Von wem kommt hier
noch Opposition? Diese Frage stellt sich in diesen
Wochen, während relevante Teile der französischen
Gewerkschaftsführungen tendenziell in einen
Wettlauf um die Gunst der Regierung eingetreten zu
sein scheinen.
Im Vorjahr 2016, beim
Konflikt um das damals hart umkämpfte, jedoch
letztendlich durchgesetzte « Arbeitsgesetz », hatte
der politisch Höchst schillernde
Gewerkschaftsdachverband FO (Force Ouvrière)
– eine Abspaltung von der CGT aus Zeiten des Kalten
Krieges – noch mit der CGT und den linken
Basisgewerkschaften von der Union syndicale
Solidaires gemeinsam protestiert. Auf der anderen
Seite stand die rechtssozialdemokratisch gefühte
CFDT, die seit Mitte März 2016 die damaligen
Regierungsvorhaben unterstützte. Diese Zeiten sind
jedoch offenkundig vorbei.
Heute rivalisieren die Leitungen der CFDT und des
Dachverbands FO miteinander um die
regierungsfreundlichere Position. Der
Generalsekretär von FO, Jean-Claude Mailly – er
besitzt seit dreißig Jahren ein Parteibuch der
französischen Sozialdemokratie -, zeigte sich
wiederholt des Lobes voll über die „Kompetenzen“
der amtierenden Arbeitsministerin Muriel Pénicaud.
Er lobte mehrfach ihre Methode der „Konzertierung“,
die darin besteht, im Vorfeld der geplanten
Arbeitsrechts-„Reform“ die Interessenverbände des
Kapitals und der Lohnabhängigen immer wieder zu
empfangen und anzuhören. Getrennt, nicht gemeinsam.
Dass diese Anhörungen dazu dienen werden, die
Inhalte der „Reform“ im Sinne der Lohnabhängigen
auszurichten, darf mit Fug und Recht bezweifelt
werden. Im Tonfall zeigt sich sogar die
CFDT-Führung etwas kritischer. Was auch damit
zusammenhängt, dass man diesem Verband nunmehr zu
entziehen droht, was die CFDT-Spitze selbst in der
Vergangenheit als Erfolg ihrer Verhandlungsfühung
verkauft hatte. 2016 hatte diese etwa erreicht,
dass die damals eingeführte Deckelung von
Abfindungszahlungen bei illegalen Kündigungen für
die Arbeitsgerichte unverbindlich sein solle. Nun
soll sie aber doch verbindlich werden.
Das „Geheimnis“ liegt
hauptsächlich darin begründet, dass die neue
Regierung auch einige vormalige FO-Hauptamtliche im
Arbeits- und Sozialministerium eingestellt hat, wo
bislang vor allem frühere CFDT-Kader zu finden
waren.
Andernorts finden sich jedoch durchaus Widerspruch
und Widerstände gegen die Regierungspolitik. Zwar
ist die CGT – diese ruft, als Hauptveranstalterin,
nun zu Protestdemonstrationen am 12. September 17
zum Thema auf - durch den Positionswechsel ihrer
früheren Partnerin FO in der gewerkschaftlichen
Landschaft relativ isoliert. Doch als
außerparlamentarische Opposition, mit Reichweite in
die Gewerkschaften hinein, bündelt der Front
social seit einigen Wochen Kräfte, die
bislang jedoch noch nicht für eine massive
Mobilisierung gegen die Regierungspläne ausreichen.
Dieses Bündnis, das erstmals am 22. April und am
08. Mai 17 – also am Tag vor dem ersten, und jenem
nach dem zweiten Durchgang der
Präsidentschaftswahlen – mehrere Tausend Menschen
zu Oppositionsdemonstrationen gegen den erwartete
Sieger mobilisierte, fasst bestimmte
Gewerkschaftsflügel und einen Teil der
letztjährigen Protestbewegung rund um Nuit
debout zusammen. Am Montag, den 19. Juni 17
demonstrierte der Front social in
rund vierzig französischen Städten gegen die
geplante „Reform“ im Arbeitsrecht. In Paris kamen
dabei – in glühender Hitze – am frühen Abend des
19. Juni rund eintausend Menschen auf der place de
la Concorde, in Sichtweite der Nationalversammlung,
zusammen. (Verstalterangaben sprachen später von
„2.500“, eine übertriebene Zahl.)
Erneut ging es am 14. Juli 17 aus Anlass des
Staatsbesuchs von Donald Trump bei Emmanuel Macron
(am französischen Nationalfeiertag) auf die Straße,
die TeilnehmerInnenzahl blieb jedoch mit rund 1.000
dieses Mal hinter vielen Erwartungen zurück. Viele
weithin bekannte „Ehemalige“ der
Platzbesetzerbewegung Nuit debout vom
Vorjahr, mögen sie nun Maud oder Irène, Elodie,
Bob, Odile, Jean-Marie oder auch Jean-Louis heißen,
waren dabei, ebenso wie Initiativen gegen
Polizeigewalt und Sans papiers-Vereinigungen.
Zu
den Initiatoren des Bündnisses Front social
zählen die CGT beim Autohersteller Goodyear, die im
vorigen Jahr acht ihr Aktivisten zu Haftstrafen
verurteilt sah – im Januar wurden sie zu
Bewährungsstrafen umgewandelt -, die
Mediengewerkschaft CGT Info’Com sowie die
Postgewerkschaft SUD-PTT, vor allem im Département
92 (rund um Nanterre). Allerdings betrachten andere
Teile der Gewerkschaften als „politisiert“, auch
wenn die Allianz eine beträchtliche Spannbreite von
Positionen umfasst, da die CGT-Goodyear als eher
„orthodox-kommunistisch“ und die
SUD-Postbediensteten eher als „trotzkistisch“
eingestuft werden. (Anmerkung: Den SUD Post-Bezirk
im Département 92 betreffend wird vor allem
argumentiert, er widerspiegele vor allem die
Positionen eines bestimmten, sehr avantgardistisch
orientierten Flügels innerhalb des NPA, d.h. der
„Neuen Antikapitalistischen Partei“. Dieser Bezirk
von SUD PTT organisierte in den vergangenen zwei
bis drei Jahren wiederholt Streiks mit einer sehr
minoritären Basis innerhalb der Belegschaft,
zeitweilig mit einer Streikbeteiligung rund um die
fünf Prozent. Insofern werden die Praktiken dieses
Bezirks dafür kritisiert, in gewisser Weise
„Märtyrertum“ und Avantegardepolitik mit zu
geringer sozialer Verankerung bzw. Basishaftung zu
favorisieren.)
Dass dadurch, frühere
Gräben zwischen unterschiedlichen Teilen der Linken
– die sich früher als „stalinistisch“ versus
„trotzkistisch“ beargwöhnten – in der Praxis
überwunden wurden, kann nur als positiv bewertet
werden. Aber für einen wirklich massiven Protest
wird es auch die Unterstützung breiterer Teile der
Gewerkschaften, die heute anders als in der
Vergangenheit vor politischen Bekenntnissen eher
zurückschrecken, und/oder der Lohnabhängigenschaft
als solcher brauchen.
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe. Es handelt sich um die LANGfassung des
Artikels, dessen gekürzte Version an diesem
Freitag, den 21. Juli 17 in der Tageszeitung
Neues Deutschland (ND) erschien
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