Zum 25. Jahrestag des rassistischen Pogroms von
Rostock Lichtenhagen 1992 werden im gesamten
Stadtgebiet verteilt fünf Gedenkorte geschaffen.
Dabei sollen fünf weiße Stelen an zum Teil
symbolischen Orten verschiedene Aspekte des Pogroms
aufzeigen und eine Auseinandersetzung mit dem Thema
anstoßen. Die Stelen orientieren sich dabei an den
Säulen der Demokratie: Exekutive, Legislative und
Judikative, die hier noch um die wichtigen
demokratischen Eckpfeiler Medien und
Zivilgesellschaft erweitert werden. Diese
Grundwerte sollen so als Gegenentwurf zum Pogrom
ins Zentrum der Erinnerung gerückt werden. Das
Konzept der fünf Stelen wurde von der
Künstlergruppe „Schaum“ entworfen, die damit die
öffentliche Ausschreibung der Hansestadt Rostock
für sich entscheiden konnte.
Es ist erfreulich, dass die Bürgerschaft endlich
bereit ist, die Leerstelle im öffentlichen Gedenken
zu füllen, die der bisher noch nicht vorhandene
feste Gedenkort für das Pogrom darstellt. Es ist
ebenfalls begrüßenswert, dass der Weg über eine
öffentliche Ausschreibung gewählt wurde, statt
einfach wie noch 2012 eine deutsche Eiche zu
pflanzen. Es ist aber zu bezweifeln, ob das
gewählte Gedenkkonzept wirklich zu einer Aufklärung
und Auseinandersetzung mit den Ereignissen von 1992
beitragen wird. Die unscheinbaren Installationen
werden der Spezifik des Pogroms nicht gerecht, weil
wichtige Aspekte, die einer Versöhnung mit der
Vergangenheit im Wege stehen, bewusst ausgeklammert
werden. So wird sowohl der rassistischen Dimension
der „Ausschreitung“ als auch der Zustimmung und
Beteiligung der Anwohner*innen an dem Pogrom
keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Das Konzept
erhält dadurch etwas Beliebiges und Austauschbares
und könnte in seiner Darstellung genausogut für ein
anderes Ereignis stehen. Für unwissende
Bürger*innen könnte es sich als schwierig erweisen
die Stelen in den Kontext von Lichtenhagen zu
setzen. Kritik an Kunst ist per se schwierig, die
Stelen sollen aber offizieller und vor allem
sichtbarer Gedenkort sein und können so auch in
diesem Rahmen kritisiert werden. Gerade dieser
letzte Aspekt darf bezweifelt werden. Lediglich
durch kleine Bodenplatten, die auf eine
weiterführende Website verweisen, wird ein Bezug
zwischen Stele und Gedenkfunktion hergestellt. Die
unscheinbaren Objekte korrespondieren eher mit den
Standpunkten der Bürgerschaft, die größtenteils um
ein leises Gedenken bemüht scheint, als einen
erinnerungspolitischen Stachel zu setzen. Die
Priorität liegt darauf die Auseinandersetzung um
die Ereignisse abzuschließen ohne dabei anzuecken.
Der Begriff des Pogroms wird dabei lediglich unter
der Voraussetzung anerkannt, dass zugleich Debatten
um Verantwortung ausgeklammert werden oder
zumindest in den Hintergrund treten.
Die Stele „Staatsgewalt“ ist nahe der
Polizeistation in der Ulmenstraße schräg in den
Boden eingelassen und trägt Auszüge aus der
Polizeiverordnung, die Aufgaben der Polizei
benennen. Diese Visualisierung stellt auf gelungene
Weise den Widerspruch zwischen dem Handeln der
Polizei während des Progroms und ihren eigentlichen
Pflichten dar. Die Beamt*innen sollen so jeden Tag
mit dem Gedenkort konfrontiert werden. Hierfür wäre
allerdings ein Platz in unmittelbarer Nähe des
Eingangs deutlich besser geeignet als die gewählte
abseitige Postionierung, welche eher von
Passant*innen frequentiert wird.
