Wir können auch anders
Konkrete Schritte in die gelebte Utopie

von Lollektiv L.A.R.A.

8/2017

trend
onlinezeitung

Ein Faden

Wir werfen einen Faden aus,
Die Fasern aus Worten und Zeichen.
Es sprechen unsere Träume daraus,
Die Utopie, die es gilt zu erreichen.

Gesponnen mit Trauer, Verzweiflung und Wut,
Geflochten mit Hoffnung und neuem Mut,
Werfen wir diesen Faden euch zu,
Um zu sehen, was ihr daraus macht.
Ob auch ihr noch eigene Fasern habt?
Flechtet sie ein oder knüpft sie dazu.

Von überall sehen wir Fäden fliegen.
Sie sind sich ähnlich und doch verschieden.
Mögen Netze, Gewebe entstehen,
Wege, um in die Zukunft zu gehen.
Belastbar und stark durch die Knoten von
Vielen Lässt sich durch die Verbindung Neues erzielen.

Lasst uns beginnen. Jetzt oder nie!
Immer weiter Richtung Utopie.

Ein paar einleitende Worte

Dieser Text ist eine Einladung, gemeinsam mit uns über eine andere Welt nachzudenken und darüber wie wir sie möglich machen. Dabei werden wir inspiriert von Orten wie Chiapas in Südmexiko und Rojava in Westkurdistan. Sie erneuern in uns den dringenden Wunsch nach einer tiefgreifenden Veränderung. Wir beginnen zu überlegen, wie wir unserer Utopie von einem Leben in Selbstbe­stimmung und Gleichberechtigung schrittweise im hier und jetzt und ganz kon­kret näher kommen können.

Denn so wie es ist, kann es nicht weiter gehen. Wir stehen als Menschheit inmit­ten von sozialen und ökologischen Krisen, die sich beständig verschärfen: Glo­bale Verteilungskämpfe, Kriege, Vertreibung, Ausbeutung. Immer mehr Kontrolle und Überwachung, Reglementierung der Menschen bis in die kleins­ten Lebensbereiche hinein. Trotz alledem herrscht ein Klima von erstickender Gleichgültigkeit, von Verantwortungslosigkeit, von Business-as-usual-Mentali-tät, das keine relevanten Veränderungen zulässt.

Es ist an der Zeit, mehr und konkreter Verantwortung für die gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft zu übernehmen. Wir wollen die Lösungen nicht ent­lang der bestehenden Strukturen suchen, da diese aus unserer Sicht Teil des Pro­blems sind. Es braucht einen Neuanfang, eine radikale Änderung der Richtung. Wir stellen vieles in Frage, an das wir uns gewöhnt haben. Wir wissen, dass es bereits viele andere Menschen gibt, die nach Auswegen suchen. Suchen wir also zusammen! Lasst uns austauschen, miteinander in Kontakt treten und gemein­sam Visionen entwickeln.

Die Ideen unseres Textes entwickeln sich an vielen Stellen weniger aus einer Ideologie, als aus unseren Erfahrungen und aus vorhandenen, oft lokalen Ansät­zen. Diesen Text verstehen wir als Beitrag, der Diskussionen entfachen und Schritte in einem längeren Prozess anstoßen soll. Er gibt unseren Diskussions­stand wieder und beschreibt aus unserer Perspektive die aktuelle Situation und mögliche Auswege. Wir haben kein fertiges Konzept, sondern eher Mosaik­steine, die erst zusammen mit anderen ein Ganzes ergeben können. Unser Bei­trag bietet nicht die einzigen und endgültigen Antworten.

Aber wir wollen, dass sich endlich etwas verändert! Wichtig ist uns, unsere Ideen und Vorstellungen klar zu formulieren, um sie zugänglicher und greifbarer zu machen. Wir sind offen für alle Menschen, die sich uns verbunden fühlen. Wir möchten Leute erreichen und zusammenkommen; keine klassische Massen­mobilisierung, aber raus aus der linken Subkultur. Für einige wird manches neu sein oder sich fremd anfühlen. Für andere wird im ersten Moment die Tiefe der Analyse fehlen. Aber wir glauben, dass diese Broschüre für alle etwas bereit hält.

