Brasilien ist das
Schlusslicht der sogenannten BRICS-Staaten, der
Schwellenländer China, Russland, Indien,
Brasilien und Südafrika. Von einer „aufstrebenden
Volkswirtschaft“, wie die Länder in vielen
Informationsplattformen noch tituliert werden,
kann im Fall des südamerikanischen Staates keine
Rede mehr sein.
Wirtschaft stagniert
Die Wirtschaftsdaten sprechen eine deutliche
Sprache. Seit der Weltwirtschafts- und
Finanzkrise 2008 hat sich in Brasilien das
Wirtschaftswachstum zurückgebildet. Für 2016
erwartet der Internationale Währungsfonds einen
Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 3,5 %. Auch
für das kommende Jahr wird keine Erholung in
Aussicht gestellt. Die Staatsverschuldungsquote
liegt bei Zweidritte des BIP.
Bei der Inflationsrate hat Brasilien mittlerweile
einen Spitzenplatz erobert wie bei der
Arbeitslosigkeit, die beide gegen 10 % streben.
Die dramatische Wasserknappheit in
Ballungszentren wie Sao Paulo kennt man ansonsten
nur von den imperialisierten sogenannten
Entwicklungsländern. Brasilien muss zudem
gegenüber anderen schwächelnden BRICS-Ländern
Nachteile in Kauf nehmen, da es weder dank
Militärmacht ein weltpolitischer Faktor sein kann
wie Russland noch ein wirtschaftlich relevantes
Alleinstellungsmerkmal hat wie Südafrika im
Edelmetallbereich. Das Fundament von Brasiliens
Wirtschaft ruht v. a. auf dem weltweit größten
Eisenerzabbauer Vale. Sein Anteil liegt bei 35 %.
Der Konzern wurde 1997 privatisiert, jedoch von
der regierenden Partido de Trabalhadores
(Arbeiterpartei) seither nicht
wiederverstaatlicht. Er war im Mai 2015 für die
riesige Umweltkatastrophe verantwortlich, die
durch einen Staudammbruch einer Erzmine ausgelöst
wurde. Ein zweites Standbein ist der
Erdölförderer Petrobras, an dem der Staat einen
hohen Anteil besitzt. Trotz entdeckter neuer
Rohölvorkommen vor der Küste musste das
Unternehmen auf Grund des Ölpreisverfalls in den
vergangenen beiden Jahren Milliardenverluste
schreiben. Außerdem machte die Verwicklung in
einen Korruptionsskandal Schlagzeilen.
Politische Krise…
Dieser Skandal hat eine politische Dimension
erreicht, die das ganze Land in eine schwere
Krise gestürzt und seinen zugespitztesten
Ausdruck in der vorläufigen Suspendierung der
Präsidentin Dilma Rousseff gefunden hat. Aus den
ursprünglichen Protesten der Bevölkerung gegen
Fahrpreiserhöhungen Mitte 2013 wurde nach deren
Abflauen eine gezielte Kampagne von reaktionären
Oppositionskräften gegen die regierende PT. Die
Arbeiterpartei hatte sich zwar seit Übernahme der
Regierungsgeschäfte 2002 als brave Vollstreckerin
bürgerlicher Politikvorgaben erwiesen, dennoch
bot die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die
Verstrickung in Schmiergeldaffären willkommenen
Anlass für eine vom Imperialismus inszenierte
großangelegte politische Kampagne in ganz
Lateinamerika. Sie soll das Rad wieder
zurückzudrehen und Hemmnisse für einen
ungebremsten neoliberalen Kurs mit Sozialabbau,
Lohnkürzungen, Privatisierungen und
Steuervorteilen für das Großkapital beseitigen.
Bereits 2014 hieß es im Handelsblatt, dass das
Kapital im Herbst des Jahres auf einen Wechsel an
der Regierungsspitze hoffte und die Märkte „die
ungeliebte Politik des Interventionismus“, d. h.
staatliche Subventionen und Steuerung des
Leitzinses, beendet sehen wollten. Dies
verspricht nun der neue Amtsinhaber, der
bisherige Vizepräsident Michel Temer von der
Partido do Movimento Democratico Brasileiro,
einer offen bürgerlichen Partei, die sich selber
seit Jahrzehnten im Korruptionssumpf suhlt. Sie
will der brasilianischen ArbeiterInnenklasse eine
Schocktherapie verordnen und neben
Investitionsanreizen für das internationale und
heimische Kapital das Sozialprogramm der PT
zusammenstreichen. Dies und die Art und Weise, in
der die politischen Machtverhältnisse ohne
Legitimation von Parlamentswahlen umgepolt werden
sollen, polarisieren und lähmen die politische
Landschaft. Sogar zwei Mitglieder des
umgebildeten Kabinetts sind bereits
zurückgetreten.
