“Aufstehen gegen den
Rassismus“, „Welcome2stay“, „Nationalismus ist keine
Alternative“: Es mangelt nicht an bundesweiten
Vernetzungsversuchen gegen rechte Schläger, die
erstarkende AfD und auch gegen den staatlichen
Rassismus (wenngleich das Letztere bei „Aufstehen
gegen den Rassismus“ wenig ausgeprägt ist.
Viele Konferenzen, wenig Aktion
In den letzten Monaten fanden mehrere öffentliche
„Aktionskonferenzen“ statt. Aufstehen gegen Rassismus
und Welcome2stay zogen wie schon frühere ähnliche
Konferenzen hunderte TeilnehmerInnen an. Viele
artikulierten dabei ein Bedürfnis nach gemeinsamer
Aktion und verbindlicher Absprache. Auch Verbindung
des Kampfes gegen den Rassismus mit der „sozialen
Frage“,die Bildung eines schlagkräftigen bundesweiten
Bündnisses und internationale Koordinierung wurden
immer wieder eingefordert.
Gleichzeitig
zeichneten sich alle Treffen dadurch aus, dass wenig
bis gar keine verbindlichen Absprachen getroffen
wurden: „Aktionskonferenzen“mit reichlich wenig
Aktion! Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, dass
das Bündnis „Jugend gegen Rassismus“ mit dem
Schulstreik am 29. April sich deutlich davon
unterscheidet, obwohl es nur über geringe Kräfte und
finanzielle Mittel verfügt.
„Aufstehen gegen Rassismus“ legt den Schwerpunkt auf
die Ausbildung von „StammtischkämpferInnen“,
kombiniert mit einer mehr oder weniger diplomatischen
Absprache zu einer bundesweiten (Groß-)Demo am 3.
September in Berlin. Forderungen, die sich gegen die
Politik der Bundesregierung, also auch der SPD,
richten, gegen den Sozialchauvinismus der
Gewerkschaftsführungen wie auch der Spitze der
Linkspartei, blieben außen vor. Betrieben wird das
Bündnis von einer Allianz aus Teilen der
Gewerkschaftsbürokratie (darunter auch SPDlerInnen),
der Linkspartei, attac und „Interventionistischen
Linken“. Seine Ausrichtung ist letztlich das Ergebnis
diplomatischer Absprachen hinter verschlossenen
Türen.
„Welcome2stay“
präsentiert einen anderen „Lösungsansatz“. Statt eine
inhaltsleere Abschlussresolution zu präsentieren,
gibt es gar keine Bündnisabsprachen. So besteht
Mauschelei nicht in Formelkompromissen, sondern im
Konsens, dass nichts zu beschließen ist außer einem
„Folgetreffen“. Fragt sich nur, wie lange die
AktivistInnen sich solcherart von einer Konferenz auf
die nächste vertrösten lassen.
Das anti-national
bis anti-deutsch geprägte „Nationalismus ist keine
Alternative“ plagt sich angesichts dieses Zustandes
mit der Frage rum, ob es sich an den „Großaktionen“
anderer Bündnisse, insbesondere der bundesweiten Demo
am 3. September, überhaupt beteiligen soll. Besonders
„Radikale“ glauben anscheinend, die ReformistInnen
durch das Fernbleiben von größeren Aktionen und den
Verzicht auf Bündnispolitik „abzustrafen“.
Welches Bündnis?
Angesichts solcher StrategInnen erscheinen in
Deutschland oft die opportunistischen Kräfte der
„radikalen Linken“ als die klügeren. Immerhin haben
sie die für sich genommen recht banale Erkenntnis
voraus, dass die rassistische Gefahr, die vom
staatlichen Rassismus über die AfD bis hin zu offenen
Nazi-Gruppierungen reicht, nur durch eine Massenkraft
gestoppt werden kann.
Wenn es eine
Massenbewegung gegen den Rassismus geben soll,
braucht es aber auch einen ernsthaften Versuch, eine
solche aufzubauen. Das heißt erstens, dass große
Konferenzen zu verbindlichen Aktionsbeschlüssen
führen und gemeinsame Forderungen festlegen müssen.
Unserer Meinung nach sollte sich das auf folgende
Punkte konzentrieren:
a) Offene Grenzen
für alle! Nein zur Festung Europa und allen
Abschiebungen! Gleiche Rechte für alle, die hier
leben! Nein zu den staatlichen Zwangsmaßnahmen
gegen MigrantInnen und Flüchtlinge, nein zu
geplanten sog. „Integrationsgesetzen“!
b) Gemeinsamer Kampf für Arbeit und Wohnraum für
alle! Mindestlohn von 12,- Euro/Stunde für alle,
entschädigungslose Enteignung leerstehenden
Wohnraums und ein öffentliches Wohnungsbauprogramm
unter Kontrolle der MieterInnen und Gewerkschaften!
c) Aufbau eines bundesweiten und internationalen
anti-rassistischen Aktionsbündnisses!
Aktionskomitees in Betrieben, an Schulen, Unis, in
den Stadtteilen und Kommunen! Organisierte
Selbstverteidigung gegen rassistische und
faschistische Angriffe!
