Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

2.900 Entlassungen bei Air France
Hemd kaputt – und die Arbeitsministerin genehmigt nunmehr die Kündigung eines Handlungsbevollmächtigten der CGT
 

08/2016

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Wir berichteten an diéser Stelle im Herbst 2015 ausführlich darüber (vgl. Air France: Fliegen ohne Flugzeug und Air France: latest news): Am 05. Oktober vergangenen Jahres sahen zwei führende Manager des Unternehmens Air France, respektive ihre Hemden, relativ zerrupft aus. Vorausgegangen war die Ankündigung von 2.900 neuen Entlassungen respektive Stellen-Streichungen bei Air France sowie eine Sitzung des Comité central d’entreprise (ungefähr: Gesamtbetriebsrats), bei welcher es ein wenig heiß zuging.

Am Montag, den 08. August 16 folgte dazu nun eine Entscheidung direkt aus dem Büro der Arbeitsministerin; vgl. etwa http://www.air-journal.fr/. Nachdem das zunächst nach ihr benannte „Arbeitsgesetz“ (auch: Loi El Khomri) nunmehr endgültig durchgedrückt wurde, fand Amtsinhaberin Myriam El Khomri Zeit, um die Entlassung eines Handlungsbevollmächtigten (délégué syndical) der CGT zu genehmigen. Vincent Martinez war zunächst vom Unternehmen gekündigt worden, obwohl aus den Videofilmen und Zeugenaussagen zu den Ereignissen vom 05. Oktober 2015 hervor geht, dass er eine „mäßigende Rolle“ (und keine vorantreibende) bei der „Gewalt gegen die Hemden“ spielte. Nur, er war eben zugegegen, also zur falschen Zeit am falschen Ort.

Solche gewerschaftlichen Handlungsbevollmächtigten oder délégués syndicaux, die u.a. die Unterschriftenvollmacht für im Unternehmen ausgehandelte Kollektivverträge (entspricht im Deutschen Firmentarifverträgen) besitzen, existieren in Frankreich in Unternehmen ab 50 Mitarbeiter/inne/n. Oder in kleineren, sofern eine Vereinbarung zwischen Arbeit„gebern“ und Gewerkschaften ein abweichender Schwellenwert vorgesehen ist.

Im Falle der Kündigung einer/s gewerkschaftlichen Handlungsbevollmächtigten, also einer Person, die unter einen besonderen Kündigungsschutz fâllt, muss die Verwaltung die Erlaubnis zur Entlassung erteilen. Die erste Instanz dafür ist die Arbeitsinspektion (inspection du travail), die nächst höhere die Bezirksdirektion für Arbeit, Beschäftigung und berufliche Fortbildung (DIRECCTE), und in dritter Instanz entscheidet schließlich das Arbeitsministerium über die Genehmigung einer solchen Kündigung. Danach steht der unterlegenenen Partei noch der Gerichtsweg offen, wobei die Richter/innen nur noch die juristische Rechtmäßigkeit der Entscheidung prüfen, aber natürlich nicht die „Opportunität“ (d.h. politische Zweckmäßigkeit) oder soziale Legitimität derselben.

In erster Instanz war in diesem Falle, Vincent Martinez, die Erlaubnis zur Kündigung im Januar d.J. abgelehnt worden (vgl. http://www.lemonde.fr/). Doch das Unternehmen ging in die höchste Verwaltungsinstanz gegen diese Entscheidung, zog also direkt vor das Arbeitsministerium (vgl. http://www.leparisien.fr).

Arbeitsministerin Myriam El Khomri hat also nun die Erlaubnis zur Kündigung erteilt. Der Hauptbetroffene, Vincent Martinez, spricht von einer „politischen Entscheidung“ (vgl. http://www.20minutes.fr ) und kündigte an, Rechtsmittel gegen dieselbe einzulegen; vgl. http://www.lefigaro.fr/

Auch bei linken Sozialdemokrat/inn/en, mit oder ohne Anführungszeichen, stieß die ministerielle Entscheidung. Wie etwa bei der langjährigen parteilinken Berufspolitikerin Marie-Noëlle Lienemann, die von einem „schweren Ungeschick“ und einem „schlechten Signal“ spricht (vgl. http://www.franceinfo.fr/ ), oder bei dem ebenfalls zur Parteilinken zählenden Arbeitsinspektor Gérard Filoche, er spricht von „einer Bösartigkeit“. (Vgl. http://www.challenges.fr/)

Insgesamt waren nach den Vorfällen vom 05. Oktober 15 zunächst fünf Lohnabhängige entlassen worden; vgl. http://www.europe1.fr/economie/ Ferner erstattete das Unternehmen Strafanzeige, und die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage vor der Strafkammer des Bezirksgerichts von Bobigny (nordöstlich von Paris), in dessen Einzugsbereich der Hauptsitz von Air France fällt. Dort wurde ein Strafverfahren gegen insgesamt fünfzehn Lohnabhängige eingeleitet; gegen fünf wegen der „Gewalttaten“ (gegen die Hemden) und gegen zehn weitere wegen „Sachbeschädigungen“.

Ursprünglich sollte der Prozess dort am 27. Mai dieses Jahres stattfinden, also während der sozial angespannten Periode der stärksten Proteste gegen das „Arbeitsgesetz“. An jenem Freitag versammelten sich dann auch rund 1.000 Menschen vor den Toren des Gerichts; Labournet war dort. CGT-Leitungsmitglieder hielten Ansprachen, danach spielte eine unwahrscheinliche Rockband unter dem ironischen Namen Soviet suprême („Oberster Sowjet“). Ihre Sänger, die den Anwesenden einheizten, hören auf die Künstlernamen John Lenin und Sylvester Staline (doch, doch), was aber Kritik an repressiven Praktiken auf der Sowjetunion auf der Bühne mit einschloss. Wobei die körperliche Ähnlichkeit mit John Lennon größer zu sein schien als jene mit Sylvester Stallone.

Drinnen vertagten die Gerichtsmitglieder den Prozess an jenem Tag jedoch. (Vgl. auch http://www.liberation.fr/ und http://www.lemonde.fr/sowie http://www.leparisien.fr/) Er wird nun am 27. und 28. September dieses Jahres erneut stattfinden. Wir werden unsere Leser/innen/schaft auf dem Laufenden halten...

Vgl. auch folgende Artikel/Beiträge dazu:

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.