…und der Sport
Wurde noch von der Ziehung zweier sportlicher
Gigaveranstaltungen für Brasilien wie der
Fußballweltmeisterschaft 2014 und den Olympischen
Sommerspielen 2016 ein wesentlicher
wirtschaftlicher Wachstumsschub für das Land
erhofft, so fällt bereits die Zwischenbilanz
ernüchternd aus. Die eigens gebauten Arenen
stehen leer, fahren Millionenverluste ein und
hinterlassen umweltfeindliche Krater in der
Landschaft. Als weitere Kollateralschäden der WM
sind halbfertige Flughäfen und neue Straßenbahnen
ohne Gleise zu besichtigen. Dasselbe Schicksal
blüht auch den olympischen Sportstätten, die
nicht infrastrukturell zu vermarkten sind. Doch
schon jetzt plagen den Ausrichter, die Stadt Rio
de Janeiro und die gleichnamige Provinz,
erhebliche Geldsorgen für die Finanzierung der
Spiele, so dass nun die Zentralregierung
einspringen und der Regionalverwaltung
umgerechnet 755 Millionen Euro als Darlehen
zusagen musste.
Im Vorweg der Spiele wurde wegen in Brasilien
aufgetretener Missbildungen bei Säuglingen durch
das Zika-Virus und Ansteckungsgefahren von
Gesundheitsexperten die Verlegung oder
Verschiebung der Olympiade angemahnt. Die wird es
natürlich aus Prestige- und Profitinteressen
nicht geben, dennoch haben immerhin einige
namhafte Sportler ihre Teilnahme in Rio wegen
eben dieser Risiken abgesagt. Aufhorchen ließ
auch die kürzliche Sperrung des
Anti-Doping-Labors in Rio durch die weltweite
Anti-Doping-Agentur WADA. Anscheinend hielt die
WADA die sichere und zeitnahe Weiterleitung von
Blut- und Urinproben von AthletInnen für nicht
gewährleistet. Das Thema Doping beschäftigt die
Öffentlichkeit schon seit über 30 Jahren. Das
Problem des Einsatzes unerlaubter
leistungssteigernder Mittel im Sport hat man
jedoch trotz aller Beteuerungen von
Sportfunktionären und Einrichtung von
Institutionen zur Überprüfung und Bekämpfung
dieser Seuche nie in den Griff bekommen.
Die jüngsten Enthüllungen über gedopte
Medaillengewinner bei den Winterspielen in
Sotschi und die Sperrung der russischen
Leichtathletik für die Olympischen Spiele in Rio
de Janeiro haben die Diskussion erneut hochkochen
lassen. Auch der Sport muss im Zuge der
Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz
wieder als Schlachtfeld für politische
Auseinandersetzungen herhalten. Man muss keinen
Verschwörungstheorien anhängen, um zu begreifen,
dass der Teilausschluss russischer SportlerInnen,
neben LeichtathletInnen sind auch
GewichtheberInnen betroffen, von einem
sportlichen Weltereignis von internationaler
politischer Bedeutung ist. Der fast zeitgleich
angedrohte Hinauswurf der russischen
Fußballmannschaft von der Europameisterschaft
wegen Prügeleien russischer Hooligans passt ins
Bild, das an die Zeiten des offenen kalten
Krieges mit den Olympiaboykotten von 1980 in
Moskau und 1984 in Los Angeles anknüpft. Doping,
sofern es privatisiert - und dies wird es in den
tonangebenden imperialistischen Ländern
gleichermaßen - betrieben wird, zieht ganz nach
kapitalistischer Logik keine politischen
Sanktionen nach sich.
Auswirkungen für die ArbeiterInnenschaft und
die Armen
Eine Protestbewegung gegen den Aufwand für die
sportlichen Spektakel, die den ArbeiterInnen,
Armen und der Jugend keinen Gewinn, sondern nur
kapitalistischen Unternehmungen Profit bringen
können, ist zur Zeit nur schwach entwickelt. Aber
deren Aufkommen ist im Zusammenhang mit der
angespannten politischen Lage in Brasilien nicht
unmöglich, wie die spontanen Ereignisse vom Juni
2013 gezeigt haben. RevolutionärInnen sollten auf
sie vorbereitet sein. In der gegenwärtigen Lage
müsste diese vor allem darauf abzielen, den
Protest gegen Olympia und dessen Auswirkungen mit
dem Kampf gegen die Putschisten-Regierung von
Temer und deren Angriffe zu verbinden.
- per email
am 4.8.2016 von ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL,
Nummer 896, 4. August 2016
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