Ein Faden
Wir werfen einen Faden aus,
Die Fasern aus Worten und Zeichen.
Es sprechen unsere Träume daraus,
Die Utopie, die es gilt zu erreichen.
Gesponnen mit Trauer, Verzweiflung und Wut,
Geflochten mit Hoffnung und neuem Mut,
Werfen wir diesen Faden euch zu,
Um zu sehen, was ihr daraus macht.
Ob auch ihr noch eigene Fasern habt?
Flechtet sie ein oder knüpft sie dazu.
Von überall sehen wir Fäden fliegen.
Sie sind sich ähnlich und doch verschieden.
Mögen Netze, Gewebe entstehen,
Wege, um in die Zukunft zu gehen.
Belastbar und stark durch die Knoten von
Vielen Lässt sich durch die Verbindung Neues
erzielen.
Lasst uns beginnen. Jetzt oder nie!
Immer weiter Richtung Utopie.
Ein paar
einleitende Worte
Dieser Text ist eine
Einladung, gemeinsam mit uns über eine andere Welt
nachzudenken und darüber wie wir sie möglich
machen. Dabei werden wir inspiriert von Orten wie
Chiapas in Südmexiko und Rojava in Westkurdistan.
Sie erneuern in uns den dringenden Wunsch nach
einer tiefgreifenden Veränderung. Wir beginnen zu
überlegen, wie wir unserer Utopie von einem Leben
in Selbstbestimmung und Gleichberechtigung
schrittweise im hier und jetzt und ganz konkret
näher kommen können.
Denn so wie es ist,
kann es nicht weiter gehen. Wir stehen als
Menschheit inmitten von sozialen und ökologischen
Krisen, die sich beständig verschärfen: Globale
Verteilungskämpfe, Kriege, Vertreibung, Ausbeutung.
Immer mehr Kontrolle und Überwachung,
Reglementierung der Menschen bis in die kleinsten
Lebensbereiche hinein. Trotz alledem herrscht ein
Klima von erstickender Gleichgültigkeit, von
Verantwortungslosigkeit, von
Business-as-usual-Mentali-tät, das keine relevanten
Veränderungen zulässt.
Es ist an der Zeit,
mehr und konkreter Verantwortung für die gemeinsame
Gestaltung unserer Zukunft zu übernehmen. Wir
wollen die Lösungen nicht entlang der bestehenden
Strukturen suchen, da diese aus unserer Sicht Teil
des Problems sind. Es braucht einen Neuanfang,
eine radikale Änderung der Richtung. Wir stellen
vieles in Frage, an das wir uns gewöhnt haben. Wir
wissen, dass es bereits viele andere Menschen gibt,
die nach Auswegen suchen. Suchen wir also zusammen!
Lasst uns austauschen, miteinander in Kontakt
treten und gemeinsam Visionen entwickeln.
Die Ideen unseres
Textes entwickeln sich an vielen Stellen weniger
aus einer Ideologie, als aus unseren Erfahrungen
und aus vorhandenen, oft lokalen Ansätzen. Diesen
Text verstehen wir als Beitrag, der Diskussionen
entfachen und Schritte in einem längeren Prozess
anstoßen soll. Er gibt unseren Diskussionsstand
wieder und beschreibt aus unserer Perspektive die
aktuelle Situation und mögliche Auswege. Wir haben
kein fertiges Konzept, sondern eher Mosaiksteine,
die erst zusammen mit anderen ein Ganzes ergeben
können. Unser Beitrag bietet nicht die einzigen
und endgültigen Antworten.
Aber wir wollen, dass
sich endlich etwas verändert! Wichtig ist uns,
unsere Ideen und Vorstellungen klar zu formulieren,
um sie zugänglicher und greifbarer zu machen. Wir
sind offen für alle Menschen, die sich uns
verbunden fühlen. Wir möchten Leute erreichen und
zusammenkommen; keine klassische
Massenmobilisierung, aber raus aus der linken
Subkultur. Für einige wird manches neu sein oder
sich fremd anfühlen. Für andere wird im ersten
Moment die Tiefe der Analyse fehlen. Aber wir
glauben, dass diese Broschüre für alle etwas bereit
hält.
Am Anfang unserer
Diskussion stand der programmatische Text
„Autonomie, Autarkie, Gleichberechtigung", verfasst
von einem Kollektiv aus Kreta. Dieser versteht sich
als Diskussionsgrundlage für eine Vernetzung
emanzipativer Kräfte. Er wurde auf dem kurdischen
Kongress „Die kapitalistische Moderne sezieren",
Ostern 2015, in Hamburg vorgestellt. Text und
Kongress wurden zum Grundstein unseres
Schreibprozesses. Einige Passagen haben wir von den
Kreterinnen übernommen, von anderen haben wir uns
inspirieren lassen, um aus eigener Perspektive zu
schreiben und unsere gemeinsamen Vorstellungen von
einer würdevollen und lebenswerten Zukunft zu
beschreiben. Das war ein kollektiver Prozess, in
dem wir gelernt haben, uns auszutauschen, das
Gemeinsame zu suchen und Worte dafür zu finden.