Taktik gegenüber
dem Reformismus
Zweitens reicht es nicht aus, die Forderung nach
einem Aktionsbündnis nur an jene Kräfte zu stellen,
die schon mehr oder weniger konsequent
„anti-rassistisch“ sind. Sie muss auch gegenüber den
Massenorganisationen formuliert werden, die die
ArbeiterInnenklasse politisch prägen und sich auf sie
stützen. Diese Kräfte sind heute nun mal die
DGB-Gewerkschaften, die SPD und die Linkspartei.
Unter vielen wird die Frage diskutiert, ob heute noch
ein „Bündnis“ mit der SPD oder die Anwendung der
Einheitsfronttaktik zulässig sei. Die kommunistische
ArbeiterInnenbewegung hat vor ihrer späteren
Degeneration in den 20er Jahren diese Frage eindeutig
bejaht. Sie hat dabei jedoch anders als viele der
heutigen BefürworterInnen solcher Bündnisse immer
darauf bestanden, dass die Einheitsfront auf die
gemeinsame Aktion beschränkt sein müsse und die
KommunistInnen nicht auf die Kritik an den
„PartnerInnen“ verzichten dürfen.
Genau diesen
Verzicht üben aber viele Kräfte der radikalen oder
zentristischen Linken, z. B. die IL und marx21 in
„Aufstehen gegen Rassismus“. Es scheint ihnen , dass
es ein Bündnis nur geben könne, wenn sie sich
politisch den Apparaten von Linkspartei,
Gewerkschaften und attac unterordnen.
Andere Linke wiederum sehen das als „Beleg“ dafür,
dass eine „Einheitsfrontpolitik“ gegenüber
reformistischen Massenorganisationen zwar „allgemein“
richtig, in der konkreten Situation aber gar nicht
möglich sei, weil es keine kommunistische Partei gebe
wie in den 20er Jahren.
Hier wird das
Problem auf den Kopf gestellt. Die falsche ultralinke
KPD-Politik in den 20er und frühen 30er Jahren
erschien ihren AnhängerInnen noch überzeugend wegen
der Verbrechen der SPD, aber auch wegen der
politischen Schwerkraft der KPD als Massenpartei.
Doch selbst unter diesen Bedingungen erwies sich der
Verzicht auf die Einheitsfronttaktik gegenüber der
Sozialdemokratie als fataler politischer Fehler, der
zu einer historischen Katastrophe geführt hat.
Umso fragwürdiger
ist die Vorstellung, dass angesichts der Schwäche,
Zersplitterung und politischen Konfusion der
„radikalen Linken“ die Frage nicht aktuell wäre, wie
die ArbeiterInnenklasse in ihrem realen und nicht
bloß gewünschten politischen Zustand mobilisiert
werden kann. Unbestritten ist die SPD heute eine
andere Partei als in den 20er Jahren, bürgerlich und
sozialchauvinistisch bis auf die Knochen war sie aber
auch damals. Die für die kommunistische Taktik
entscheidende Frage ist aber: Übt sie heute noch
immer einen wichtigen, ja dominierenden Einfluss auf
die organisierte ArbeiterInnenbewegung aus? Die Frage
zu stellen, heißt sie zu beantworten. Und wer es
nicht glaubt, untersuche nur das Verhältnis zwischen
SPD und Gewerkschaften!
Massenkraft nötig
Um die rassistische Welle im Land zu brechen, braucht
es eine Politik, die ArbeiterInnenklasse zu
mobilisieren, für den Kampf zu gewinnen. Das wird
ohne klare Forderungen, ohne bewussten Kampf gegen
Rassismus und Sozialchauvinismus in den eigenen
Reihen, aber auch ohne Forderungen an ihre
Organisationen nicht möglich sein. Natürlich kann
eine kleine linke Gruppierung den dazu nötigen Druck
nicht alleine entfalten. Es ist aber die
Mindestanforderung an revolutionäre Politik, das
offen auszusprechen, was heute notwendig ist, um den
Rechtsruck zu stoppen. Darüber hinaus ist es sehr
wohl möglich, auch größere Organisationen durch
Absprachen zwischen kleineren Gruppen auf bestimmte
Aktionen zu verpflichten oder diese wenigstens so
unter Druck zu setzen, dass sich Teile anschließen.
Die Ablehnung einer
systematischen Politik gegenüber diesen
Massenorganisationen sabotiert letztlich die für den
Sieg über die Rechten notwendigen Taktiken und
politischen Schritte. Ein solches Herangehen bleibt
bestenfalls abstrakt.
Es wird auch nicht
durch die Fehler anderer „Linker“ besser. Die
radikale Linke schwankt beständig zwischen
Sektierertum und Opportunismus, ob z. B. Bündnisse
mit „Bürgerlichen“ zulässig sind oder nicht. Schon
hinter der Formulierung steckt oft genug Verwirrung.
Welche Kräfte, Parteien sind eigentlich bürgerlich?
