Kommentare zum Zeitgeschehen

Der rechte Radikalismus, die Alterskrankheit im Kapitalismus

 von
Wolfram Bücker und Willi Gettel
 

08/2016

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onlinezeitung

Der goldene Westen ist nicht mehr golden – jedenfalls nicht für die, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um leben zu können. Die ist immer weniger gefragt. Moderne Technik ersetzt sie. Überfluss wird produziert, nur mit der Nachfrage hapert´s. Großen Teilen der Bevölkerung fehlt das Geld, sich mehr als das Nötigste zu kaufen. Statt Lohnerhöhung Mieterhöhung, statt Arbeitsplätze Sklavenarbeit und staatliche Drangsalierung, statt Gerechtigkeit ein „Rechtsstaat“, in dem Reiche mehr Rechte haben als Arme. Über allem schwebt eine Krise, die kein Ende nimmt.

Die herrschende Politik hat keine Antworten, geschweige denn Lösungen. Die Parteien schwätzen und schwätzen und die Medien vervielfältigen das Geschwätz. Die Menschen verzweifeln. Das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat schwindet. Der Spätkapitalismus ist von unzähligen Krankheiten befallen. Der Rechtsradikalismus als Seuche nimmt einen Spitzenplatz ein.

Als es den Leuten noch besser ging, war seine Ansteckungsgefahr gering. Biergetränkter Blechfaschismus, Anbetung alten NS-Gerümpels, hirnloses Gegröle, primitiver Rassismus und alltägliche Brutalitäten riefen keine Massenbegeisterung hervor. Die randdebilen bis verblödeten neuen Herrenmenschen blieben unter sich und genossen ihr Höhlendasein. Mit dem Anbruch der Krise witterten sie wie Aasgeier Morgenluft.

Die Krise hat gefährliche Formen angenommen. Krieg und Kriegsdrohung sind alltägliche Themen. Die Menschen, die nach Europa fliehen, fliehen vor Hunger, Krieg und Tod. Nicht, weil sie nur besser leben wollen. Es ist eine menschliche Pflicht, ihnen zu helfen, anstatt sie zu jagen, sie mit Hetze und Hass zu überschütten, ihre armseligen Unterkünfte zu brandschatzen und sie zu ermorden. Die Willkommensparole lenkt von den Ursachen ab. Die Verantwortlichen beim Namen zu nennen, wagt die Regierung nicht.

Die Flüchtlinge werden als Belastung wahrgenommen. Schließlich gehe es der eigenen Bevölkerung selbst immer schlechter. Die Privilegien und Verschwendungen der Reichen und Mächtigen sind allerdings teurer zu veranschlagen, aber vor denen haben Nazis Respekt. Das ist ihre Natur. Die Flüchtlingsströme sind ihre Stunde. Sie können jetzt nicht nur ihren Drang ausleben, über Schwächere und Wehrlose herzufallen, sie haben jetzt das ersehnte massenwirksame Feindbild, mit dem sie niedrigste Instinkte mobilisieren.

Antifaschistischer Widerstand ist wirkungslos, ist er zugleich nicht antikapitalistisch. Faschismus ist eine Staatsform des Kapitalismus, die demokratische Formen verdrängt, wenn die Regierenden mit ihrem Latein am Ende sind. Dann wird der faschistische Bluthund als Ordnungsfaktor von der Kette gelassen. Es kommt nicht von ungefähr, dass der neue Nazismus in der aktuellen Systemkrise nicht nur gedeiht, sondern staatlicherseits auch geschont wird.

Faschismus wird brandgefährlich, erlangt er eine Massenbasis. Greift die Politik zu Ausreden und Lügen, um die Ursachen für Krise und gesellschaftlichen Niedergang zu verschleiern, liefern die Nazis vorsintflutliche Rezepte und handfeste Taten. Diese aber sind scheußlichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie ändern nichts an den Verhältnissen, sondern verderben den Rest. Antworten und Lösungen können sie nicht vorweisen. Sie haben nichts, was einen Ausweg weist, auch wenn sie noch so viele Menschen umbringen und ihre Behausungen in Brand setzen. Ihr Ziel ist so simpel wie menschenfeindlich. Erlangen sie die Macht, schaffen sie alle demokratischen und rechtsstaatlichen Errungenschaften ab. Missstände beseitigen sie nicht, dafür aber die Freiheit, sie zu kritisieren. Wer bereit ist, ihnen seine oder ihre Stimme zu geben, sollte sich die Konsequenzen überlegen, bevor es zu spät ist.

 

  • Den Kommentar erhielten wir von den Autoren für diese Ausgabe.

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