Am Anfang unserer Diskussion stand der programmatische Text „Autonomie, Autarkie, Gleichberechtigung", verfasst von einem Kollektiv aus Kreta. Dieser versteht sich als Diskussionsgrundlage für eine Vernetzung emanzipativer Kräfte. Er wurde auf dem kurdischen Kongress „Die kapitalistische Moderne sezieren", Ostern 2015, in Hamburg vorgestellt. Text und Kongress wurden zum Grundstein unseres Schreibprozesses. Einige Passagen haben wir von den Kre­terinnen übernommen, von anderen haben wir uns inspirieren lassen, um aus eigener Perspektive zu schreiben und unsere gemeinsamen Vorstellungen von einer würdevollen und lebenswerten Zukunft zu beschreiben. Das war ein kol­lektiver Prozess, in dem wir gelernt haben, uns auszutauschen, das Gemeinsame zu suchen und Worte dafür zu finden.

Unsere Broschüre ist in Abschnitte aufgeteilt, die für sich stehen und auch ein­zeln gelesen werden können: Im Kapitel Autonomie: Gemeinsam selbst bestim­men beleuchten wir unseren Ansatz der gleichberechtigten und direkten Mit­sprache Aller in der gesellschaftlichen Organisierung. Das Kapitel Autarkie und solidarisches Wirtschaften widmet sich der Frage, wie sich alle Menschen mit dem versorgen können, was sie zu einem guten Leben brauchen. Also dem Bereich der heute gemeinhin Wirtschaft genannt wird. Die Frage der Gleichbe­rechtigung und der Begegnung auf Augenhöhe ist für uns ein zentrales Thema. Es geht dabei nicht nur um äußere Bedingungen, sondern auch darum, die über Jahrhunderte verinnerlichten Hierarchien zwischen Menschen abzubauen. Der Epilog beschreibt Die revolutionäre Perspektive, die wir als aktiven Prozess ver­stehen. Es geht um nicht weniger als eine soziale Revolution, die wir beständig als Perspektive im Auge behalten. Am Ende haben wir ein Glossar angefügt, zur Beschreibung einiger wichtiger Begriffe.

Und wer ist das „wir", das hier schreibt? Wir sind zwei handvoll Menschen, männlich, weiblich und dazwischen, geboren in vier verschiedenen Jahrzehnten, aufgewachsen in Deutschland (Ost und West), weiß und ziemlich privilegiert. Uns eint, dass wir seit Langem nicht einverstanden sind, wie die Dinge laufen und dass wir auf verschiedene Weisen versuchen, dem etwas entgegenzusetzen:

Wir bekämpfen Nazis, haben den Castor blockiert und uns dem Braunkoh­leabbau entgegengestellt. Wir haben Häuser und Wagenplätze besetzt und bewohnt, autonome Zentren und Camps mitgestaltet, leben in WGs, Gemeinschaften und Kommunen und auch mal alleine. Wir haben uns mit dem Sexismus, dem Rassismus und dem Konkurrenzverhalten in der Gesellschaft und in uns selbst herumgeschlagen. Wir leben auf dem Land, auch wenn einige von uns in großen Städten aufgewachsen sind. Wir sind Rebell*innen und versuchen in unserem Leben das umzusetzen, was wir richtig finden. Wir mögen das zapatis-tische Motto: „Fragend schreiten wir voran!" Es beschreibt die Herangehens-weise, keinem fertigen Konzept zu folgen, sondern die Praxis in gemeinsamen Prozessen zu entwickeln, auf der nie abgeschlossenen Suche nach Antworten.

Uns ist wichtig, wie wir miteinander umgehen: Eine ehrliche, herzliche Bezie­hung zu Menschen interessiert uns mehr als ihre politische Kategorisierung. Inzwischen sind wir auch eine Gruppe, ein Kollektiv, das versucht, kleine und größere Dinge zu bewegen. Wir setzen darauf, uns nicht vom Normalzustand erdrücken zu lassen.

Wir brennen dafür, eine Welt zu schaffen, in der Gleichberechtigung, Selbstbe­stimmung und gegenseitige Hilfe grundlegende Prinzipien sind. Wenn wir uns darüber mit euch einig sind, sind wir potentielle Verbündete und Kompliz*innen. Wir sehen die Notwendigkeit, uns darüber zu unterhalten, wie eine andere Zukunft aussehen kann. Welches können die nächsten Schritte und mittelfristige Strategien sein? Dieser Text ist eine Einladung an euch, eigene Vorschläge einzubringen und mit uns über unsere Ansätze in die Diskussion zu kommen.

Wir freuen uns darauf, euch kennenzulernen, von euren Sichtweisen, Träumen und Utopien zu hören und gemeinsame Wege zu finden.

Vom Rand des Herzens der Bestie, im Frühjahr 2017

Kollektiv L.A.R.A.


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Editorischer Hinweis

Wir erhielten die Broschüre von L.A.R.A. auf dem Postweg.