontakte zur „Vereinigten slowenischen Linken“ zu radikal linken Organisationen in Griechenland, worunter wir nicht Syriza verstehen, wir haben Kontakte nach Mazedonien und selbstverständlich zur „Bewegung für Selbstbestimmung“ (VV) in Kosova.

Max Brym - In der deutschen Linken findet des Öfteren ein Streit über die unterschiedliche historische Bewertung der nationalen Frage und des nationalen Selbstbestimmungsrechtes durch Rosa Luxemburg und Lenin statt. Auf wen bezieht ihr euch in dieser Frage?

Klodi Leka - Selbstverständlich stehen wir in dieser Frage auf dem klassisch leninistischen Standpunkt. Wir unterscheiden zwischen dem Nationalismus von unterdrückenden und unterdrückten Nationen für uns gibt es keinen Internationalismus ohne Akzeptanz des Selbstbestimmungsrechtes, bis hin zur staatlichen Loslösung. Zu dieser Frage studieren wir gerade sehr intensiv die Werke von Frantz Fanon.

Max Brym - Wie würdet ihr generell eure politische Bewegung charakterisieren?

Klodi Leka - Wir orientieren uns an den Werten der klassischen Sozialdemokratie.

Max Brym - Was soll das heißen? Orientiert ihr euch an der deutschen Sozialdemokratie oder gar an New Labour ?

Syzana Kurtallari - Nein ganz im Gegenteil. Wir orientieren uns an den klassischen Werten der Sozialdemokratie, wie sie Marx unterstützte und die von Bebel und Liebknecht in Deutschland geleitet wurde. Wir benutzen die Formulierung auch um uns deutlich von bürokratisch stalinistischen Strukturen abzugrenzen. Wir sind emanzipatorische radikale Linke.

Max Brym - Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg.  

Editorischer Hinweis

Wir erhielten das Interview vom Autor für diese Ausgabe.