Unsere Broschüre ist
in Abschnitte aufgeteilt, die für sich stehen und
auch einzeln gelesen werden können: Im Kapitel
Autonomie: Gemeinsam selbst bestimmen
beleuchten wir unseren Ansatz der
gleichberechtigten und direkten Mitsprache Aller
in der gesellschaftlichen Organisierung. Das
Kapitel Autarkie und solidarisches
Wirtschaften widmet sich der Frage, wie
sich alle Menschen mit dem versorgen können, was
sie zu einem guten Leben brauchen. Also dem Bereich
der heute gemeinhin Wirtschaft genannt wird. Die
Frage der Gleichberechtigung und der
Begegnung auf Augenhöhe ist für uns ein zentrales
Thema. Es geht dabei nicht nur um äußere
Bedingungen, sondern auch darum, die über
Jahrhunderte verinnerlichten Hierarchien zwischen
Menschen abzubauen. Der Epilog beschreibt Die
revolutionäre Perspektive, die wir als
aktiven Prozess verstehen. Es geht um nicht
weniger als eine soziale Revolution, die wir
beständig als Perspektive im Auge behalten. Am Ende
haben wir ein Glossar angefügt, zur Beschreibung
einiger wichtiger Begriffe.
Und wer ist das
„wir", das hier schreibt? Wir sind zwei handvoll
Menschen, männlich, weiblich und dazwischen,
geboren in vier verschiedenen Jahrzehnten,
aufgewachsen in Deutschland (Ost und West), weiß
und ziemlich privilegiert. Uns eint, dass wir seit
Langem nicht einverstanden sind, wie die Dinge
laufen und dass wir auf verschiedene Weisen
versuchen, dem etwas entgegenzusetzen:
Wir bekämpfen Nazis,
haben den Castor blockiert und uns dem
Braunkohleabbau entgegengestellt. Wir haben Häuser
und Wagenplätze besetzt und bewohnt, autonome
Zentren und Camps mitgestaltet, leben in WGs,
Gemeinschaften und Kommunen und auch mal alleine.
Wir haben uns mit dem Sexismus, dem Rassismus und
dem Konkurrenzverhalten in der Gesellschaft und in
uns selbst herumgeschlagen. Wir leben auf dem Land,
auch wenn einige von uns in großen Städten
aufgewachsen sind. Wir sind Rebell*innen und
versuchen in unserem Leben das umzusetzen, was wir
richtig finden. Wir mögen das zapatis-tische Motto:
„Fragend schreiten wir voran!" Es beschreibt die
Herangehens-weise, keinem fertigen Konzept zu
folgen, sondern die Praxis in gemeinsamen Prozessen
zu entwickeln, auf der nie abgeschlossenen Suche
nach Antworten.
Uns ist wichtig, wie
wir miteinander umgehen: Eine ehrliche, herzliche
Beziehung zu Menschen interessiert uns mehr als
ihre politische Kategorisierung. Inzwischen sind
wir auch eine Gruppe, ein Kollektiv, das versucht,
kleine und größere Dinge zu bewegen. Wir setzen
darauf, uns nicht vom Normalzustand erdrücken zu
lassen.
Wir brennen dafür,
eine Welt zu schaffen, in der Gleichberechtigung,
Selbstbestimmung und gegenseitige Hilfe
grundlegende Prinzipien sind. Wenn wir uns darüber
mit euch einig sind, sind wir potentielle
Verbündete und Kompliz*innen. Wir sehen die
Notwendigkeit, uns darüber zu unterhalten, wie eine
andere Zukunft aussehen kann. Welches können die
nächsten Schritte und mittelfristige Strategien
sein? Dieser Text ist eine Einladung an euch,
eigene Vorschläge einzubringen und mit uns über
unsere Ansätze in die Diskussion zu kommen.
Wir freuen uns
darauf, euch kennenzulernen, von euren Sichtweisen,
Träumen und Utopien zu hören und gemeinsame Wege zu
finden.
Vom Rand des Herzens
der Bestie, im Frühjahr 2017
Kollektiv L.A.R.A.
Bestellungen
an:
Editorischer Hinweis
Wir
erhielten die Broschüre von L.A.R.A. auf dem
Postweg.
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