Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

MOLEX: Sieben Millionen Euro Abfindung für gekündigte Lohnabhängige
Gericht gibt ihnen nach vorausgegangener Bossnapping-Aktion (in der Sache) nachträglich Recht

08/2016

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Ein Großteil der Öffentlichkeit dürfte sie zwischendurch vergessen haben; wir nicht! Vor nunmehr sieben Jahre berichtete der Verfasser dieser Zeilen (vgl. http://archiv.labournet.de/) über eine Bossnapping-Aktion beim Autozulieferer MOLEX im südwestfranzösischen Villemur-sur-Tarn. Eine Personaldirektorin und ein weiterer leitender Manager waren dort 25 Stunden lang durch aufgebrachte Lohnabhängige festgehalten worden. Das Unternehmen plante damals, alle 300 abhängig Beschäftigten zu entlassen, und verletzte dabei auf flagrante Weise die Anhörungsrechte des Comité d’entreprise (CE oder „Unternehmens-Ausschuss“: sehr vergröberte Entsprechung zum deutschen Betriebsrat). Die an der Bossnapping-Aktion beteiligten Arbeiter wurden damals durch die Strafjustiz unter erheblichen Druck gesetzt, und brachen die Sache daraufhin ab. Am 1. Oktober 2009 wurde das Werk dann geschlossen.

Zumindest in der Sache – sicherlich nicht bei der Methode, der des Bossnappings – hat ein Arbeitsgericht soeben jenen 191 Lohnabhängigen, die in der Folgezeit gegen ihre Entlassung klagten, vollkommen Recht gegeben. Das Unternehmen habe „mit sträflicher Leichtfertigung gehandelt“, urteile nunmehr das Berufungsgericht im südwestfranzösischen Toulouse.

Die Betroffenen bekommen dafür insgesamt sieben Millionen Euro Schadensersatzzahlungen zugesprochen. In erster Instanz vor dem Arbeitsgericht (Conseil des prud’hommes) von Toulouse, das im März 2014 sein Urteil sprach, waren es allerdings über zehn Millionen gewesen.

Das Gericht stellte fest, im Zeitraum von 2004 bis 2009 seien beim dazu gehörigen Konzen (dem MOLEX unterstand) die an die Aktionäre ausbezahlten Dividenen versechsfacht worden. Und diese hätten im Jahr 2009 stattliche 100 Millionen Dollar betragen, damals 72 Millionen Euro. Es war also nichts mit „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“, die einen betriebsbedingten Kündigungsgrund hätten darstellen können.

Den Job zurück wird es allerdings nicht geben. Nicht nur, dass das Werk bereits geschlossen ist, was so etwas im Allgemeinen schwierig macht; in Frankreich gibt es auch generell bei ungerechtfertigten Kündigungen im Allgemeinen allein Schadenserzatz, aber nicht den Job zurück. Das neue „Arbeitsgesetz“, das soeben in Kraft getreten ist (vgl. dazu nebenstehenden Artikel), führt zudem eine als Richtwert dienende Obergrenze für die Abfindungszahlungen ein. Ursprünglich war (im Vorentwurf vom Februar 2016) sogar vorgesehen gewesen, dass es den Arbeitsgerichten verboten sei, nach oben davon abzuweichen, wenn etwa die verurteilten Arbeit„geber“ mit besonderer krimineller Energie handelte, wie es hier der Fall zu sein scheint. Seit einem „Kompromiss“ vom 14. März d.J. dürfen die Arbeitsgerichte von der künftigen Tabelle abweichen; sie werden es aber extra begründen müssen, denn ansonsten droht wohl eine Aufhebung durch die übergeordneten Gerichte.

Das neue „Arbeitsgesetz“ (auch die Loi Travail genannt) sah daneben zunächst vor, dass Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten die künftig zu erwartenden Abfindungszahlungen für ungerechtfertigte Kündigungen als steuerbefreite Rücklage (!) ausweisen dürfen. Das hätte bedeutet, dass Unternehmen ungerechtfertigte Kündigungen aussprechen, sich auf ihre Verurteilung zur Zahlung von Geldern einstellen – und die dafür vorgesehnen Summen aus der Steuer hätten herausrechnen könnten. Diese Bestimmung im Artikel 65 des Gesetzestextes wurde jedoch vom Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 04. August 16 (vgl. http://www.conseil-constitutionnel.frl ) kassiert, und zwar, weil sie eine „sachfremde“ Regelung darstellte (d.h. ins Steuer- statt ins Arbeitsrecht gehört). Was nicht verhindern würde, dass die Regel etwa künftig in die Steuergesetzgebung aufgenommen wird, falls der Gesetzgeber dies wünscht...

Vgl. dazu:

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.