Die Stele „Medien“ befindet sich unmittelbar vor
dem Hauptgebäude der Ostseezeitung, die 1992 mit
tendenziöser Berichterstattung Öl ins Feuer der
„Ausschreitung“ goss. Acht in die Stele
eingelassene bewegbare Platten sollen zu
verschieden Wortgruppen zusammenfügbar sein. Wie
die Komplexität und die verschiedenen Ebenen des
Pogroms mit dem Nachbau eines Kinderspielzeugs
greifbar gemacht werden sollen, ist dabei schwer
nachzuvollziehen, gerade weil die damalige
Berichterstattung keineswegs naiv mit Worten
spielte. So entschied sich beispielsweise die NNN
(Norddeutsche Neueste Nachrichten) trotz aller
Warnungen des damaligen Ausländerbeauftragten der
Hansestadt die faktische Ankündigung des Pogroms in
Form von anonymen Telefondrohungen abzudrucken,
ebenso wie die Ostsee-Zeitung.
Die Stele „Courage“ im Rosengarten enthält das
Negativ eines Vogelhäuschens und ist in Anlehnung
an das Logo des JAZ, in dem 1992 antifaschistische
Interventionen organisiert wurden, von Disteln
umgeben. Dies soll auch die Schmerzen
symbolisieren, mit denen Zivilcourage verbunden
sein kann. Diese Stele zeigt, dass der Schwerpunkt
des Konzepts eher auf abstrakter Symbolik liegt
statt sich direkt auf das Geschehene zu beziehen.
Zum Gedenkkonzept gehört ebenfalls ein Kunstbuch
für Heranwachsende, dem als Gimmick eine Packung
Sonnenblumenkerne begelegt wird, die in der Stele
platziert werden können. Stärker noch als bei den
anderen Gedenkorten wird hier deutlich, dass die
interaktive Beschäftigung mit dem Objekt die
tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Pogrom zu
ersetzen droht.
In die Stele „Politik“, in der Nähe des Rathauses,
ist ein Gesicht eingelassen, in dem sich
Regenwasser sammeln kann, das durch kleine
Öffnungen in den Augen ablaufen kann, um so Tränen
der Trauer zu symbolisieren. Unerklärt bleibt
dabei, wer hier aufgrund welcher Handlungen über
wen trauern soll, wenngleich das Handeln
unterschiedlichster politischer Instanzen
vielfältigen Anlass zur Trauer bietet. Begonnen bei
der Weigerung des Innensenators eine sanitäre
Versorgung vor der ZASt zur Verfügung zur stellen,
bis hin zur Empörung des Bundesinnenministers
darüber, dass deutsche Polizist*innen wegen
Migrant*innen gegen Deutsche vorgehen müssten,
zeigt sich ein systematisches Fehlverhalten von
Verantwortlichen, welches auch die
Untersuchungsausschüsse der Kommune und des Landes
nicht aufklären konnten und wollten.
Der fünfte Gedenkort vor dem Sonnenblumenhaus in
Rostock Lichtenhagen besteht aus einer
zertrümmerten und wieder zusammengesetzten
Gehwegplatte und der Stele „Selbstjustiz“ mit einem
lose aufgelegten Stein eben jener Platte. Darf
bereits bezweifelt werden, dass der Stein dort
länger verbleibt, so wird auch die Stele selbst der
Erinnerung an das Pogrom in mehrerer Hinsicht nicht
gerecht: so präsent möglicherweise die
Zertrümmerungsszenen dieser Platten im medialen
Gedächtnis sein mögen, waren es doch vor allem
Molotovcocktails und die Masse jubelnder
Anwohner*innen, die für das Pogrom bezeichnend
waren. Auch der Begriff Selbstjustiz bereitet
Schwierigkeiten, suggeriert er doch, dass das
Pogrom eine Notwehrhandlung gegen eine reale
Bedrohung war. Damit werden die Taten von 1992 und
das Verhalten der Anwohner*innen im nachinein
relativiert und entschuldigt.
Quelle: linksunten.indymedia.org vom
28.7.2017
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