Für MarxistInnen sind das alle, die in letzter
Instanz das kapitalistische Privateigentum und die
bürgerliche Ordnung verteidigen. In diesem
grundlegenden Sinn sind Linkspartei, Grüne, SPD,
CDU/CSU und die AfD bürgerliche Parteien.
Wäre damit die Frage
politischer Taktik erschöpft, müsste jedes Bündnis
mit nicht-revolutionären Kräften abgelehnt werden.
„Revolutionäre“ Politik würde sich in Proklamation,
Aufklärung und Propaganda der Tat erschöpfen. Für
KommunistInnen ist das vollkommen unzureichend. Es
ist vielmehr nötig, unter den bürgerlichen Parteien
hinsichtlich ihres Verhältnisses zur
ArbeiterInnenklasse zu unterscheiden. Sind sie Teil
einer historisch gewachsenen, über Organisationen,
soziale Bindungen, Traditionen, Ideologien
vermittelten ArbeiterInnenbewegung oder nicht?
Stützen sie sich sozial und organisch auf die
ArbeiterInnenklasse? Auf SPD und Linkspartei trifft
das zu, daher charakterisieren wir sie als
bürgerliche ArbeiterInnenparteien.
Klassenkampf oder
„Bündnis der Demokraten“
Die Notwendigkeit
der Einheitsfronttaktik ergibt sich aber auch daraus,
dass der Kampf gegen den Rassismus ein integraler
Bestandteil des Klassenkampfes selbst ist.
Es geht nicht darum,
irgendein „breites Bündnis“, sondern eine
ArbeiterInneneinheitsfront gegen Rassismus
aufzubauen. Wir lehnen die Forderung nach einem
Bündnis der „Demokraten“, der „Anständigen“ usw. ab,
weil ihm zugrunde liegt, dass der Kampf gegen
Rassismus außerhalb der Sphäre des Klassenkampfes
stattfindet.
Nicht „die
DemokratInnen“, sondern die multiethnische
ArbeiterInnenklasse ist das potenzielle Subjekt
dieses Kampfes. Die Ziehung von Grenzen, nationale
wie rassistische Unterdrückung dienen - trotz der
damit einhergehenden Privilegien für Teile der
Klasse, die in Ländern wie Deutschland mit einer
großen ArbeiterInnenaristokratie sehr groß sein
können - letztlich nur der herrschenden Klasse und
der Aufrechterhaltung ihrer imperialistischen
Ordnung.
Zweifellos können
die chauvinistischen Teile der Klasse von dieser
Politik weg nicht durch bloße Überzeugungsarbeit
gewonnen werden. Es bedarf auch eines Organisierens
der rassistisch unterdrückten ArbeiterInnen und eines
entschiedenen Auftretens der unterdrückten und
bewussteren Teile der Klasse gegen jeden Chauvinismus
nicht nur von „Funktionären“, sondern auch an der
„Basis“.
Aber die notwendige Einheit im Kampf kann durch ein
Bündnis mit offen bürgerlichen Parteien nicht
hergestellt werden, wird vielmehr dadurch
konterkariert, weil es so erscheint, als ginge es
beim Kampf gegen den Rassismus um einen Kampf der
„Anständigen“ gegen die „Unanständigen“ aller
Klassen. Die Reformisten wollen im Grunde nur das. Um
aber ihren Einfluss in der Klasse zu brechen, reicht
es nicht aus, sie für ihre Unterordnung unter
bürgerliche Kräfte und ihre bürgerliche Politik zu
kritisieren. Sie müssen vielmehr zu einem Bruch damit
aufgefordert werden, um so auch den Gegensatz
zwischen den Interessen ihrer lohnabhängigen
AnhängerInnen und Mitglieder und den BürokratInnen
zuzuspitzen.
Beim Kampf um die ArbeiterInneneinheitsfront geht es
daher darum, aktiv an alle Organisationen der
ArbeiterInnenklasse heranzutreten. Gelingt es, die
Gewerkschaften oder reformistischen Parteien dafür zu
gewinnen, so muss von ihnen v. a. eine konsequente
Mobilisierung sowie eine Umsetzung der Verabredungen
auf allen Ebenen (Betriebe, Gewerkschaften,
Selbstverteidigung, Abstimmungen in Parlamenten)
eingefordert werden. Setzen sie diese Absprachen
inkonsequent oder gar nicht um, so müssen sie
öffentlich dafür kritisiert werden. Sollten sie sich
überhaupt weigern, gemeinsam zu mobilisieren, so
liegt die politische Verantwortung dafür bei ihren
Führungen. Das eröffnet zugleich die Möglichkeit, die
unzufriedenen AnhängerInnen dieser Kräfte davon zu
überzeugen, dass die ReformistInnen auch den
gemeinsamen Kampf für demokratische und soziale
Rechte nicht wirklich aufnehmen wollen und können.
Geheimabsprachen und politische Stillhalteabkommen
mit den BürokratInnen sind daher fehl am Platz. Sie
binden nur die Linken an die ReformistInnen und
suggerieren der Masse ein falsches und trügerisches
Gefühl der politischen Einheit. Einheitsfrontpolitik
muss daher mit offenem Visier geführt werden.
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PM per email von ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL
Nummer 897 13. August 2016
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